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Clemens Stolzenbach sah zu Markus und dann Dr. Trautner an. »Was haben Sie mit ihm vor?«

      »Ganz genau weiß ich das auch noch nicht. Nur eines weiß ich, ich werd’ ihn zuallererst weg von Apparaten und Untersuchungen nehmen und mich auf irgendeine Art intensiv um ihn kümmern. Der Bub muß wissen, daß jemand für ihn da ist.«

      Stolzenbach dachte nach und ging ein paarmal in dem engen Laborraum auf und ab, schließlich kam er zu Trautner zurück und blieb vor ihm stehen. »Also gut, Doktor. Eine Woche. Maximal. Wenn dann keine nachweisbare Besserung seines Zustandes eingetreten ist, bekomme ich ihn zurück.«

      Dr. Vinzenz Trautner nickte. »Das verspreche ich Ihnen.« Dann ging er zu der Röntgenassistentin und sagte, daß die Untersuchungen des Jungen abgeschlossen seien. Man solle ihn zurück auf sein Zimmer bringen.

      Markus lag im Schlafanzug auf dem Bett, als Dr. Trautner eine halbe Stunde später zu ihm kam. Trautner trug keinen Klinikkittel mehr, sondern war recht rustikal angezogen. Es war Dienstag, und er wollte auf die Predigtstuhl-Alm, um seinen langjährigen Freund Alois Gratlinger zu besuchen, der auf der Alm ein wenig einsiedlerisch lebte, Kräuter und Wurzeln sammelte, daraus Tees und Salben zubereitete und darauf wartete, daß Vinzenz Trautner ihn jeden Dienstag besuchte.

      »Grüß dich, Markus.« Trautner setzte sich zu dem Jungen auf die Bettkante. »Hast du Lust zu einem Ausflug? Ich würd’ gern mit dir auf eine Alm gehen. Du bist sicher noch auf keiner Alm gewesen.«

      Markus hatte bis dahin den Leiter der Bergklinik noch nicht angesehen, jetzt wandte er ihm sein Gesicht zu. »Bin ich denn nicht krank?«

      Trautner schüttelte den Kopf. »Ich glaub’ nicht.«

      »Warum bin ich denn dann hier und nicht bei meiner Mutti und bei meinem Vati?«

      »Weil deine Mutti offensichtlich gemeint hat, du seist krank.«

      Markus lag noch eine ganze Weile fast bewegungslos auf dem Bett, dann setzte er sich. »Und ich soll jetzt mit Ihnen auf eine Alm gehen? Warum?«

      »Du sollst nicht«, antwortete Trautner. »Ich hab es lediglich vorgeschlagen. Ich muß da jetzt hinauf und ich würd’ mich riesig freuen, wenn du mich begleiten würdest. Da kannst Rösser sehen, Kühe und Rinder. Auch Kälbchen. Es sind jede Menge Vögel da, und vielleicht siehst auch ein Murmandl. Hast schon mal ein Murmandl gesehen?«

      Markus hatte sich inzwischen vom Bett gleiten lassen, stand vor dem Schrank und begann, sich anzuziehen. »Ist es weit bis zu der Alm?«

      »Zwei Stunden gehen wir schon.«

      »Und wenn ich nicht so weit gehen kann?«

      »Dann trag’ ich dich.«

      Da sah der Junge Dr. Trautner zum ersten Mal etwas länger an. »Der Vati sagt, ich wär’ zu groß, um getragen zu werden.«

      »Das stimmt ja auch. Aber wenn einer nimmer weiter kann, dann muß man ihm helfen.«

      Dann stand der Junge vor Vinzenz Trautner. Er hatte Jeans angezogen, ein relativ dünnes Hemd und Schuhe, die für einen Berggang nicht besonders geeignet waren.

      »Hast du keine Turnschuhe dabei?« fragte Trautner.

      Markus ging wortlos zum Schrank und tauschte seine Schuhe gegen Turnschuhe aus. Dann nahm er noch einen sehr schicken Anorak und kam dann wieder zu Doktor Trautner.

      Der lächelte ihn freundlich an. »So ist’s besser. Jetzt können wir losgehen.«

      Zwanzig Minuten später standen einige Schwestern und Professor Stolzenbach in der Bergklinik hinter den Fenstern und sahen Dr. Vinzenz Trautner und den kleinen Markus den kleinen Karbachsteg überqueren und dann bergwärts gehen.

