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Gesammelte Werke. Isolde Kurz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962812515
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Nach Wörth kam Schütte aufgeregt auf mein Zimmer und sagte:
Ich halte es nicht mehr aus, es zersprengt mich, hier stillzusitzen. Ich fahre morgen nach Stuttgart und stelle mich dem Kriegsministerium zur Verfügung; irgendwo werden sie mich schon brauchen können, sei’s bei der Sanität oder beim Proviant, meinetwegen sogar in der Schreibstube. Wenn ich nur mit ins Feld komme.
Wir haben einen Weg, alter Junge, sagte ich, aber ich breche schon heute Abend auf. Wenn du dich sputest, können wir zusammen fahren.
Ich hatte nämlich ein paar Stunden zuvor aus Neuyork ein Kabeltelegramm erhalten, das meinem tiefsten Wunsch entgegenkam. Der Kriegsberichterstatter des »Herald«, der das große Hauptquartier begleiten sollte, war am Typhus erkrankt, man bot mir seine Stelle an. Ich hatte schon mein Ja zurückgekabelt – diesen Schritt konnte mir auch die Liebe, oder was ich dafür hielt, nicht verargen – und war eben dabei, mein Zelt abzubrechen. Auch Schütte beschleunigte seine Anstalten, wir fuhren zusammen nach Stuttgart, wo ich mich mit Geld und Papieren zu versehen hatte. Dort trennten wir uns. Aber die Wellen des Krieges wirbelten uns in unerwarteter Weise wieder zusammen.
Nachdem ich meinen schwererkrankten Vorgänger im städtischen Spital von Mainz aufgesucht und die Besorgung wichtiger Aufzeichnungen von ihm übernommen hatte, reiste ich unter häufigem Aufenthalt und Hindernissen aller Art dem Großen Hauptquartier nach. In der Nähe eines pfälzischen Dörfchens, wo ich den Anschluss erwartete, traf ich auf eine von Johannitern geführte Sanitätskolonne, die auf einer Baumwiese rastete, weil sie unversehens in einen Fuhrpark hineingefahren war und Truppenmassen ihr nach vorwärts den Weg versperrten. Im Schatten eines mit herrlichen Früchten behängten Birnbaums lagen ein paar Leute mit dem Gesicht im Gras und schienen zu schlafen. Es ging auf Mittag, ich hatte seit vierundzwanzig Stunden nichts genossen und verschmachtete vor Durst. Also näherte ich mich dem nächsten, über dessen Haupt ein paar Birnen von auserlesener Größe hingen, und bat ihn, ein wenig auf die Seite zu rücken, damit ich mich laben könne.
Ich bin müde, brummte dieser, ohne sich zu regen. Tritt auf meinen Rücken, da bist du deinem Glück näher.
Die Stimme kenne ich ja, sagte ich verwundert, mich niederbeugend.
Richtig, es war schon wieder Schütte, der alte Überall und Nirgend. Er zeigte aber nicht die geringste Überraschung, sondern versicherte, dass er mich hier, genau an dieser Stelle, erwartet habe.
Er ermunterte sich rasch, und wir saßen plaudernd und Birnen essend im Grase, während rings um uns her weitergeschlafen wurde. Ich erfuhr, dass man ihn in Stuttgart sehr gut aufgenommen und seiner genauen Ortskenntnisse wegen einer Sanitätskolonne mitgegeben habe.
Und hätten unsere Leute auf mich gehört, setzte er hinzu, so säßen wir nicht hier fest, denn ich sah es kommen. Dann hätte freilich unsere Begegnung auch nicht stattgefunden. Aus der Ferne tönte Geschützdonner.
Hörst du? Das ist Thors Hammer, womit er uns ein Deutschland schmiedet, sagte der Freund mit seiner dunklen Stimme. Und ich Krüppel bin dabei und darf es erleben. Denk’ es, Harry! Noch unsere Kindeskinder werden uns anstaunen, wenn wir ihnen sagen: ich war dabei, als Deutschland geboren ward.
Ehe ich aufbrach, zeigte er mir einen von Gustav empfangenen Brief. Es war die Antwort auf ein Schreiben von ihm, worin er den Freund an alle Sänger groß und klein, die zugleich Helden waren, von dem Dichter der »Perser« bis zu Theodor Körner erinnert hatte.
Rege dich nicht weiter auf, mein guter Kuno, schrieb dieser zurück. Ich bin kein Mensch, der nach berühmten Mustern lebt, ich gehe den Weg meines eigenen Gewissens. Mein Vater hat mir ein Kästchen zugeschickt mit der Aufschrift »Eilt!« Ich brauche es nicht zu öffnen, ich kenne den Inhalt. Es ist ein Familienerbstück, die Pistole, mit der schon einmal ein unsres Namens Unwürdiger sich ausgelöscht hat aus der Reihe der Lebenden. Nein, armer alter Mann, es eilt nicht so sehr, wie du denkst. Noch habe ich andere Schlachten zu schlagen. Wenn ich besiegt werde, mag es sein. Aber ich sehe es anders kommen. Unterdessen bitte ich die Freunde, sich nicht um mich zu sorgen, mich ganz zu vergessen, bis ich mein Wort eingelöst habe.
Er hat recht, sagte ich, stören wir seine Kreise nicht weiter und decken wir, was uns jetzt fremd an ihm ist, mit Schweigen zu.
Allein der Dichter hatte nicht mit dem Ehrenpunkt seines Erzeugers gerechnet, und das Schicksal sorgte dafür, dass wir noch im Laufe des Krieges auf erschütternde Weise an ihn erinnert werden sollten.
*
Es war bei der Belagerung von Metz. Die Schlachten von Mars-la-Tour und Vionville waren geschlagen, die von Gravelotte noch zum Teil im Gang, als mein Kollege von der Times und ich beim Großen Hauptquartier, dem wir folgten, die Ermächtigung erwirkten, das Gefechtsfeld der vergangenen Tage zu besichtigen. Man gab uns einen jungen Generalstabsoffizier als Führer mit. Wir durchritten das wellige lothringische Flachland mit seinen langen Hügelzügen und seinen niederen Gehölzen, aus denen noch immerzu die Leichen von Freund und Feind herausgetragen wurden. Ich hatte schon geglaubt etwas zu wissen von den Schrecken des Krieges, aber was waren meine einstigen jugendlichen Erlebnisse in Virginien gegen die Todesernte, die ich hier einbringen sah. Aufräumungsarbeiten nannte das der Offizier mit der schaurigen Sachlichkeit des Fachausdrucks, der alles, was keinen Gefechtswert mehr hat, zur bloßen Sache herunterdrückt. Aus den Folgen des Kampfes, die vor uns lagen, ließen sich die Züge der Gegner auf dem großen Schachbrett ablesen, wie man nach einem gewaltigen Sommergewitter aus der Lage der gebrochenen Halme die Wege des Sturmwinds erkennen kann. Dabei rollte fast noch ununterbrochen der Geschützdonner von Norden und Osten über uns hin. Die Welt hat seitdem Schlachten gesehen, neben denen diese ein Spiel waren; damals haben sie mir in der Erinnerung