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Freund an.

      Der nickte. »Ja, das hast mir gesagt. Und? Wie macht er sich? Rechtfertigt er den Ruf, der ihm vorauseilt?«

      »Sein Können ist unbestritten.«

      »Aber…? Das hat sich so angehört, als würdest dein Lob einschränken wollen.«

      »Na ja, er ist ein junger Bursch, net einmal vierzig, und meint, er wüßt’ alles.«

      »Dann bist also schon mit ihm zusammengeraten?« Alois Gratlinger verzog jetzt sein Gesicht. »Das wär’ wirklich kein gescheiter Anfang.«

      »Zusammengeraten sind wir noch net«, antwortete Vinzenz Trautner, »aber er hat halt seine eigenen Vorstellungen.«

      »Die hast du auch…!«

      »Ja sicher.« Trautner war anzumerken, daß ihm das Gespräch nicht angenehm war. »Aber ich hab’ ja auch lange genug Erfahrungen gesammelt…!«

      Der Gratlinger-Lois grinste. »Daß Erfahrungen nichts anderes als eine Sammlung selbstgemachter Dummheiten sind, das weißt du doch.«

      »Blödsinn«, graumelte Dr. Trautner vor sich hin. »Wo hast du den Unsinn denn aufgeschnappt?«

      Da lachte der Lois. »Das sagst du doch immer. Erst vor ein paar Monaten hast es wieder einmal zitiert. Als der alte Doktor Markner aus Krün sich auf seine Erfahrungen berufen hat.«

      Zuerst sah es aus, als wollte Vinzenz Trautner barsch reagieren, doch dann lachte auch er. »Oh je, manchmal weiß ich schon nimmer, was ich gesagt hab’. Und ob man alles richtig macht, das weiß man auch net.«

      »Meinst du die Entscheidung, den Münchener Professor an die Klinik geholt zu haben?« Gespannt musterte der alte Lois seinen Freund. »Aber du bist doch voll des Lobes gewesen. In allen Zeitungen haben s’ über ihn geschrieben, hast gesagt. Und zwar immer voller Bewunderung.«

      »Ja ja«, antwortete Trautner. »Fachlich, ich mein’ chirurgisch, ist sicher nix gegen ihn zu sagen.«

      »Aber? Da kommt doch schon wieder ein aber?«

      »Er ist mir viel zu fachlich, verstehst? Viele junge Ärzte heut’ sind fachlich ausgezeichnet. Aber es fehlt ihnen die Nähe zu den Patienten. Der Organismus des Menschen besteht zwar aus vielen Einzelorganen, für die es einzelne Fachrichtungen gibt, aber trotzdem ist der Mensch, sein Organismus, ein Ganzes. Und das muß man gebührend berücksichtigen.«

      Der alte Kräutersammler nickte. »Das weiß ich, du hast es mir ja wirklich oft genug auseinandergelegt.«

      Dann schwiegen beide eine Weile.

      »Was macht eigentlich die Moni?« wollte Dr. Trautner dann wissen. »Das Physikum hat sie ja inzwischen bestanden und die erste ärztliche Prüfung auch. Wie weit ist sie denn jetzt?«

      Da huschte ein Lächeln über das Gesicht des alten Lois. »Sie hat ihre Famulator schon hinter sich und möcht’ jetzt bei dir in der Bergklinik ein freiwilliges Praktikum absolvieren. Am letzten Sonnabend ist sie heroben bei mir gewesen. Ich soll dich grüßen und fragen, ob es dir recht ist.«

      »Herrschaftszeiten.« Dr. Trautner schüttelte den Kopf. »Ich kann es kaum glauben. Ich mein’, es wär’ grad ein paar Jahre her, als das Madel geboren wurde, und jetzt will sie in der Klinik ihr Praktikum absolvieren. Noch anderthalb Jahr’, dann ist sie Ärztin. Wo ist nur die Zeit geblieben?« Dann verzog er ein wenig das Gesicht und sah den Lois an. »Und? Ist sie auch so ein modernes Madel, das alles nach dem Wissen der Bücher behandelt?«

      Der alte Kräutersammler grinste. »Wenn du mich net verrätst, dann geb ich jetzt ein Geheimnis preis.«

      Dr. Trautner winkte ab. »Du kannst doch eh nix für dich behalten.«

      »Du bist ihr Vorbild«, sagte da der Lois. Er sprach leise, so als ob niemand mithören solle. »Schon seit Jahren. Ich hab’ dir aber nix sagen dürfen. Die Moni meint, du wärst der beste Arzt, den sie kennen würd’.«

