Скачать книгу

Menschwerdung Gottes andeuten. Die römische, mit größerer Bestimmtheit ausgeprägte Theologie nahm die die Ägypter am meisten verletzende Lehre an, daß Christus in zwei Naturen sei, und diese wichtige Fassung, die man eher auswendig lernen als verstehen konnte, hätte beinahe eine Spaltung zwischen den katholischen Bischöfen hervorgerufen. Sie hatten das Tome Leos mit Ehrfurcht, vielleicht sogar mit Aufrichtigkeit unterschrieben, beteuerten jedoch nachher in zwei aufeinanderfolgenden Verhandlungen, daß es weder rätlich noch recht sei, über die geheiligten Grenzsteine hinauszugehen, die in Nicäa, Konstantinopel und Ephesus nach der Schrift und der Überlieferung festgelegt worden wären. Endlich gaben sie dem ungestümen Anliegen ihrer Gebieter nach, aber ihr Beschluß wurde, nachdem er durch besondere Abstimmung und leidenschaftlichen Zuruf gutgeheißen worden war, in der nächsten Sitzung durch den Widerstand der Legaten und ihrer orientalischen Freunde umgestoßen. Umsonst riefen die Bischöfe im Chore: »Die Entscheidung der Kirchenväter ist rechtsgültig und unabänderlich! Die Ketzer sind nun entdeckt! Fluch den Nestorianern! Sie sollen die Synode verlassen! Sie sollen nach Rom zurückgehen!« Die Legaten drohten, der Kaiser blieb beharrlich, und ein Ausschuß von achtzehn Bischöfen verfaßte einen neuen Beschluß, der der Versammlung wider ihren Willen aufgedrungen wurde. Im Namen der vierten allgemeinen Kirchenversammlung wurde Christus in einer Person, aber in zwei Naturen der katholischen Welt verkündet. Über die Ketzerei des Apollinaris und das Glaubensbekenntnis Cyrills ging man stillschweigend hinweg. Die Meisterhand des theologischen Künstlers baute den Weg zum Paradies als gefährliche Brücke über den Abgrund. Die Synode von Chalcedon triumphiert noch jetzt in den protestantischen Kirchen, aber der Streit hat sich gelegt, und die frömmsten Christen der Gegenwart kennen ihren eigenen Glauben in betreff der Menschwerdung nicht oder kümmern sich nicht darum.

      Weit verschieden davon war der Charakter der Griechen und Ägypter unter den orthodoxen Regierungen Leos und Marcians. Diese frommen Kaiser erzwangen durch Waffen und Edikte die Anerkennung des Symbols ihres Glaubens; ja, fünfhundert Bischöfe erklärten aus Gewissen oder Ehrgefühl, daß die Beschlüsse der Synode von Chalcedon mit vollem Recht sogar mit dem Schwert verteidigt werden dürften. Die Katholiken bemerkten mit Genugtuung, daß dieselbe Kirchenversammlung sowohl von den Nestorianern als auch von den Monophysiten gehaßt werde; aber die Nestorianer waren entweder weniger ungestüm oder weniger mächtig, und der Osten wurde durch die hartnäckigen und blutdürstigen Monophysiten zerrüttet. Ein Heer von Mönchen besetzte Jerusalem; sie plünderten, sengten und mordeten im Namen der einen menschgewordenen Natur, befleckten das Heilige Grab mit Blut und bewachten in rebellischem Aufruhr die Tore der Stadt gegen die kaiserlichen Truppen. Die Ägypter wünschten sich den verbannten und in Ungnade gefallenen Dioskorus, ihren geistlichen Vater, zurück und verabscheuten seinen Nachfolger, der ihnen durch die Kirchenväter von Chalcedon aufgedrungen worden war. Der erzbischöfliche Thron des Proterius mußte durch eine Wache von zweitausend Soldaten verteidigt werden. Der Erzbischof führte einen fünfjährigen Krieg gegen das Volk von Alexandria und fiel auf die erste Kunde von Marcians Tod als Opfer ihres Religionseifers. Am dritten Tage vor dem Osterfeste wurde der Patriarch in der Kathedrale belagert und in der Taufkapelle ermordet. Die Reste seines verstümmelten Leichnams wurden den Flammen, seine Asche dem Winde überlassen. Die Tat war durch die Erscheinung eines angeblichen Engels eingegeben worden, eines ehrgeizigen Mönches, der unter dem Namen »die Katze Thimotheus« Dioskorus in Amt und Meinungen nachfolgte. Der tödliche Aberglaube wurde auf beiden Seiten durch den Grundsatz der Wiedervergeltung entflammt. Infolge eines metaphysischen Streites wurden mehrere Tausende erschlagen und die Christen aller Stände der wesentlichen Genüsse des geselligen Lebens und der Segnungen der Taufe und des heiligen Abendmahles beraubt. Eine etwas übertriebene Fabel jener Zeiten dürfte eine allegorische Schilderung dieser Fanatiker sein, die sich selbst und einander marterten. »Unter dem Konsulat des Venantius und Celer«, erzählt ein Bischof, »wurde das Volk von Alexandria und von ganz Ägypten von einem außerordentlichen und teuflischem Wahnsinn befallen. Große und Kleine, Sklaven und Freie, Mönche und Priester, die Eingeborenen des Landes, die sich der Kirchenversammlung von Chalcedon widersetzten, verloren ihre Sprache und Vernunft, bellten gleich Hunden und rissen mit ihren Zähnen das Fleisch von ihren eigenen Händen und Armen.«

