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zu machen. Da verlangte eines Abends, als der regierende Bürgermeister sich eben zu einem Nachtessen, welches lange nicht so gut war, als das des Gefangenen im Thurm, seufzend niederlassen wollte, ein Fremder, den ehrbaren Herrn zu sprechen, und ward vorgelassen. Er erschien als ein Mann von gar absonderlichem Ansehen; hager, sehnig, gelb, mit einem spanischen Bart und einem großen schwarzen Pflaster über dem linken Auge. Nicht sehr groß, war er doch mit ungemein langen Armen begabt, bewegte sich gar nicht unzierlich, verbeugte sich sehr höflich, rückte mit seinem Anliegen so strack hervor wie ein Reiterangriff und that an Seine Gnaden die Frage: Hier in löblicher Stadt sei man ja wohl, dem Gerede nach, eines Scharfrichters bedürftig? – Und ehe der Bürgermeister zur Antwort kam, fuhr der Fremdling fort:

      »Will ich mich in Bescheidenheit hiermit präsentiret haben zu diesem Amt und verhoff’, mit Rath und Bürgerschaft auf’s Trefflichste auszukommen und Jedermann im Nothfall auf’s Beste zu bedienen, kunstgerecht, wie man’s von einem wackern gelernten Meister verlangt.«

      Wäre dem regierenden Bürgermeister von Rothenburg ein Engel erschienen, er hätte nicht einen größern Eindruck hervorgebracht. Wenig fehlte, daß der würdige Herr in seinem Jubel dem Fremden um den Hals gefallen wäre. Aus seinem Lehnsessel flog er in die Höhe und jauchzte:

      »Der Himmel sei gepriesen! Endlich! Endlich! Victoria!«

      Noch an dem nämlichen Abend wurde eine außerordentliche Rathssitzung abgehalten, und in derselben in der Hast der freudigen Aufregung und Erleichterung das Document unterzeichnet und untersiegelt, durch welches Wolf Scheffer zum wohlbestallten Scharfrichter kaiserlich freier Reichsstadt Rothenburg im Thal mit allen Rechten und Pflichten gemacht wurde. In der Freude ging man über den Umstand, daß der fremde Mann sich durch keinerlei Papiere über sein vergangenes Leben ausweisen konnte, leicht hinweg. Auf Treu und Glauben nahm man seine Auskunft an: seine Schriften habe er in der Gegend von Wertingen an dem Zusamfluß durch einen Trupp marodirender Franzosen von Tallard’s Heer verloren.

      Am folgenden Morgen bereits, so früh als möglich, baumelte der Gutschmecker und Antecessor. Er starb mit kauenden Backen und vollem Magen, und die feinfühlende Leserin hat durchaus nicht nöthig, ihn zu bedauern; er hatte redlich das Seinige genossen und sein Schicksal reichlich verdient.

      Wolf Scheffer bezog das Haus auf dem Herrenberge und schritt einher im rothen Mantel; eine wichtige Person in dem winzigen Gemeinwesen. Er war ein Freimann, an Person, Haus und Hof sacrosanctus. In der Kirche hatte er seinen Platz dicht neben dem hochehrbaren Rath, wenn auch in einem eigenen und etwas niedrigeren Stuhl. Mancherlei nützliche und angenehme Accidenzien waren mit seinem Amte verbunden. Bei jeder Hochzeit einer Jungfer erhielt der Nachrichter eine Maß Wein und ein Viertel Brod. Fiel ein Pferd unter dem Reiter, so ward es Eigenthum des Meisters vom Schwert mit Sattel und Zaum. Wurde ein gefallenes Viehstück aus Eigennutz und Geiz dem Scharfrichter entzogen, und es erfuhr der Letztere, so erschien er vor der Thür des Hehlers und stieß sein Messer in den Pfosten, zum Zeichen, daß der Bewohner des Hauses in des Henkers Recht eingegriffen und es nunmehr mit dem Henker zu thun habe. Nicht eher wurde von dem Rothmantel das Messer herausgezogen, bis Abbitte geleistet und eine Vergütung vereinbart war, und ein übler Ding gab es in der guten, ehrbaren Stadt nicht.

      Noch ein anderes wichtiges Recht stand dem Scharfrichter zu; davon wird leider später bei trauriger Gelegenheit die Rede sein müssen.

      Sehr romantisch lag, wie schon erzählt wurde, die ganze Reichsstadt zwischen ihren Weinbergen und Waldbergen; aber am allerromantischsten war doch die Scharfrichterei gelegen; nur der Lug in’s Land mochte ihr in dieser Hinsicht den Rang streitig machen. Natürlich befand sich des Henkers Heimwesen nicht zwischen der Ehrbarkeit, wir haben seine Lage schon angedeutet. Auf der Bank vor der Thür sitzend, hatte man unter sich die Straßen, Thürme, Mauern, Plätze der Stadt, gegenüber Berge und Wälder und zur Seite einen fast unbeschränkten Blick weit hinaus in’s freie Land, über manch’ eine Kirchthurmspitze, manch’ einen Höhenrücken, manch’ ein aufblitzendes Gewässer bis in die blaueste Ferne. Das war eine Aussicht, schön im Sommer wie im Winter, schön bei Mondenlicht wie bei Sonnenschein, und außerdem auch sehr interessant; denn ehe die Schlacht bei Höchstedt geschlagen war, ging fast kein Tag vorüber, an welchem man nicht von der Ebene her dumpfes Rollen und Sturmgeläut bald näher, bald ferner vernahm, und Rauchwolken aufsteigen sah, zum Zeichen, daß Kaiserliche und Franzosen unausgesetzt in voller Arbeit gegeneinander sich befanden. Nach der großen Schlacht wurde es freilich stiller über der Ebene.

