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haben, den sie aber stets abgelehnt hat. Wie werden wir sie wiederfinden? Warum sie nur so hart gegen uns, gegen sich selbst war? So wie ich dieses treue Herz kenne, ist es nur übergroße Sehnsucht nach Angela, was ihre Kräfte aufgezehrt hat. Was soll daraus werden? Pst! Angela kommt!« unterbrach er sich. »Kein Wort zu dem Mädel, Peter! Angela darf nicht erfahren, wie schlimm es um die Gesundheit ihrer Mutter steht.«

      Peter nickte ihm verständnisvoll zu und sah Angela lächelnd entgegen, die den kleinen Klaus an der Hand führte.

      Der Bub hatte sich inniger an Angela angeschlossen, seit Frau Bettina fortgebracht worden war. Aber der kleine Mund wollte nicht aufhören, nach »Tante Betti« zu fragen.

      Man hatte ihm erklärt, die Tante sei verreist, und nun erkundigte er sich jeden Tag, wann sie zurückkäme.

      Jede Frage durchfuhr Angela schmerzhaft, und mit aller Liebe versuchte sie, das Kind von den Gedanken an die geliebte »Tante Betti« abzulenken.

      Angela war in die Fußstapfen der Mutter getreten und hatte mit erstaunlicher Umsicht die Leitung des Haushaltes übernommen. Arbeit, viel Arbeit brauchte sie, um damit die Unruhe des Herzens zu ersticken.

      Dr. Hersfeld war wieder zum dauernden Aufenthalt in sein Landhaus gezogen, damit Angela die Abende nicht allein verbringen mußte. Aber oft genug noch war er unterwegs. Dafür kam Peter Heykens hin und wieder und brachte seine Mutter mit.

      Es wurden stille Abende bei ernster Unterhaltung, aber merkwürdig, obgleich über allem das unglückliche Schicksal Frau Bettinas wie ein Verhängnis hing, wurde ihr Name nie ausgesprochen.

      Zu Frau Elkes Beglückung, die immer noch bei dem Sohn weilte, da er sie jetzt nötiger brauchte als Jürgen, ihr Jüngster, schloß Angela sich herzlich an sie an. Ihre Art erinnerte Angela oft zu lebhaft an die Mutter, daß es bei einer liebevollen Redewendung oder einer zärtlichen Liebkosung Frau Elkes vorgekommen war, daß Angela heiß weinend in ihre Arme sank.

      Dann wußte keine so zu trösten wie Frau Elke, obgleich ihre Tränen mit denen Angelas zusammenflossen.

      Ein Hauptgrund, weshalb sie ihre Abreise von Tag zu Tag verschob, war, daß sie die Frau kennenlernen wollte, die aus übergroßer Mutterliebe zur Mörderin geworden war.

      Angela war von Herzen froh, daß Dr. Hagedorn, obgleich er sich, um das Geschick der Mutter so günstig wie möglich zu gestalten, mit seiner ganzen Person einsetzte, seine Besuche eingestellt hatte.

      Alles, was sie wissen wollte, erfuhr sie von Onkel Fritz, der mit dem Rechtsanwalt in Verbindung stand.

      Sie erfuhr aber nur, daß die Mutter ihr Los überaus tapfer trug. Was man ihr jedoch nicht sagte, das war der beängstigende gesundheitliche Verfall Frau Bettinas.

      Schon aus diesem Grund sahen Peter Heykens und Fritz Hersfeld dem Verhandlungstag mit wachsender Besorgnis entgegen.

      Wie würde sich das Wiedersehen zwischen Mutter und Tochter gestalten?

      *

      An einem der letzten Herbsttage, an dem die Sonne die Luft noch einmal warm und mild machte, tat sich die Tür zu Frau Bettinas Zelle auf.

      Geblendet von der Lichtfülle, die Gänge und Treppenhaus durchströmte, taumelte sie neben ihrem Wärter her, dem Verhandlungssaal zu.

      Ihr Atem ging tief und erregt, obgleich die Vorgänge sie kaum berührten. Sie fieberte nur dem Wiedersehen mit Angela entgegen.

      Müde Ergebenheit lag über ihrer hohen, überschlanken Gestalt. Schlagartig verstummte jedes Geräusch in dem weiten Saal. Atemberaubende Spannung lag über der dichtgedrängten Zuschauermenge, als sie der Anklagebank zugeführt wurde, wo Dr. Hagedorn sie in Empfang nahm und stumm begrüßte.

      Gleichgültig gegen ihre Umgebung saß sie auf ihrem Platz. Die Hände lagen in ihrem Schoß, die Finger waren ineinandergeschlungen. Den weißen Kopf hielt sie tief auf die Brust gesenkt.

      Äußerlich machte sie ganz den Eindruck eines gefaßten Menschen. Keiner ahnte, daß sich ein armes, müdes und gebrochenes Frauenherz auf ein großes Ereignis vorbereitete, auf den Augenblick, da eine Mutter ihr Kind, das sie unendlich liebte, wiedersehen sollte.

