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Carl Maria von Weber in seiner Zeit. Christoph Schwandt
Читать онлайн.Название Carl Maria von Weber in seiner Zeit
Год выпуска 0
isbn 9783795786205
Автор произведения Christoph Schwandt
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Carl Maria von Weber in seiner Zeit
Carl Maria von Weber (nach einer Zeichnung von Carl Christian Vogel), Lithografie von Carl August Schwerdtgeburth
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Bestellnummer SDP 73
ISBN 978-3-7957-8620-5
© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
Alle Rechte vorbehalten
Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer ED 21540
© 2014 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz
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»Ballmann hatte eine tiefe Vorliebe für Weber, die er sich selbst dann nicht hätte erklären können, wenn er es versucht hätte. Ballmann, der nicht das war, was man musikalisch gebildet nennt, nicht Notenlesen und kein Instrument spielen konnte und keinerlei theoretische Kenntnisse besaß, hatte oft bemerkt, daß er Webers Musik schon auf den ersten Ton von der Musik anderer Komponisten unterscheiden konnte.«
Wie deutsch ist Herr von Weber?
Wie irreführend ist die lange gehegte Anschauung, dass nie ein »deutscherer Musiker« gelebt habe als Carl Maria von Weber! Sie kommt von Richard Wagner, der beim zweiten Begräbnis Webers 1844 in Dresden diese Behauptung wagte, und war der lautstarke Beginn eines nachhaltigen Missverstehens nicht nur der »deutschen« Romantik, sondern auch dieses Künstlers, der gewiss ein Deutscher war, wie man es zu seiner eigenen Zeit verstand, aber kein Nationalist. Man kannte keine Staatsangehörigkeit und keinen Nationalstaat. Man war Untertan des Herrschers eines oft winzig kleinen Ländchens, und Deutschland lag dort, wo Menschen Deutsch sprachen, auch an Orten, wo viele eine andere Muttersprache hatten. Weber fand seinerzeit nichts dabei, das Prager Ständetheater fleißig zum besten Opernhaus in Deutschland machen zu wollen – vorwiegend mit französischen Opern von Berton, Boieldieu, Catel, Cherubini, Dalayrac, Gaveaux, Grétry, Isouard, Méhul und seinem späteren Berliner Konkurrenten Spontini. Selbstverständlich lernte Weber zur Ausübung seines Berufs in Prag Tschechisch; er konnte Französisch und Italienisch, und an seinem frühen Lebensabend vervollkommnete er seine Englischkenntnisse. Für seinen wunderbaren Oberon ließ er sich mit Haut und Haaren auf die Bedingungen des Londoner Theaters ein und schuf das für lange Zeit bedeutendste englische Musiktheaterwerk! In London starb er auch, an damals unheilbarer Tuberkulose.
Viel später, im wilhelminischen restaurativen Deutschland wurde versucht, Oberon, das aktionsreiche »Fairy-tale« englischer Tradition, zu einer »romantischen Oper« in deutscher Sprache zu verdrehen, welch imperialistische Geste! Dieser Romantiker betrieb zu seiner Zeit wohl eher das Gegenteil des deutschen »Tümelns«. Er war ein echter Europäer wie viele seiner Kollegen. Aber nicht ohne Widerspruch, wie auch?
In seiner Zeit erlebte er das Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, nannte aber trotzdem noch Franz I. von Österreich »seinen Kaiser«! Wenn aus nationalen Männerkehlen später »Lützows wilde verwegene Jagd« erklang, war das Webers Vertonung eines Gedichts von Theodor Körner, geschrieben zu den Befreiungskriegen gegen Napoleon. Webers »Jagd« war aber bloßer Nachhall, er komponierte sie erst nach der Völkerschlacht zu Leipzig. Nationalistische Motive unterstellte ihm allen voran sein Sohn Max Maria, der Jahrzehnte nach dem Tod des Vaters eine erste Biografie schrieb. Dass Carl Maria von Weber im Jahre 1807 sein Geld für einige Zeit als Sekretär eines napoleonischen Offiziers verdient hatte, verschwieg seine Familie, wenn sie denn davon gewusst hat. Dies ist nur eins von vielen neuen und überraschenden biografischen Details, die von den an der neuen Weber-Gesamtausgabe beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den letzten Jahren gefunden wurden. Christoph Schwandt stellt in seinem Buch den großen Zusammenhang und neue Perspektiven dar.
