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und er­war­te­te er kei­ne, denn er frag­te nie­mals nach der Feld­post. Im Diens­te zeig­te er eine au­ßer­or­dent­li­che Um­sicht und Er­fah­rung und war trotz sei­ner Jah­re der Ei­fer und die Pünkt­lich­keit selbst. Auf Be­fra­gen gab er zu, schon mehr da­bei ge­we­sen zu sein, ließ sich aber auf kei­ne An­ga­ben über sei­ne bür­ger­li­che Stel­lung ein. Nach Spi­chern er­hielt er die Lit­ze des Ge­frei­ten, die ihm eine be­son­de­re Ge­nug­tu­ung zu ge­wäh­ren schi­en. Den Un­ter­of­fi­zie­ren war er eine große Stüt­ze, weil er über­all, wo es not tat, mit dem Bei­spiel vor­an­ging. Es hieß, er habe ein stei­fes Bein, was ihn je­doch beim Mar­schie­ren nicht hin­der­te, nur klet­tern konn­te er nicht, da hal­fen ihm die Ka­me­ra­den. Auch der Kom­pa­gnie­füh­rer er­kann­te in dem dienst­eif­ri­gen al­ten Mann et­was Be­son­de­res, und die Sol­da­ten ehr­ten ihn wie ih­ren Va­ter. Wo sein wei­ßer Kopf auf­leuch­te­te, folg­ten ihm die Leu­te wie ei­nem Wun­der­zei­chen nach. Am Mor­gen des 18. hat­te er schon ge­hol­fen eine Wal­de­cke vom Fein­de säu­bern. Auf dem schreck­li­chen Damm­weg hat­te er durch sei­ne See­len­ru­he die an­de­ren ru­hig ge­macht. Als sich nun die Em­porklim­men­den in dem furcht­ba­ren Ge­schütz­ha­gel, der al­les nie­der­riss, ver­ge­bens nach ei­ner Schutz­wehr um­sa­hen, feu­er­te er sie mit dem Rufe: ›Vor­wärts, Kin­der, vor­wärts! De­ckung gib­t’s nur drin­nen im Ge­höft!‹ zum Stür­men an und pflanz­te selbst als ers­ter sein Ba­jo­nett auf. In­zwi­schen hat­te schon der Vor­trupp von selbst be­grif­fen, dass nur un­ter des Fein­des ei­ge­nem Dach noch Ret­tung aus die­ser Höl­le war. In auf­ge­lös­ten Schwär­men stürm­ten sie den Hü­gel hin­an, doch die Wel­le flu­te­te eben­so schnell un­ter furcht­ba­ren Ver­lus­ten zu­rück, weil das Ge­höft nach die­ser Sei­te gar kei­nen Ein­gang hat­te. Wü­tend ge­wor­den, warf sich jetzt die Mas­se, de­ren Füh­rer schon ge­fal­len wa­ren, zur Rech­ten und drang mit plötz­li­cher Ein­ge­bung von der Süd­sei­te, wo die Tü­ren la­gen, in das Ge­höft. Eine Ab­tei­lung aber folg­te dem al­ten Ge­frei­ten, der nach der lin­ken Sei­te wink­te, und warf sich mit Um­ge­hung des Haupt­ge­bäu­des von Nor­den her auf den Gar­ten, den eine nur knie­ho­he Mau­er ein­fass­te. Dem dop­pel­ten An­griff hielt der Geg­ner, den schon das un­un­ter­bro­che­ne Ge­schütz­feu­er von Wes­ten her zer­mürbt hat­te, nicht län­ger stand, er ent­wich mit Hin­ter­las­sung von ge­gen hun­dert un­ver­wun­de­ten Ge­fan­ge­nen. Das Ge­höft blieb in den Hän­den der Deut­schen, die sich mit Mühe dort hiel­ten, bis am Abend die feind­li­chen Bat­te­ri­en ver­stumm­ten. Als man zum Sam­meln blies, kam der alte Mann nicht mehr zum Vor­schein und fehl­te auch in der Frü­he beim Na­mensauf­ruf. Un­ter den To­ten und Ver­wun­de­ten, die man so­gleich auf­ge­le­sen und in dem Schup­pen un­ter­ge­bracht hat­te, be­fand er sich auch nicht. Nun er­in­ner­te sich ei­ner, dass er ihn beim Über­klet­tern der Mau­er mit sei­nem stei­fen Bein hat­te strau­cheln se­hen. An die­ser Stel­le fand sich eine Blut­la­che, von der ein lan­ge Spur bis zu ei­nem mäch­ti­gen Nuß­baum führ­te. Dor­thin war er ge­kro­chen, um im Schat­ten des al­ten Bau­mes, fern von den Ka­me­ra­den, Auge in Auge mit den Ster­nen, sei­ne See­le aus­zu­hau­chen. Er at­me­te noch, war aber be­wusst­los, als man ihn auf­hob. Ge­gen Mit­tag brach­ten ihn die Trä­ger nach La Glo­ri­et­te. Auf sei­ner Brust fand sich ne­ben der Er­ken­nungs­mar­ke ein Ei­ser­nes Kreuz mit der Jah­res­zahl 1813 und ein mit Blut durch­tränk­ter Brief mit Über­schrift an den Kom­pa­gnie­füh­rer, der aber schon sel­ber ge­fal­len war.

