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sehen, das weiß ich noch nicht genau. Aber ich schätze mal, es wäre nicht sehr nett, sie noch lange schmoren zu lassen, oder? Ich meine, ich liebe sie ja nach wie vor, daran hat sich nichts geändert.«

      »Ich würde jedenfalls nichts überstürzen«, riet Carl, und Robert versprach, diesen Rat zu beherzigen.

      Nach dem Gespräch war Carl wieder hellwach und verspürte Lust auf einen nächtlichen Spaziergang durch den Park. Leise schlich er nach unten – aber er war wohl nicht leise genug gewesen, denn wie ein Schatten tauchte Eberhard Hagedorn auf.

      »Ich lasse Sie hinaus, Graf Kallwitz«, sagte er.

      »Sie haben mich erschreckt, Herr Hagedorn! Schlafen Sie denn nie?«

      »Später«, erklärte der alte Butler mit seinem zurückhaltenden Lächeln. »Wenn alle Gäste schlafen.«

      »Meinetwegen müssen Sie nicht wach bleiben«, beteuerte Carl. »Ich kann hinterher alles wieder abschließen.«

      Doch darauf ließ sich Eberhard Hagedorn nicht ein. »Das ist meine Aufgabe«, erklärte er ruhig, »außerdem bin ich noch gar nicht müde. Wollen Sie in den Park? Dann mache ich die Beleuchtung noch einmal an.«

      »Nein, nein, ich vertrete mir nur ein bisschen die Beine und schnappe frische Luft. Und ich bleibe bestimmt nicht lange«, versprach Carl. Er schlüpfte hinaus in die überraschend kühle Nacht. Es war doch während des Konzerts noch ganz warm gewesen! Kurz entschlossen änderte er seine Meinung und näherte sich mit raschen Schritten dem Schlosspark – wenn er sich bewegte, würde ihm schnell wieder warm werden.

      Doch es erwies sich, dass der Schlosspark bei Nacht seine Tücken hatte: Nach einigen hundert Metern übersah Carl eine vorwitzige Pflanze, die sich nicht da-rauf beschränkte, an einem eigens angebrachten Klettergerüst emporzuranken, sondern eine ihrer Schlingen über den Weg geschickt hatte. In dieser Schlinge blieb Carl hängen. Bevor er begriff, was geschehen war, lag er auch schon am Boden. In seine Handflächen, mit denen er versucht hatte, den Sturz in letzter Sekunde abzufangen, bohrte sich schmerzhaft etwas Spitzes. Außerdem war er sicher, sich die Knie aufgeschlagen zu haben. Das war ihm nicht mehr passiert, seit er zur Grundschule gegangen war!

      »Verdammt!«, schimpfte er. »Was habe ich hier überhaupt zu suchen?«

      Ausgerechnet in diesem Augenblick verschwand die ohnehin recht schmale Mondsichel hinter einer Wolke, und es wurde stockfinster.

      »Was ist denn passiert?«, fragte eine Stimme über ihm.

      Sehen konnte er nur einen Schatten, aber die Stimme erkannte er natürlich: Sie gehörte Albertina. Ausgerechnet, dachte er erbittert. »Ich bin gestürzt«, erklärte er. »Mein Fuß hat sich in einer Schlinge verfangen.«

      Eine Taschenlampe blinkte auf, Albertina ging in die Hocke. Überrascht sah er, dass sie Jeans, T-Shirt und Turnschuhe trug. Im Schein der Taschenlampe gelang es ihm, seinen Fuß zu befreien. »Haben Sie sich verletzt?«, fragte sie.

      »Nein, nur die Knie aufgeschrammt, wie damals als Junge. Und meine Handflächen …«

      »Blutig«, stellte sie fest. »Wir sollten ins Schloss zurückkehren – Herr Hagedorn verfügt bestimmt über eine erstklassige Hausapotheke.«

      »Weiß er, dass Sie noch im Park sind?«

      Sie lachte leise. »Nein, wenn Sie es genau wissen wollen. Ich bin aus einem der Fenster gestiegen.«

      »Wie bitte?«

      »Das war überhaupt kein Problem, wegen des Spaliers, an dem der Wein rankt. Es ist sehr stabil, und ich kann gut klettern. Es hat mich einfach gereizt.«

      Er stand auf und stellte fest, dass ihm außer den Schrammen offenbar tatsächlich nichts passiert war. »Sie sind eine Frau voller Überraschungen«, stellte er fest, während sie langsam zum Schloss zurückgingen.

