Скачать книгу

30 abgelehnt, 35 sind noch ohne jede Stellungnahme, und erst 15 Themen sind erledigt.« 34

      Das von ihm geforderte Gespräch mit Chrusch­tschow fand am 1. August statt. Ulbricht schilderte ihm offen die aktuelle Lage in der DDR. Bei der weiteren Entwicklung würden 1962 im Vergleich zu 1960 mindestens 175000 qualifizierte Facharbeiter fehlen. Der dadurch 1961 eingetretene Produktionsausfall betrage im Vergleich zu 1960 etwa 2,5 bis 3 Milliarden DM.

      Darauf Ulbricht: »Wir sind einverstanden mit der Begründung dieser Sache vom Standpunkt der großen Politik. Aber wir müssen uns auf wirtschaftliche Schritte vorbereiten. Vor Durchführung dieser Maßnahme muss ich erläutern, wie unsere Wirtschaftspolitik aussehen wird, damit das alle wissen. Zur politischen Seite haben wir den Friedensplan beschlossen, der großen Erfolg hat.

      Chrusch­tschow: Dazu habe ich eine andere Meinung. Vor Einführung des neuen Grenzregimes sollten Sie überhaupt nichts erläutern, denn das würde die Fluchtbewegung nur verstärken und könnte zu Staus führen. Das muss so gemacht werden, wie wir den Geldumtausch realisiert haben. Wir lassen euch jetzt ein, zwei Wochen Zeit, damit ihr euch wirtschaftlich vorbereiten könnt.

      Dann beruft ihr das Parlament ein und verkündet folgendes Kommuniqué: ›Ab morgen werden Posten errichtet und die Durchfahrt verboten. Wer passieren will, kann das nur mit Erlaubnis bestimmter Behörden der DDR tun.‹« Und weiter sagte Chrusch­tschow: »Wenn die Grenze geschlossen wird, werden Amerikaner und Westdeutsche zufrieden sein. Botschafter Thompson (Llewellyn E. Thompson, von 1957 bis 1962 Vertreter der USA in Moskau – d. Verf.) hat mir gesagt, dass diese Flucht den Westdeutschen Ungelegenheiten bereitet. Wenn Sie also diese Kontrollen errichten, werden alle zufrieden sein. Außerdem bekommen die Ihre Macht zu spüren.«

      Wir erinnern uns: Am 15. Juni hatte Walter Ulbricht auf der Pressekonferenz in Berlin erklärt, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten. An welcher Grenze westlicher Staaten existierte »eine Mauer«? Ulbricht hat Ende Juli 1961 also ganz klar auch intern gesagt, dass er genau solche Verhältnisse »an den Grenzen der DDR einschließlich der Grenze in Berlin« haben wolle, »wie sie auch an den Grenzen der Staaten der Westmächte« bestünden. Aus dem Protokoll des Telefonats vollständig in den Anlagen dieses Buches veröffentlicht zwischen ihm und Chrusch­tschow geht klar hervor, wer die treibende Kraft war.

      Chrusch­tschow ging auch auf die Arbeitskräftesituation ein. »Unser Botschafter hat mir berichtet, dass es euch an Arbeitskräften fehlt. Die können wir euch geben.

      Ulbricht: Wir haben im Politbüro beschlossen, um Arbeiter aus Bulgarien und Polen zu bitten.

      Chrusch­tschow: Auch wir können sie euch geben – junge Leute, Komsomolzen. Wir haben überflüssige Arbeitskräfte. Hören Sie nicht auf die Stimme Amerikas, die behauptet, uns fehle es an Arbeitern.

      Ulbricht: Ich habe mich einfach nicht entschließen können, Ihnen diese Frage zu stellen.

      Chrusch­tschow: Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie wir das dem Volk am besten erklären.

      Ulbricht: Als sozialistische Hilfe für die DDR!

      In dem von Werner Eberlein gedolmetschten Gespräch, bei dem sich Ulbricht Notizen machte (auch diese Zettel liegen im Bundesarchiv in der Berliner Finckensteinallee), forderte Chrusch­tschow »administrative Maßnahmen. Grenze schließen«, worauf es Ulbricht entfuhr, man könne nicht eine Mauer rings um Westberlin ziehen.

      Bis zu jenem Gipfeltreffen Anfang August 1961 im Kreml, zu welchem auch die Führungen Albaniens, Chinas, Koreas, der Mongolei und Vietnams eingeladen wurden (und bis auf Albanien waren alle vertreten, selbst Ho Chi Minh reiste aus Hanoi an), war in Moskau nicht klar, wie mit der offenen Grenze umgegangen werden sollte.

      Dann lief der 13. August 1961 mit all den bekannten Maßnahmen. Und Ulbricht saß zwei Tage später mit Götting im Auto und berichtete von seinem Erstaunen, als Chrusch­tschow in Moskau in großer Runde plötzlich erklärt habe, der Genosse Ulbricht hätte ihm soeben vorgeschlagen, um Westberlin eine Mauer zu ziehen. Er sei, sagte Ulbricht, wie vom Donner gerührt gewesen. Einen solchen Vorschlag hatte er nie gemacht. Er habe allerdings schlecht in dieser Runde aufstehen und Chrusch­tschow widersprechen oder gar dementieren können. Und auch außerhalb des Kreml hätte er das wohl kaum öffentlich machen können.

      Götting sah, dass Ulbrichts Betroffenheit echt und keineswegs gespielt war. Dieser war aber Parteisoldat, und der hatte zu gehorchen.

      Auch in Moskau gibt es Protokolle, so eines über das Gespräch zwischen Chrusch­tschow und Ulbricht an jenem 1. August 1961. Das 19-seitige russische Dokument über jenes Gespräch von 15.40 bis 18.00 Uhr notierte Valentin Koptelzew. Es befindet sich heute im schwer zugänglichen Präsidentenarchiv in Moskau und wurde von dem Historiker Matthias Uhl im Sommer 2009 publik gemacht. Obgleich etwa die B.Z. am 1. Juni 2009 titelte: »Akten-Fund: Chrusch­tschow befahl Mauer-Bau«, und im Text fragte: »Muss die deutsch-deutsche Geschichte jetzt neu geschrieben werden?«, war diese Sorge unbegründet. Die offizielle Lesart wurde in der Bundesrepublik Deutschland unverändert beibehalten: Ulbricht hat die Mauer gebaut. Basta.

      Ausgerechnet in einer Boulevard-Zeitung des Springer-Verlages war zu lesen: »Bislang gingen die Forscher davon aus, dass SED-Chef Ulbricht und Erich Honecker fast im Alleingang über den Bau der Berliner Mauer entschieden. Das Protokoll eines persönlichen Gesprächs zwischen Chrusch­tschow und Ulbricht am 1. August 1961 im Kreml stellt die Geschichte aber in einem neuen Licht dar.

      Selbst das Nachrichtenmagazin Der Spiegel kam nicht umhin, die Existenz dieses Dokuments und dessen Aussage zu

Скачать книгу