      In dem Schrei­ben, dem die Bit­te bei­ge­fügt war, es vor der Kom­pa­gnie ver­le­sen zu las­sen, hieß es:

      Ka­me­ra­den! Der alte Mann, der mit euch mar­schier­te und Pos­ten stand, war Of­fi­zier und preu­ßi­scher Edel­mann, sei­ne Vor­fah­ren ha­ben auf al­len preu­ßi­schen Schlacht­fel­dern ge­blu­tet und hal­fen auch 1813 den deut­schen Bo­den von dem Kor­sen be­frei­en. Sein al­ter Name stirbt mit ihm. Denn sein ein­zi­ger Sohn ist ein Ehr­lo­ser, der die Fah­ne ver­ließ, und hat kein Recht mehr ihn zu füh­ren. Um die Schmach mit mei­nem ei­ge­nen Blu­te ab­zu­wa­schen, habe ich mich frei­wil­lig als Ge­mei­ner ge­stellt, es gab für den in­va­li­den Oberst kei­nen an­de­ren Weg, um an den Feind zu kom­men. Mel­det mei­nem al­ten Kriegs­ka­me­ra­den, dem Ge­ne­ral – –

      Al­les wei­te­re, auch die Na­mens­un­ter­schrift war vom Blut un­le­ser­lich ge­macht, nur noch die Wor­te ›Gott schüt­ze –‹ lie­ßen sich ent­zif­fern.

      Das Blatt ging von Hand zu Hand, und je­der ver­such­te dar­an sei­nen Spür­sinn.

      Ich wuss­te noch nichts von die­ser Ent­de­ckung, ich saß schrei­bend im Obst­gar­ten von La Glo­ri­et­te auf dem Strunk ei­nes zer­schos­se­nen Bau­mes, vor ei­ner Kis­te, die ich mir als Tisch auf­ge­rich­tet hat­te.

      Da stand plötz­lich Som­mer vor mir mit der er­reg­ten Fra­ge:

      Wo be­fin­det sich Gu­stav Borck?

      Ich weiß es nicht, sag­te ich be­klemmt, denn mir schwan­te von fer­ne ein Un­heil.

      Du weißt es nicht? Du, sein an­de­res Ich? Aber du weißt viel­leicht, dass er – dass er nicht da­bei ist?

      Ich weiß von gar nichts, be­harr­te ich in dem dunklen Be­stre­ben, den Freund zu de­cken.

      Bit­te, komm mit mir.

      Mit schwe­rem Her­zen, aus dem Un­be­wuss­ten wi­der­stre­bend, folg­te ich ihm.

      In ei­nem nie­de­ren An­bau, Stroh­bün­del an Stroh­bün­del, la­gen die neu her­zu­ge­brach­ten Ver­wun­de­ten, in wei­ßen Hem­den, dem Rang nach nicht mehr un­ter­schie­den, nur noch Men­schen, die der Tod be­rührt hat­te. Schwes­ter An­ge­la ging hel­fend und zu­spre­chend von ei­nem zum an­dern.

      Vor ei­nem Schwer­ver­letz­ten, der die Au­gen ge­schlos­sen hielt, blieb Som­mer ste­hen.

      Sieh ihn an, fällt dir kei­ne Ähn­lich­keit auf? – Hast du ihn nicht im Bild schon ge­se­hen?

      Mich hat­te es auf den ers­ten Blick durch­zuckt: Gu­stavs Va­ter!!

      Es war das Ge­sicht, das ich von dem zer­bro­che­nen Fa­mi­li­en­bild her kann­te, der Kopf mit dem dich­ten wei­ßen Haar und den zu­sam­men­ge­wach­se­nen Brau­en, die Züge, die sich so auf­fal­lend in Gu­stav wie­der­hol­ten. Ich stand lan­ge ihn zu be­trach­ten und stell­te mir die Rei­he sol­da­ti­scher Vor­fah­ren vor, die mit ih­rer alt­preu­ßi­schen Grad­heit und Stren­ge die­se Züge so knapp und re­gel­mä­ßig ge­mei­ßelt hat­ten. Un­ter die­ser Stirn lie­ßen sie nur für die eine ver­erb­te Lei­den­schaft Platz: sol­da­ti­sche Pf­licht und Ehre, und den Dop­pels­tern, der dar­über stand: Kö­nig und Va­ter­land. Und wei­ter­wir­kend hat­ten sie auch des Soh­nes Ge­sicht ge­mei­ßelt. Aber da war dann von weit­her et­was andres, Leuch­ten­des her­ge­flo­gen, das sich auf dem ver­jüng­ten Ab­bild nie­der­ließ und in be­weg­ten Aus­druck um­ge­stal­te­te, was in den Zü­gen des Al­ten un­be­weg­lich blieb wie Holz­schnitz­werk.

      Das wa­ren mei­ne Ge­dan­ken beim An­blick des Ver­wun­de­ten, denn die Ähn­lich­keit war für je­den, der Gu­stav kann­te, un­wi­der­leg­lich. Noch wuss­te ich nichts von dem tra­gi­schen Zu­sam­men­hang und hat­te noch kei­ne Zeit ge­habt, mich zu wun­dern, wie der alte in­va­li­de Oberst un­ter die Front­sol­da­ten ge­kom­men war. Aber schon klopf­te mir das Herz und weis­sag­te ir­gend­ein Äu­ßers­tes.

      Da gab mir Som­mer das blut­ver­wisch­te Blatt, an dem noch im­mer her­um­ge­rät­selt

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