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es sei denn, es ist dringend geboten, weil er unbedingt die Umgebung wechseln sollte. Also, es liegt bei Ihnen, ob Sie bei uns noch ein bisserl ausspannen.«

      »Ich kann es noch gar nicht fassen.« Hans Lagemann schien unschlüssig zu sein. Doch dann huschte das erste Lächeln um seine Mundwinkel. Vielleicht war es sein erstes Lächeln seit Monaten, seit die Diagnose Bronchialkarzinom gestellt worden war.

      »Fassen Sie es ruhig, lassen S’ sich aber Zeit dabei«, sagte Dr. Trautner. »Und heut’ abend, da lad’ ich Sie ein. Auf eine Flasche Wein. Wenn Sie wollen, dürfen S’ aber auch ein Bier trinken. Sie haben mir mal gesagt, daß Sie immer gerne ein Bier getrunken haben.«

      Lagemann nickte. »Das hab’ ich allerdings gern getan. Seit sieben Monaten, seit der schrecklichen Gewißheit, hab’ ich drauf verzichtet, und jetzt sieht es so aus, als dürfte ich wieder ein wenig Hoffnung schöpfen.« Plötzlich rannen ihm ein paar Tränen übers Gesicht. »Entschuldigen Sie bitte, sonst bin ich nicht so sentimental.«

      »Lassen S’ Ihren Gefühlen ruhig freien Lauf, Tränen reinigen die Seele, sagt man.« Dann klopfte Trautner seinem Patienten noch mal auf die Schulter. »Also, bis heut’ abend. Ich freu’ mich.«

      *

      Oberschwester Theresa hatte ihren strengen Blick aufgesetzt, und das bedeutete nichts Gutes. Sie kam aus einem der Schwesternzimmer, wo es kurz zuvor für wenige Augenblicke laut geworden war. Die Oberschwester war eine Anhängerin des klaren und, wenn es notwendig war, auch des lauten Wortes. Sie galt als streng; die Schwestern, aber auch die Patienten, fürchteten ihre kompromißlose Art, und wenn sie irgendwo im Haus auftauchte, dann verstummten sehr rasch alle Gespräche.

      Als sie den Klinikgang Richtung Aufnahme ging, kam ihr ein junger Mann entgegen.

      »Wo wollen Sie denn hin?« fragte sie. »Jetzt ist keine Besuchszeit. Wer hat Sie eigentlich hereingelassen?«

      »Ich bin…« sagte der junge Mann.

      Doch die Oberschwester schnitt ihm bereits das Wort ab. »Wer Sie sind, ist nicht wichtig. Wichtig ist, das der Tagesablauf der Klinik nicht in Unordnung gerät. Halten Sie sich also an die allgemeinen Bedingungen. Zu wem wollen Sie eigentlich?«

      »Zu Herrn Trautner!«

      »Wenn schon, dann zu Herrn Doktor Trautner«, sagte die Oberschwester, wobei sie das Wort Doktor über Gebühr betonte, »wir wollen doch nicht vergessen, wer wir sind.«

      »Dann möchte ich also zu Herrn Doktor Trautner.«

      »Ich weiß nicht, ob er in seinem Zimmer ist«, sagte die Oberschwester. »Wer sind Sie und was möchten Sie von Herrn Doktor Trautner? Falls Sie Pharmareferent sind, dann dürfen Sie gleich wieder gehen. Wir empfangen keine Vertreter, nur auf Bestellung. Sind Sie bestellt?«

      »Bestellt nicht gerade«, antwortete der junge Mann, der einen sehr gepflegten Eindruck machte, einen sportlich geschnittenen Tweedanzug trug und die Oberschwester amüsiert anlächelte.

      Wenn Oberschwester Theresa meinte, jemand begegne ihr nicht mit dem nötigen Respekt, dann konnte sie unangenehm werden.

      »Was gibt es da zu lachen?« fragte sie. Ihre Stimme hatte an Volumen und Schärfe zugenommen. »Bitte verlassen Sie auf der Stelle die Klinik.« Dann schien sie den jungen Mann beim Arm nehmen zu wollen, um ihn zur Pforte zu dirigieren.

      »Sehr verehrte gnädige Oberschwester«, sagte der junge Mann da, »bitte erlauben Sie mir, daß ich mich Ihnen vorstelle.«

      »Wie kommen Sie dazu, mich mit verehrte gnädiger Oberschwester anzureden?« Theresa hatte die Augenbrauen ein wenig zusammengezogen, zum ersten Mal sah sie den jungen Mann intensiver an.

      »Weil nur eine Oberschwester mit dieser Bestimmtheit vorgehen kann«, antwortete der.

