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aber eine so kostbare Uhr auf solche Weise behandelt, muß ein nachlässiger Mensch sein. Um das zu erkennen, bedarf es keines großen Scharfsinns. Ebensowenig ist es ein weither geholter Schluß, daß der Erbe eines so wertvollen Gegenstandes auch im übrigen in ziemlich guter Lage ist.«

      Ich nickte, um zu zeigen, daß ich seiner Auseinandersetzung folgte.

      »Die Pfandverleiher in England pflegen bekanntlich bei versetzten Uhren die Nummer des Pfandzettels auf der Innenseite des Gehäuses einzukratzen,« fuhr Holmes fort. »Nun sind nicht weniger als vier solcher Nummern durch mein Glas erkennbar, ein Beweis, daß Ihr Bruder oft in Verlegenheit war, doch muß er dazwischen in seinen Verhältnissen empor gekommen sein, sonst hatte er das Pfand nicht wieder einlösen können. – Betrachten Sie nun noch den inneren Deckel der Uhr. Sehen Sie die tausend Schrammen rund um das Schlüsselloch – Spuren, wo der Schlüssel ausgeglitten ist? Bei der Uhr eines nüchternen Mannes kommen solche Kratzer nicht vor; auf der Uhr eines Trinkers findet man sie regelmäßig. Er zieht sie nachts auf und hinterläßt diesen Beweis von der Unsicherheit seiner Hand. Wo ist in alledem ein Geheimnis?«

      »Es ist so klar wie der Tag,« antwortete ich. »Verzeihen Sie, daß ich Ihnen unrecht that. Ich hätte mehr Vertrauen in Ihre wunderbare Begabung setzen sollen. Darf ich fragen, ob Sie gegenwärtig in Ihrem Beruf irgend einen Fall zu enträtseln haben?«

      »Keinen! – daher das Cocaïn. Ich kann nicht leben ohne Kopfarbeit. Was soll man auch sonst thun? Hier am Fenster stehen? Die Welt sieht gar zu gräßlich, trübselig und abstoßend aus! Sehen Sie nur, wie der gelbe Nebel herabsinkt und sich auf die schwärzlichen Häuser lagert! Wie hoffnungslos, elend und prosaisch erscheint alles! Was nützen dem Menschen seine Gaben, Doktor, wenn er kein Feld hat, sie in Anwendung zu bringen? Das Verbrechen ist alltäglich, das Dasein ist alltäglich und nur für alltägliche Fähigkeiten giebt es etwas zu thun auf der Welt.«

      Ich wollte eben den Mund zu einer Entgegnung öffnen, als es rasch an die Thür klopfte und unsere Hauswirtin eintrat.

      »Eine junge Dame wünscht Sie zu sprechen, Herr Holmes,« sagte sie, meinem Gefährten eine Karte reichend.

      »Miß Mary Morstan,« las er. »Hm – der Name ist mir nicht bekannt. Bitten Sie das Fräulein, sich herauf zu bemühen, Frau Hudson. Gehen Sie nicht fort, Doktor. Es wäre mir wirklich lieber, Sie blieben hier.« –

       Zurück

      Fräulein Morstan, eine blonde junge Dame, betrat das Zimmer mit festem Schritt und äußerlich ruhiger Haltung. Sie war klein und zierlich, geschmackvoll gekleidet und trug tadellose Handschuhe. Dennoch ließ der Anzug in seiner Schmucklosigkeit und Einfachheit auf Beschränktheit in den Mitteln schließen. Ihr dunkelgrünes Wollenkleid hatte weder Besatz noch sonstige Verzierung, und ihre kleine Kopfbedeckung von derselben matten Farbe war nur an der Seite durch einen winzigen weißen Federstutz gehoben. Zwar besaß sie weder regelmäßige Züge, noch schöne Formen, doch war der Ausdruck des Gesichts höchst liebenswürdig und anziehend; aus ihren großen, blauen Augen sprach Geist und Leben. Ich hatte die Frauen vieler Nationen in drei verschiedenen Weltteilen gesehen, aber niemals war mir ein Gesicht vorgekommen, in welchem sich so deutlich eine empfängliche, edle Natur ausprägte. Es entging mir nicht, daß, als sie den Sitz annahm, den Holmes ihr darbot, ihre Lippe zitterte und ihre Hand bebte; in ihrem ganzen Wesen sprach sich eine tiefe innere Erregung aus.

      »Ich komme zu Ihnen, Herr Holmes,« sagte sie, »weil sie der Dame, in deren Familie ich lebe, Frau Cäcilie Forrester, einmal behilflich gewesen sind, eine kleine häusliche Verwickelung aufzuklären. Die Güte und Geschicklichkeit, welche Sie damals bewiesen, hat großen Eindruck auf sie gemacht.«

      »Frau Cäcilie Forrester« – wiederholte er nachdenklich. »Ja, ja, ich erinnere mich, ich hatte Gelegenheit, ihr einen kleinen Gefallen zu thun. Es war eine höchst einfache Sache.«

      »Sie hielt sie damals durchaus nicht dafür. Von meinem Fall werden Sie indessen schwerlich dasselbe sagen. Ich kann mir kaum etwas vorstellen, das noch sonderbarer und unerklärlicher wäre, als die Lage, in der ich mich eben jetzt befinde.« Holmes rieb sich die Hände, seine Augen glänzten. Er saß weit vorgebeugt da; aus seinen scharfgeschnittenen, falkenartigen Zügen sprach die gespannteste Aufmerksamkeit.

