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Du bist glücklich, daß du es nicht begreifst.

      AGNES. Mir ist immer leicht und heiter, aber du bist die Schwerfälligkeit selbst, ohne Leben, ohne Theilnahme für die Welt und ihre Begebenheiten, du lebst nur noch zum Schein, nur ein geringfügiges äußerliches Leben, aber innerlich bist du schon lange abgestorben.

      ANNE. Jeder Mensch hat seine eigene Weise, laß mir die meinige.

      AGNES. Daß man sich selbst so alle Freuden verderben kann! Die Welt ist so schön und freundlich, alles so mannigfaltig durch einander, daß man nicht genug sehen, nicht genug erfahren kann. Ich möchte immer auf Reisen seyn, durch unbekannte Städte gehn, fremde Berge besteigen, andre Trachten, andre Sitten kennen lernen. Dann mich wieder ganz allein in einem Pallaste einsperren lassen, und die Schlüssel zu jedem Gemach, zu jedem Schranke in Händen: dann würde eins nach dem andern aufgeschlossen, die Schränke thäten sich von einander, und ich holte von den schönen und seltsamen Kostbarkeiten eins nach dem andern hervor, träte damit ans Fenster und besähe es ganz eigen, bis ich seiner überdrüßig wäre und zu einem andern eilte, und so immer fort, immer fort, ohne Ende.

      ANNE. Und so wolltest du alt werden? dich durch ein trübes, unzusammenhängendes Leben arbeiten?

      AGNES. Ich versteh dich nicht. — Ich habe mir schon oft gedacht, wenn ich plötzlich in ein fremdes Schloß geriethe, wo mir alles neu, alles merkwürdig wäre; wie ich aus einem Zimmer in das andre eilen würde, immer ungeduldig, immer neugierig, wie ich mich nach und nach mit den Sachen und Geräthschaften bekannt machte. Hier weiß ich ja jeden Nagel auswendig.

      ANNE. Gieb mir einmal die Laute. (singt.)

      Beglückt, wer an des Treuen Brust,

       In voller Liebe ruht,

      Kein Kummer naht und stört die Lust,

       Nur heller brennt die Glut.

      Kein Wechsel, kein Wanken,

       Zum ruhigen Glück

      Fliehn alle Gedanken

       Der Ferne zurück.

      Und lieber und bänger

       Drückt Mund sich an Mund,

      So inn’ger, so länger:

       Von Stunde zu Stund.

      Beschränkter und enger

       Der liebliche Bund.

      AGNES. Das ist eins von den Liedern, die sich leichter singen, als verstehn lassen.

      Anton tritt auf.

      ANTON. Das ist hier eine wunderliche Haushaltung; Gesang in allen Zimmern, Simon wandelt umher und betrachtet die Wände, Leopold will auf Abentheuer ziehn, — wahrlich, wenn ich nicht noch das Ganze etwas zusammen hielte, es flöge alles wie Spreu aus einander.

      AGNES. Dafür bist du auch der älteste von uns allen, du hast den Verstand für die ganze Familie.

      ANTON. Wißt Ihr denn, was Leopold eigentlich will?

      AGNES. Was will er denn?

      ANNE. Gewiß einen unbesonnenen Streich ausführen.

      AGNES. Ihr nennt auch oft etwas unbesonnen, was nur nicht so ist, wie ihr es alle Tage treibt.

      Leopold tritt auf.

      LEOPOLD. Nun so lebt wohl auf einige Zeit, ich muß Euch auf ein Paar Tage verlassen.

      ANTON. Aber wo willst du hin?

      LEOPOLD. Recht weiß ichs selbst noch nicht. Lieber Bruder, ich habe immer gefunden, daß der Mensch sich jeden Schritt im Leben erschwert, wenn er ihn recht genau überlegt. Am Ende ist doch alles nur einfältig, wir mögen es auch anfangen, wie wir wollen, und Glück und Zufall machen unsre Pläne nur gescheidt oder unbesonnen.

      ANTON. Bruder, solche Reden sind einem Manne ganz unanständig.

