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des Neuen, um Herz und Gedanken auszufüllen. Beklommen tastete sie in einem Reich umher, wo ewiges Zwielicht herrscht, suchte ihren Weg in den Irrgärten von Gängen, Treppen, Höfen, Geheimthüren, wo verschleierte Frauen an ihr vorüberstreiften, sie anstarrten und hinter ihrem Rücken über sie lachten, oder mit kindischer Neugier ihr Kleid, ihren Hut, ihre Handschuhe befühlten. Sie verzweifelte daran, sich jemals auch nur im kleinsten Teil dieses ungeheuren Bienenstocks zurechtzufinden, in dem Dämmerlicht die blassen Gesichter der Frauen unterscheiden zu lernen, die sie durch lange Reihen leerer Zimmer führten, wo der Wind allein unter dem glitzernden Deckenschmuck seufzte, und hinauf in schwebende Gärten, zweihundert Fuß über der Stadt, und doch noch neidisch von hohen Mauern eingefaßt, und aus der strahlenden Helle der flachen Dächer über nicht enden wollende Treppen hinab in stille unterirdische Gemächer, die man aus Furcht vor der Hitze sechzig Fuß tief in den Felsen gehauen hatte. Und auf Schritt und Tritt Frauen und Kinder und abermals Kinder und Frauen! Man schätzte die Einwohnerschaft des Palastes auf viertausend lebende Seelen: wie viele tot und begraben darin lagen, wußte kein Mensch zu sagen.

      Viele von den Frauen – wie viele, das hätte sie nicht sagen können – weigerten sich, durch Gerede und Gerüchte verhetzt, unbedingt, Kätes Hilfeleistungen anzunehmen. Sie seien nicht krank, erklärten sie, und die Berührung der weißen Frau sei befleckend. Andre vertrauten ihr die Kinder an und baten sie, den schwächlichen, im Dunkel aufgewachsenen Pflänzchen Farbe und Frische zu verschaffen, und glutäugige Mädchen stürzten aus der Dämmerung auf sie los mit leidenschaftlichen Klagen, die sie nicht verstand, nicht zu verstehen wagte. Von den Wänden der kleinen Stübchen starrten ihr häßliche anstößige Bilder entgegen und unzüchtige Götter grinsten sie aus schauerigen Nischen über den Thüren höhnisch an. Die heiße Luft, Küchen-und Weihrauchdüfte, die unbeschreibliche Ausdünstung der dicht zusammengepferchten Menschheit benahmen ihr oft den Atem, aber was sie zu hören bekam und erraten lernte, war widerlicher als alle mit den Sinnen wahrnehmbaren Greuel. Es war entschieden etwas ganz andres um den heldenmütigen Entschluß, dem im Geist geschauten Elend indischer Frauen ihr Mitgefühl, ihr Leben zu weihen, und der unbeschreiblichen Wirklichkeit in der Abgeschlossenheit der Frauengemächer von Rhatore gegenüberzutreten.

      Tarvin erforschte mittlerweile das Land nach einem selbst ersonnenen System. Es beruhte auf Ausnutzung der Möglichkeiten nach Maßstab ihrer Bedeutung – alles, was er unternahm, stand in ursächlichem, wenn auch nicht immer erkennbarem Zusammenhang mit seinem Zweck und Ziel, dem Naulahka.

      In den fürstlichen Gärten, wo unzählige, nur selten bezahlte Gärtner mit Wasserschläuchen und Gießkannen gegen die zerstörende Gewalt der Hitze ankämpften, konnte er ungehemmt aus und ein gehen. Er hatte auch freien Zutritt zum Leibstall des Maharadscha, wo achthundert Pferde allnächtlich auf der Streu lagen, und konnte zusehen, wenn sie am Morgen zu je vierhundert in einer Staubwolke zur Morgenarbeit ausrückten. Die äußeren Palasthöfe standen ihm uneingeschränkt offen, er konnte der Toilette der Elefanten beiwohnen, wenn der Maharadscha einen Staatsumzug hielt, konnte mit der Wache plaudern und lachen und sich an drachenköpfigen, schlangenhalsigen Geschützen erbauen, die von eingeborenen Kunsthandwerkern erfunden waren, denen hier im fernen Osten die Mitrailleuse gedämmert haben mußte. Aber in das Gebiet, wo Käte weilte, durfte er keinen Fuß setzen. Er wußte, baß ihr Leben in Rhatore so sicher war wie in Topaz, aber als sie zum erstenmal, zuversichtlich und ohne Zaudern hinter dem teppichverhangenen Eingang zum Frauenpalast verschwand, fuhr seine Hand unwillkürlich nach dem Griff seines Revolvers.

      Der Maharadscha war ein guter Kamerad und ein vortrefflicher Pachisispieler, aber als Tarvin ihm eine halbe Stunde nach jenem Verschwinden gegenüber saß, überlegte er sich doch, daß er des Maharadscha Leben keiner Versicherungsgesellschaft empfehlen möchte, falls seiner Liebe etwas zu Leid geschähe in dem geheimnisvollen Reich, aus dem außer Flüstern und Rascheln kein Laut in die Außenwelt drang. Als Käte späterhin wieder heraustrat, wobei der Maharadscha Kunwar an ihrem Arm hing, war ihr Gesicht blaß und verzerrt, in ihren Augen funkelten Thränen der Entrüstung. Sie war sehend geworden.

