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die letzte Freundschaft und Willen erzeigt und seiner Leiche nachgefolget. Euer lieber Vater, Ihr betrübten, nachgelassenen Söhne, ist gestorben; durch den zeitlichen Tod ist der betrübten, traurigen Wittwe ein mächtig Stück ihres Herzens, ihr lieber Ehemann, hinweggerissen. Ihr Schüler in der Schul’ habt nunmehr durch diesen tödtlichen Abgang Eueren getreuen, langgedienten Praeceptorem verloren. Was sollen wir nicht billig in Gemeine sagen: Awe, wir sind sehr traurig, unsere Augen sind finster worden.«

      Ganz gewiß weiß ich, daß die Sonne schien, als der Prediger Aaron Burkhart anzeigte, er wolle an diesem theuern Sarge sprechen über den apostolischen Text:

      Cupio dissolvi, ich begehre aufgelöst zu werden, als welches Wort auch des Herrn Philippi Melanchthonis Symbolum gewesen sei.

      Nun zeigt der Magister am Sarge in der Ulrichskirche, mit was für Stricken und Seilen der Mensch in dem Jammerthale der Welt – »ein gefangner Mann, ein armer Mann« – gebunden sei; aus welchen harten Banden der Tod ihn zu allerletzt erlöst; denn

      »Das menschliche Leben ist alles Jammers und Elends voll und eine continua catena, eine zusammengeknüpfte Kette von mancherlei und vielem Unglück; der Tod aber ist das Ende alles Uebels, und dann erst ist es mit einem Menschen gut worden, wann man mit Schaufel und Spaten nach herschlägt.« – Und Recht hat der heilige Augustinus, wenn er sagt: Ingressus debilis, progressus debilis, exitus horibilis. –

      »Mit Weinen wir geboren werden,

       In Schwachheit wir zubring’n auf Erden,

       Des Todes Schrecken ha’n wir zum Gefährten.«

      Aus mancherlei geistlichen und leiblichen Stricken wünscht der christliche Mensch dem Magister Burkhart zufolge Erlösung; Aus dem Sündenstrick (»Alle unsere Gerechtigkeit ist gleichwie ein besudeltes und bestecktes Tuch, so man ohne Reverenz für züchtiger Leut’ Ohren nicht nehmen darf«) aus dem Strick des Fluches des Gesetzes, aus dem Strick der ewigen Verdammniß, aus dem Strick der Versuchung.

      Das sind die geistlichen Stricke, die leiblichen aber sind der Elendstrick ( calamitatis) der Arbeitsstrick ( laqueus laboris was dies für ein dicker Strick sei, wird ein Jeglicher wissen) der Neid-und Abgunststrick ( laqueus livoris et hostilis insultationis ein Mensch ist des Andern Henker, ja Teufel) der Bettelstrick, der Krankheitsstrick, der Kummerstrick, der Todesstrick. – Mit allen diesen gräulichen Stricken bindet, aus allen diesen Banden löset nun am Himmelfahrtstage Anno 1609 der Magister Aaron den alten Rector Rollenhagen; – die Sonne glänzt, die Vögel singen vor den Kirchenfenstern; durch eine zerbrochene Scheibe ist ein Schwäderlein in das Gotteshaus geschlüpft und flattert mit dem »Kirchensperling« über der trauernden Menge und über dem Sarge des Poeten und Gelehrten, als habe auch das Thierreich einen Abgesandten zu der Leichenfeier des Verfassers des Froschmäuseler’s hergeschickt. Wir aber wollen, dritthalbhundert Jahr später, ebenfalls von dieser gefangenen und erlösten Seele, ebenfalls von der Geburt, dem Lebenslauf und Tod des Rectors Georg Rollenhagen erzählen, der werth und hoch zu halten ist:

      »So lang Deutschland seine Sprach verstehet,

       Bis daß Himmel und Erd’ vergehet.«

      Am Sonnabend vor Misericordias Domini, als am 22. April im Jahre 1542 nach der Geburt unsers Herrn Jesus Christus, wurde zu Bernau, einem Städtchen in der Mark, drei Stunden von Berlin, Georg Rollenhagen in diese Welt »lebendig durch göttliche Gnade« geboren und am Sonntag Misericordias Domini zum Sakrament der heiligen Taufe geschickt und getragen.

      Sein Vater Gregorius Rollenhagen, ein Tuchmacher und Bierbrauer; seine Mutter war Euphemia Immen. Es taufte den Jungen der »Diener des göttlichen Wortes und Dispensator der Geheimnisse und Sakramente Gottes« Martinus Leo, der Prediger zu Bernau.

      Nach der Meinung der Zeit und den Worten des Magisters Burkhart verfiel das Kind durch seine Geburt schon den Stricken der Sünde, des Fluchs, der Verdammniß und der Versuchung; der Rector aber ließ später unter sein Conterfei malen:

      »Von Kopf geschwind, doch krank von Leib

       Bin ich, und arm daneben bleib.

       Die Jugend werd ich müssen lehren

       Der Abgunst auch nicht können erwehren.