      »Und wer sind Sie?« fragte Theresa. »Sie wollten sich doch vorstellen?«

      »Mein Name ist Stolzenbach, Clemens Stolzenbach!«

      »Ja und? Sollte mich das beeindrucken…?«

      »Ich glaube nicht, daß irgend etwas Sie beeindruckt, Oberschwester.«

      »Da könnten Sie recht haben.« Ein ganz schmales Lächeln lag für Bruchteile von Sekunden um die Augen der Oberschwester. Ihre Stimme klang dann wesentlich freundlicher als vorher. »Also, was wollen Sie da bei uns in der Klinik, beziehungsweise von Doktor Trautner?«

      »Er wartet auf mich.«

      »Ich denk’, Sie sind nicht bestellt.«

      »Das bin ich auch nicht, ich lasse mich nämlich nicht bestellen.«

      Zum ersten Mal schien es, als falle der Oberschwester die passende Antwort nicht ein.

      »Wie war noch mal ihr Name?« fragte sie schließlich.

      »Clemens Stolzenbach, Professor Clemens Stolzenbach, ich bin der neue Chirurg der Bergklinik.«

      Nicht viele konnten behaupten, Oberschwester Theresa einmal völlig perplex gesehen zu haben. Der junge Professor konnte es, denn die Oberschwester sah ihn in dem Moment an, als sei ihr gerade mitgeteilt worden, daß man ihre Position einer Lernschwester übertragen habe.

      »Sie sind wer?« fragte sie mit ungläubig klingender Stimme. »Hab’ ich Ihren Namen richtig verstanden? Stolzenbach?«

      »Professor Stolzenbach«, lautete die Antwort, »wir wollen doch nicht vergessen, wer wir sind!« Dann konnte er ein Lachen nur mühsam unterdrücken. »Wenn Sie also so freundlich sein wollen und mir zeigen würden, wo ich den Kollegen Trautner finde.«

      »Selbstverständlich, Herr Professor, kommen Sie bitte.« Oberschwester Theresa zeigte den Klinikgang hinunter und blieb vor der Tür Dr. Trautners stehen. »Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie eben so…!«

      »Danke sehr, Oberschwester«, antwortete Stolzenbach, dann klopfte er an die Tür von Dr. Trautners Zimmer.

      *

      Bettina Wagner hatte im Hotel Prinzregent eine Suite bekommen und ärgerte sich immer noch über die kompromißlose Art Dr. Trautners, der sie mehr oder weniger hinausgeworfen hatte. Derart brüsk war sie noch nie von jemand behandelt worden.

      Bettina Wagner war sechsunddreißig Jahre alt und sie hatte vor sieben Jahren den über doppelt so alten Konsul Ludwig Wagner geheiratet. Ihre Bekannten hatten von einer Versorgungsehe gesprochen, doch Bettina Wagner hatte ihren Mann geliebt, auch wenn andere das nicht so gesehen hatten.

      Konsul Wagner war vor anderthalb Jahren verstorben und hatte seiner Frau ein beträchtliches Vermögen hinterlassen. Seit dem Tod ihres Mannes kränkelte die Konsulin, wie man sie in München ein wenig spöttisch nannte, doch alle Ärzte, die sie konsultiert hatte, hatten ihr nicht helfen können.

      In verschiedenen Münchener Kliniken hatte sie sich untersuchen lassen, aber Anhaltspunkte für eine ernsthafte organische Erkrankung wurden nicht gefunden.

      Danach war sie in psychologischer Behandlung gewesen, doch auch der Psychologe hatte ihr nicht weiterhelfen können. Schließlich hatte man ihr die Bergklinik empfohlen. Sie hatte dann auch noch sehr Positives über die Klinik gelesen und sich vor einigen Wochen entschlossen, dort um einen Termin zu bitten.

      Der Termin war ihr gewährt worden, doch das Gespräch mit diesem eingebildeten, alten Arzt war dann ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack verlaufen. Was maßte der sich an? Wollte ihr tatsächlich das Rauchen verbieten! Das kam nicht in Frage. Sie allein entschied, was sie tat und was nicht. Es mußte noch eine Möglichkeit geben, mit einem anderen Arzt der Klinik zu sprechen, als mit diesem Doktor Trautner.

      Dieser verschroben wirkende alte Mann konnte doch nicht die entscheidende Instanz sein, ob man sich in der Klinik mit ihrem Fall befaßte oder nicht.

      Bettina Wagner nahm die Whiskyflasche und goß ein Glas halbvoll, schloß die Augen und trank es in einem Zug aus. Danach zündete sie sich eine Zigarette an, kramte in ihrer Handtasche und nahm dann schließlich das Schreiben der Bergklinik heraus.

      Sie

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