      Tarvin eilte an ihre Seite, aber sie wies ihn mit der herrischen Gebärde von sich, die allen Frauen in tiefer Erregung zu Gebot steht, und flüchtete sich zu Frau Estes.

      Es war ihm, als ob er mit rauher Hand aus ihrem Leben hinausgedrängt worden wäre, und der Maharadscha Kunwar traf ihn am Abend, wie er mit großen Schritten auf der Veranda des Rasthauses hin und her ging, beinah bereuend, daß er den Maharadscha, den eigentlichen Urheber jenes Schreckensausdrucks in Kätes Augen, nicht niedergeschossen hatte. Mit einem tiefen Atemzug dankte er seinem Schöpfer dafür, daß er hier war, um sie zu bewachen, zu verteidigen, im Notfall mit Gewalt fortzubringen. Ihn schauderte, wenn er sich Käte hier allein vorstellte, einzig auf Frau Estes’ Beistand aus der Ferne angewiesen.

      »Ich habe etwas für Käte gebracht,« sagte der Prinz vorsichtig aus dem Wagen steigend, denn er hielt einen Pack, der seine beiden Arme ausfüllte. »Komm mit mir zu ihr!«

      Nichts Schlimmes ahnend, fuhr Tarvin mit seinem kleinen Freund zum Missionshaus.

      »Alle Leute in meinem Palast sagen, daß sie deine Käte sei,« bemerkte er unterwegs.

      »Freut mich, daß die Herrschaften das gemerkt haben!« brummte Tarvin ingrimmig in sich hinein.

      »Was hast du denn da?« fragte er den Knaben laut, indem er die Hand auf den folglich gehüteten Pack legte.

      »Das ist von meiner Mutter, der Königin. Das ist die wirkliche Königin, weißt du, ich bin ja der Prinz. Ich muß auch etwas bestellen.«

      Nach Kinderart begann er, seinen Auftrag leise vor sich hin zu flüstern, um ihn ja nicht zu vergessen.

      Käte saß auf der Veranda, als der Wagen anfuhr, und ihr trauriges Gesicht hellte sich beim Anblick des Knaben ein wenig auf.

      »Die Wache soll nicht in den Garten treten – auf der Straße warten!«

      Wagen und Gefolge zogen sich auf diesen Befehl zurück. Der Maharadscha Kunwar streckte Käte das Paket hin, ohne Tarvins Hand dabei loszulassen.

      »Es ist von meiner Mutter,« begann er. »Du hast sie ja gesehen. Dieser Mann kann bleiben: er ist« – er suchte ein wenig nach dem Ausdruck – »von Deinem Herzen, nicht wahr? Deine Rede ist seine Rede?«

      Käte errötete, aber sie machte keinen Versuch, das Kind zu widerlegen – was hätte sie auch sagen können?

      »Und das soll ich dir sagen, zuerst vor allem, bis du es ganz verstehest.«

      Das Kind strich sich die baumelnden Smaragden aus der Stirne, richtete sich zu seiner vollen Höhe auf und sprach zögernd, die ihm eingeprägten Worte aus der heimischen Mundart ins Englische übertragend: »Meine Mutter die Königin – die wirkliche Königin – sagt: ›Drei Monate habe ich daran gearbeitet. Es ist für dich, weil ich dein Angesicht gesehen habe. Was ich gemacht, kann wieder zertrennt werden, und einer Zigeunerin Hände zerstören alles. Bei den Göttern beschwöre ich dich, achte darauf, daß eine Zigeunerin nicht zerstört, was ich gemacht habe, denn mein Leib und meine Seele wohnen darin. Bewahre und schütze mein Werk, das von mir kommt – ein Gewand, daran ich neun Jahre gewebt habe!‹ – Ich kann besser englisch als meine Mutter,« setzte der Knabe im Alltagston hinzu.

      Käte öffnete das Paket und entfaltete ein ungeschickt gestricktes Umschlagtuch von grober schwarzer Wolle mit gelben Streifen und schreiend roten Fransen – mit solchen Handarbeiten füllten in Gokral Sitarun Königinnen ihre müßigen Stunden aus.

      »Das ist alles,« sagte der Maharadscha Kunwar, ohne sich indes zum Gehen anzuschicken.

      Käte drehte die armselige Gabe hin und her und fand keine Worte; die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Der Knabe, der Tarvins Hand noch keinen Augenblick losgelassen hatte, fing plötzlich an, die Botschaft feierlich Wort für Wort zu wiederholen, und seine schmale Hand krampfte sich dabei förmlich um Tarvins Finger.

      »Sag deiner Mutter, daß ich ihr sehr dankbar sei,« erwiderte Käte verwirrt und befangen mit unsicherer Stimme.

      »Das war die rechte Antwort nicht,« sagte der Knabe mit einem hilfesuchenden Blick auf seinen hochgewachsenen Freund, den neuen Engländer.

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