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die Einfachheit des Falles.«

      »Wohl wahr,« gab ich zu.

      »Ich habe Ihnen schon früher einmal auseinander gesetzt, daß alles Ungewöhnliche eher eine Erleichterung als ein Hindernis ist. Bei der Lösung eines solchen Problems kommt es hauptsächlich darauf an, ob man imstande ist, Rückschlüsse zu machen. Das ist eine sehr nützliche und leicht zu erwerbende Fertigkeit, aber nur wenige Leute haben Uebung darin. Die synthetische Methode erscheint den meisten leichter als die analytische.«

      »Was das heißen soll, verstehe ich nicht.«

      »Das glaube ich gern und will mich näher erklären: Nach meiner Erfahrung werden die meisten Leute, denen man verschiedene Ereignisse, die stattgefunden haben, der Reihe nach erzählt, zu sagen wissen, welches Resultat sich daraus ergeben wird Dagegen giebt es nur wenige Menschen, die, wenn man ihnen ein Resultat mitteilt, imstande sind, sich zu vergegenwärtigen, auf welche Art es sich entwickelt, welche Schritte stufenweise zu dem Ergebnis hingeleitet haben können. Diese Fähigkeit, Rückschlüsse zu machen, nenne ich die analytische Methode.«

      »Das klingt schon weniger dunkel,« sagte ich.

      »In unserem Fall lag das Ergebnis klar zu Tage, alles übrige mußten wir aber selber finden. Ich will Ihnen nun einmal Schritt für Schritt zeigen, wie ich meine Schlüsse gezogen habe. Fangen wir beim Anfang an: Ich näherte mich, wie Sie wissen, dem Hause zu Fuß und ohne alle Voreingenommenheit. Natürlich untersuchte ich zunächst die Straße, und fand da, wie ich Ihnen schon sagte, deutliche Anzeichen, daß eine Droschke bei Nacht vorgefahren sein müsse; daß es kein Privatwagen gewesen, erkannte ich an der schmaleren Räderspur. Bei unsern Londoner Fuhrwerken ist der Unterschied ziemlich bedeutend.

      »Nachdem ich über diesen Punkt Gewißheit hatte, ging ich langsam den Gartenpfad hinunter; in dem lehmigen Boden waren alle Fußstapfen mit großer Deutlichkeit abgedrückt. Sie haben vielleicht nur Pfützen gesehen und zertretenes Erdreich, aber für mein erfahrenes Auge war jedes Merkmal von Bedeutung. Die Beobachtung der Fußspuren wird im allgemeinen von den Detektivs viel zu sehr vernachlässigt; ich habe stets großen Wert darauf gelegt und sie ist mir durch fleißige Uebung zur zweiten Natur geworden. Ich konnte die schweren Tritte der Schutzleute verfolgen, aber ich sah auch die Spuren der beiden Männer, die zuerst durch den Garten gegangen waren. Daß jene den Weg später gemacht hatten, unterlag keinem Zweifel, denn ihre Fußstapfen verdeckten die andern an manchen Stellen gänzlich. Somit war das zweite Glied in meiner Kette gefunden: ich wußte, daß zwei nächtliche Besucher dagewesen waren, der eine ungewöhnlich groß – was sich aus der Länge seines Schrittes ergab, – der andere fein und modisch gekleidet, wie der Abdruck der schmalen, eleganten Stiefel bekundete.

      »Beim Eintritt in das Haus fand ich letztere Vermutung bestätigt: der feingestiefelte Mann lag vor mir. Also mußte der andere, der große, den Mord begangen haben, wenn ein solcher überhaupt verübt worden war. Eine Wunde ließ sich an dem Toten nicht entdecken, doch bewies die leidenschaftliche Erregung in seinen Zügen, daß er sein Schicksal vorausgesehen habe. Ein solcher Ausdruck der Unruhe findet sich nie bei einem Menschen, der an Herzschlag oder aus einer andern natürlichen Ursache eines plötzlichen Todes stirbt. Ich roch an des Mannes Lippen, entdeckte eine verdächtige Säure und schloß daraus, daß er gezwungen worden sei, Gift zu nehmen. Freiwillig hatte er es nicht gethan, denn grimmiger Haß und Todesfurcht standen ihm im Gesicht geschrieben. Ein solcher Giftmord ist übrigens durchaus kein unerhörtes Vorkommnis in der Geschichte des Verbrechens und steht nicht vereinzelt da. Jeder, der sich mit Toxikologie beschäftigt hat, denkt dabei unwillkürlich an die Fälle Dolsky in Odessa und Leturier in Montpellier.

      »Nun aber kam die große Frage nach dem Beweggrund. Ein Raub konnte nicht beabsichtigt sein, denn weder des Toten Börse noch seine Uhr waren entwendet worden. Handelte es sich vielleicht um politische Zwecke oder war eine Frau im Spiele? – Ich neigte mich von Anfang an letzterer Meinung zu. Der politische Fanatiker bringt seine Opfer so rasch als möglich um und ergreift die Flucht. Dieser Mord war aber im Gegenteil mit allem Vorbedacht ausgeführt worden und man konnte im ganzen Zimmer die Spur des Thäters verfolgen. Allem Anschein nach handelte es sich um einen Akt der Privatrache. Die Inschrift an der Wand bestärkte mich nur in dieser Ansicht, und als zuletzt der Trauring zum Vorschein kam, hielt ich die Frage für entschieden. Der Mörder hatte ihn vermutlich benützt, um sein Opfer an ein früheres Verhältnis zu irgend einem Mädchen zu erinnern. Um hierüber Aufschluß zu erhalten, fragte ich Gregson, ob er in seinem Telegramm um Nachricht über Drebbers Vorgeschichte gebeten habe, das hatte er jedoch unterlassen.

