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sie Doris jetzt anrufen und sie bitten, alles zu vergessen? Nein, das ging schon gar nicht, sie konnte ihr erst nicht einzureden versuchen, wie wichtig es für sie sei, nach Frankreich zu fahren, um dann fünf Minuten später April-April zu rufen.

      Sie hatte etwas in Bewegung gesetzt und musste nun den Dingen ihren Lauf lassen.

      Hoffentlich entschied Doris sich für ein Mitkommen, das würde es ihr leichter machen, weil sie ihre Schwägerin sehr mochte, und sie war sich sicher, dass es auch für Doris wichtig sein würde.

      Seufzend wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu, aber sehr konzentriert war sie nicht dabei, weil ihre Gedanken immer wieder zu Doris wanderten.

      Wie würde sie sich wohl entscheiden?

      Nun, spätestens morgen würde sie es wissen, und bis dahin musste sie sich, so schwer es ihr auch fiel, in Geduld üben.

      Aber vorsorglich konnte sie das Reisebüro doch schon mal anrufen und sich nach Flugverbindungen erkundigen.

      Da sie wusste, dass dieser Gedanke auch immer weiter in ihr kreisen würde, griff sie zum Telefonhörer und rief das Reisebüro an.

      Es gab zwei gute Verbindungen, und Plätze gab es auch ausreichend, sowohl in der Maschine bis Paris, und dann auch in der nach Bordeaux.

      So, das wusste sie jetzt. Doch war sie deswegen entspannter? Nein!

      Bettina stand auf, sagte Bescheid, dass sie für eine Stunde weg sein würde, dann verließ sie die Destille, da mussten sie jetzt ohne sie klarkommen, schließlich waren sie ein eingespieltes Team.

      Sie würde sich Max schnappen und mit ihm einen langen Spaziergang machen. Das war nicht so anstrengend wie früher mit Hektor und Lady, denn er hatte das »Stöckchenspiel« noch nicht für sich entdeckt, und Bettina hütete sich, es ihm beizubringen.

      Die kleine Goldi war für Spaziergänge noch zu schwach, sie klebte wie eine Klette an Arno und wich ihm nicht von der Seite und thronte, während er arbeitete, auf einer kuscheligen Decke.

      *

      Als Bettina nach Hause kam, blinkte das Licht an ihrem Anrufbeantworter.

      Während sie aus ihren Schuhen schlüpfte, drückte sie auf die Abhörtaste.

      Grit! Ihre Schwester Grit, von der sie einige Zeit nichts gehört hatte.

      Es war schon merkwürdig, wie sich ihr Verhalten ihrer Schwester gegenüber verändert hatte. Früher hatte sie immer wieder versucht mit Grit zu reden, hatte sie angerufen, um die Familie zusammenzuhalten und hatte dabei eine ganze Menge an Bösartigkeiten hingenommen, war nach den Telefonaten, die meist von Grit beendet worden waren, indem sie aufgelegt hatte, unglücklich gewesen. Das war vorbei. Sie hatte erkannt, dass es nicht möglich war, eine brüchige Fassade aufrechtzuerhalten und hatte irgendwann aufgehört, Grit anzurufen, um sich beschimpfen zu lassen. Eigentlich war es immer weniger geworden, nachdem Niels und Merit zu ihrem Vater nach Vancouver gezogen waren. Und nachdem Grit und Holger geschieden waren und er sogar wieder neu verheiratet, gab es ohnehin nichts, worüber sie mit Grit reden konnte, die doch bloß ihren Lover im Kopf hatte.

      »Wo bist du denn?«, hörte sie die jammervolle Stimme ihrer Schwes­ter. »Ruf mich an.«

      Sie war betrunken, aber nicht so sehr, um wenigstens dieses kleine Wort »bitte« anzufügen.

      Bettina drückte den Text weg.

      »Du kannst mir gestohlen bleiben«, rief Bettina, als könne Grit sie verstehen, »ich werd den Teufel tun. Wenn du was von mir willst, ruf gefälligst wieder an.«

      Sie griff nach ihrer Mappe, in der sie die Unterlagen für Marcel untergebracht hatte und wollte darin noch etwas arbeiten, und dann würde sie sich vor den Fernseher setzen, ganz gemütlich mit einem Gläschen Wein und sich berieseln lassen.

      Arno, der war wirklich ein Schatz, hatte bereits Feuer im Kamin entfacht, es war gemütlich und wohlig warm.

