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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Rudyard Kipling
Год выпуска 0
isbn 9788027209255
Автор произведения Редьярд Киплинг
Издательство Bookwire
Tarvin traf den Gaul in der Nachmittagssonne hinter dem Rasthaus schlafend und nahm ihm die Stalldecke ab.
»Wir wollen einen kleinen Spaziergang machen, Fibby,« kündigte er ihm an.
Der Kathiavar schnappte und wieherte unwirsch.
»Ja wohl, du warst von jeher ein Faulpelz, Fibby.«
Fibby wurde von dem aufgeregten eingeborenen Diener gesattelt und Tarvin holte indes aus seinem Zimmer eine Wolldecke, die er so zusammenrollte, als enthielte sie allerhand Lebensmittel. Fibby sollte sich seine Mahlzeiten selbst suchen. Dann machte er sich auf den Weg, so leichtherzig, als ob sich’s um einen Spazierritt um die Stadtmauer gehandelt hätte. Es war jetzt gegen drei Uhr nachmittags. Tarvin war entschlossen, daß Fibby mit Hilfe der Sporen den ganzen unergründlichen Vorrat von Bosheit und Halsstarrigkeit daransetzen müsse, die siebenundfünfzig englischen Meilen in zehn Stunden zu bewältigen, falls der Weg annehmbar war. Fand es sich, daß er sehr schlecht war, so würde er ihm zwölf Stunden Zeit vergönnen. Auf dem Heimweg waren dann jedenfalls die Sporen entbehrlich. Heute nacht war Mondschein und Tarvin wußte schon genug von Feldwegen in Gokral Sitarun und Bergpfaden anderwärts, um sicher zu sein, daß ihm Straßenkreuzungen kein Kopfzerbrechen kosten würden.
Nachdem Fibby beigebracht worden war, daß man nicht von ihm verlangte, in drei Richtungen zumal, sondern nur in einer auszuschreiten, kaute er sich behaglich auf dem Gebiß ab, senkte den Kopf und begann kunstgerecht zu traben; da zog aber Tarvin die Zügel an und hielt ihm eine schöne Rede: »Du mußt nämlich wissen, Söhnchen, wir reiten nicht zum Vergnügen – vor Sonnenuntergang wirst du das vollständig begriffen haben. Nun hat dich irgend eine Kommißseele gelehrt, deine kostbare Zeit mit englischem Trab zu vergeuden. Wir werden uns im Verlauf unsres Unternehmens noch über verschiedene Punkte auseinandersetzen müssen, dieses aber muß jetzt schon klar werden; wir wollen nicht mit einem Frevel beginnen. Sei also so gut, Fibby, und laß das Traben und schreite aus wie ein braves, mannhaftes Roß von Natur geht.«
Dieser Vortrag genügte noch nicht vollständig, vielmehr hatte Tarvin noch einige Ergänzungen nötig, bis Fibby wirklich in den leichten Laufschritt verfiel, den Eingeborene des Ostens wie des Westens reiten und der weder Pferd noch Mann ermüdet. Nun dämmerte dem Tier wohl auch eine Ahnung, daß man eine lange Reise vorhabe, denn er ließ den Schwanz hängen und legte sich ordentlich ins Zeug.
Anfangs mußte er in eine Wolke sandigen Staubs schreiten, zwischen Baumwollfrachtwagen und ländlichen Karren, die sich rasselnd und knarrend nach der Bahnlinie von Gunnaur bewegten. Als die Sonne zu sinken begann, tanzte sein großer Schatten wie ein Gespenst über vulkanische Felsbrocken, die mit niederem Buschwerk oder da und dort mit einer Aloe bewachsen waren.
