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war bis ins Herz erschrocken über die beiliegenden Zeilen, die so geschickt abgefaßt waren, daß ein Unbeteiligter glauben mußte, er sei ein abgedankter Geliebter meines Kindes.

      Ich riet Angela, ihrem Verlobten vorläufig das Dasein ihres Vaters zu verschweigen und den Brief zu verheimlichen. Angela ging von sich aus zu ihrem Vater; sie wollte ihn bitten, nicht in ihr Glück einzugreifen. Sie war überzeugt, daß er irgendeine Forderung an sie stellen wollte.

      Sie war über alle Maßen überrascht, als sich diese Vermutung als trügerisch herausstellte – so glaubte sie wenigstens in ihrer Unbefangenheit. Reimer spielte ihr vor, daß das Unglück seinen Charakter von Grund auf geändert habe, und daß es nur die Sehnsucht nach ihr gewesen sei, die ihn zu diesen drohenden Briefen gezwungen habe. Angela glaubte daran und ich leider auch.

      Wenn man selbst im Glück ist, glaubt man auch an das Gute im andern. Man hat einfach keinen bösen Gedanken in sich. Ich hätte nur Gewissensbisse gemacht, wenn ich Reimer mit Haß verfolgt hätte. Wie konnten wir ahnen, daß er einen gemeinen, bis ins kleinste ausgedachten Plan verfolgte, der meiner Tochter Glück vernichten mußte?

      Es kam genauso, wie er es sich ausgemalt hatte. Dr. Heykens wurde Zeuge des Abschieds, den Reimer von meiner Tochter nehmen wollte, da er aus dem Sanatorium entlassen werden sollte. Er stellte seine Worte so geschickt, daß der Verlobte meiner Tochter, der die Abschiedsworte zufällig hörte, unter dem Eindruck stand, Angela verabschiedete sich von ihrem früheren Geliebten, sie tue es aber ungern und wurde nur Heykens’ Frau, weil er ihr eine sorglose Zukunft bieten könne.

      Sie erhielt den Abschiedsbrief von ihrem Verlobten, in dem er aber noch einen Besuch in Aussicht stellte, um sich vor mir zu rechtfertigen für diesen Entschluß, der ihm jedenfalls nicht leichtgefallen sein mag, den er aber nicht umgehen konnte, weil er Ehre und Pflichtbewußtsein besaß.

      Ich konnte den Mann verstehen, besser vielleicht als mein Kind, das völlig gebrochen war.

      Ich war eigentlich sehr ruhig und zuversichtlich, meinte, eine offene Aussprache mit Dr. Heykens müßte alles klären, und redete begütigend auf mein verzweifeltes Mädel ein.

      Auf einmal geschah etwas völlig Überraschendes.

      Reimer, der Mann, der das Glück meines Kindes vernichten wollte, absichtlich vernichten wollte, betrat das Haus, in dem wir beide ein Heim gefunden hatten.

      Angela machte damals wohl etwas in meinen Augen gesehen haben, was sie veranlaßte, meine Begegnung mit meinem geschiedenen Mann zu vermeiden. Sie meinte, ihr Glück sei doch durch seine Hand gefährdet, ihr müsse er also Rechenschaft ablegen. So ging sie hinunter zu ihm.

      Ich hielt mich zurück, lief unruhig in meinem Zimmer hin und her. Ich wollte mich ablenken, wollte nicht an das denken, was sich unten zwischen Vater und Tochter abspielte, und machte mich an meinem Schreibtisch zu schaffen.

      War es Zufall – oder hatte ich im Unterbewußtsein nach dem Revolver gesucht, um mich zu schützen? Das weiß ich heute nicht mehr. Meine Augen irrten durch das Fenster. Ein Wagen war vorgefahren – Dr. Heykens, meiner Tochter Verlobter, schritt auf das Haus zu.

      Zuerst verwirrte sich mein Sinn, dann raffte ich mich auf, versuchte, klar zu denken und zu überlegen.

      Das war kein Zufall, sagte ich mir, das war alles Berechnung von Reimer. Wenn jetzt Peter Heykens den Mann, von dem er meinte, es sei der Geliebte seiner Braut, in meinem Haus traf, dann mußte das für ihn der letzte untrügliche Beweis der vermeintlichen Untreue Angelas sein.

      Ich wurde ruhig, ganz ruhig. Ich ergriff den Revolver und verließ meine Wohnung, um hinunter in die Diele zu gehen, aus der erregter Stimmenwechsel zu mir drang.

      Ich wollte Reimer nicht erschießen, ich wollte ihn nur zwingen, vor den Ohren Dr. Heykens’ seinen schändlichen Plan zu enthüllen und anzugeben, daß er Angelas Vater sei.