      In aller philosophischen Ruhe konnte Wolf Scheffer, der Henker, vor seiner Thür seine Pfeife rauchen und Idylle und Epos zu gleicher Zeit im Auge behalten. Unsere Altvordern gaben wenig oder gar nichts auf schöne Aussichten, so hatten sie auch hier bei Erbauung der Scharfrichterei weniger sich daran, als an den Bergwind gehalten, der sehr scharf und schneidend grade über den Vorsprung strich, wo sie errichtet war. Da Niemand sonst auf dem Herrenberge wohnen wollte, so setzte man den Scharfrichter dahin.

      Bald hatte sich der Meister Scheffer auf’s Beste in seiner Wohnung und in seinem Amt eingerichtet. In der Dämmerung oder in dunkler Nacht erhielt er die gewöhnlichen Besuche von Leuten, die bei Krankheiten von Mensch und Vieh, Liebes-und anderen Sachen die Geheimmittel nöthig hatten, welche seit undenklichen Zeiten der Volksglaube in die Hand des Herrn vom Schwert gelegt. Der »neue Mann« erlangte bald die größte Kundschaft in dieser Hinsicht und wußte den geheimnißvollen Schrecken, der ihn umgab, viel besser zu benutzen als sein seliger Vorgänger, welcher Alles in Allem genommen, doch ein Tölpel und Einfaltspinsel war, und welcher mit den Menschen anders als auf dem Schaffot durchaus nicht umzugehen wußte. Wolf Scheffer, den öffentlich natürlich Niemand kennen und grüßen wollte, hatte im Geheimen eine so große Bekanntschaft und ehrfurchtsvolle Freundschaft, wie kein Anderer im ganzen Gemeinwesen, der regierende Bürgermeister nicht ausgenommen.

      Er hielt aber auch die Augen offen bei Tag und Nacht, und was er vermochte, das zeigte sich an dem Tage recht, an welchem er in seinem rothen Mantel das blanke Schwert über der Schulter durch die Hauptstraße von Rothenburg schritt, um sein Messer in den Thürpfosten des Rathsbäckermeisters Gretzler, eines sehr wohlhabenden, feisten und angesehenen Mannes zu stoßen. Die Ehefrau des Unglücklichen, ein wahrer Geizdrache, hatte eine gefallene Ziege für den eigenen Hausstand zum Seifekochen benutzt, und der Mann vom Herrenberge die Unterschlagung fast zur nämlichen Stunde erfahren.

      Es entstand schier ein Aufruhr gegen den Rath daraus, dem armen Bäcker wurde das halbe Haus demolirt; er mußte sein Amt als »Getraidtmeister« niederlegen, erholte sich niemals von diesem Schlag, fiel in die Schwindsucht und starb. Seines Weibes Name blieb aber für immer ein Gaudium in den Mäulern der Gevatterinnen von Rothenburg im Thal.

      II.

       Inhaltsverzeichnis

      Wenn der Scharfrichter auf seiner Bank vor der Thür seine Pfeife rauchte und gradaus in das Thal und in die Stadt hinunterblickte, so war der hervorragendste Punkt, der ihm in’s Auge fiel, die Silberburg mit ihrem verblichenen Farbenschmuck, alterschwarzen Balkenwerk, ihren erblindeten, grünangelaufenen Fenstern, ihren geneigten Giebeln. Hinter diesem Hause lief ein über alle Maßen verwilderter Garten die Römerhöhe entlang bis zu dem Wartthurm, auf welchem dem alten, strumpfstrickenden Kindler der Lugaus auf Feuer und Franzosen anvertraut war. Neben der Silberburg widmete der Scharfrichter diesem Wartthurm seine ganze Aufmerksamkeit, und weshalb er dies that, wird später klar genug werden.

      Der Garten des reichen Mannes in der Silberburg war aber deshalb so verwildert, weil Christian Heyliger niemals aus den Hinterfenstern seines Hauses blickte. Ein solches Ausschauen hätte ihm auch den Lug in’s Land gezeigt und den Anblick desselben konnte er nicht ertragen. Das hatte folgenden Grund. Der alte, strumpfstrickende Stadtsoldat auf der Römerhöhe war nicht immer ein armer Kerl im Gnadenbrod der Stadt gewesen, hatte nicht immer Strümpfe gestrickt, am Hungertuche genagt und Trübsal geblasen.

      Einst hatte er selbst in der Silberburg gewohnt und manch’ ein schöner Acker und Weinberg auf der städtischen Feldmark war sein Eigenthum gewesen. Daß solches nicht mehr so war, daran war der Zinsmeister Christian Jakob Heyliger und das Reichskammergericht zu

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