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Er nahm die schmale, kraftlose Hand und drückte dankbar seine Lippen darauf.

      »Mutter!« flüsterte er tiefbewegt.

      Da wurde es Bettina auf einmal leicht ums Herz, ganz leicht und frei. Ihr Blick umschloß das Bild: ihr Kind an der Seite dieses prachtvollen Mannes – und mit einem leisen Seufzer brach sie in der Bank zusammen.

      Dr. Heykens barg schnell Angelas Kopf an seiner Schulter, während zwei Diener sich um die Ohnmächtige bemühten.

      Willenlos, mit schweren Gliedern und wirrem Kopf, ließ sich Angela davonführen.

      Ganz unbeschreibliche Aufregung herrschte unter den Zuschauern. Ausrufe wurden laut, die der Vorsitzende sofort zum Verstummen brachte, als er verkündete:

      »Die Verhandlung wird für eine Stunde unterbrochen!«

      *

      Das Urteil lautete auf Freispruch. Nicht nur das Gericht und die Geschworenen, sondern sogar der Staatsanwalt stellten sich auf den Standpunkt, daß der Tat nicht einmal Notwehr zugrundegelegt werden konnte. Frau Bettina war angegriffen worden, niemand zweifelte an ihrer Darstellung des Hergangs. Und dann gab es selbst hierfür einen Beweis, nämlich die Aussage des Gefängnisarztes, der sie bei ihrer Einlieferung in die Untersuchungshaft untersucht hatte. An ihrem rechten Handgelenk hatte er blutunterlaufene Abdrücke bemerkt, aber sie hatte mit aller Bestimmtheit erklärt, daß sie sich bei der Hausarbeit gestoßen hätte. Er hatte ihr geglaubt und es nicht in seinem Bericht vermerkt. Nun untermauerten diese Spuren auf sensationelle Weise Frau Bettinas Aussage.

      Es war ein Unglücksfall mit allen tragischen Verstrickungen gewesen, die es geben konnte. Frau Bettinas sich ständig wiederholendes Schuldbekenntnis: »Ich habe ihn erschossen«, fand kein Gehör mehr. Im Sinne des Gesetzes war sie nicht schuldig geworden.

      Sie selbst aber, die im Gerichtssaal bewußtlos zusammengebrochen war, lag schwerkrank darnieder. Ihr Leben hing an einem seidenen Faden.

      Wochen vergingen. Der Winter hatte längst seinen Einzug gehalten, und die Zeit verlief still und freudlos in dem verschneiten Landhaus. Selbst Klaus schien sein herziges Bubenlachen verlernt zu haben. Er fragte zwar nicht mehr so häufig nach Tante Betti, weil Angela dann sofort zu weinen begann, aber man fand ihn oft vor dem Bild der geliebten Tante und wußte, daß sein kleines Herz einer Sehnsucht nach ihr hatte.

      Angela dachte nur an die Stunde, da ihr die Mutter neu geschenkt werden würde.

      Frau Elke war auf ausdrücklichen Wunsch Peters endlich heimgefahren, unruhig und um das Schicksal der beiden jungen Menschen besorgt. Jede Woche flatterte ein lieber Brief von ihr ins Haus, den Angela gewissenhaft beantwortete.

      So vergingen weitere Monate, und wieder war der Herbst ins Land gezogen. Im Garten blühten die Herbstblumen in bunter Pracht, und das Laub an den Bäumen färbte sich purpurn.

      An einem solchen Tag, der Angela lebhaft an denjenigen erinnerte, da man über ihre Mutter zu Gericht gesessen hatte, kam Peter zu ihr.

      Sie lag still in seinen Armen, ließ sich küssen und weinte in ihrer lautlosen Art. Wie glücklich hätte sie sein können an Peters Seite, und wie freudvoll wäre dadurch sein Leben geworden!

      Sein Gesicht war noch hagerer als vordem, und die Augen lagen tief in den Höhlen. Er schien wenig Schlaf zu finden, gönnte ihn sich vielleicht auch nicht.

      »Ich will mich nur von dir verabschieden, Angela«, begann er, als sie beide wieder gefaßter waren. »Ich muß auf einige Zeit verreisen, in einige große deutsche Städte. Wann ich wiederkomme, ist unbestimmt.«

      Angela nickte ergeben. Tränen würgten sie. Alles war so trostlos, so traurig.

      Lange hing sie zum Abschied an seinem Hals, ihr war, als würde auch die letzte Freude von ihr genommen.

      Rasch bestieg Peter Heykens seinen Wagen. Immer sah er Angelas übergroße Augen vor sich. Noch nicht einmal hatte sich der blaßrote Mund zu einem Lächeln verzogen.