      Wie ich die Treppen hinuntergekommen bin, weiß ich heute nicht mehr. Ich zitterte an allen Gliedern. Ich zwang mich gewaltsam zur Ruhe, zum klaren Denken. Ich war entsetzt, denn ich kam eben dazu, wie sich erfüllte, was ich eben noch befürchtet hatte.

      Dr. Heykens lebte in dem Wahn, Angela habe sich bereits mit ihrem früheren Geliebten getröstet. Er warf meiner Tochter den Verlobungsring vor die Füße – und wollte gehen. Da griff ich ein, und bezwungen blieb er stehen.

      Ich wandte mich an Reimer, dessen Gesicht einen ängstlichen Ausdruck angenommen hatte. Vielleicht hatte er in meinen Augen die zu allem entschlossene Verzweiflung gesehen.

      Was nun kam, spielte sich blitzschnell ab. Er verhöhnte mich und meine Tochter, ja, er rief dem Arzt sogar zu zu gehen, weil ein Mann von Ehre nichts anderes tun könne.

      Noch einmal wollte ich ihn in Güte zur Besinnung bringen, wollte ihn veranlassen, der Wahrheit die Ehre zu geben. Gerade aus Reimers Mund sollte Peter Heykens erfahren, was ich ihm später noch alles näher erklären wollte.

      Reimers Gesicht glich einer höhnischen Fratze. Er lachte über mich und meinen Kummer. Er stachelte Heykens’ Eifersucht noch mehr auf, und Dr. Heykens lief davon – überzeugt, von Angela verraten zu sein.

      Noch heute gellt mir meines Kindes Verzweiflungsschrei in den Ohren. Vor meinen Füßen sank Angela ohnmächtig zu Boden. Sie mußte erkannt haben, daß ihr Glück nun endgültig zertrümmert sei.

      Mein Blick irrte zurück zu Reimer, der lachte – lachte. Ich hatte nur den Wunsch, daß dieses gräßliche, schadenfrohe Lachen aufhören möchte.

      Da hob ich die Hand, wie unter einem geheimen Zwang, aber ich vermochte nicht loszudrücken.

      Auf einmal stürzte Reimer auf mich zu. Recht so! schrie er, erschieß dich, dann gehört Angela endgültig mir!

      Er packte mein Handgelenk und zwang mich, die Waffe auf mich selbst zu richten. Ich wehrte mich wie eine Verzweifelte, und plötzlich löste sich erst ein Schuß, dann noch einer. Lautlos stürzte Reimer zu Boden. Die Kugeln hatten ihn getroffen.

      Ich glaube, das habe ich nicht einmal mehr richtig wahrgenommen. Meine ganze Sorge galt meinem ohnmächtigen Kind. Ich eilte zu ihm, fühlte aber, wie meine Beine müde und schwer wurden. Neben Angela brach ich zusammen. Aus dieser Ohnmacht erwachte ich erst, als das Haus bereits voller Menschen war.

      Ich wußte plötzlich, daß ich zur Mörderin geworden war. Aber ich konnte keine Reue darüber empfinden – denn ich hatte mich und mein Kind von der Quälerei eines Mannes befreit, an der wir sicher eines Tages zugrunde gegangen wären.«

      Bis jetzt hatte Bettina sich mühsam aufrechterhalten. Nun schien es, als falle sie wieder in müde Resignation zurück.

      Totenstille war ihrer Beichte gefolgt, eine Stille, die nach Minuten von Schluchzen unterbrochen wurde. Taschentücher wurden gezogen, und doch unterdrückte man soviel wie möglich jeden Laut. Nichts hätte mehr ergreifen können als die schlichten Worte dieser Mutter.

      Bettina aber raffte sich noch einmal auf. Hatte sie bisher zu dem Mann gesprochen, der treu und stark zu ihrem Kind hielt, so wandte sie sich nun mit einem unsagbar rührenden Lächeln an den Gerichtshof.

      »Nicht um meine Tat in ein besseres Licht zu rücken, habe ich hier mein Leben entrollt und alles Herzeleid noch einmal aufs neue durchlitten. Nur dem Mann, der mein Kind liebt, wollte ich Rechenschaft ablegen. Vor der Welt bin ich eine Mörderin, aber in seinen Augen möchte ich nur eine ganz arme, unglückliche Mutter sein, der das Glück ihres Kindes viel höher stand als das eigene. Mein Leben habe ich verwirkt – ich sehne mich auch nach nichts anderem als nach Frieden – Frieden…«

      »Mutti«

      Mit aller Gewalt hatte sich Angela von Dr. Heykens losgerissen. In verzweifeltem Schmerz lief sie auf die Stelle zu, wo Bettina immer noch stand.

      »Mutti!« Immer kehrte dieser wehe Aufschrei wieder.

      Dr. Heykens sprang ebenfalls auf und fing das geliebte Mädchen in seinen Armen auf.

      Angela fest an sich gepreßt, sah er in das von einem wundersamen Lächeln verklärte Gesicht

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