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Franz Anton und war wohl froh, mit einer Abfindung gegen Pensionsverzicht nach kurzer Zeit wieder aus dem Amt des »Stadt-, Land und Amtsmusicus« entlassen zu werden.

      Am letzten Februartag 1787 starb Patin Ulrike Friederike Wilhelmine im Schloss; das neue Witwenpalais hatte sie nicht mehr bezogen. Sie war die leibhaftige Erinnerung an die althergebrachte Hofhaltung und Residenz zu Eutin gewesen. Der Eutiner Schlossgarten wurde nach und nach zu einem Landschaftspark im englischen Stil umgestaltet, das Theater zur Orangerie, und die Freilichtbühne, vor der sich ein etwas größeres Publikum hatte versammeln können, beseitigt. In der Stadt, wo vielleicht 2000 Menschen lebten, gedieh Kunst jetzt vor allem noch im literarischen Milieu um den Dichter und Übersetzer Johann Heinrich Voß, der Rektor und Hofrat in Eutin war.

      Franz Anton von Weber war ein Familienmensch und da seine Kinder, bis auf den Säugling und vermutlich die älteste Tochter, in musikalischen Theaterberufen tätig waren, hingen Professionelles und Privates stets zusammen. Mozart und sein Vater Leopold, der das Wunderkind aufgebaut hatte, waren bei den Webers immer als beneidete Vorbilder gegenwärtig – und nun gab es mit dem kleinen Carl Friedrich Ernst eine neue Chance für ein Weber-Wunderkind. Er war gerade ein halbes Jahr alt, als es im Mai 1787 fortging von Eutin, auf eine erste Reise – die erste von sehr, sehr vielen. Überall sollte die Familie Weber Personen von hohem und auch weniger illustrem Adel begegnen, die oft lange Namen hatten. Und immer sollte von Bedeutung sein, wer mit wem verwandt war.

      Zunächst ging es nach Hamburg, wo Tochter Maria Anna Theresia Magdalena Antonetta, 19 Jahre alt, als »Jeanette von Weber« ein Engagement hatte. Das Singen hatte sie unter anderem in Wien bei Cousine Aloisia gelernt. Der Hamburger Theaterdirektor, bedeutende Schauspieler und Bühnenautor Friedrich Ludwig Schröder, ein prominenter Freimaurer, ließ sie aber nur »dritte« Sopranpartien singen. Jeanette, die sicher mit der Absicht nach Hamburg gekommen war, eine eigenständige Bühnenkarriere mit entsprechendem Privatleben zu entfalten, war unzufrieden. Und nun kam auch noch der Herr Vater mit einer neuen Frau, die kaum älter war als sie selbst, und einem Halbbruder in Windeln und mischte sich ein und versuchte, in ihrer Nähe Fuß zu fassen. Sehr wahrscheinlich war auch Fridolin, der 25-jährige älteste Weber-Sohn, zu dieser Zeit als Geiger im Hamburger Orchester tätig.2 Edmund, 20 Jahre alt, lernte und musizierte bei Joseph Haydn in Esterháza.

      Der kleine Carl kränkelte oft, und es stellte sich bald heraus, dass seine rechte Hüfte fehlgebildet war, weshalb er mit dem Laufen, das er spät und mühsam lernte, lebenslang Probleme haben würde. Für mehrere Monate reiste Franz Anton mit Genovefa und dem Kleinen nach Wien, wo weit mehr Kontakte für sein Fortkommen zu nutzen waren. Neben Aloisia und Constanze lebten dort auch noch zwei weitere Nichten aus Zell im Wiesental: Josepha Weber, gleichfalls Opernsängerin, und Sophie, auch sie eine Tochter von Franz Antons Bruder Franz Fridolin, der 1779 in Wien gestorben war. Aloisia und Josepha hatten gute Engagements und konnten sich ganz aufs Singen konzentrieren. Weniger prominente Sängerinnen mussten auch Sprechrollen übernehmen, wie Schauspielerinnen auch Gesangspartien zu bestreiten hatten; da gab es keine klare Abgrenzung. Vielseitigkeit war von existentiellem Vorteil; so konnte ein Schauspieler, der den Franz Moor spielte, wenn er denn konnte, durchaus den Figaro von Paisiello oder Mozart singen. Wenn er auch noch mit einem Orchesterinstrument umgehen oder Klavier spielen konnte, war es umso besser.

      Ohne in Wien eine neue Perspektive für sich gefunden zu haben, kehrten die drei Webers nach Hamburg zurück. Da Jeanette bei Schröder auch in den kleineren Gesangspartien und Schauspielrollen nicht reüssierte, kündigte Franz Anton ihren Vertrag, wozu er als Vormund der minderjährigen Künstlerin berechtigt war. Er organisierte ein Konzert, in dem sie sich am 1. März 1789 noch einmal als Solistin präsentieren konnte – er selbst dirigierte –, und am 21. März trat sie ein letztes Mal im Theater als Kordula in Karl Ditters von Dittersdorfs Singspiel Betrug durch Aberglauben auf. Anschließend verpflichtete Weber sich selbst und seine Tochter bei der Toscani-Santorinischen Theatergesellschaft in Kassel, auch wenn dort Landgraf Wilhelm IX. Sparen bei der höfischen Kultur angesagt hatte. Gewiss war es nicht von Nachteil, dass man einen Bruder des Regenten als namensgebenden Taufpaten des kleinen Carl vorweisen konnte. Schon am 9. Mai 1789 trat Jeanette in Kassel immerhin in der Titelpartie einer deutschen Version des »Feenmärchens mit Gesang« La belle Arsène von Pierre Alexandre Monsigny auf, das dieser für Ludwig XV. und das Schlosstheater von Fontainebleau geschrieben hatte. Franz Anton von Weber dirigierte3. Johann Friedrich Toscani hieß eigentlich Giovanni Federico mit Vornamen und war ein 1750 in Warschau geborener Sohn italienischer Eltern und recht bekannter Tenor. Das Ensemble, das er mit seinem Sänger-Kollegen Peter Carl Santorini gegründet hatte, spielte nicht nur in Kassel, sondern auch in Marburg an der Lahn und in Hofgeismar, wo sich der Landgraf gerade ein kleines Sommerschloss im französischen Stil mit dem Namen »Montcheri« hatte bauen lassen. Die Gäste der sommerlichen Soiréen Wilhelms IX. dürften in diesem Jahr sicher auch über die Ereignisse in Frankreich geredet haben, wahrscheinlich sogar auf Französisch, weil sich das so gehörte. Ob man auch spielte, als am 14. Juli 1789 in Paris die Bastille gestürmt wurde, ist nicht bekannt, da die Kasseler Theaterdokumente größtenteils verlorengingen.

