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und Georg streichelte mit zitternder Hand das Haupt der Jungfrau und faßte sie fester:

      »Ich liebe Dich, ich lasse Dich nimmer, im Leben nicht, im Tode nicht. Still, still. Arme, Süße; merke auf den Trost der Nacht. O, wie sie still ist und Ruhe gibt.«

      »Liebe mich ewig, ewig!« rief Laurentia.

      »In alle Ewigkeit!« sprach Georg.

      Da ging ein dumpfer Ton durch die Nacht, ein donnerndes Schallen und Schmettern, ein Brechen und Krachen. Ein Schreien erhob sich im Thal und schwoll immer mehr an und pflanzte sich fort über die ganze Stadt. Das Krachen und Schmettern weckte nur einmal das Echo zwischen den Bergen; aber das Geschrei rief es immer von Neuem hervor. Lichter und Fackeln irrten in der Tiefe, und immer wilder ward das Rufen des Volkes.

      »Um Gotteswillen, was war das?« schrie Georg. »Komm, komm herab zum Vater.«

      In das Thurmgemach herunter führte der junge Mann die Braut; der Greis saß aufrecht im Bett und rief:

      »Es ist geschehen! Recht ist gesprochen, – das letzte Recht! Hinab, Georg Kindler, hinab zur Silberburg, sieh, ob das, was ich eben geträumt, Wahrheit ist! Das letzte Recht, o das letzte Recht!«

      Neben dem Bette des Alten sank Laurentia Heyligerin nieder, und der Greis zog sie zu sich und küßte sie auf die Stirn:

      »Gesegnet sei Dein Eingang hier unter meinem Dach, Du Kind meines Feindes. Der Segen eines ungerecht Gekränkten hat groß Gewicht; viel Glück sollst Du haben in Deinem Leben, eine gute Frau sollst Du werden wie Deine arme Mutter, wie – mein armes Weib.«

      Die Römerhöhe hinab stürzte Georg. Der Garten der Silberburg war bereits voll entsetzter, durcheinanderschreiender Menschen; wo die Silberburg selbst sich erhoben hatte, befand sich jetzt ein hoher Trümmerhaufen, ein wüstes Durcheinander von Balken, Pfosten und Mauern, über das die Fackeln und Laternen einen blutrothen Schein warfen.

      »Gottes Gericht! Gottes Gericht!« rief das zitternde, zum Tod erschrockene Volk von Rothenburg.

      »Das letzte Recht! O Vater, Vater – das letzte Recht!« schrie Georg Kindler in namenlosem Schauder. – –

      Den Eindruck eines Gottesurtheils hatte dieses schreckliche Ereigniß, welche so kühne und stolze Hoffnungen und Pläne im Augenblick der Erfüllung zu nichte machte, auf die ganze Stadt Rothenburg, Geistlichkeit, Rath und Bürgerschaft – Patricier und Plebejer gemacht, und unter diesem Eindruck erkannte man dem alten Friedrich Martin Kindler den Besitz des Trümmerhaufens, welcher einst ein so stolzes Haus gewesen war, einstimmig zu. Während die arme Laurentia auf der Römerhöhe langsam sich erholte und sich zurechtfand in dem Geschehenen, wurden die Trümmer aufgeräumt, die Leichen des Scharfrichters Wolf Scheffer und des weiland Zinsmeisters Christian Jakob Heyliger gefunden und mit ihnen die zertrümmerten Truhen mit den Geldsäcken, Kostbarkeiten und Documenten, wie sie Scheffer zuletzt darin geordnet hatte. In aller Stille wurden die Leichen begraben und dicht nebeneinander fanden sie ihre Stelle an der Kirchhofsmauer.

      Friedrich Martin Kindler entschlief nicht lange nach dem Einsturz der Silberburg, und ganz sanft erlöste ihn der Tod von den Schwierigkeiten der bösen Prudentia oeconomica, die ihm im Leben so viel vergebliches Kopfzerbrechen gemacht hatte. Fast die ganze Stadt gab dem Greis ein ehrenvolles Geleit zu seiner letzten Ruhestätte; aber dessenungeachtet war für Laurentia Heyligerin, die Tochter des Selbstmörders, und Georg Kindler, den Erben des Scharfrichters, keine bleibende Stätte in der kaiserlich freien Reichsstadt Rothenburg im Thal. Man flüsterte zu viel in den Gassen, wenn sie vorübergingen, und so zogen sie von dannen als ziemlich begüterte Leute, nachdem sie in der Stille Hochzeit gemacht hatten. Sie zogen hinaus, weit in’s Oesterreich, in eine Stadt an der Donau, Linz genannt; dort hat nach Jahren noch manch’ wandernd Bürgerkind aus Rothenburg in ihrem stattlichen Hause herzlich Entgegenkommen, fröhliche Gesichter und gut Quartier gefunden und nach seiner Heimkehr nicht genug zu erzählen gewußt von dem angesehenen Herrn Georg Kindler, der schönen Frau Laurentia und den Bübeln und Mädeln derselben.

