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der Sol­da­ten das To­des­feld vom gest­ri­gen Tag nann­te.

      Am Ein­gang des zer­schos­se­nen Dor­fes lag oder liegt viel­leicht noch heu­te auf klei­ner Er­hö­hung ein Sch­löss­chen mit dem selt­sam be­rüh­ren­den Na­men: Le Re­p­en­tie­re. Dort hat­ten die Preu­ßen in der Eile ein Feld­la­za­rett ein­ge­rich­tet – eine gar pas­sen­de Lage, denn es war von da nur we­ni­ge Schrit­te zu dem hart über der Wald­schlucht lie­gen­den klei­nen Fried­hof. Un­se­re Hoff­nung, in dem Sch­löss­chen auf­ge­nom­men zu wer­den, er­wies sich als trüg­lich, es war über­füllt von Ver­wun­de­ten, und im­mer­zu wur­den neue her­ge­führt, die noch auf den Ver­band­plät­zen zu­rück­ge­blie­ben wa­ren. Auch über den zwei nahe ge­le­ge­nen Pacht­hö­fen La Pos­te und Glo­ri­et­te weh­te die Flag­ge mit dem Gen­fer Kreuz. In ei­nem soll­te ich, im an­dern der Kol­le­ge nach Un­ter­kunft trach­ten. Da trat mir un­ter der Tür des La­za­retts ein En­gel im Schwes­tern­kleid ent­ge­gen. Sie trug eine Schüs­sel mit Blut, um es ei­lig aus­zu­gie­ßen in den Bo­den, der des­sen schon mehr als zu viel ge­trun­ken hat­te. Nur auf den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de sah sie mich an, dann war sie schon ins Haus zu­rück­ver­schwun­den. Aber der Blick hat­te mich bis auf den Grund der See­le ge­trof­fen, wie ein Wie­de­rer­ken­nen aus fer­nen Ge­bur­ten her.

      Ich stand noch wie an­ge­wach­sen und sah ihr nach, als mir eine Hand auf die Schul­ter schlug und ich in dem vor mir ste­hen­den Un­ter­arzt – La­za­rett­ge­hil­fen hie­ßen sie da­zu­mal – Hein­rich Som­mer er­kann­te. Ich wuss­te ja, dass er sich auf die­sem Ab­schnitt des Kriegs­schau­plat­zes be­fand; aber auch er wun­der­te sich gar nicht, mich zu se­hen; das Kriegs­le­ben hat­te ihn schon an die merk­wür­digs­ten Be­geg­nun­gen ge­wöhnt.

      Schön, dass du da bist, sag­te er, als hät­ten wir uns zu­fäl­lig bei Mol­fetta ge­trof­fen, es fehlt an Hän­den für die vie­le Ar­beit. Ich weiß, dass du zu brau­chen bist. Komm gleich mit und ver­die­ne dir die Nacht­her­ber­ge.

      Nur zu wil­lig ließ ich mich in den wei­ßen Kit­tel ste­cken, und ehe ich mich’s ver­sah, fand ich mich mit Wasch­be­cken und Ver­band­zeug im Ope­ra­ti­ons­saal. Gab es noch einen gräss­li­che­ren An­blick als das Schlacht­feld, so war es die­ser! Nur die ra­sche, um­sich­ti­ge, an­hal­ten­de Tä­tig­keit konn­te dem Un­ge­schul­ten das er­tra­gen hel­fen. Aber an mei­ner Sei­te schal­te­te der Schwes­te­ren­gel, der mir beim Ein­tritt er­schie­nen war, si­cher und er­fah­ren, und die schwei­gen­den, ge­schwin­den Hand­rei­chun­gen, die zwi­schen uns hin und her gin­gen, wa­ren mir wie stum­me Ge­schwis­ter­grü­ße der See­le. Schwes­ter An­ge­la nann­ten sie pas­send die An­we­sen­den.

      Auf dem Ope­ra­ti­ons­tisch lag ein Mann des Jam­mers mit furcht­bar zer­schmet­ter­tem Ober­schen­kel, der ihm un­ter­halb der Hüf­te ab­ge­nom­men wer­den muss­te, na­tür­lich ohne Nar­ko­se. Er litt gräss­lich und bäum­te sich ge­gen den Schmerz, dass ihn drei Män­ner nicht zu hal­ten ver­moch­ten. Da warf plötz­lich Schwes­ter An­ge­la die Arme um ihn und leg­te ihre flau­mi­ge Wan­ge an die ver­wil­der­te, bär­ti­ge des frem­den Sol­da­ten.

      Er­trag’ die Schmer­zen, Bru­der, lie­ber Bru­der, fleh­te sie, um dei­ner Mut­ter wil­len, da­mit du le­ben kannst, oder für dei­ne Braut, wenn du eine hast.

