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stören zu lassen, stemmte und schwang er sich in die Höhe, die Wurzeln schüttelnd, als ob er das Naulahka aus den Tiefen der Erde zu Tag fördern wollte, und bei jedem Ruck und Tritt gotteslästerlich fluchend. Als er endlich einen Augenblick stille hielt, um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen, entdeckte er mehr durch Betastung als mit dem Auge, daß er dicht am Fuß einer Mauer in die Kniee gesunken war, die bolzgerade bis zu den Sternen aufzusteigen schien. Aus dem Dickicht unter ihm erklang Fibbys klägliches Wiehern.

      »Dir thut nichts weh, mein Sohn,« sagte Tarvin, nach Luft schnappend und das dürre Gras ausspeiend, das ihm zwischen die Zähne geraten war, »du kannst von Glück sagen, daß du nicht an meiner Stelle bist und daß dir niemand zumutet, heute nacht das Fliegen zu erlernen!«

      Dabei schielte er mutlos an der glatten Mauerfläche empor und gab einem Eulenruf einen leisen Pfiff zur Antwort. Jetzt versuchte er, längs der Mauer weiterzukommen, die eine Hand gegen die roh behauenen Steine gestemmt, mit der andern seine Augen vor dem Buschwerk wahrend. Zwischen zwei Cyklopensteinen hatte einst ein Feigenkern Raum und dann jahrhundertelang ungestörte Muße gefunden, sich zu einem knorrigen, trotzigen Baum zu entwickeln, der sich zwischen die Fugen drängte und das Mauerwerk da und dort sprengte. Tarvin überlegte eine Weile, ob er auf den Ansatz des untersten Astes steigen solle, ging noch ein paar Schritte weiter, um sich die Sache von beiden Seiten anzusehen, und stand nun plötzlich vor einer Lücke in der Mauer, die in ihrer ganzen Dicke von wohl zwanzig Fuß so breit gespalten war, daß ein ganzes Regiment hätte durchziehen können.

      »Das sieht ihnen ähnlich! So sind sie!« brummte Tarvin vor sich hin. »Das hätte ich mir ja denken können! Eine sechzig Fuß hohe Mauer aufrichten und ein achtzig Fuß breites Loch darin anbringen! Das Halsband hängt wahrscheinlich an einem Busch oder ein Kind spielt damit und – ich kann’s nicht erreichen!«

      Er stolperte über den Schutt in der Öffnung hinüber und stand dann mitten unter geborstenen Pfeilern, Steinplatten, herabgestürzten Tragsteinen und eingesunkenen Grabmälern. Fast unter seinen Reitstiefeln hörte er ein leises, langgedehntes Zischen – keinem vom Weibe Geborenen braucht die Stimme der Schlange erst vorgestellt zu werden, er kennt sie beim ersten Mal.

      Er machte einen Satz und stand dann still. Fibbys Wiehern drang nur noch ganz schwach an sein Ohr. Der Morgenwind strich durch die Kluft in der Mauer und Tarvin trocknete sich erleichterten Herzens die Stirn. Weiter vordringen wollte er erst, wenn es Tag wurde, jetzt war es an der Zeit, sich zu stärken. Daß es dabei angebracht war, sich nicht vom Fleck zu rühren, hatte ihn die zischende Stimme gelehrt.

      So zog er denn seine Feldflasche und seinen Mundvorrat aus der Rocktasche und aß mit wahrem Heißhunger, ohne dabei die gespannte Umschau zu versäumen. Das nächtliche Dunkel lüftete sich schon ein wenig und er unterschied den Umriß eines großen Gebäudes, von dem ihn nur ein paar Schritte trennten. Seitwärts davon tauchten andre Schatten auf, blaß und geisterhaft wie Traumgesichter, Schatten von Tempeln und abermals Tempeln und Häusern. Der Wind, der zwischen ihnen durchfuhr, trug das sausende Geräusch von seinem Hauch gepeitschter Hecken mit sich.

      Die Schatten wurden größer und greifbarer, und Tarvin sah jetzt, daß er mit dem Gesicht gegen ein umgestürztes Grabmal stand. Jetzt mußte er die Augen eindrücken, denn ohne alle vorbereitenden Anzeichen war jählings in seinem Rücken die Morgenröte aufgeschossen und hatte die Stadt der Toten aus dem Dunkel der Nacht gehoben. Weiträumige zackenkupplige Paläste enthüllten, blutrot übergossen, ihre unheimliche Leere und starrten in den Tag hinein, der ihre innersten Räume durchdrang.

      Singend, pfeifend strich der Wind durch die öden Straßen, und da er niemand fand, der ihm Antwort gegeben hätte, ging er wieder, eine Wolke von Schutt und Staub vor sich her jagend, die er plötzlich zu einem kleinen Cyklontrichter zusammendrehte und seufzend hinwarf.

      Zierliches, marmornes Netzwerk, das aus einer Fensterfüllung herabgestürzt war, lag auf dem dürren Gras und eine Eidechse kroch darüber hin, um sich zu sonnen. Schon war die glühende Morgenröte verflogen, erbarmungslos klares Licht lag auf allem, ein Weih kreiste am wolkenlosen blauen Himmel; der kaum geborene Tag hätte schon so alt sein können wie die tote Stadt. Es war Tarvin, als ob der Tag und er selbst stillstünden, um auf den Flügeln ziellos hingewirbelten Staubs die Jahrhunderte an sich vorüberlauschen zu hören.