      Bettina kuschelte sich in ihren Lieblingssessel, schaute für einen Moment in das Feuer, das sich gierig in die trockenen Buchenscheite fraß, dann griff sie nach ihrer Mappe und begann in den Unterlagen zu lesen.

      Ihr Steuerberater hatte die Zahlen des Chateaus überprüft und sich sehr zufrieden geäußert. Sie hatten den Umsatz wieder in die Höhe gebracht, nachdem es Jörg in kürzester Zeit gelungen war, ein Desaster anzurichten. Welch ein Glück, dass Marcel ein so guter Mann war, der schon zu Lebzeiten ihres Vaters in leitender Position gearbeitet hatte. Auf ihn war Verlass, und er zog mit ihr an einem Strang, wie er es auch bereits mit ihrem Vater getan hatte.

      Sie gratulierte sich noch jetzt, dass es ihr gelungen war, Marcel zum Bleiben zu bewegen, als er wegen Jörgs Verschwendungssucht gekündigt hatte.

      Darüber nachzudenken lohnte sich auch nicht mehr, das war Schnee von gestern.

      Bettina machte sich einige Randbemerkungen und war konzentriert bei der Arbeit, als ihr Telefon klingelte.

      Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Jan konnte es nicht sein, der war jetzt in einem wichtigen Meeting.

      »Fahrenbach«, meldete sie sich und hielt sofort darauf den Hörer ein wenig vom Ohr weg, weil Grit, die die Anruferin war, ihr entgegenschrie: »Warum meldest du dich nicht? Hast du meine Nachricht nicht abgehört?«

      Sie hatte noch mehr getrunken. Was war bloß bei ihr geschehen?

      »Doch«, antwortete Bettina mit ruhiger Stimme. »Ich hätte dich auch morgen angerufen.«

      Grit schnappte nach Luft. So etwas war noch niemals vorgekommen. Was war denn mit Bettina los? Die spurte doch sonst sofort.

      »Morgen? Das ist ja wohl das Allerletzte … Ich hätte hier tot herumliegen können …«

      Das war so absurd, dass Bettina sich ein Lachen verkneifen musste. Wie viel Alkohol hatte Grit wohl intus, um einen solchen Stuss zu reden?

      »Tote können nicht telefonieren«, sagte sie stattdessen nur. »Was ist los, Grit?«

      Dieses »was ist los, Grit« schien alle Schleusen bei ihr zu öffnen, sie fing an zu schluchzen und hörte damit überhaupt nicht mehr auf.

      »Grit, so sag mir doch endlich, was geschehen ist«, rief Bettina angstvoll.

      Das Schluchzen ebbte allmählich ab.

      »Du kannst jetzt frohlocken«, sagte Grit.

      Was sollte denn das nun schon wieder?

      »Ich kann was?«

      »Nun, du Neunmalkluge hast es mir doch immer prophezeit, nun kannst du dir vor Begeisterung auf die Schulter hauen, es ist eingetreten.«

      Sie war ja vollkommen verwirrt. Bettina wusste mit den Worten ihrer Schwester nichts anzufangen.

      »Kannst du dich bitte klar ausdrücken? Wenn nicht, dann verschieben wir das Telefonat auf morgen, wenn du wieder … nüchtern bist, denn du hast doch getrunken und das vermutlich nicht zu knapp.«

      »Dazu habe ich auch allen Grund«, kreischte Grit, ehe sie wieder in wildes Schluchzen ausbrach.

      Bettina wartete eine Weile, und gerade als sie auflegen wollte, weil es keinen Sinn machte, mit ihrer Schwester zu telefonieren, wenn sie in dieser Verfassung war, flüs­terte Grit: »Robertino hat mich verlassen … Er hat eine Andere und ist Knall auf Fall gegangen.«

      Jetzt machten auch ihre vorherigen Worte einen Sinn. Na klar, sie hatte Grit prophezeit, dass Roberto so etwas wie ein Zugvogel war, der sofort gehen würde, wenn er ein wärmeres Nest fand oder drastischer ausgedrückt eine Gönnerin, die ihm ein noch komfortableres Leben bieten konnte und statt eines Alpha-Spiders vielleicht einen Ferrari.

      Nun war es also eingetreten. Arme Grit. Auch wenn das, was jeder normale Mensch voraussehen konnte, eingetreten war, verspürte sie kein Gefühl des Triumphs, sie war nur traurig.

      Grit hatte alles aufgegeben. Ihre Ehe, ihre Kinder, und nun war sie von dem Objekt ihrer Begierde verlassen worden, entsorgt wie ein Päckchen sauer

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