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ein paar Zeilen geschickt, daß er sich erlauben würde, sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, aber sie hatte geantwortet, daß sie zu uns in das Speisezimmer herunterkommen werde. Als sie eintrat, gewahrte ich eine hochgewachsene, schöne Frau, von ungefähr dreißig Jahren, zurückhaltend und ungewöhnlich beherrscht, ganz etwas anderes als die tragische und niedergebrochene Erscheinung, die ich erwartet hatte. Ihr Gesicht war wohl blaß und trug den müden Ausdruck eines Menschen, der einen großen Schreck ausgestanden hat, aber sie gab sich gefaßt und ihre schön geformte Hand, die sie auf dem Rand des Tisches ruhen ließ, während sie mit uns sprach, war so ruhig wie meine eigene. Ihre traurigen, flehenden Augen wanderten von einem zum anderen mit einer stummen Frage, die ganz unvermittelt in Worte ausbrach.

      »Haben Sie irgend etwas herausgefunden?« fragte sie.

      War es nur Einbildung, daß ich aus dieser Frage eher einen Unterton von Furcht als von Hoffnung herauszuhören glaubte?

      »Wir haben alles getan, was uns geboten schien, Mrs. Douglas,« sagte der Inspektor, »und Sie können überzeugt sein, daß nichts verabsäumt wird.«

      »Sparen Sie nicht mit Geld,« sprach sie mit monotoner, dumpfer Stimme, »es ist mein Wunsch, daß jeder mögliche Versuch gemacht wird.«

      »Vielleicht können Sie uns einiges erzählen, das etwas Licht auf die Sache wirft.«

      »Ich fürchte, nein; aber was ich weiß, steht zu Ihrer Verfügung.«

      »Wir hörten von Mr. Barker, daß Sie nicht gesehen haben, – daß Sie nicht in dem Zimmer waren, wo sich das Verbrechen ereignete.«

      »Nein, er veranlaßte mich, auf der Treppe wieder umzukehren und in mein Zimmer zurückzugehen.«

      »Das wissen wir. Sie haben also den Schuß gehört und sind darauf sogleich hinuntergegangen.«

      »Jawohl, ich warf nur einen Schlafrock über und kam dann herunter.«

      »Wie lange hat es gedauert, bis Sie Mr. Barker nach dem Schuß unten an der Treppe trafen?«

      »Höchstens ein paar Minuten. Es ist schwer, in solchen Augenblicken eine Zeitspanne zu fixieren. Er bat mich, nicht weiter zu gehen und versicherte mir, daß ich nichts tun könne. Dann kam Frau Allen, die Haushälterin, und führte mich hinauf. All dies erschien mir wie ein entsetzlicher Traum.«

      »Können Sie uns sagen, wie lange wohl Ihr Gatte unten war, bevor sie den Schuß hörten?«

      »Nein, das kann ich nicht. Er war in seinem Ankleidezimmer, und ich hörte ihn nicht, als er dieses verließ. Er machte jede Nacht vor dem Schlafengehen eine Runde durch das Haus, denn er war wegen der Feuersgefahr besorgt. Das ist das Einzige, worüber ich ihn je besorgt gesehen habe.«

      »Über diesen Punkt möchten wir gerade mit Ihnen sprechen. Sie haben Ihren Gatten in England kennen gelernt, nicht wahr?«

      »Jawohl. Wir sind nun fünf Jahre verheiratet.«

      »Haben Sie ihn jemals über etwas reden hören, das in Amerika geschehen ist und für ihn eine Gefahr bedeuten konnte?«

      Mrs. Douglas dachte eine Weile lang angestrengt nach, bevor sie antwortete.

      »Ja«, sagte sie endlich. »Ich habe immer vermutet, daß er sich in Gefahr befinde. Aber er wollte niemals mit mir darüber sprechen, nicht etwa aus Mangel an Vertrauen, denn zwischen uns bestanden die innigsten und vertrauensvollsten Beziehungen, aber offenbar, weil er mir Sorge ersparen wollte. Er wußte, daß ich darüber nachgrübeln würde und darum sagte er lieber gar nichts.«

      »Was haben Sie denn für Anhaltspunkte dafür?«

      Ihr Gesicht erhellte sich in einem blitzartigen Lächeln.

