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Vater, ich habe dir doch gesagt, daß sie erst seit gestern dort sind. Sie wohnen im Chan Omar Agha ...«

      »Janasydsche, mögen sie dort glücklich sein! Aber im Chan Omar Agha ist Einquartierung. Die Soldaten, die gegen die verräterischen Ermeni auf dem Musa Dagh gesandt werden ...«

      »Was sagst du? Einquartierung? Davon haben die Meinigen nichts gewußt. Vielleicht aber ist das Militär schon abgezogen. Nun, Hammam ist groß, und es wird auch noch andere Herbergen geben.«

      Dagegen ließ sich wirklich nichts sagen. Der Turkmene, dem es nicht gelungen war, Essad zu entlarven, dachte angestrengt nach, bewegte ein paarmal stumm die Lippen und räumte schließlich das Feld.

      Lang vor Mitternacht schon rüstete sich Haik zum Aufbruch. Vorher aber sorgte er noch für Stephan, so gut er konnte. Er packte ihm eine seiner Fleischwürste in den Rucksack. Gott weiß, vielleicht verirrte sich der Ungeschickte und der Proviant ging ihm aus. Haik aber traute es sich zu, in der Ebene von Aleppo überall Speis und Trank zu finden. Er füllte ferner Stephans Thermosflasche an der Quelle, die am Haus vorüberfloß; er säuberte seine Kleider von dem trockenen Schmutz. Während er mit geradezu erbitterter Sorge um den Kameraden bemüht war, gab er ihm immer wieder genaue Lehren darüber, wie er sich zu verhalten habe:

      »Er bringt dieses Zeug dort zum Wochenmarkt. Du kannst dich sehr gut dazwischen verstecken. Am besten, du sprichst kein Wort. Bist ja krank, nicht?! Sobald du die Stadt siehst, springst du ab, aber ganz leise, verstehst du, und legst dich ins Feld in einen Graben, in ein Loch. Dort wartest du, bis alles finster ist ... Hast du das kapiert?«

      Stephan hockte verkrümmt auf seiner Matte. Er fürchtete die Koliken, die sich wieder meldeten. Mehr noch fürchtete er die Verlassenheit. Die Nacht war nicht wolkenbewegt wie gestern, sondern makellos klar. Dicht und weiß stand der ungeheure Torbogen der Milchstraße über dem Dache des Turkmenen. Stephan fühlte einen Augenblick lang Haiks Hand in der seinen. Das war alles. Noch einmal vernahm er des Freundes Stimme, hochmütig und grob wie einst:

      »Mach es gut, hörst du, und zerreiß den Brief an Jackson!«

      Haik hatte schon den Fuß auf die Leiter gesetzt, als er noch einmal zu Stephan zurückkehrte. Ohne ein Wort zu sagen, bekreuzigte er ihm rasch und scheu die Stirn und die Brust.

      In Zeiten der Todesnot soll jeder Armenier für jeden Armenier ein Priester und Vater sein. Dies hatte Ter Haigasun im Religionsunterricht zu Yoghonoluk gelehrt, als noch kein Mensch wußte, daß die Zeit der Todesnot schon angebrochen war.

      Knapp vor dem Dorfe Ain el beda bog der Karrenweg in die Ebene ein. Der Turkmene ließ sein Pferdchen frisch durch die völlig leere Frühe laufen. Der hochbeladene Leiterwagen holperte grausam über die tiefen, erstarrten Räderspuren. Stephan bemerkte das schmerzhafte Geratter kaum. Er lag auf seiner Decke zwischen den Schilfbündeln und fieberte. Dieses Fieber war eine Gnade Gottes. Es betäubte Zeit und Raum in ihm. Von matten, aber recht angenehmen Bildern umwirrt, dachte er nicht daran, wohin er getragen werde und was seiner warte. Auch half ihm das Fieber, das seine braungebrannte Haut noch tiefer verfärbte, freundschaftlich beim Simulieren. Immer, wenn der Bauer sein Pferd rasten ließ, vom Bock stieg und sich nach seinem Fahrgast umsah, stöhnte dieser laut und schloß die Augen. Somit führte keiner der zahlreichen Unterhaltungsversuche des guten Turkmenen zu einem nennenswerten Erfolg. Er bekam nur einsilbige Wehlaute zu hören und hie und da die flehentliche Bitte, das Gefährt anzuhalten. Für diesen Fall hatte ihm Haik die notwendige Redensart eingeschärft: »Ben bir az hasta im.« – »Ich bin ein wenig krank.« Und Stephan wiederholte diesen treulichen Satz bei jeder Gelegenheit mit Todesverachtung. Auf diese Weise kam er auch um alle Gebete herum, denn die Kranken und Siechen sind im Islam von jenen religiösen Verrichtungen befreit, die den Körper in Anspruch nehmen. Nachdem sie den kleinen Fluß Afrin auf einer Holzbrücke überquert hatten, schickte sich der Bauer an, Mittag zu halten. Er schirrte sein Pferd ab und hängte ihm den Futtersack um. Auch Stephan mußte absteigen und sich mit dem Alten wegabseits auf der verbrannten Steppe lagern. Der Karrenweg war fast überhaupt nicht befahren. Bisher waren ihnen nur zwei Ochsenkarren aus der Gegenrichtung begegnet. Die Bauern der Gegend benützten die große Straße, die von Hammam nach Antakje führt. Der Turkmene packte Fladenbrot und Ziegenkäse aus und schob Stephan einen Anteil zu:

      »Iß davon, Junge! Essen schlägt alle Schmerzen tot.«

      Stephan wollte seinen Wirt nicht kränken und biß mit matten Zähnen in den Käse. Er kaute und kaute, ohne den ersten Bissen schlucken zu können. Der Freundliche blickte ihn sorgenvoll an:

      »Vielleicht wirst du mehr Kraft brauchen, als du hast, Söhnchen ...«

      Stephan verstand die gutturalen Worte nicht, durfte es aber nicht zu erkennen geben. Er verneigte sich deshalb, legte die Hand aufs Herz und rezitierte den Universalsatz von seiner Krankheit, mochte er passen oder nicht:

      »Ben bir az hasta im.«

      Der Turkmene schwieg lange. Dann machte er, während seine mächtigen Backenknochen geruhsam mahlten, eine heftige Bewegung mit seiner messerbewehrten Faust, als wolle er etwas entzweischneiden. Stephan erschrak bis ins Lebensmark. Denn nun hörte er armenische Worte:

      »Du heißt gar nicht Hussein. Laß diese Geschichten! Willst du wirklich nach Antakje? Ich glaub es dir nicht.«

      Stephan wäre durch diesen Schlag fast um die Besinnung gekommen. Trotz seines Fiebers rannen ihm kalte Schweißtropfen über die Stirn. Die kleinen tiefliegenden Augen des Turkmenen waren sehr traurig geworden:

      »Fürchte dich nicht, wie du auch heißt, und glaube an Gott! Solange du bei mir bist, wird dir nichts geschehen.«

      Stephan nahm all seine Kenntnisse zusammen und versuchte ein paar türkische Worte zu stammeln. Der alte Bauer winkte ab, noch immer mit dem Messer in der Hand. Er brauchte keine Worte mehr. Der elenden Herden gedachte er, die von den Saptiehs bei Tag und Nacht an seinem Hause vorbeigetrieben wurden:

      »Woher stammst du, Junge? Kommst du aus dem Norden? Bist du ihnen durchgebrannt? Fort aus einem Transport, he?«

      Stephan faßte notgedrungen Zutrauen. Kein Leugnen mehr hätte geholfen. Er flüsterte ein rasches, abgehacktes Armenisch, damit ihn nur sein Wirt und nicht die feindselig lauschende Welt verstehen könne:

      »Ich bin von hier. Vom Musa Dagh. Aus Yoghonoluk. Ich will nach Hause. Zu meinen Eltern.«

      »Nach Hause?« Die knollige Bauernhand strähnte weisheitsvoll den grauen Bart: »Da gehörst du ja zu denen, die auf den Berg gezogen sind und dort Krieg gegen unser Militär führen. Schau einmal an ...« Die Stimme des Guten verfinsterte sich. Stephan glaubte schon, jetzt sei alles zu Ende. Er sank zur Seite und preßte schicksalergeben das Gesicht auf den braundürren Pelz dieser Erde. Der Turkmene hielt sein großes Messer in der Hand. Er mußte bloß zustoßen. Wann würde er's tun? Doch nur die schmunzelnde Stimme des Alten schlug an sein Ohr:

      »Und wie heißt der andre, dein Vetter, dieser Essad? Das ist eine geriebene Seele. Die bekommt man nicht so leicht wie dich, Junge ...«

      Stephan gab keine Antwort. In die letzte Bereitschaft eingewühlt, wartete er. Bald aber fühlte er sich von steinharten, doch sanftmütigen Händen aufgehoben:

      »Was kannst du denn für die Alten und ihre Schuld? Gott möge dich hinbringen. Es wird dir und es wird ihnen nichts nützen. Jetzt komm! Wir wollen sehen, was sich machen läßt.«

      Stephan mußte sich wieder in den Wagen zwischen die Schilfbündel legen. Der Turkmene aber schien ungeduldig geworden zu sein und hieb auf den Gaul ein, obgleich dieser so viele Meilen schon hinter sich hatte und sein struppiges Fell von Schweiß glänzte. Die Fahrt geriet jetzt oft in scharfen Trab, ja in kurzen Galopp, während der Bauer sonderbare Selbstgespräche führte oder das Pferd mit tadelnden Zurufen bedachte. Wie sehr Stephan auch zusammengeschüttelt wurde, er fühlte sich auf seinem rasselnden Bett immer tiefer in Gottes wohliger Hut. Er versuchte an Mama zu denken. War sie wirklich krank? Ach nein, nichts, gar nichts war geschehen. Was aus Sato, dieser Hündin, kommt, ist Gestank und Lüge. Wenn er, Stephan, zurückkehrt, wenn er vor dem langen Graben des Nordsattels stehen wird, dann rennt Awakian wie ein Toller um Papa, dann stürzen

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