      Da die Mondsichel sich wieder zeigte, steckte Albertina ihre Taschenlampe ein. »Wie meinen Sie das?«, fragte sie. »Sie kennen mich doch gar nicht – und bisher habe ich noch nichts Überraschendes getan, seit ich hier bin.«

      Als er nichts erwiderte, weil er nicht wusste, was er sagen sollte, fragte sie vorsichtig: »Oder sind wir uns schon einmal begegnet?«

      »Ich glaube nicht«, antwortete Carl. Seine Handflächen brannten höllisch, auch das Knie, auf das er gefallen war, schmerzte – dies war also nicht der richtige Moment, um Albertina von Braun Einblicke in sein Gefühlsleben zu geben. Das musste warten.

      Eberhard Hagedorn sagte nur: »Da sind Sie ja wieder«, als er sie beide sah. »Das Spalier sieht stabiler aus, als es ist, Frau von Braun.«

      Albertina wurde feuerrot. »Sie wussten …?«

      »Aber natürlich wusste ich das«, erwiderte er. »Ich wollte Ihnen allerdings den Spaß nicht verderben.« Er wandte sich an Carl. »Was ist passiert, Graf Kallwitz?«

      Schweigend hielt Carl ihm seine Handflächen hin – und es war genauso, wie von Albertina vorhergesehen: Der perfekte Butler Eberhard Hagedorn hatte selbstverständlich eine gut sortierte Haus-apotheke, in der sich alles fand, was zur Desinfizierung und zum Verbinden von Wunden benötigt wurde.

      »Danke, Herr Hagedorn – für alles«, sagte Albertina, als sie sich verabschiedeten.

      »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht«, erwiderte er.

      »Die wünsche ich Ihnen auch – ich gehe sofort schlafen. Gute Nacht, Graf Kallwitz.« Mit diesen Worten eilte Albertina leichtfüßig die Treppe hinauf und war im

      nächsten Moment bereits verschwunden.

      Carl folgte ihr langsamer, er fühlte sich zutiefst enttäuscht. Jetzt, da er sich besser fühlte, hätte er gerne noch mit ihr geredet, aber sie hatte ja ein weiteres Mal deutlich genug zum Ausdruck gebracht, dass sie kein Interesse an ihm hatte.

      Unzufrieden legte er sich ins Bett, wo er sich noch lange ruhelos herumwälzte, bis er endlich in einen flachen und wenig erholsamen Schlaf fiel.

      *

      Es war Montagabend, als Anna dem kleinen Fürsten ihren Plan darlegte. Alle Gäste hatten Schloss Sternberg wieder verlassen, Albertina war schon am Morgen nach dem Konzert gefahren – vor allen anderen und ohne ihre Eltern. Carl hatte seine Enttäuschung nur mit Mühe verbergen können, doch das war außer Anna und Christian niemandem aufgefallen.

      »Wir können zu dieser Brücke fahren«, sagte Anna, »und Albertina auf ihrer Baustelle besuchen.«

      »Da lassen die uns gar nicht hin«, entgegnete Christian. »Dachtest du, da kann jeder einfach he-rumspazieren, wie es ihm gefällt?«

      Anna lächelte triumphierend und zeigte ihm das Thema für einen Aufsatz, den sie schreiben musste: »Bauen für die Zukunft – wie könnte unsere Welt in fünfzig Jahren aussehen?«

      »Und du glaubst, wenn du behauptest, über die Brücke schreiben zu wollen, lassen sie dich da rumlaufen?«

      »Uns«, verbesserte Anna. »Und ich glaube es nicht, ich weiß es, ich habe nämlich schon gefragt und eine Genehmigung bekommen.«

      »Aber ich verstehe nicht, was du da eigentlich willst! Ich meine, wir wissen doch schon, dass Albertina offenbar eine Frau mit mehreren Gesichtern ist. Willst du sie unbedingt fluchen hören?«

      »Natürlich nicht«, erklärte Anna geduldig. »Aber wir könnten ein bisschen mit ihr über Carl reden.«

      »Du meinst, wir finden heraus, wie sie zu ihm steht?«

      »Genau«, sagte Anna, zufrieden, dass er sie endlich zu verstehen schien. »Das ist für uns nicht mehr als ein Ausflug – Herr Wiedemann fährt uns.« Per Wiedemann war Chauffeur auf Schloss Sternberg.

      »Ich weiß nicht, Anna.« Chris-tian zögerte noch immer. »Das bringt doch nichts!«

      »Vielleicht doch.«

      Anna konnte sehr hartnäckig sein, wenn sie etwas erreichen wollte, und Christian ahnte, dass sie

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