      Als er jetzt die erste Straße betrat, spazierte ein Pfau aus dem leeren Thorbogen eines hoffärtigen roten Hauses und schlug im Glanz der Sonne ein prachtvolles Rad. Tarvin blieb stehen und nahm vollkommen ernsthaft vor dem königlichen Vogel den Hut ab, das einzige lebende Wesen grüßend, das sich im Farbenschmuck seines Gefieders leuchtend von der Steinwelt abhob.

      Das Schweigen des Orts und die vermessene Nacktheit der leeren Gebäude legten sich ihm wie ein schwerer Druck auf die Seele. Lange Zeit war Tarvin nicht einmal im stand, vor sich hinzupfeifen, sondern wanderte planlos zwischen den Mauern umher, besah sich die ungeheuren, natürlich ausgetrockneten Wassersammler, die hohlen Schilderhäuser, womit die Verschanzung wie mit Nägeln besetzt war, die von der Zeit morsch gewordenen Bogen, die jeden Straßeneingang überspannten, und vor allem den neunstöckigen Turm des Ruhmes mit seinem halbeingestürzten Dach, das in einer Höhe von hundertfünfzig Fuß in die Luft ragte, um dem umliegenden Land zu sagen, daß die königliche Stadt nicht tot sei, sondern sich eines Tags wieder bevölkern werde mit Menschen.

      Nach mühsamem Aufstieg in dem Turm, dessen Außenwände eine völlige Kruste von Hochreliefdarstellungen menschlicher und tierischer Gestalten trugen, sah Tarvin herab auf das weite schlafende Gelände, worin die Totenstadt lag. Er sah die Straße, die er zur Nachtzeit geritten war, und konnte sie dreißig Meilen weit verfolgen, wie sie bald in einer Einsenkung verschwand, bald wieder auftauchte, er überblickte die weißen Mohnfelder und das braungrüne Buschwerk und sah, wie die endlose Ebene im Norden vom funkelnden Schienenstrang der Bahnlinie durchschnitten wurde. Wie zur See vom höchsten Mastkorb hielt er Umschau aus seiner luftigen Höhe, denn sobald er wieder unten war in der Stadt, beraubte ihn das himmelhoch ragende Bollwerk jedes Ausblicks. An der Nordseite, wo die Eisenbahnlinie der Stadt am nächsten kam, liefen steingepflasterte Laufgräben an der Böschung hinunter, die sich von dieser Höhe genau ausnahmen wie die herabgelassenen Fallreepstreppen an einem Schiff, und durch die von der Zeit und wuchernden Bäumen gerissenen Lücken in der Mauer sah man den fernen bläulichen Horizont der Ebene hereinschimmern, gerade als ob es die tiefblaue See wäre. Eingedenk, daß Fibby im Gesträuch auf sein Frühstück wartete, beeilte er sich, die zerbröckelnden Stufen wieder hinabzusteigen, und eingedenk des Wesentlichen, was ihm Estes über die Lage des Kuhmauls gesagt hatte, schlug er ein Seitensträßchen ein, wobei er vielen Eichhörnchen und Affen in die Quere kam, die im kühlen Dunkel der leeren Thorbogen ihre Wohnung aufgeschlagen hatten. Das letzte der Häuser endete in einem von Mimosen und Binsen überwucherten Schutthaufen, durch den schmale Fußspuren liefen.

      Tarvin nahm Notiz von diesem Haus, als der ersten thatsächlichen Ruine, die er zu Gesicht bekam. Was er den Tempeln und Palästen hauptsächlich zur Last legte, war, daß sie eben keine Ruinen waren, sondern nur leer, tot, ausgefegt, von den Teufeln der Einsamkeit schwelgerisch in Besitz genommen. Mit der Zeit, in ein paar Tausend Jahren vielleicht, würde die Stadt in Staub und Moder zerfallen, dieses Haus wenigstens war mit gutem Beispiel vorangegangen.

      Die Fußspur, der er folgte, führte ihn auf einen vorspringenden massiven Felsblock, der wie ein Wasserfall überhing. Kaum hatte indes Tarvin einen einzigen Schritt darauf gemacht, als er auf der Nase lag, denn das Gestein hatte tiefe Rinnen glätter als Eis, die von Millionen nackter Füße eingetreten und blank poliert worden waren; wie lange diese Füße dazu gebraucht hatten, würde kein Mensch nachrechnen können. Als er sich wieder aufrichtete, hörte er ein boshaftes Kichern und Glucksen, das halb unterdrückt mit einem Stickhusten endete, dann ganz verstummte und von neuem wieder anhob. Tarvin schwor sich im stillen, den Spötter ausfindig zu machen und zu bestrafen, sobald er sein Halsband gefunden haben würde, und gab dann etwas besser acht auf sein Gleichgewicht. An dem Punkt, wohin er jetzt gelangt war, schien es ihm, als ob das Kuhmaul ein ausgedienter Steinbruch wäre, dem die Schlingpflanzen aus dem Hals wuchsen.

      Der Blick auf alles tiefer Liegende war durch das dichte Laubwerk von Bäumen versperrt, die sich aufwärts reckten und ihre Köpfe zusammenstreckten wie eine Leichenwache über einem Toten. Früher

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