      »Als ich nunmehr das Zimmer zu untersuchen begann, fand ich meine Annahme über den Mörder in allen Einzelheiten bestätigt; es mußte sein eigenes Blut sein, das auf den Fußboden getropft war, denn ein Kampf hatte nicht stattgefunden und überall, wo er umhergegangen war, sah man die Blutspuren. Daß ich glaubte, der Mann sei vollblütig, von kräftigem Wuchs und blühender Gesichtsfarbe, war sehr natürlich – hatte ihm sonst die bloße innere Aufregung ein so heftiges Nasenbluten verursachen können? – Von der Richtigkeit meiner Schlüsse haben wir uns ja später durch den Augenschein überzeugt.

      »Nachdem ich das Haus verlassen hatte, telegraphierte ich sofort an den Polizeiinspektor in Cleveland und bat um Auskunft über Enoch Drebbers eheliche Verhältnisse. Die Antwort klärte mich über verschiedene wichtige Punkte auf. Sie lautete dahin, daß Drebber schon einmal den Schutz des Gesetzes gegen einen früheren Nebenbuhler Namens Jefferson Hope angerufen habe, und daß besagter Hope sich jetzt in Europa befinde. Hierdurch bekam ich den Schlüssel des ganzen Geheimnisses in die Hände und es handelte sich jetzt nur noch darum, des Mörders habhaft zu werden.

      »Der Mann, welcher mit Drebber in das Haus gegangen war, hatte auch die Droschke gefahren, das stand fest. Sein Pferd war auf der Straße sich selbst überlassen geblieben und hatte den Wagen bald hierhin, bald dorthin gezogen. Wo anders konnte der Kutscher unterdessen gewesen sein, als drinnen im Hause? Es lag ja auch auf der Hand, daß er weit sicherer war, unentdeckt zu bleiben, wenn er sein Verbrechen ohne Zeugen beging. Diese Erwägung veranlaßte mich, Jefferson Hope unter den Droschkenkutschern der Hauptstadt zu suchen. Daß er noch unter ihnen zu finden sein müsse, wurde mir bald zur Gewißheit. Wenn er dies Gewerbe ergriffen hatte, um seinen Racheplan leichter ausführen zu können, so durfte er es nicht gleich nach vollbrachter That aufgeben, das hätte verdächtig aussehen können. Seinen Namen hatte er schwerlich verändert, da er hier völlig unbekannt war.

      »Nachdem ich dies alles Wohl erwogen hatte, schickte ich die Bande meiner Getreuen zu jedem Droschkenbesitzer Londons, bis sie den Mann aufgespürt hatten, nach dem ich suchte. Wie gut ihnen das gelang und wie schnell ich die Gelegenheit beim Schopfe nahm, haben Sie selbst gesehen.

      »Stangersons Ermordung kam mir ganz unvermutet, hätte sich aber schwerlich verhindern lassen. Sie brachte mich in den Besitz der Pillen, deren Vorhandensein ich bereits ahnte, und dadurch ward auch noch mein letzter Zweifel gehoben. Mein ganzes Verfahren beruhte, wie Sie sehen, auf einer zusammenhängenden Kette logischer Schlüsse, in welcher ein Glied genau an das andere paßt.«

      »Sie sind ein merkwürdiger Mensch,« rief ich, »Ihre Verdienste sollten öffentlich anerkannt werden. Sie müssen einen Bericht über den Fall drucken lassen. Thun Sie es nicht, so werde ich es übernehmen.«

      »Halten Sie das, wie Sie wollen, Doktor,« entgegnete Holmes, »es kommt doch alles auf eins heraus. – Vielleicht interessiert Sie dieser Artikel,« fuhr er fort, mir eine Zeitung reichend.

      Die Stelle im ›Echo‹, welche er mir zu lesen gab, lautete wie folgt:

      »Durch den plötzlichen Tod eines gewissen Hope, des mutmaßlichen Mörders von Enoch Drebber und Josef Stangerson, ist dem Publikum eine interessante Gerichtsverhandlung entgangen. Die Einzelheiten des Falls werden jetzt vermutlich für immer in Dunkel gehüllt bleiben. Nur soviel hören wir aus guter Quelle, daß es sich um eine langjährige, romantische Feindschaft handelte, bei der das Mormonentum und eine alte Liebe wichtige Rollen spielten. Die beiden Opfer scheinen in früheren Zeiten zu den ›Heiligen des jüngsten Tages‹ gehört zu haben, und auch der im Gefängnis verstorbene Hope kam aus der Stadt am Salzsee. Obgleich der Fall nicht mehr öffentlich verhandelt werden kann, so liefert er doch

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