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Anna von Kant und Christian von Sternberg. Albertina mochte die beiden auf Anhieb.

      »Sie sind Carl zu Kallwitz?«, rief ihre Mutter erfreut, als sie Carls Namen hörte. »Wir haben kürzlich Ihre Eltern kennengelernt und bei der Gelegenheit auch von Ihnen gesprochen.«

      »Es freut mich sehr, gnädige Frau, dass wir uns nun endlich begegnen«, erwiderte Carl.

      »Das ist unsere Tochter Albertina«, erklärte Eliane.

      Er sah wirklich gut aus, auch aus der Nähe, stellte Albertina fest. Und diese Augen … Sie hätte etwas darum gegeben zu wissen, was in seinem Kopf vorging. Es kam ihr so vor, als hätte er mit widerstreitenden Gefühlen zu kämpfen, was sie sich jedoch nicht erklären konnte. Er kannte sie doch gar nicht!

      Sein Händedruck war so fest wie ihrer, er benahm sich untadelig höflich, dennoch war etwas an ihm, das sie verunsicherte. Kannte er sie vielleicht doch von irgendwoher? Von der Baustelle womöglich? Hoffentlich nicht, dachte sie erschrocken. Bisher hatte sie noch nie Probleme gehabt, ihre beiden Leben strikt voneinander zu trennen – aber natürlich war ihr klar, dass das nicht immer so bleiben musste.

      Sie war fast erleichtert, als sie ihre Mutter sagen hörte: »Da kommen ja auch Sofia und Fritz!«

      Sie drehte sich um und sah ein elegantes Paar mittleren Alters näherkommen, dem ihre Eltern sie vorstellten. Danach wandten sich Sofia und Friedrich von Kant Carl zu Kallwitz zu, sodass sein forschender Blick nicht länger auf ihr ruhte. Er brachte sie durcheinander, und das gefiel ihr nicht. Sie konnte derzeit keinen Mann in ihrem Leben gebrauchen. Viel zu lange hatte es gedauert, bis sie in ihrem geliebten Beruf Fuß gefasst hatte – davon würde sie sich in den nächsten Jahren von keinem Mann abhalten lassen, mochte er noch so attraktiv sein …

      Zum Glück ahnte er nichts von dem Aufruhr in ihrem Inneren, und sie hatte nicht die Absicht, ihm etwas darüber zu erzählen.

      *

      »Sabine!« Robert starrte die Frau seiner Träume an wie eine Erscheinung, riss sich jedoch schnell zusammen. »Was verschafft mir denn die Ehre deines Besuchs?«, fragte er und war stolz darauf, dass das sogar ein wenig kühl klang.

      »Ich muss mit dir reden«, erklärte Sabine. »Geht das?«

      Robert hatte schon die eilige Beteuerung auf der Zunge, dass das natürlich ginge, aber er bremste sich. »Ich habe nicht viel Zeit«, behauptete er. »Worum geht es denn?« Er musste richtig an sich halten, sie nicht in seine Wohnung zu bitten. Vorsichtshalber hielt er sich am Türrahmen fest, damit er nicht weich wurde. Ihm fiel auf, dass sie ziemlich blass und mitgenommen aussah, aber er verhärtete sein Herz gegen diese Erkenntnis. Das ging ihn nichts an!

      »Um mich … äh … um uns«, stammelte Sabine.

      Robert glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«, fragte er. »Uns? Du und ich, das hat es überhaupt nie gegeben – also kann es auch nicht um ›uns‹ gehen.«

      »Ja, das … das stimmt.« Sie verstummte.

      Seine Verwunderung wuchs. So, wie sie jetzt vor ihm stand, so kleinlaut und irgendwie bedauernswert, kannte er sie bislang gar nicht. Plötzlich verspürte er Panik. War vielleicht etwas Entsetzliches passiert, und sie brauchte einen Freund? War sie deshalb zu ihm gekommen – und er behandelte sie wie eine Fremde? Das hatte sie nicht verdient, er musste …

      Noch bevor er seinen Gedankengang abgeschlossen hatte, ergriff Sabine erneut das Wort. »Also gut, dann geht es eben um mich. Könnten wir nicht … ich meine, kannst du mich nicht einen Augenblick reinlassen? Ich möchte nicht hier im Treppenhaus darüber reden.«

      Roberts Unsicherheit wich. Es ging nicht um eine Katastrophe, das spürte er. Und zugleich merkte er, dass ihm anders zumute war als früher, wenn er mit Sabine zu tun gehabt hatte. Woran lag das? Hatte er endlich den nötigen Abstand gewonnen? Hatte er seine Gefühle für sie überwunden? »Nein«, antwortete er, »ich möchte dich nicht in meiner Wohnung haben. Und, wie gesagt, ich habe nicht viel Zeit. Sag also, was du sagen willst – und dann geh bitte wieder.«

      Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich habe es wohl verdient, dass du mich so behandelst«, erwiderte sie mit leiser Stimme. »Ich habe mich geirrt, Robert, das wollte ich dir sagen. Du bist mir überhaupt nicht gleichgültig. Du hast mich nur genervt, weil du mich so gedrängt hast, aber seit du das nicht mehr tust, merke ich erst, wie gern ich dich habe. Du fehlst mir.«

      Mit allem hatte Robert gerechnet, aber nicht mit diesem Geständnis. Sie sah ihm wohl an, wie entgeistert er war, denn sie trat bereits einen Schritt zurück. »Entschuldige!«, sagte sie. »Ich … ich weiß ja, dass du in eine andere Frau verliebt bist. Ich habe meine Gefühle für dich einfach zu spät entdeckt, und ich wollte, dass du es wenigstens erfährst. Es hätte ja sein können, dass du … ich meine, dass wir …« Sie wusste nicht, wie sie den Satz beenden sollte, drehte sich mit einem hilflosen Achselzucken um und rannte aufschluchzend die Treppe hinunter.

      Robert stand noch geschlagene zwei Minuten regungslos im Rahmen seiner Wohnungstür, bevor er wieder zum Leben erwachte. Er schloss die Tür sehr langsam und fast andächtig, dann ging er in sein Wohnzimmer, setzte sich in einen Sessel und dachte intensiv nach.

      *

      »Er hat sie schon mal gesehen«, raunte Anna dem kleinen Fürsten zu. »Da wette ich mit dir.«

      »Aber wo?«, fragte Christian zweifelnd. »Gesagt hat er nichts davon.«

      »Aber er hat so geguckt!«, erklärte Anna.

      Das musste Christian zugeben: Carl hatte Albertina bei der Vorstellung angesehen, als sei er sicher, dass sie nicht diejenige war, für die sie sich ausgab. Das war schon seltsam gewesen.

      Der Dirigent des Orchesters trat jetzt ans Pult, Beifall brandete auf, wenig später erklangen die ersten Töne, und alle Gespräche verstummten. Es war ein Konzert der Sonderklasse, die Musik entfaltete an diesem schönen Ort einen Zauber, dem sich niemand entziehen konnte.

      Auch Carl nicht, der mit seinen Eltern schräg hinter Albertina und ihren Eltern saß – die Plätze neben ihnen waren bereits besetzt gewesen. »Gib zu, dass sie reizend ist!«, hatte seine Mutter ihm zugeflüs-tert, und er hatte ihr mit einem abwesenden Nicken geantwortet. Ja, sie war reizend. Aber wer war die Frau gewesen, die er auf der Baustelle beobachtet hatte?

      Immer wieder glitten seine Augen zu Albertina hinüber. Er konnte sie im Halbprofil sehen, die weiche Linie ihres Halses, ihr rundes Kinn, die hohen Wangenknochen. Ab und zu, wenn sie den Kopf wandte, sah er auch ihre dichten Wimpern und die schmale kleine Nase. Das gibt’s doch nicht, dachte er verwirrt, ich werde mich doch nicht bei diesem Konzert in eine Frau verlieben, die zwei Gesichter hat – denn er musste ja auf der Baustelle die Richtige beobachtet haben: Seine diskreten Erkundigungen hatten schließlich ergeben, dass Albertina von Braun als einzige Frau dort arbeitete.

      Die Musik hüllte ihn ein und machte sein Herz weit. Er schloss die Augen und ließ sich endlich ganz weit weg tragen von den Klängen, die den Schlosspark erfüllten. Nach dem Konzert wollte der Beifall nicht enden, und auch Carl klatschte so lange, bis das Orches-ter eine heitere Zugabe spielte, die zu diesem schönen Spätsommerabend passte. Danach aber war endgültig Schluss. Das Orchester wurde noch mit herzlichstem Applaus verabschiedet, als die ersten Limousinen bereits vom Schloss-hof rollten.

      Carl und seine Eltern würden auf Sternberg übernachten, er hatte es also nicht eilig. Allerdings hätte er gerne gewusst, ob auch die Familie von Braun zu den Übernachtungsgästen gehörte, denn dann ergäbe sich ja vielleicht eine Gelegenheit, die Bekanntschaft mit Albertina unauffällig zu vertiefen …

      »Kanntest du sie?«, fragte eine Stimme neben ihm.

      Er schrak zusammen und entdeckte Anna und Christian neben sich.

      »Wen denn?«, fragte er.

      »Albertina«, erklärte der kleine Fürst. »Du hast sie so angesehen, als stimmte etwas nicht. Du hast sie vorher schon mal gesehen, oder?«

      Verflixt, dachte Carl, ich muss mich besser beherrschen. Wenn man mir so

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