      LEOPOLD. Ja, was ihr euch immer so unter Mann denkt: ein altes, verjährtes Thier, das über die Jugend weggekommen ist, wie über eine Brücke, die zusammen fallen will, und das sich nun herzlich freut, daß es ein sauer Gesicht machen darf und Rath ertheilen, sitzen und zuhören wenn andre sprechen, und alles links und unrichtig finden. So ein Mann nach Eurer Vorstellung darf sogar den Kater tadeln, daß er die Mäuse nicht auf die rechte Art und nach seinem Sinne fängt. Es wird mir immer seltsam zu Muthe, wenn ich die Redensarten höre: er handelt wie ein Mann, er ist das Muster eines Mannes; — meistentheils sind es doch nur verdorbene ausgewachsene Knaben, die durch die Welt auf allen Vieren kriechen, statt aufrecht zu gehn, und die daher weit mehr Steine des Anstoßes finden, — und dann rufen die Umherstehenden: Um Gotteswillen! seht, wie viele Erfahrung der Mann hat!

      ANTON. Das wäre also nach deiner Meinung auch das Bild von mir?

      LEOPOLD. Ach nein, du bist im Grunde gescheuter, aber du willst es dir selber nicht gestehn. So halten die meisten Menschen die langsame Einfalt für verständiger, als die berührige Unachtsamkeit, und der Unterschied liegt doch wahrhaftig nur im Gange.

      ANTON. Aber du wirst doch zugeben, daß dem Unachtsamen manches mißlingt.

      LEOPOLD. O ja, natürlicher Weise, weil er viel unternimmt. Eurem bedächtigen Manne kann nichts mißlingen, weil er immer nur rechnet, und mit allen seinen Gedanken, mit aller Belesenheit wie mit Fühlhörnern voraus fühlt. Ach, Bruder, wenn wir sehn könnten, wie vielleicht schon alles im Voraus bestellt und in Richtigkeit gebracht ist, wie lächerlich würden uns da wohl unsre tiefe angelegten Pläne vorkommen?

      ANTON. Eine schöne Philosophie.

      LEOPOLD. Doch wir wollen abbrechen, und ich will Abschied von Euch nehmen, mir ist so leicht, daß ich gewiß glaube, ich werde glücklich seyn.

      Simon tritt ein.

      SIMON. Du willst verreisen, Bruder?

      LEOPOLD. Ja.

      SIMON. Mir scheinen die Umstände nicht günstig.

      LEOPOLD. Wie so?

      SIMON. Es ist so ein Wesen, so ein Klagen, so ein Zittern in der Luft.

      AGNES. Wie meinst du das, Bruder?

      ANTON. So wie er alles meint, — er weiß nicht warum, er meint es nur so.

      SIMON. Sieh, man kann eigentlich nicht sagen, warum man Unglück voraus ahndet, aber es ist doch manchmal etwas im Herzen, — das —

      LEOPOLD. Nun?

      SIMON. Ach! wer kann dir das deutlich machen.

      ANTON. Sollte man unter diesen närrischen Geschöpfen nicht selber närrisch werden?

      LEOPOLD. Nun, weil dus also nicht recht beschreiben kannst, so lebe wohl. Wenn ich wieder komme, will ich mir deinen Rath ausbitten. (ab.)

      ANTON. Seine Wildheit wird ihn noch einmal unglücklich machen.

      SIMON. Gewiß.

      ANNE. Wie geht es dir, Bruder?

      SIMON. Gut, — ich habe nur heut Morgen mancherlei gedacht, — es kann sich bald mancherlei ändern.

      ANNE. Wie so?

      ANTON. Frage ihn doch nicht, es ist ja nur eine weggeworfene Mühe, er weiß es so wenig als du, und eben durch solche Aufmerksamkeit wird seine Narrheit nur zum Wachsen gebracht, die ohne diese Nahrung schon längst abgestorben wäre.

      AGNES. Aber so laß ihn doch reden, Bruder.

      ANTON. Nun, wie Ihr wollt, aber Ihr werdet mich nicht zwingen wollen, sein Geschwätz mit anzuhören. (ab.)

      SIMON. Ich spreche viel lieber, wenn Bruder Anton nicht dabei ist. Er zuckt über alles die Schultern, wenns nicht nach seinem Sinne ist, und er hat doch nur einen sehr engen Sinn, so wie die meisten Menschen, sie wissen oft nicht, warum sie etwas tadeln, es scheint ihnen bloß verwerflich, weil sie noch nicht darauf

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