      Endlich, nach dreißigjähriger Unordnung und Wirrnis, trat (482) das berühmte Henotikon des Kaisers Zeno in Kraft, das unter seiner und unter Anastasius' Regierung von allen Bischöfen des Ostens unterzeichnet werden mußte. Der Klerus lacht vielleicht über die Anmaßung eines Laien, der Glaubensartikel festsetzte, oder er verwirft eine solche Handlung. Wenn sich indes ein Kaiser mit derartigen Dingen beschäftigt, kann sein Geist weder von Vorurteilen noch vom Eigennutz befangen sein. Und gerade in der Kirchengeschichte erscheint Zeno am wenigsten verächtlich. Das Henotikon gefiel den Ägyptern am besten. Nichtsdestoweniger vermochten die eifersüchtig suchenden Augen unserer orthodoxen Schulmänner nicht den geringsten Flecken darin zu entdecken. Es stellt den katholischen Glauben der Menschwerdung mit Genauigkeit dar, ohne die besonderen Ausdrücke oder Lehrsätze der feindlichen Sekten anzunehmen oder zu verwerfen. Ein feierliches Anathema wird gegen Nestorius und Eutyches, gegen alle Ketzer ausgesprochen, die Christus Natur teilen oder vermengen oder zu einem Phantom herabwürdigen. Ohne die Zahl oder den Artikel des Wortes Natur zu bestimmen, wird das reine System des heiligen Cyrill, der Glaube von Nicäa, Konstantinopel und Ephesus ehrfurchtsvoll bestätigt; statt aber den Entschlüssen des vierten Konzils beizustimmen, endigt das Edikt mit dem Tadel aller entgegengesetzten Lehren, wenn solche zu Chalcedon oder anderswo aufgestellt worden wären. Unter diesem vieldeutigen Ausdrucke hätten Freunde wie Feinde der letzten Synode ruhig in Brüderlichkeit leben können. Die vernünftigen Christen beruhigten sich bei dieser Art der Duldung; aber ihr Verstand war schwach und unstet, und ihr Gehorsam wurde von ihren heftigen Brüdern als furchtsam und knechtisch verachtet. Es war schwer, in betreff eines Gegenstandes, der alle Gedanken und Gespräche der Menschen in Anspruch nahm, strenge Neutralität zu beobachten; ein Buch, eine Predigt, ein Gebet entzündete wieder die Flamme des Streites, und die Bande der kirchlichen Gemeinschaft wurden durch die persönlichen Feindseligkeiten der Bischöfe abwechselnd zerrissen und wieder gefestigt. Zwischen Nestorius und Eutyches bestanden tausend abgestufte Unterschiede in der Sprache und den Meinungen. Die Acephaler von Ägypten und die römischen Päpste, die zwar gleich mutig, aber ungleich stark waren, standen sich in den äußersten Extremen gegenüber. Die Acephaler, ohne König oder Bischof, waren seit über dreihundert Jahren von den Patriarchen von Alexandria getrennt, welche der Kirchengemeinschaft von Konstantinopel beigetreten waren, ohne eine förmliche Verdammung der Synode von Chalcedon zu verlangen. Wegen der Annahme der Lehren der Kirchengemeinschaft von Alexandria, ohne förmliche Billigung derselben Synode, wurden die Patriarchen von Konstantinopel von den Päpsten in Bann getan. Ihr unbeugsamer Despotismus verwickelte die rechtgläubigsten der griechischen Kirchen in diese geistige Ansteckung, leugnete oder bezweifelte die Gültigkeit ihrer Sakramente und nährte fünfunddreißig Jahre hindurch die Spaltung des Ostens und Westens, bis sie zuletzt vier byzantinische Bischöfe aus ihren Gebeten ausschlossen, die es gewagt hatten, sich der Herrschaft des heiligen Petrus zu widersetzen. Vor dieser Periode war der ungesicherte Waffenstillstand zwischen Konstantinopel und Ägypten durch die sich gegenseitig bekämpfenden Prälaten gebrochen worden. Makedonius, welcher der nestorianischen Ketzerei verdächtig war, verteidigte in der Verbannung die Synode von Chalcedon, während der Nachfolger Cyrills ihren Sturz durch eine Bestechungssumme von zweitausend Pfund Gold zu erkaufen wünschte.

      In diesen fieberhaften Zeiten genügte der Sinn oder vielmehr der Klang einer Silbe, den Frieden eines Reiches zu stören. Das Trisagion (dreimal heilig) »heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott der Heerscharen!« wird von den Griechen für die Hymne, welche die Engel und Cherubim vor dem Thron Gottes ewig wiederholen, gehalten und war der Kirche von Konstantinopel gegen das Ende des fünften Jahrhunderts auf jene wunderbare Weise offenbart worden. Das andächtige Antiochia fügte bald hinzu: »der für uns gekreuzigt wurde!« Diese entweder an Christus allein oder an die Dreieinigkeit gerichtete Dankeseinschaltung läßt sich durch die Regeln der Theologie rechtfertigen und ist allmählich von den Katholiken des Ostens und Westens angenommen worden. Aber ein monophysitischer Bischof hatte sie erdacht. Die Gabe eines Feindes wurde zuerst als eine entsetzliche und gefährliche Gotteslästerung verworfen, und die verwegen eingeführte Neuerung hätte dem Kaiser Anastasius beinahe Thron und Leben gekostet. Es fehlten dem Volke von Konstantinopel alle vernünftigen Freiheitsgrundsätze; wohl aber galt ihm die Farbe eines Wagenlenkers im Zirkus

Скачать книгу