      Sie um­schlang ihn fest mit den En­gels­ar­men, und er hielt auf ein­mal still, er­grif­fen und dank­bar, um sie nicht durch Jam­mer­lau­te zu be­trü­ben. Und als er ver­bun­den auf dem Stroh­sack lag, kam ein zwei­ter Schmer­zens­mann an die Rei­he, dann ein drit­ter, und je­den nann­te sie ih­ren Bru­der und schlang die schwes­ter­li­chen Arme um sei­nen Leib, wie um durch ge­heim­nis­vol­le Auss­trö­mung hei­li­ger jung­fräu­li­cher Na­tur­kräf­te die kör­per­li­chen Schmer­zen zu lin­dern, und da war auch kei­ner, der nicht für die wohl­tä­ti­ge Berüh­rung emp­fäng­lich und dank­bar ge­we­sen wäre. Der gan­ze Raum schi­en von ei­nem Leuch­ten himm­li­scher Lie­be er­füllt, dass ich al­les ver­gaß, den schreck­li­chen An­blick ab­ge­säg­ter Glied­ma­ßen, das Auf­räu­mungs­feld vom Vor­tag und – die Be­deu­tung des Rings an mei­nem Fin­ger, denn ein neu­er, schö­ne­rer hat­te sich un­sicht­bar da­ne­ben ge­scho­ben als jäh­lings er­kann­tes Glied ei­ner Ket­te, die sich rück­wärts und vor­wärts in die Ewig­keit ver­lor.

      Das geht nun so Tag um Tag, Stun­de um Stun­de, sag­te Hein­rich Som­mer, als wir vor­über­ge­hend von dem blu­ti­gen Ge­schäft ras­te­ten, wir wüss­ten nicht, wie aus­kom­men ohne sie. Und sie ist ein Gra­fen­kind, aus ver­arm­ter Fa­mi­lie frei­lich, und Kran­ken­schwes­ter von Be­ruf. Man ver­steht nur nicht, wie der­sel­be Gott, der eine Schwes­ter An­ge­la er­schaf­fen konn­te, sol­che Greu­el zu­las­sen soll.

      Mitt­ler­wei­le ge­wann mir mein Kol­le­ge, ein fisch­blü­ti­ger Eng­län­der, den die Not rings­um nichts an­ging und der nur sei­ne ei­ge­ne Auf­ga­be im Auge hielt, einen er­heb­li­chen pres­se­dienst­li­chen Vor­sprung ab. Er be­gab sich nach dem Pacht­hof St. Hu­bert. Um den Wa­cke­ren nicht in ein falsches Licht zu rücken, füge ich gleich hin­zu, dass er in dem ka­me­rad­schaft­li­chen Sinn, der im­mer zwi­schen uns ge­wal­tet hat, die Aus­beu­te des trau­ri­gen Ta­ges mit mir teil­te.

      *

      Jetzt er­zäh­le ich die Be­ge­ben­hei­ten nicht in der Rei­hen­fol­ge, wie ich sie selbst er­leb­te, son­dern nach Be­rich­ten der Au­gen­zeu­gen so, wie sie sich al­lem An­schein nach ab­ge­spielt ha­ben müs­sen.

      Die Fer­me St. Hu­bert lag auf hal­ber Höhe ei­nes je­ner lan­gen loth­rin­gi­schen Hü­gel­rücken hart an der nach Metz fah­ren­den Heer­stra­ße, dem von un­se­ren Trup­pen be­setz­ten Gra­ve­lot­te öst­lich ge­gen­über. Sie war die west­lichs­te vor­ge­scho­bens­te Stel­lung der Fran­zo­sen vor Metz und von ih­nen zur klei­nen Fes­tung aus­ge­baut, de­ren Bat­te­ri­en das gan­ze Ge­län­de be­herrsch­ten. In ei­nem nord­seits an­sto­ßen­den Wäld­chen sta­ken oben­drein star­ke Chas­se­po­t­ab­tei­lun­gen, wei­te­re Bat­te­ri­en wa­ren nach Sü­den zu in Stein­brü­chen ver­steckt, um die Feu­er­wir­kung von St. Hu­bert zu ver­stär­ken. Die­se Stel­lung zu neh­men war für die Deut­schen eine un­be­ding­te Not­wen­dig­keit, und das 67. Re­gi­ment Mag­de­burg er­hielt den töd­li­chen Auf­trag. Den gan­zen Nach­mit­tag des 18. wur­de dar­um ge­run­gen, aber der letz­te Akt des blu­ti­gen Dra­mas er­folg­te nicht auf Be­fehl, son­dern durch plötz­li­chen un­wi­der­steh­li­chen Sturm­trieb der Sol­da­ten.

      Man muss wis­sen, dass öst­lich von Gra­ve­lot­te sich die Stra­ße als tief ein­ge­schnit­te­ner Hohl­weg einen jä­hen dicht­be­wal­de­ten Ab­hang hin­un­ter­senkt in die Schlucht, die der Man­ce­bach durch­fließt. Dann über­quert sie die Tal­soh­le auf ei­nem ho­hen und en­gen Stein­damm und steigt am an­dern Ufer eben­so steil wie­der em­por, um an den Stein­brü­chen hin den Hü­gel­kamm zu er­rei­chen. So­bald die Trup­pen auf dem Damm­weg sicht­bar wur­den, emp­fing sie wü­ten­des Feu­er aus den Wal­dun­gen zur Rech­ten und Lin­ken, die vom Fein­de be­setzt wa­ren; zu­gleich be­gan­nen die Bat­te­ri­en von St. Hu­bert und aus den Stein­brü­chen zu spie­len. Die Preu­ßen er­stie­gen den Hang un­ter schwers­ten Ver­lus­ten, kämpf­ten um den Be­sitz der Stein­brü­che und um jede kleins­te Bo­den­fal­te, die eine vor­über­ge­hen­de De­ckung bot. Aber die Auf­ga­be schi­en mensch­li­che Kräf­te zu über­stei­gen, denn auf en­gem Raum zu­sam­men­ge­presst, konn­ten sie sich nicht ent­fal­ten und bo­ten dem rings­um in der Höhe auf­ge­stell­ten Feind ein all­zu be­que­mes

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