Die Fuhrleute spannten jetzt am Straßenrand ihre Zugtiere aus und schickten sich an, bei trüb glostenden Feuern ihre Abendmahlzeit zu bereiten und zu verzehren. Fibby spitzte die Ohren und schielte wehmütig nach den Lagerfeuern, hielt aber wacker aus in der wachsenden Dunkelheit und Tarvin roch den scharfen Saft des Kameldorns, den seine Hufe zerstampften. Hinter ihnen stieg der Mond in voller Herrlichkeit auf, und seinen lauernden Schatten folgend, überholte Fibby bald einen nackten Mann, der über der Schulter einen Stecken mit bimmelnden Glöckchen trug, und schweratmend und schweißtriefend vor einem andern zu fliehen schien, der ihn mit entblößtem Schwert verfolgte. Die beiden waren der Landpostbote und die ihm zum Schutz beigegebene Wache auf dem Weg nach Gunnaur. Das Gebimmel der Glöckchen verklang in der Ferne, und Fibby ging jetzt langsamer zwischen endlosen Reihen von Dorngesträuch hin, das verzweifelt die Arme zu den Sternen emporstreckte und Riesenschatten quer über die Straße warf. Ein Nachttier brach seitwärts aus dem Dickicht und Fibby schnaubte in Todesangst. Dann raschelte ein Stachelschwein gerade vor seinen Füßen über den Weg und verpestete die stille Luft eine ganze Strecke weit mit seinem Gestank. Ein Stück weiter tauchte ein Lichtschein auf; ein Büffelkarren war zusammengebrochen und die Treiber schliefen friedlich, um erst bei Tageslicht den Schaden zu untersuchen. Hier blieb Fibby einfach stehen und sein Herr weckte die Schläfer etwas unsanft, machte sie aber durch eine Rupie, die solchen Leuten ein Vermögen bedeutet, höchst willig, dem Pferd Futter und Wasser zu reichen. Tarvin lockerte ihm die Gurten und behandelte ihn so artig als möglich, und als Fibby sich neu gekräftigt wieder auf den Weg machte, war er zum zweitenmal voll guten Willens. Das Blut seiner Ahnherrn, ihre Abenteuerlust und Kühnheit schien sich in ihm zu rühren! Stammte er doch von einem Geschlecht, das gewöhnt war, seinen Herrn an einem Tag dreißig Seemeilen weit zu tragen, um, während eine Stadt eingeäschert wurde, angepflockt an eine Lanze, kurze Rast zu halten, und ehe die Asche der niedergebrannten Häuser verkühlt war, wieder zu stehen, von wannen man gekommen war. So hob nun Fibby mutvoll den Schweif, wieherte und setzte sich in Bewegung.
Die Straße führte nun meilenlang abwärts, kreuzte verschiedene ausgetrocknete Wasserläufe, einmal auch einen breiten seichten Fluß, wo Fibby einen ausgiebigen Trunk that und sich gern in einem Melonenbeet gewälzt haben würde, wenn ihn die scharfen Sporen nicht gleich wieder den jenseitigen Abhang hinaufgetrieben hätten. Das Land wurde von Viertelstunde zu Viertelstunde fruchtbarer, die Erdwellen breiter; im Licht des sinkenden Monds schimmerten die opiumtragenden Mohnfelder silberweiß, in dunkeln Wassern ragte das Zuckerrohr.
Aber Mohn und Zuckerrohr verschwanden jählings, als Fibby jetzt eine lange steile Böschung hinunterklettern mußte, mit weitgeöffneten Nüstern den Morgenwind witternd. Er wußte wohl, daß der Tag ihm Ruhe bringen würde. Tarvin folgte mit spähendem Blick der weißen Straßenlinie, die im sammetigen Dunkel niedrigen Buschwerks verschwand. Er überblickte von hier eine weite, von sanftgeschwungenen Hügellinien umrandete Ebene, die von seinem erhöhten Standpunkt aus so glatt erschien wie der Meeresspiegel. Und gleich der See trug sie auf ihrer Brust ein Schiff, einen gigantischen Monitor, der mit scharfgeschwungenem Bug in gerader Richtung von Norden nach Süden strebte. Es war ein Schiff, wie es noch kein Menschenauge erblickt hat, wohl zwei Meilen lang mit drei-bis vierhundert Fuß freien Raums auf Deck, einsam, schweigend, ohne Masten und Lichter, herrenlos auf der Erde treibend.
»Wir sind nah am Ziel, Fib, mein Junge,« sagte Tarvin, die Zügel anziehend und das gespenstische Ungeheuer im Sternenschein ermessend. »Wir wollen ihm so nah kommen, als wir können, und dann das Tageslicht abwarten, eh wir an Bord gehen.«
Das Pferd kletterte den mit scharfen Steinen und schlafenden Ziegen übersäten Abhang hinunter. Dann machte die Straße eine scharfe Biegung nach links und lief nun parallel mit der Längsseite des Schiffs, Tarvin aber trieb das Pferd rechts ab in einen kürzeren Fußpfad, wo das arme Tier kläglich zwischen Büschen und Wurzeln und einem ganzen Netzwerk bis zu sechs Fuß tiefer, vom Regen eingerissener Wasserrinnsale hinstolperte.
Endlich stöhnte Fibby in heller Verzweiflung laut auf, und jetzt erbarmte sich Tarvin seiner, stieg ab, band ihn an einen Baumstamm und ermahnte ihn, bis zur Frühstückszeit über seine Sünden nachzudenken. Er selbst war vom Sattel herab in ein ausgetrocknetes, stauberfülltes Wasserloch geraten, zehn Schritte weiter und das Buschwerk schlug über ihm zusammen, peitschte seine Stirn, hakte seine Dornen in seine Kleider ein und streckte seinen Knieen Luftwurzeln entgegen, die es fast unmöglich machten, den immer steiler werdenden Pfad zu erklimmen.
Schließlich arbeitete sich Tarvin auf Händen und Knieen rutschend weiter, von Kopf bis zu Fuß mit Staub und Erde und Laub überzogen, kaum mehr zu unterscheiden von den Wildschweinen, die da und dort wie