      Verlegen wich Dr. Trautner dem Blick seines Freundes aus, murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Sag dem Madel, sie könnt’ ihr Praktikum bei mir absolvieren und daß ich gespannt auf sie bin. Immerhin hab’ ich sie ja schon eine ganze Weile nimmer gesehen. Wann will sie denn zum Praktikum kommen?«

      »Jetzt im Sommer.«

      Dr. Trautner wirkte plötzlich nachdenklich. »Wenn man keine Kinder hat, dann geht die Zeit unbemerkt vorüber. Erst wenn man sich an Kindern orientiert, wird einem bewußt, daß nichts bleibt, wie es ist.«

      Da nickte der alte Kräuter-Lois. »Da hast allerdings recht. Am wenigsten wir selbst…«

      *

      »Ich habe Frau Wagner nicht aufgenommen, weil sie sich nicht an den eher weit gesteckten Rahmen der Bergklinik halten wollte. Wie können Sie sie da aufnehmen?« Dr. Trautner war ärgerlich, das war unschwer zu erkennen. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und ging in seinem Zimmer auf und ab, dann blieb er vor dem Professor stehen und sah ihn über den Rand seiner Brille hinweg an.

      »Weil sie mich drum gebeten hat«, antwortete Stolzenbach.

      »Das ist ein ganz und gar überzeugendes Argument«, höhnte Vinzenz Trautner. »Lieber Kollege, auch wenn Sie sich habilitiert haben und alle Welt voll des Lobes über sie ist, so bin doch ich der ärztliche Leiter der Bergklinik.«

      »Das stelle ich nicht in Abrede«, antwortete Stolzenbach.

      »Was soll dann Ihre Eigenmächtigkeit?« Dr. Trautner war nicht gewillt, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

      »Erstens wußte ich nicht, daß Sie Frau Wagner abgewiesen haben.« Stolzenbach wollte sich offensichtlich nicht in die Defensive drängen lassen. »Aber wenn ich es gewußt hätte, wäre es auch kein Grund gewesen, Frau Wagner nicht aufzunehmen. Wenn ich bei jedem Patienten Rücksprache nehmen muß, ob er Ihnen genehm ist oder nicht, dann bin ich hier fehl am Platz.«

      Dr. Trautner hatte die Hände wieder hinter dem Rücken verschränkt und begann erneut, in seinem Zimmer auf und ab zu gehen. »Wenn ein Patient nicht willens ist, einfachste, gültige Regeln zu beachten, dann können wir nichts für ihn tun. So leid es mir für ihn, in diesem Fall für Frau Wagner, tut.«

      »Frau Wagner wird sich zukünftig an die Regeln halten!« Professor Clemens Stolzenbach war groß gewachsen, er hatte eine sportlicheFigur, war eine blendende Erscheinung, und dementsprechend war sein Auftreten.

      Vinzenz Trautner nickte. »Wollen wir es hoffen.«

      Obwohl er Stolzenbach auf Frau Wagner angesprochen hatte, war Dr. Trautner nicht ganz bei der Sache gewesen. Vor einer Stunde war nämlich ein Patient gekommen, der vor einem halben Jahr als geheilt entlassen worden war.

      Der Patient war damals mit einem Magenkarzinom gekommen, das von Professor Stolzenbachs Vorgänger operativ entfernt worden war. Die weitere Behandlung hatte Dr. Trautner übernehmen wollen, doch der Patient, ein fünfundfünfzigjähriger alleinlebender Mann, hatte sich entschieden, ausschließlich nach schulmedizinischen Verfahren weiter therapiert zu werden.

      »Haben Sie sich schon den Patienten auf Zimmer neun angesehen?« fragte Trautner. »Vor einem halben Jahr schien er geheilt. Heute kommt er mit starken Oberbauchschmerzen, die bis in den Rücken ausstrahlen.«

      »Was sagt die Röntgendiagnostik?« Professor Stolzenbach sah Dr. Trautner fragend an.

      »Keinerlei Hinweise auf ein Rezidiv«, antwortete der. »Auch die Gastroskopie hat keine Hinweise gegeben.«

      »Was ist mit den Lymphbahnen?«

      »Ohne Befund.«

      »Mesenterium und Leber?«

      »Werden untersucht.«

      »Was für ein Karzinom war es?«

      »Ein Ringwallkarzinom an der kleinen Kurvatur.«

      »Ich möchte den Patienten sehen.«

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