      Wann Genovefa von Weber das letzte Mal aufgetreten war, weiß man nicht, aber sie pausierte weiterhin, denn sie war wieder schwanger. Das wäre mit Bühnenauftritten noch zu vereinbaren gewesen, nicht aber mit den mühevollen Reisen. Nach Hofgeismar brauchte man zwar nur vier Stunden mit der Kutsche, die 90 Kilometer nach Marburg jedoch waren mehr als eine Tagesreise. In Kassel kam Ende August ihr zweiter Sohn Georg Friedrich Carl zur Welt. »Maria« konnte auch bei den nordhessischen Protestanten kein Knabe getauft werden, also blieb es bei diesen drei Namen.

      Als das Kind am 20. September 1789 starb, waren die Webers schon mit ihrer eigenen Truppe, die Franz Anton nun gegründet hatte, in Meiningen. Angeblich war der dortige Herzog Georg I., der sie engagiert hatte, Taufpate des verstorbenen Kindes gewesen, was aber nicht zu belegen ist4. Am Tag vor dem Tod des Säuglings hatte Genovefa ihre erste Meininger Vorstellung gehabt. Sie sang die Belinde in Die Colonie, einer Bearbeitung von Antonio Sacchinis Intermezzo L’isola d’amore als deutscher »Operette«. Zwei Tage nach der Beerdigung beeindruckte sie mit einer »Bravour-Arie« in der »Operette« Der Fassbinder5, eigentlich eine Opéra comique von Nicolas-Médard Audinot. Rücksichtnahme konnte sich Franz Anton nicht leisten. Kindstod war dazumal keine bittere Familientragödie, sondern Teil des Lebens. Der wirtschaftliche Verlust durch einen Vorstellungsausfall hätte die Existenz aller Beteiligten bedroht. Fridolin und Edmund waren unterdessen ebenfalls Mitglieder der väterlichen Theatergesellschaft geworden, vorwiegend als Sänger-Schauspieler.

      Das Herzogtum Sachsen-Meiningen war einer von vielen Kleinstaaten auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Thüringen. So wie ein Papierbogen in »Duodez-Aufteilung« dem Buchdrucker 24 winzige Seiten bescherte, so kleinteilig war die deutsche Landkarte. In den Residenzstädten wurde Theater gespielt oder es gab respektable Konzerte, je nach Neigung und Kassenlage des Duodezfürsten. In Meiningen stand noch kein richtiges Theater, aber im »Riesensaal« von Schloss Elisabethenburg war eine Bühne eingerichtet worden. Über ein halbes Jahr konnte Vater Weber die Seinen dort beschäftigen, zu denen neben Frau, Tochter, den beiden großen Söhnen und Edmunds Frau Josepha, geborene Kronheim und Sopranistin wie die beiden anderen Weber-Damen, noch ein halbes Dutzend Nicht-Familienangehöriger zählte. Der junge böhmische Schauspieler Vincent Weyrauch, den man in Kassel kennengelernt hatte, wurde bald Jeanettes Mann.

      Die letzte Meininger Aufführung der Webers ist für den 19. April 1790 mit der Entführung aus dem Serail nachgewiesen. Die Einnahmen waren nicht ausreichend gewesen. Zudem hatte nach dem Tod Kaiser Josephs II. im Februar zwei Trauerwochen lang nicht gespielt werden dürfen und auch nicht um Ostern. Dabei hatte der Herzog Franz Anton von Weber äußerst günstige Bedingungen eingeräumt: Er stellte ihm die Spielstätte, seine Hofkapelle und Dekorationen zur Verfügung, wofür ein reisender Unternehmer gewöhnlich selbst zu sorgen hatte. An anderen Höfen sah es nicht günstiger aus, sodass sich die Webersche Familien-Theatertruppe schon wieder zerstreute. Edmund und Jeanette hatten das Glück, sich mit ihren Ehegatten anderen Gesellschaften anschließen zu können.

      Erst nach über zweihundert Jahren fanden

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<p>2</p>

Frank Ziegler: Die Webers und Hamburg, in: Weberiana 23 (2013), S. 26.

<p>3</p>

Ebd., S. 39.

<p>4</p>

Erwähnt in Max Maria von Weber: Carl Maria von Weber, Leipzig 1864-1866, Band 1, S. 22.

<p>5</p>

Vgl. Ernst Rocholl: C. M. von Weber und seine Mutter Genovefa von Weber geb. Brenner. Lebensstationen (Ausstellungsdokumentation), Marktoberdorf 1999, S. 32.