      »Teilen Sie mir Ihren Fall mit,« sagte er in kurzem Geschäftston.

      Ich befand mich in peinlicher Verlegenheit.

      »Sie werden entschuldigen,« murmelte ich, mich von meinem Platz erhebend.

      Allein, zu meiner Ueberraschung machte die junge Dame eine Bewegung, wie um mich zurückzuhalten.

      »Wenn Ihr Freund die Güte hätte, zu bleiben,« rief sie, »so könnte er mir einen unschätzbaren Dienst leisten.«

      Ich sank in meinen Stuhl zurück.

      »Die Thatsachen,« fuhr sie fort, »sind kurz folgende: Mein Vater war Offizier in einem indischen Regiment und schickte mich als kleines Kind in die Heimat. Meine Mutter war gestorben, und da ich keine Verwandten in England hatte, ward ich in einer guten Pension in Edinburg untergebracht, wo ich bis zu meinem siebzehnten Jahre blieb. Im Jahre 1878 erhielt mein Vater, als ältester Hauptmann seines Regiments, einen zwölfmonatlichen Urlaub und kehrte heim. Er telegraphierte mir von London aus, daß er dort glücklich angekommen sei, und gab mir ›Langham-Hotel‹ als seine Adresse an, wo ich ihn sogleich aufsuchen sollte. Die Botschaft war, wie ich mich erinnere, voller Liebe und Güte. Ich folgte seiner Anweisung, erfuhr jedoch im Langham-Hotel, daß Hauptmann Morstan zwar daselbst abgestiegen, aber am vorigen Abend ausgegangen und nicht wiedergekommen sei. Ich wartete den ganzen Tag, ohne Nachricht zu erhalten. Um Abend riet mir der Hotel-Direktor, mich in Verbindung mit der Polizei zu setzen. Wir machten nun Anzeigen in allen Zeitungen, allein unsere Nachforschungen blieben ohne Erfolg; von jenem Tage an bis heute hat man nie mehr ein Wort von meinem unglücklichen Vater gehört. Er kam in die Heimat mit sehnsüchtigem Herzen, er hoffte Frieden und Behagen zu finden, – statt dessen –«

      Sie brach ab; Schluchzen erstickte ihre Stimme.

      »Das Datum?« fragte Holmes, sein Notizbuch öffnend.

      »Er verschwand am 3. Dezember 1878 – vor fast zehn Jahren.«

      »Sein Gepäck?«

      »War im Hotel geblieben, verschaffte uns aber keinen Aufschluß. Außer Kleidern und Büchern fand sich nur eine ansehnliche Sammlung von Seltenheiten von den Andamanen-Inseln vor. Mein Vater war einer der kommandierenden Offiziere des Wachtpostens der dortigen Verbrecherkolonie gewesen.«

      »Hatte er irgend einen Freund in der Stadt?«

      »Nur einen unseres Wissens – Major Scholto von seinem Regiment, dem 34. der Bombay-Infanterie. Der Major hatte kurz zuvor den Abschied genommen und wohnte in Ober-Norwood. Natürlich setzten wir uns mit ihm in Verbindung; aber er wußte nicht einmal, daß sein früherer Kamerad in England sei.«

      »Ein sonderbarer Fall,« bemerkte Holmes.

      »Das Seltsamste muß ich Ihnen erst noch mitteilen. Vor ungefähr sechs Jahren, oder um ganz genau zu berichten, am 4. Mai 1882 – erschien in der ›Times‹ eine Aufforderung an Fräulein Mary Morstan, ihre Adresse anzugeben, mit dem Bemerken, daß es nicht ohne Nutzen für sie sein würde. Weder Name noch Ort war beigefügt. Ich hatte gerade zu der Zeit die Stelle als Erzieherin im Hause der Frau Forrester angetreten, und auf ihren Rat ließ ich meine Adresse in die Zeitung rücken. Noch am selben Tage kam mit der Post eine kleine Pappschachtel für mich an, welche eine sehr große, glänzende Perle enthielt. Kein geschriebenes Wort war beigefügt. Seitdem ist mir jedes Jahr am gleichen Datum eine solche Schachtel mit einer Perle zugekommen, immer ohne irgend welchen Aufschluß über den Absender. Die Perlen sind nach dem Urteil eines Kenners von seltener Gattung und bedeutendem Wert. Sie können sich selbst überzeugen, daß sie schön sind.«

      Sie öffnete eine flache Schachtel,

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