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doch blieben die guten Lehren des Allongeperrückenträgers auf dem Titelblatt stets von derselben verwirrenden Wirkung auf den alten Mann, und das war eigentlich nur für ein Glück zu halten.

      Dagegen schien die Gemüthsstimmung des unglücklichen Mannes in dem verfallenden Hause unter der Römerhöhe immer hoffnungsloser zu werden. Laurentia hatte dem Geliebten darüber immer schrecklichere Einzelheiten mitzutheilen; aber immerfort wehrte sie sich hartnäckig gegen den Rath des Freundes, die Hülfe der städtischen Beamten anzurufen.

      Gegen Anfang des Octobers begegnete Georg wieder einmal dem Scharfrichter, und mit der gewohnten spöttischen Miene sagte der Letztere:

      »Monsieur, Unsereins ist ein halber Doctor; soll ich Euerm Schätzchen einen Trank eingeben gegen die bleichen Wänglein?«

      Und als Georg Kindler wild auffahren wollte, lachte der Andere:

      »Hoho, thut doch nicht so, Weibel. Unser Einer gehet auch in der Nacht umher und merkt Mancherlei. Hoho, wünsch’ Euch in Wahrheit viel Vergnügen mit dem holden Kind. Zu Euerer Hochzeit werdet Ihr mich wohl nicht laden?!«

      »Was redet Ihr mich an? Was spionirt Ihr? Wer giebt Euch das Recht, nächtlicher Weile die Silberburg zu umschleichen?« rief Georg, außer sich vor Grimm.

      »Hoho, Camarado, kalt’ Blut. Euch möcht’ ich fragen, was Ihr zu suchen habt in der Nacht dort im Garten? Kümmert Euch ja nicht um mein Recht, das soll Euch schon klar genug werden in der rechten Stunde.«

      Georg Kindler streckte beide Hände aus, als wolle er den Scharfrichter ergreifen, um ihm die Seele aus dem Leibe zu schütteln. Wolf Scheffer aber sagte:

      »Was? Den Henker, den Freimann wollt Ihr angreifen? Zurück, oder ich schlage Euch wie einen Hund zu Boden, und ich möcht’ Euch doch einen ärgern Tort anthun, als Euch durch einen lumpigen Stockschlag geschehen könnt’. Platz! Gebt Raum! Raum, sag’ ich, dem Scharfrichter von Rothenburg und seinem Recht!«

      Fort schritt der Rothmantel; Georg aber stieß wieder einmal einen seiner wilden Soldatenflüche, deren er in der Zeit sich so ziemlich entwöhnt hatte, hervor und murrte:

      »Was mag er meinen, der Hund. Hätt’ ich ihm doch damals das Hirn ausgeschlagen, anstatt des falschen, heimtückischen Auges.«

      Um sein heißes Blut zur Ruhe zu bringen, rannte der vormalige Weibel so weit als möglich in die Nacht und in die Berge hinaus; die Geliebte konnte er doch in dieser Nacht nicht sehen. Sie war bereits seit acht Tagen nicht im Garten erschienen und hatte dem verlobten Freunde durch die alte Magd Nachricht zugehen lassen: der Vater lasse sie nicht von seiner Seite, er sei nun wie ein Kind mit Weinen und großer Angst; sie müsse ihm vorsingen, er fürchte sich sehr vor dem Herbstwinde in den Bäumen und in den Schornsteinen und Kaminen; Gott allein wisse, wie das enden werde.

      So überließ nun an diesem Abend Georg Kindler dem bösen Wolf den Garten zur Silberburg, und in seinen rothen Mantel gehüllt, saß der Freimann auf der Schwelle der Hinterthür und reihete Zahlen aneinander, rechnete wie der alte Strumpfstricker auf der Römerhöhe. Er hatte soeben den Werth des wüsten Gartengrundstückes berechnet, und nun daran, den Werth des Hauses in seiner Verfallenheit annähernd aufzustellen, lachte er nach seiner Art still in sich hinein und murmelte:

      »Heraus sollen sie wie die Füchse aus dem Bau. Wundern werden sie sich über den Scharfrichter und sein Recht. Ho, wie sie die Perrücken schütteln werden im Rath. Nach dreißig Jahren soll’s mir noch ein Gaudium sein. Du alter Schlaukopf von Vater in Deinem Grabe zu Wetzlar sollst Deine Freud’ an Deinem Söhnlein haben. Hui, und dieser Narr und Satan, dem ich dieses schwarze Pflaster zu danken hab’, wird er das Maul aufsperren! Eine fröhliche Stund’ sollst Du feiern, Wolf Scheffer, so wahr Du Deines klugen Vaters Sohn bist.«

      Sein Selbstgespräch unterbrechend, hob der Scharfrichter plötzlich den Kopf und lauschte, und dann kletterte er vorsichtig auf den hohen Holzhaufen, über den der Kater niederzusteigen pflegte; auf diesem Platz konnte seinem Ohr nichts entgehen, was im Innern des Hauses vorging. Eine weiche volle Stimme klang aus dem obern Stockwerk der Silberburg; aber die Fenster blieben dunkel wie gewöhnlich.