       Doch wenn der Tod mich greifet an,

       Weiß ich, geschwind werd dahin gan;

       Was mach ich nun? Herr Jesu Christ,

       Ich glaub, daß Du mein Heiland bist.«

      Schon in demselben Jahre 1542 kommt der Vater »von einer Unholden und Zauberinnen vergeben«, auf ein langes Krankenlager zu liegen, auf welchem er manchmal sehr ärgerlich wird über das Weinen des kleinen Georg, »welchen vagitum pueri der kranke Vater nicht erleiden können und oftmals aus Ungeduld was anders dem Kindlein gedräuet.« Dem bejammernswerthen Mann das schreiende Kindlein so viel möglich aus dem Gesicht und der Gehörweite zu entfernen, schleppt die Mutter es, wo es nur angeht, mit sich herum und bringt es im Herbste dadurch in eine große Gefahr. Zur Erntezeit trägt sie es nämlich mit hinaus auf’s Feld, wo sie die Schnitter beaufsichtigen will. Um schneller über die Stoppeln zu den Arbeitern gelangen zu können, legt sie den Jungen am Ackerrain auf der Knechte abgelegte Kleider, um ihn später daselbst wieder aufzunehmen. Aber aus dem an das Feld stoßenden Gehölz lauscht gierig ein Wolf der einschreitenden Mutter nach und schleicht dann blutdürstig gegen das arme Kind heran. »Solches nimmt die arme Mutter gewahr, vernimmt, was groß Gefahr vorhanden, rufet und schreyet, thut übel, lauft geschwind, und wird durch solches Geschrei der Wolf zurückgetrieben, abgeschrecket und das Kind aus derselben Gefahr durch sonderliche Verleihung und Schickung Gottes errettet und erhalten.«

      Der alte Rector hat diese Geschichte oftmals mit großem Gusto selbst erzählt, wir erzählen sie dem Magister Aaron Burkhart nach, welcher diese in seiner Grabrede von Neuem zum Besten gibt.

      Immer ungeduldiger wird aber der elende, kranke Vater auf seinem Schmerzenslager, immer weniger vermag er die Lebensäußerungen des jungen Weltbürgers und Sängers in der Wiege neben seinem Bett zu ertragen, und die arme, geplagte Mutter weiß nicht, wo sie ihr Kind »dann hinthun möchte,« bis sich ihr Vater Herr Johannes Immen, » vir optimus, pius et doctus« desselben erbarmen will. Ihm wird nun der kleine Jung’ ins Haus getragen, und der Großvater handelt wie ein wackerer Mann und rechter Vater daran. Er zieht ihn auf, hält ihn zum Studiren an, »versieht ihn mit einem Schüler,« adoptirt ihn zuletzt und setzt ihn zu seinem Erben ein.

      1543 wird der Vater Gregor durch den Tod von seinem Leiden erlöst; 1544 bereits tritt die betrübte Wittwe in einen neuen Ehebund.

      Gut und fest hängt der Großvater dem Knaben den Arbeitsstrick um den Hals, er hat »traun nicht müssen müßig sein, mit Spielen und Spazieren die Zeit hinzubringen.« Eine wunderliche ahnungsvolle Natur ist dieser Knabe. Im Jahr 1550 hält die Pest wieder einmal ihren Umzug und sieht nach, ob die Lande auch nicht zu voll, ob die Völker nicht zu übermüthig werden. Die Seuche befällt auch den kleinen Jürg, und, wie gebräuchlich, muß er sich »abgesondert halten und behelfen.« Da hat er wunderbare Träume in seiner Einsamkeit und sagt voraus welche Nachbarkinder der grimmigen Krankheit erliegen werden. Glücklicherweise darf ihm selbst der Tod Nichts anhaben.

      Anno 1556 muß der junge Vogel seinen ersten Ausflug thun, er wird nach Prenzlau an der Pommerschen Grenze geschickt, um dort weiter zu arbeiten in seinen angefangenen Studien.

      »Da kömmt er da zu einem Bürger, Andreas Schmitt genannt, wird seiner Kinder Pädagogus. Hat er nicht da laboriren müssen? Fleißig ist er in der Schul gewesen und hat wohl zugenommen in seinem Studiren. Sonderlich gedenket er eines Condiscipuli, so Matthäus Saling genannt wurde, von Burg gewesen ist, und da soll unsers Herrn Stadtschreibers Johann Saling’s Vetter gewesen sein, so nachmals im Lande zu Meckelburg ein Pfarrherr geworden, daß er viel Fleiß bei ihm gethan, sei ihm wie ein Engel gewesen, und habe ihm Anleitung gegeben, nützlich in Studiis zu procediren.«

      So berührt die holde Jugendfreundschaft zum erstenmal das lockige Haupt des Knaben; aber was sich eben erst gefunden und fest aneinander geschlossen hat, das muß sich, nach dem bösen Lauf der Welt leider gar bald wieder trennen und von einander lassen.

      Im Jahre 1558 finden

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