Wie man mit dem vermeintlichen »Deutschen« auf der Bühne am besten umgeht, hat Achim Freyer in seiner umwerfenden Stuttgarter Inszenierung des Freischütz, vielleicht eine der schönsten Opern überhaupt, gezeigt. Mit Witz, Ironie und viel Humor blitzte dieser großartige Stoff wieder auf. So erschien der unvergleichliche Carl Maria von Weber in neuem Glanz, ganz ohne dieses dumme deutsche Nationalgedöns.
Brief Webers an den Verlag Schott in Mainz vom 4. September 1825
Eutin
Deutschlandreise – Eutin … Wien … Breslau …
Ob am Samstag oder Sonntag, weiß man nicht. Am vorletzten November-Wochenende des Jahres 1786 jedenfalls wurde im oberen Stockwerk eines Fachwerkhauses, das vor den Toren der Stadt Eutin an der Straße, die nach Lübeck führte, lag, ein Knabe geboren. Er war das erste Kind seiner 22-jährigen Mutter Genovefa; der Vater war schon 52 Jahre alt und in Eutin als »Stadt-, Land und Amtsmusicus« angestellt. Genovefa hätte Franz Anton von Webers Tochter sein können. Maria Eva Anna, sein ältestes Kind aus einer ersten Ehe, war schon 26 Jahre alt. Zwei ebenfalls erwachsene Söhne und eine weitere Tochter waren bereits in der Musik- und Theaterwelt künstlerisch tätig. Vier weitere Mädchen und ein Junge waren früh verstorben. Franz Anton von Weber war erst vor ein paar Monaten wieder nach Eutin gekommen. Er kam von Wien, wo er die Sängerin Genovefa Brenner kennengelernt und im Sommer 1785 geheiratet hatte. Einer der Trauzeugen war der Schauspieler Joseph Lange gewesen. Seine Frau Aloisia, eine Jugendliebe Mozarts und angesehene Opernsängerin, war die Nichte des reifen Bräutigams, der ein Jahr lang Witwer gewesen war. Wo Tochter Maria Eva Anna im November 1786 lebte, als ihr Vater und die junge Stiefmutter ihr erstes gemeinsames Kind bekamen, ist nicht bekannt; vielleicht führte sie, die früher wohl auch einmal gesungen hatte, ein bürgerliches Leben außerhalb der Weberschen Theater-Großfamilie, die alle Kinder mal mehr, mal weniger zusammenhielt.
Sieben Jahre zuvor hatte sich Franz Anton von Weber zum ersten Mal in Eutin niedergelassen. Als frisch bestallter fürstbischöflicher Kapellmeister, voll Hoffnung auf beruflichen Erfolg und künstlerische Anerkennung. Nun sah er in der kleinen Stadt mit Schloss am See viel bescheideneren, eher musikantischen als musikalischen Aufgaben entgegen. Aber jetzt war eine junge Frau zu ernähren, und er wurde zum neunten Mal Vater. Also fand er sich damit ab, vorerst.
Als gebürtiger Österreicher war Franz Anton selbstverständlich römisch-katholisch. Ebenso Genovefa, sie stammte aus dem heutigen Marktoberdorf im Allgäu, dessen Landesherr der Fürstbischof von Augsburg war. Die Taufe des am 18. oder 19. November 1786 zur Welt gekommenen Knaben war ein Problem: Der Fürstbischof nämlich, der bis vor kurzem persönlich im Eutiner Schloss residiert hatte, war Protestant! Peter Friedrich Ludwig aus dem Hause Schleswig-Holstein-Gottorf war außerdem designierter Herzog und bereits amtierender Administrator von Oldenburg. Als er 1785 Fürstbischof des vormaligen Hochstifts Lübeck geworden war (zu dem die gleichnamige Stadt nicht gehörte) hatte er beschlossen, seine Residenz von Eutin in jene weit größere Stadt zu verlegen, die nicht zu verwechseln ist mit dem gleichnamigen Städtchen in Ostholstein: Oldenburg im Herzogtum Oldenburg lag 250 Kilometer entfernt