      Laurentia Heyligerin sang:

      »Wenn über stiller Haide

       Des Mondes Sichel schwebt,

       Mag lösen sich vom Leide

       Herz, das im Leiden bebt.

      Tritt vor aus Deiner Kammer

       Und trage Deinen Schmerz,

       Trage des Weltlaufs Jammer

       Der Ewigkeit an’s Herz.

      Das Ewige ist stille,

       Laut die Vergänglichkeit;

       Schweigend geht Gottes Wille

       Ueber den Erdenstreit.

      In Deinen Schmerzen schweige,

       Tritt in die stille Nacht;

       Das Haupt in Demuth neige,

       Bald ist der Kampf vollbracht.

      Schweige in Deinem Schmerze,

       Geh’ vor aus Deinem Haus,

       Und trag’ Dein armes Herze

       An Gottes Herz hinaus.

      Weil’ nicht im dunkeln Walde,

       Zwischen den Tannen nicht;

       Ueber die Blumenhalde

       Trag’ Deinen Schmerz in’s Licht.

      Wenn hinter Dir versunken,

       Was Ohr und Auge bannt,

       Dann hält die Seele trunken

       Das Firmament umspannt.

      Wie aus dem Nebelkleide

       Der Mond sich glänzend ringt,

       So aus dem Erdenleide

       Aufwärts das Herz sich schwingt.

      O Haide, stille Haide,

       Wie sehnet sich hinaus

       Zu Dir das Herz im Leide,

       Gefangen Herz im Haus!«

      So klagte im Gesange das schmerzhafte »gefangene Herz« in der Silberburg; dem Lauscher unter dem Fenster war ernst zu Muth geworden; aber die Stimmung dauerte nicht lange. Bald war das höhnische Zucken um den Mund wieder da; Wolf Scheffer flüsterte:

      »Wie sich das Vögelchen hinaussehnt! Wie es nach der goldenen Freiheit verlangt. Wart’, Liebchen, bald sollst Du mehr davon haben, als Du gebrauchen kannst; die ganze weite Welt soll Dir offen stehen; ich will Dich nicht halten in der Silberburg.«

      Von seinem Platz auf dem Holzhaufen vernahm der Scharfrichter noch im Innern des Gemaches die heisere, weinerliche Stimme des alten Heyliger, dann noch einmal die sanften, überredenden Laute der Jungfrau, dann ward Alles still. Eben wollte Wolf Scheffer leise zur Erde niedersteigen, als er noch einmal anhielt; im Innern der Silberburg ließ sich ein knarrender Ton vernehmen und das alte Gebäude zitterte in seinen Grundvesten. Es war, als ob ein starker Balken unter zu großer Last gebrochen sei.

      »Teufel,« murmelte der Scharfrichter, »der alte Kasten scheint doch die Gicht in den Knochen zu haben. Bah, was thut’s, ich werd’ mich nicht lang damit plagen. Es wird sich schon Einer finden, der ihn mir abnimmt für gut Geld; mag ihm das alte Gebäude dabei auf den Kopf fallen, was schiert’s mich. Geld und Geld und Geld und zu Ende der Spaß hier! Zu Pferd und fort nach dem lustigen Frankreich. Vive le roi! Vive la joie! Vive Paris!«

      Auf dem Erdboden angekommen, schüttelte sich der Lauscher und verschwand in der Dunkelheit. Eine Viertelstunde später erhellten sich zwei Fenster in der Scharfrichterei auf dem Herrenberge, Wolf Scheffer saß daselbst am Tisch, hatte einen Kalender vor sich, starrte unverwandt auf diesen Kalender des Jahres 1705, welcher dieser Tage erst beim Bücherverkäufer am Fenster erschienen war. Es war ein Datum darin roth unterstrichen, und Wolf hielt den Finger darauf, rechnete die Tage aus, die noch verstreichen mußten bis zu diesem Datum, und summte leise vor sich

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