      »Ob das gutgeht«, sagte eine junge Schwester aus der chirurgischen Abteilung. »Der Bub ist derart schwach. Ich würd’ ihn nie und nimmer mit auf die Alm nehmen.«

      Stationsschwester Almut schüttelte den Kopf. »Das verstehst du nicht. Laß den Chef mal machen. Der hat bisher noch immer die besten Ideen gehabt. Und so Fälle wie der kleine Markus sind bei ihm am besten aufgehoben.«

      *

      »Servus, ihr beiden Berggänger.« Alois Gratlinger sah erstaunt drein, als Vinzenz Trautner und ein ihm unbekannter Junge den letzten steilen Anstieg zu seiner Hütte hinter sich gebracht hatten. »Wen hast denn da mitgebracht?«

      Der Chef der Bergklinik schnaufte ein paarmal tief durch, dann stellte er Markus vor. »Ich hab’ ihm vorgeschlagen, daß er mit heraufkommt. Er kennt kaum Rösser und Rinder auch net. Und Murmandl hat er auch noch keines gesehen.«

      »Dann bist du also ein Stadtkind?« Alois Gratlinger lachte. »Da bist da auf der Predigtstuhl-Alm grade recht. Da hinten«, er zeigte ein Stück die Alm hinauf, »da kannst die Lisei sehen. Sie hat ein Kalb dabei, das erst gestern geboren ist. Wenn du willst, dann kannst hinüberlaufen.«

      Markus hatte sich inzwischen auf eine derb gezimmerte Bank vor der Hütte gesetzt. Er reagierte nicht auf das, was der alte Lois gesagt hatte, sondern hatte die Hände auf seine Oberschenkel gelegt und sah vor sich auf den Boden.

      Dr. Trautner und der alte Lois wechselten rasch einen Blick, dann gingen sie in die Hütte.

      »Was ist mit dem Buben?« fragte der Freund des Doktors leise.

      »Ich schätz’ mal, seine Seele schreit nach Beachtung und Liebe«, antwortete Trautner. »Seine Mutter hat ihn in die Bergklinik gebracht, sie hat wieder zu arbeiten begonnen, und vor ein paar Wochen oder Monaten hat sie sich von dem Vater des Jungen getrennt. Der Vater ist Topmanager, und beide haben keine Zeit für ihn. Jetzt weiß der Bub nicht, wohin er gehört.«

      »Und wie kommt er zu dir?«

      »Seine Mutter kennt den Professor. Der Bub ist sein Patient.«

      »Und wieso hast du ihn mit auf die Alm gebracht?«

      »Stolzenbach war dabei, ihn apparatemäßig derart durch die Mangel zu drehen, daß der Bub mir leid getan hat.«

      »Und was hast du jetzt vor?«

      »Er muß wieder Vertrauen fassen.« Vinzenz Trautner zeigte mit einer Kopfbewegung nach draußen. »Ich hab’ gemeint, da heroben ist er erst mal aus der Schußlinie. Du weißt ja, eine Klinik kann nicht nur gesund, sie kann auch krank machen.«

      »Und wir zwei alte Zauseln sollen den Jungen aufmuntern?« Der alte Lois, den man nach seinem Hof auch Sterzenhofer nannte, sah den Doktor skeptisch an. »Wenn er sich die Viecher angeschaut hat, dann müßt’ jemand da sein, der sein Interesse weckt. Irgendein Bub oder ein Madel in seinem Alter.«

      Dr. Trautner nickte. »Da ist was dran. Ich wüßt’ im Moment aber niemand, der greifbar wär’ und in Frage käm. Weißt du jemand? Irgendeinen Buben in seinem Alter müßt’s da doch geben.«

      »Da schau.« Der Lois zeigte aus dem Fenster. »Der Bub ist hinübergegangen zu dem Kalbl. Schau nur…!«

      Markus war zu dem bei seiner Mutter stehenden Kälbchen gegangen und sah es an. Noch stand er in respektvoller Entfernung und beobachtete es nur. Als Dr. Trautner hinausgehen wollte, hielt sein Freund Lois ihn am Ärmel fest und schüttelte den Kopf. »Laß mal. Die Lisei ist ein ganz gutmütiges Vieh und sie wird nix tun. Laß den Buben mal selbst den entscheidenden Schritt tun.«

      Markus stand immer noch in einiger Entfernung zu dem kleinen, aber schon sehr sicher auf seinen kräftigen Beinen stehenden Kalb. Dann streckte er seine beiden Arme aus. Eine ganze Weile stand er so da, dann tat das Kälbchen einen Schritt auf ihn zu. Immer näher kam es, bis Markus’ Fingerspitzen das weit vorgestreckte Maul des Kälbchens berührten.

      Dann tat der Junge einen Schrittnach vorne und streichelte das Kälbchen am Hals, das wiederum an seinem Anorak zu knabbern begann. Eine ganze Weile standen die beiden so, dann drehte das Kälbchen sich um und ging zurück zu seiner Mutter, und Markus rannte zur Hütte.

      »Ich war bei dem Kälbchen«, sagte er. Die Gesichtshaut des Jungen war nicht

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