      Die Silberburg wurde nicht wieder aufgebaut. Während Georg die Aecker, Wiesen und Weinberge zu guten Preisen an die Liebhaber losschlagen konnte, wollte diesen Platz Niemand kaufen, bis ihn der Rath für einen Pfifferling übernahm. Bei den schweren Zeitläuften war wenig Nahrung in der Welt. Der hispanische Erbfolgekrieg, in den auch die freie Stadt Rothenburg verwickelt war, obgleich es ihr im Grunde ganz gleichgiltig sein konnte, wer als König zu Madrid saß, jagte alle Verdienste weg; – es kam nicht darauf an, ob es einen wüsten Fleck mehr in Rothenburg gab.

      So wuchsen Gras und Brennnesseln auf der Stelle der Silberburg, und bis in die neueste Zeit hieß die Stelle: das letzte Recht. Heute hat ein Speculant eine Strumpffabrik daselbst gebaut, und der Name ist verschwunden.

      Zu merken ist, daß alle Menschen und alle Sachen in dieser Welt einen Augenblick haben, in welchen ihnen das letzte Recht gegeben wird.

      Eine Grabrede aus dem Jahr 1609

       Inhaltsverzeichnis

      »Wir haben jtzo miteinander, liebe Christen, anhero zur gegenwärtigen heiligen Stadt und Stell zu seinem Ruhebettlein begleitet den Weylandt Ehrwürdigen, Achtbaren und Hochgelarten Herrn M. Georgium Rollenhagium, alten Schul— Rectorem dieser unser löblichen Alten Stadt Magdeburgk. Verharren drauff nochmals bei einander, daß ihme ein Leich-Sermon möge nachgehalten und gethan werden. Daß nun solches unserm lieben Gott und Herrn zu seinen Göttlichen Ehren, den Betrübten zu sonderbarem Trost, zur Erinnerung unsers sündlichen, sterblichen Lebens, und endlich zu aller ewigen Seelen Heil und Seligkeit gereichen mögen, so laßt uns bevor den Barmherzigen Gott und Vater umb Gnade, Hülste und Beystandt des Heiligen Geistes hierüber bitten und anrufen, und mit wahrer Christlicher Andacht beten und sprechen das Heilige Vaterunser.«

      Diese Worte wurden gesprochen am Himmelfahrtstage des Jahres Eintausendsechshundertundneun, in der Pfarrkirche zu Sankt Ulrich zu Magdeburg von dem Magister und Prediger Aaron Burkhart, und leise und inbrünstig betete die in dem heiligen Gebäude versammelte Menge dieses Vaterunser mit.

      Man begrub da einen frommen, guten, trefflichen, alten Mann, einen Dichter und Gelehrten, welcher wohl verdient, daß wir seinetwegen einen Blick in die vergangene Zeit und die menschenvolle Kirche des siebenzehnten Jahrhunderts, daß wir einen Blick auf den blumengeschmückten Sarg werfen.

      Es stehen um diesen Sarg nicht nur die Verwandten, die trauernde Ehefrau mit den Söhnen in Wehmuth und Schmerz, nein, die ganze große Stadt begleitete den Rector und Scholarchen Georg Rollenhagen zu seinem Grabe. Da sind die ehrenvesten, hoch und wohlweisen Herrn Bürgermeister, Rathmannen und Innungsmeister in allem Schmuck und Zierrath ihrer Würden, da ist die achtbare hochansehnliche Bürgerschaft im Feiertagsgewande, da sind in ihren schwarzen Chorröcken die Prediger zu Sankt Johannes, Sankt Jakob, Sankt Katharinen, Sankt Peter, zum heiligen Geist und so fort. Da sind auch die Pfarrherrn aus der Sudenburg und der neuen Stadt. Es umstehen aber auch den Sarg alle Schulen mit der gesammten Lehrerschaft, – einer trauernden von ihrem Hirten verlassenen Heerde gleich. Durch lange zweiundvierzig Jahre hat der Magister Georg Rollenhagen der Magdeburg’schen Schule vorgestanden.

      »Wie dann in dieser ansehnlichen Versammlung ich ganz wenig acht’, so nicht vormals des seligen Herrn Rectoris Discipuli oder in seiner Schule gewesen.« –

      Nun stelle ich mir vor, es habe an diesem Begräbniß- und Himmelfahrtstage die Sonne glänzend durch die bunten Fenster der Ulrichskirche geleuchtet und einen lieblichen Schein auf die offene Gruft, den schwarzen Sarg, die trauernde Wittib Magdalene Rollenhagen, die Söhne und die versammelte Menge geworfen. Fest glaube ich, daß es in dieser Begräbniß- und Auferstehungsstunde nicht geregnet hat, daß kein Vorhang grauer Wolken den Frühlingshimmel verhängte. Fest glaube ich, daß in dieser Stunde, über dem offenen Grabe des Dichters das Licht den Tod besiegte.

      Der Prediger Aaron Burkhart sagt freilich darüber Nichts; aber ich weiß ganz gewiß, daß ein heller Strahl der Sonne ihn umspielte, als er mit Thränen in den Augen stand und sprach:

      »Uns

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