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gerade auf dem Gebiet der Viszeralchirurgie die größten Erfolge hatte verbuchen können.

      Eine Stunde später war Stolzenbach bei dem Patienten. Er hatte dessen Krankengeschichte sehr sorgfältig studiert, ebenso die neuesten Röntgenbilder und die Labordaten überprüft.

      Er stellte sich vor.

      Der Patient, Herr Ernst Jagner, machte einen sehr niedergeschlagenen Eindruck.

      »Es sieht übel aus, Herr Professor«, sagte er, »ich fühle mich elender als damals. Und da hatte ich Krebs. Ich fühle es, er ist wiedergekommen. Nur gibt’s diesmal nichts mehr zum Wegschneiden. Mein Magen ist schon so klein…!«

      »Nun werfen Sie die Flinte nicht schon ins Korn«, sagte Stolzenbach. »Die Gastroskopie und die Röntgendiagnostik haben keinerlei Hinweise auf ein Rezidiv gegeben.«

      »Was soll es denn sonst sein?« fragte Jagner. »Ich fühle mich sehr elend und schwach. Hier«, er legte seine Hand auf seine rechte Bauchseite, »hier habe ich den zentralen Schmerz.«

      »Ist bei Ihnen schon eine Ultraschall-Untersuchung der Gallenblase gemacht worden?« Professor Stolzenbach blätterte in den Unterlagen. »Hier finde ich nämlich keine Angaben darüber.«

      Ernst Jagner zuckte mit den Schultern. »Man hat so viele Untersuchungen mit mir gemacht, was das alles war, weiß ich nicht.«

      »Ich werde mich darum kümmern.«

      Clemens Stolzenbach lächelte den Patienten aufmunternd an.

      »Entschuldigen Sie, Herr Professor«, fragte der daraufhin, »sind wir uns nicht schon mal irgendwo begegnet? Sie kommen mir so bekannt vor. Schon eben, als Sie durch die Tür kamen, hab’ ich gemeint, ich würd’ Sie kennen.«

      »Ich weiß nicht, ob und wo wir uns schon mal begegnet sind«, antwortete Clemens Stolzenbach, obwohl er ahnte, daß Jagner sein Bild in der Zeitung gesehen hatte. »Wenn es möglich ist, dann ruhen Sie sich ein wenig aus. Am besten wäre, Sie würden schlafen. Ich komme am späten Nachmittag wieder vorbei, um den weiteren Ablauf ihrer Untersuchungen mit Ihnen zu besprechen.«

      Ernst Jagner atmete auf und nickte. Er lächelte sogar ein wenig. »Danke, Herr Professor. Ich hab’ das Gefühl, es geht mir schon viel besser.«

      Drei Tage später stand fest, daß Jagner keine Gallensteine hatte, aber auch auf ein Rezidiv des Magenkarzinoms gab es keinerlei Hinweise. Die fraktionierte Magensaftuntersuchung war völlig in Ordnung gewesen, ebenso mehrere Röntgenaufnahmen mit Kontrastmittel.

      »Es ist mir ein Rätsel«, sagte Dr. Trautner. »Ob es Phantomschmerzen sind? Glaubt er, einen Schmerz zu spüren, weil er sich gedanklich noch immer mit seinem Magenkarzinom befaßt?«

      »Möglich ist alles«, murmelte Stolzenbach, »doch solange nicht ausgeschlossen ist, daß eine organische Erkrankung vorliegt, müssen wir weitersuchen. Ich habe Sie schon mal gefragt, sind Mesenterium und Leber schon untersucht worden? Wenn nicht, würde ich eine Computer-Tomografie vorschlagen.«

      »Es ist Ihr Patient, Professor«, sagte Dr. Trautner.

      Als beide dann das Arztzimmer verließen, kam ihnen Bettina Wagner auf dem Klinikgang entgegen. Zuerst wollte sie Dr. Trautner aus dem Weg gehen, doch da waren er und Clemens schon heran.

      »Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl bei uns, gnädige Frau«, sagte Trautner, dann warf er Stolzenbach einen raschen Blick zu. »Aber wenn man einen wohlmeinenden Fürsprecher hat wie Sie, dann ist es immer einfach, sich zurechtzufinden.« Dann ging er weiter, ohne eine Antwort abzuwarten.

      »Weiß er, daß wir uns kennen?« Bettina Wagner sah Clemens Stolzenbach fragend an.

      Der schüttelte den Kopf. »Wieso fragst du? Willst du daraus ein Geheimnis machen? Welchen Sinn hätte das?«

      »Nein, nein«, antwortete Bettina Wagner, »ich fühle mich von Trautner nur auf eine sonderbare Art beobachtet. Als wenn er wüßte, was ich denke.«

      Clemens Stolzenbach lachte. »Also hellseherische Fähigkeiten hat er sicher nicht. Bei aller Wertschätzung für die besonderen Methoden des Kollegen Trautner, ich denke, Gedanken lesen kann er nicht.«

      »Wann kann ich dich sprechen?« wollte Bettina Wagner daraufhin wissen.