      Auf einmal wurde jede Sensationslust erstickt. Jeder fühlte die Erschütterung, die sich zu ehrlicher Teilnahme verwandelte und die allein durch das Erscheinen der Angeklagten ausgelöst worden war.

      Der Gerichtshof erschien, und alles sprang in die Höhe. Nur Frau Bettina verharrte in ihrer demütigen Haltung und mußte erst durch ihren Verteidiger aufmerksam gemacht werden.

      Unter Anstrengung erhob sie sich und sank sofort wieder zurück. Die schweren Lider schlossen sich über den großen, brennenden Augen.

      Stimmen brausten wie ein Sturmwind an ihren Ohren vorüber, sie riefen nichts als einen starken Widerwillen in ihr hervor, den Widerwillen gegen das Zurschaustellen, das Hervorzerren einer Herzensangelegenheit, an der sie langsam verblutete.

      Dr. Hagedorns schmales Gesicht mit den scharfen Augen trug einen durchaus zufriedenen Ausdruck. Seine einzige Sorge galt seiner Klientin, deren Hände immer ruheloser über die Lehne der Bank strichen.

      Diese Unruhe verstärkte sich noch, als Dr. Fritz Hersfeld den Gerichtssaal betrat, um seine Aussage zu machen.

      Sekundenlang hatte es den Anschein, als wollte Hersfeld hinüberlaufen zu Frau Bettina und die schmalen, unruhigen Hände einfangen, um sie zur Ruhe zu bringen.

      Ein großer Schreck durchzuckte ihn, als er das schneeweiße Haar über den großen Augen sah. Als er Bettina zuletzt gesehen habe, da war dieses Haar noch braun gewesen. Die Frau, die dort in der Bank saß, hatte nicht mehr viel Ähnlichkeit mit der Bettina, von der er oft scherzhaft behauptet hatte, sie würde bis ins hohe Alter jung aussehen.

      Wie sehr mußte diese Frau gelitten haben und jetzt noch leiden! Er dachte blitzschnell an das junge Menschenkind, das draußen saß, mit einer unbändigen Sehnsucht nach der Mutter im Herzen. Mußte Angela nicht zusammenbrechen, wenn sie die müde, gebrochene Frau als die vergötterte Mutter erkannte?

      Die Stimme des Vorsitzenden riß ihn aus seinen schmerzlichen Gedanken. Er raffte sich zusammen und versuchte, seinen Worten Festigkeit zu geben.

      »Die Angeklagte war eine Freundin Ihrer verstorbenen Frau?« begann der Vorsitzende zu fragen. »Wie kam es, daß Sie die Angeklagte nach dem Tod Ihrer Frau als Hausdame zu sich holten?«

      Dr. Hersfeld schöpfte noch einmal tief Atem, dann antwortete er, ganz an die Vergangenheit verloren:

      »Meine Frau starb in meinen Armen in Gegenwart ihrer liebsten und treuesten Freundin. Diese Freundin war Frau Bettina Martens. Wir kannten beide das tragische Geschick ihrer geschiedenen Ehe und der damit verbundenen Quälereien und hatten sie als einen wertvollen und selbst losen Menschen schätzengelernt. Meine sterbende Frau nahm ihrer Freundin das Versprechen ab, für mich und für unser Kind zu sorgen. Frau Martens hat dieses Versprechen bis zu jenem unglückseligen Tag gehalten. Ihr verdanke ich es ganz allein, daß ich damals nicht der Verzweiflung anheimfiel.«

      »Und warum hat Ihre verstorbene Frau denn ausgerechnet die Angeklagte dazu berufen, Ihrem Kind Pflegerin zu sein?« forschte der Vorsitzende jetzt weiter.

      »Weil es keine bessere Mutter geben kann als Frau Martens. Ihr ganzes Leben war nur auf ihre Tochter Angela abgestimmt, für sie schaffte, sparte und lebte sie. Nicht die geringste Hilfe nahm sie an. Es ist ihr nicht leicht geworden, ihrem Kind eine gute Erziehung zuteil werden zu lassen. Wir haben oft genug unsere Bewunderung darüber gegenseitig ausgetauscht. Auch dieser unbändige Stolz gehörte zu Frau Martens und vervollständigte nur das Bild einer guten, treusorgenden Mutter. Nur zu Frau Martens hatte meine Frau Vertrauen, so daß sie ihr auch unser Kind ans Herz legte – um dann die Augen für immer zu schließen.«

      Sichtlich bewegt schwieg Dr. Hersfeld, und erst nach einer Weile, als wollte man dem Mann Gelegenheit geben, sich wiederzufinden, klang die nächste Frage auf:

      »Wie rollten sich nun die Ereignisse an jenem Abend ab?«

      Ratlos hob

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