      Würde Angela das Lachen überhaupt wieder lernen?

      An einem der nächsten Tage trat Dr. Hersfeld mit den Anzeichen größter Erregung bei Angela ein, die eben die Wäsche in die Schränke räumte.

      Betroffen sah sie in des Onkels erregtes Gesicht.

      »Was hast du, Onkel Fritz? Bringst du – bringst du mir schlechte Nachricht von – Mutti?« Hersfeld zog das junge Mädchen an sich.

      »Angela, deine Mutter ist – sie ist unheilbar krank. Wir werden sie hier pflegen. Bist du stark genug, sie mit mir abzuholen aus dem Krankenhaus?«

      Angela war sekundenlang wie gelähmt. Sollte alle Hoffnung vergebens gewesen sein? Sie fiel Onkel Fritz um den Hals und weinte fassungslos vor unsagbarem Herzeleid.

      Eine halbe Stunde später waren sie schon auf dem Weg. Angela sollte im Wagen bleiben, aber es war ihr unmöglich, still zu sitzen. Sie stieg aus und ging hin und her. Die Mutter wurde zum Transport fertig gemacht.

      Da tat sich schon das Tor auf. Angelas Augen schwammen in Tränen. Zitternd stand sie dabei, als man die Mutter, deren Gesicht durchsichtig bleich war und die Augen geschlossen hielt, vorsichtig in den bequemen Wagen bettete.

      Still, bedrückt nahm Angela Platz. Sie wagte kaum, den Arm um die gebrechliche Gestalt der Mutter zu legen, nur die fieberheiße Hand durfte sie halten, und da war es, als flösse ein neuer Lebensstrom durch den hinfälligen Körper Frau Bettinas. Die schweren Lider hoben sich, ein Blick voll Liebe und Glück traf Angelas banges Gesicht.

      »Angela!« hauchte Frau Bettina.

      Angela neigte sich zu der Mutter und küßte sie auf Mund und Wangen.

      Es war ein trauriger Einzug, den Frau Bettina in das Landhaus Dr. Hersfelds hielt. Ergreifend war das Wiedersehen – als sie fürsorglich gebettet in ihrem alten Schlafzimmer lag – mit dem kleinen Klaus.

      Die dicken Ärmchen voller Blumen, näherte er sich zaghaft dem Bett. Zuerst stutzte er, weil er die Frau mit dem weißen Haar nicht sofort wiedererkannte, doch als sich Bettinas schöne graue Augen öffneten und sie zärtlich flüsterte: »Klaus, mein Bübchen!« – da war es um den kleinen Kerl geschehen. Die Blumen entfielen seinen Armen, und verlangend streckte er die Hände nach der Frau aus.

      »Tante Betti, bist du doch wieder zu deinem Klaus gekommen?« jubelte er auf.

      Mit Gewalt mußte man den Jungen aus dem Zimmer entfernen.

      Bettina lächelte still vor sich hin. Gab es etwas dankbareres auf der Welt als ein Kinderherz?

      Die denkbar beste Pflege genoß Frau Bettina – und trotzdem verschlimmerte sich ihr Leiden von Tag zu Tag. Wie eine welke Blume ruhte sie in den Kissen, denn sie war zu matt zum Sitzen. Sie wies keinen Besuch von sich, alle – alle durften sie kommen.

      Oft – immer wieder – studierte Dr. Hersfeld die Röntgenaufnahmen von Frau Bettina.

      Und dann wußte er plötzlich: wenn einer helfen konnte, dann war es – Dr. Heykens!

      Von diesem Augenblick an hielt Dr. Hersfeld an diesem Gedanken fest.

      Telefondrähte spielten, Telegramme wurden aufgegeben, und zuletzt weihte er auch Angela in alles ein.

      War das junge Menschenkind bisher ruhelos und fast sinnlos gewesen vor Sorge um die Mutter, von diesem Augenblick an zeigte es sich tapfer, und ihr Vertrauen zu dem Verlobten war unerschütterlich.

      »Peter rettet Mutti! Wenn einer helfen kann, dann nur er«, sagte sie mit leuchtenden Augen. »Man wird ihn auch finden«, setzte sie zuversichtlich hinzu.

      Gerade als Peter Heykens von einer anstrengenden Sitzung in sein Hamburger Hotel zurückgekehrt war, um sich endlich einmal auszuschlafen, wurde ihm das Telegramm überreicht.

      Er rief sofort den Flughafen an und buchte für eine Maschine, die ihn schnellstens nach München bringen sollte.

      Beim Morgengrauen stieg er auf. Die Sicht war unklar und neblig. Peter saß in sich zusammengesunken,

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