      »Können Sie sich vorstellen, daß ein Ehemann, der ein Geheimnis mit sich herumträgt, dieses vor der Frau, die ihn liebt, gänzlich verbergen könne? Ich wußte davon aus vielen Dingen. So z. B. weil er sich stets weigerte, über bestimmte Episoden seines Lebens in Amerika zu sprechen. Ich wußte es aus verschiedenen Vorsichtsmaßregeln, die er ergriff, aus Bemerkungen, die er gelegentlich fallen ließ. Ich wußte es aus der Art und Weise, wie er unerwartete Fremde ansah. Ich war mir stets vollkommen klar darüber, daß er mächtige Feinde hatte, daß er sich vor deren Nachstellungen nicht sicher fühlte und vor ihnen stets auf der Hut war. Ich war dessen so sicher, daß ich mich während der ganzen Jahre immer in höchster Aufregung befand, wenn er einmal länger als gewöhnlich ausblieb.«

      »Darf ich fragen, welche Worte es waren, die besonders Ihre Aufmerksamkeit erregten?«

      »Das Tal des Grauens«, antwortete sie. »Das war der Ausdruck, den er gebrauchte, als ich ihn auszufragen begann. ›Ich war im Tal des Grauens und bin noch immer nicht heraus.‹ Werden wir jemals dem Tal des Grauens entrinnen können? fragte ich ihn manchmal, als ich ihn ernster als gewöhnlich sah. ›Ich glaube manchmal, daß es uns niemals gelingen wird‹, antwortete er.«

      »Sie haben ihn doch sicher gefragt, was er mit dem Tal des Grauens meine?«

      »Das habe ich, aber sein Gesicht wurde dabei düster, und er schüttelte nur den Kopf. ›Es ist schlimm genug, wenn einer von uns beiden in dessen Schatten leben muß‹, sagte er. ›Wolle Gott, daß er niemals auf dich fallen möge.‹ Es war ein wirkliches Tal, in dem er damals lebte und in dem sich irgend etwas Schreckliches zugetragen hatte, – das weiß ich, aber mehr kann ich Ihnen darüber nicht sagen.«

      »Namen hat er wohl niemals genannt?«

      »Doch. Nach seinem Sturz bei der Fuchsjagd, vor etwa drei Jahren, lag er einige Tage mit Fieber zu Bett. Ich erinnere mich noch deutlich, daß er in seinem Fieberwahn einen Namen ständig auf den Lippen führte, den er mit Zorn und in einer Art von Schrecken aussprach. McGinty war dieser Name, Logenmeister McGinty. Ich fragte ihn, nachdem er sich wieder erholt hatte, wer dieser Logenmeister McGinty sei, und von welcher Loge er Meister sei. ›Sei froh, daß er nicht mein Meister ist‹, antwortete er mit einem Lachen. Das war alles, was ich aus ihm herauszubringen vermochte. Zweifellos besteht ein Zusammenhang zwischen dem Logenmeister McGinty und dem Tal des Grauens.«

      »Und noch eins«, sagte Inspektor McDonald. »Sie machten die Bekanntschaft von Mr. Douglas in einer Londoner Pension und haben sich auch dort mit ihm verlobt, nicht wahr? Lag in dieser Verbindung Romantik, etwas Geheimnisvolles und Ungewöhnliches?«

      »Romantik wohl, Romantik liegt immer in einer Liebesheirat. Aber es gab nichts Geheimnisvolles und Ungewöhnliches.«

      »Er hatte keine Nebenbuhler?«

      »Nein, ich war vollkommen frei.«

      »Sie haben ohne Zweifel gehört, daß man ihm den Ehering abgenommen hat. Gibt Ihnen dies irgendwie zu denken? Angenommen, daß ein alter Feind ihn aufgespürt und getötet hat, welchen Grund konnte der haben, ihm den Trauring wegzunehmen?«

      Ich hätte schwören können, daß bei dieser Frage die kaum merkliche Spur eines Lächelns um ihre Lippen spielte.

      »Das kann ich nicht sagen«, antwortete sie. »Sicherlich ist es eine höchst merkwürdige Sache.«

      »Nun also, wir wollen Sie nicht länger bemühen. Es tut uns außerordentlich leid, daß wir Sie in Ihrer gegenwärtigen Lage belästigen mußten«, sagte der Inspektor. »Es mögen vielleicht noch verschiedene Fragen auftauchen, auf die wir zu geeigneter Zeit zurückkommen werden.«

      Als sie sich erhob, glaubte ich aufs neue jenen blitzartig fragenden Blick zu sehen, den sie uns bei ihrem Eintritt ins Zimmer zugeworfen hatte, etwa wie: »Welchen Eindruck hat meine Aussage auf euch gemacht?« So deutlich war das, daß sie diese Frage ebenso gut hätte aussprechen können. Mit einer Neigung ihres Kopfes schwebte sie aus dem Zimmer.

      »Eine schöne Frau – eine auffallend schöne Frau«, – sagte McDonald nachdenklich, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Dieser Barker ist zweifellos sehr oft hier gewesen. Er ist ein Mensch, den viele Frauen sicherlich anziehend finden. Er gibt zu, daß der Tote auf ihn eifersüchtig war, und weiß wohl selbst am besten, warum. Dann

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