      »Was möchtest du?« Stolzenbach sah sie fragend an. »Vielleicht kann ich dir gleich jetzt helfen.«

      Bettina Wagner schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, sagte sie, »was ich von dir will, nimmt sicher mehr Zeit in Anspruch, als du im Augenblick zur Verfügung hast.«

      Stolzenbach sah auf die Uhr. »Es dürfte ein langer Tag werden. Vielleicht um zwanzig Uhr?«

      »Wo?«

      »In meinem Zimmer?« Clemens Stolzenbach hatte in der Stadt ein Haus gemietet, das jedoch noch nach seinen Vorstellungen renoviert wurde, und deswegen hatte er es noch nicht beziehen können. So lange begnügte er sich mit einem Zimmer in der Bergklinik.

      »Also gut, bis zwanzig Uhr.« Bettina Wagner lächelte und ging.

      *

      Die Bergklinik lag auf einem kleinen Hügel, und als sie erbaut werden sollte, hatte es zuerst erhebliche Widerstände gegeben. Es war nämlich nicht Vinzenz Trautners Art, bei den zuständigen Behörden Klinken zu putzen, dafür hatte er äußerst prominente Fürsprecher.

      Eines Tages war die Bau- und Betriebsgenehmigung dann erteilt worden. Die Satzungen der von ihm gegründeten Gesellschaft, deren Mehrheitsanteile er hielt, besagten, daß die Klinik nach naturheilkundigen Gesichtspunkten betrieben werden würde, und daran hatte sich bis heute nichts geändert.

      Der Vorgänger Professor Stolzenbachs, Dr. Pfeil, war, solange er die Station geleitet hatte, von dieser Idee nicht überzeugt gewesen. Während der drei Jahre seines Wirkens in der Klinik hatte es deswegen sehr häufig Auseinandersetzungen mit Dr. Trautner gegeben, die schließlich darin einen Schlußpunkt fanden, daß man sich voneinander getrennt hatte.

      Bei der Auswahl eines geeigneten Leiters für die Chirurgie war Trautner dann auf Clemens Stolzenbach aufmerksam geworden. Nicht nur seiner Erfolge wegen, sondern weil ein Bekannter Trautners, Professor Schmidt, ihm von dem jungen Münchener Talent erzählt hatte.

      »Du mußt ihn arbeiten sehen«, hatte Schmidt geschwärmt, »er hat gesegnete Hände.«

      »Ein gesegneter Verstand, wann er auf das Skalpell verzichten sollte, wäre mir lieber«, hatte Vinzenz Trautner geantwortet.

      Doch dann hatte er Clemens Stolzenbach einen Brief gesandt, in dem er ihn um einen Besuch bat und gleichzeitig darauf aufmerksam machte, daß die Bergklinik einen Leiter für die Chirurgie suche.

      Es mag sein, daß der Brief Dr. Trautners gerade zur rechten Zeit in München eintraf, denn Clemens Stolzenbach trug sich bereits seit einigen Wochen mit dem Gedanken, das Klinikum zu verlassen, und das hatte mehrere Gründe.

      Einmal war da die Liaison mit Marion, der Tochter seines Chefs, Professor Weinert. Marion war ein hübsches Mädchen, jedoch viel zu egoistisch und zu phlegmatisch, um für eine ernsthafte Beziehung in Frage zu kommen. Er hatte sich schon einmal von ihr trennen wollen, doch Marion hatte es gespürt und ihren Tränen freien Lauf gelassen. Tränen bei Frauen hatten Stolzenbach noch immer gerührt, und so hatte er sein Vorhaben drangegeben.

      Drei Wochen vor seinem Wechsel zur Bergklinik hatte er Marion dann mit einem jungen Kollegen erwischt. In eindeutiger Situation. Sonst wäre er geschockt gewesen, diesmal war er erleichtert. Marion hatte kommentarlos hingenommen, daß Clemens ihr den Ring zurückgegeben hatte.

      Der zweite Grund, warum Stolzenbach das Klinikum verlassen hatte, war sein Verhältnis zu Professor Weinert. Weinert gehörte einer Generation von Chirurgen an, die sich im Glanz einstiger Erfolge sonnte und äußerst argwöhnisch betrachtete, wie ein junger Mann wie Clemens Stolzenbach heute die Meriten einsammelte. Es war zu kleinen versteckten Eifersüchteleien gekommen und schließlich auch zu einigen äußerst peinlichen Szenen.

      Da Clemens Stolzenbach

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