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fühl­te sich ge­kränkt, dass ihr ver­wöhn­tes Ich mir vor den Welt­be­ge­ben­hei­ten in die zwei­te Rei­he ge­rückt war. Am schwers­ten traf es mich, dass sie, das Kind deut­scher El­tern, kei­nen Schim­mer von An­teil für ihr kämp­fen­des Va­ter­land zeig­te, son­dern eher nach der an­dern Sei­te zu nei­gen schi­en. Es trieb mich rast­los um und ließ mich mei­ne Frei­heit zu­rück­wün­schen, doch fühl­te ich mich nicht be­rech­tigt, sel­ber das Band zu lö­sen, das kei­ne har­mo­ni­sche Zu­kunft ver­sprach. – Als die ers­ten Sie­ges­bot­schaf­ten ein­lie­fen, ström­te jung und alt beim Bahn­hof zu­sam­men, alle Au­gen glänz­ten, alte Wi­der­sa­cher drück­ten sich ge­rührt die Hän­de, und hoch über al­len Men­schen­stim­men klang es im­mer­zu in den Lüf­ten wie Po­sau­nen­stö­ße der Erz­en­gel: Zum Rhein, zum frei­en Rhein! Ich schäm­te mich, als jun­ger Mann tat­los da­bei­zu­ste­hen.

      Nach Wörth kam Schüt­te auf­ge­regt auf mein Zim­mer und sag­te:

      Ich hal­te es nicht mehr aus, es zer­sprengt mich, hier still­zu­sit­zen. Ich fah­re mor­gen nach Stutt­gart und stel­le mich dem Kriegs­mi­nis­te­ri­um zur Ver­fü­gung; ir­gend­wo wer­den sie mich schon brau­chen kön­nen, sei’s bei der Sa­ni­tät oder beim Pro­vi­ant, mei­net­we­gen so­gar in der Schreib­stu­be. Wenn ich nur mit ins Feld kom­me.

      Wir ha­ben ei­nen Weg, al­ter Jun­ge, sag­te ich, aber ich bre­che schon heu­te Abend auf. Wenn du dich spu­test, kön­nen wir zu­sam­men fah­ren.

      Ich hat­te näm­lich ein paar Stun­den zu­vor aus Neuyork ein Ka­bel­te­le­gramm er­hal­ten, das mei­nem tiefs­ten Wunsch ent­ge­gen­kam. Der Kriegs­be­richt­er­stat­ter des »He­rald«, der das große Haupt­quar­tier be­glei­ten soll­te, war am Ty­phus er­krankt, man bot mir sei­ne Stel­le an. Ich hat­te schon mein Ja zu­rück­ge­ka­belt – die­sen Schritt konn­te mir auch die Lie­be, oder was ich da­für hielt, nicht ver­ar­gen – und war eben da­bei, mein Zelt ab­zu­bre­chen. Auch Schüt­te be­schleu­nig­te sei­ne An­stal­ten, wir fuh­ren zu­sam­men nach Stutt­gart, wo ich mich mit Geld und Pa­pie­ren zu ver­se­hen hat­te. Dort trenn­ten wir uns. Aber die Wel­len des Krie­ges wir­bel­ten uns in un­er­war­te­ter Wei­se wie­der zu­sam­men.

      Nach­dem ich mei­nen schwe­rer­krank­ten Vor­gän­ger im städ­ti­schen Spi­tal von Mainz auf­ge­sucht und die Be­sor­gung wich­ti­ger Auf­zeich­nun­gen von ihm über­nom­men hat­te, reis­te ich un­ter häu­fi­gem Auf­ent­halt und Hin­der­nis­sen al­ler Art dem Gro­ßen Haupt­quar­tier nach. In der Nähe ei­nes pfäl­zi­schen Dörf­chens, wo ich den An­schluss er­war­te­te, traf ich auf eine von Jo­han­ni­tern ge­führ­te Sa­ni­täts­ko­lon­ne, die auf ei­ner Baum­wie­se ras­te­te, weil sie un­ver­se­hens in einen Fuhr­park hin­ein­ge­fah­ren war und Trup­pen­mas­sen ihr nach vor­wärts den Weg ver­sperr­ten. Im Schat­ten ei­nes mit herr­li­chen Früch­ten be­häng­ten Birn­baums la­gen ein paar Leu­te mit dem Ge­sicht im Gras und schie­nen zu schla­fen. Es ging auf Mit­tag, ich hat­te seit vier­und­zwan­zig Stun­den nichts ge­nos­sen und ver­schmach­te­te vor Durst. Also nä­her­te ich mich dem nächs­ten, über des­sen Haupt ein paar Bir­nen von aus­er­le­se­ner Grö­ße hin­gen, und bat ihn, ein we­nig auf die Sei­te zu rücken, da­mit ich mich la­ben kön­ne.

      Ich bin müde, brumm­te die­ser, ohne sich zu re­gen. Tritt auf mei­nen Rücken, da bist du dei­nem Glück nä­her.

      Die Stim­me ken­ne ich ja, sag­te ich ver­wun­dert, mich nie­der­beu­gend.

      Rich­tig, es war schon wie­der Schüt­te, der alte Über­all und Nir­gend. Er zeig­te aber nicht die ge­rings­te Über­ra­schung, son­dern ver­si­cher­te, dass er mich hier, ge­nau an die­ser Stel­le, er­war­tet habe.

      Er er­mun­ter­te sich rasch, und wir sa­ßen plau­dernd und Bir­nen es­send im Gra­se, wäh­rend rings um uns her wei­ter­ge­schla­fen wur­de. Ich er­fuhr, dass man ihn in Stutt­gart sehr gut auf­ge­nom­men und sei­ner ge­nau­en Orts­kennt­nis­se we­gen ei­ner Sa­ni­täts­ko­lon­ne mit­ge­ge­ben habe.

      Und hät­ten un­se­re Leu­te auf mich ge­hört, setz­te er hin­zu, so sä­ßen wir nicht hier fest, denn ich sah es kom­men. Dann hät­te frei­lich un­se­re Be­geg­nung auch nicht statt­ge­fun­den. Aus der Fer­ne tön­te Ge­schütz­don­ner.

      Hörst du? Das ist Thors Ham­mer, wo­mit er uns ein Deutsch­land schmie­det, sag­te der Freund mit sei­ner dunklen Stim­me. Und ich Krüp­pel bin da­bei und darf es er­le­ben. Denk’ es, Har­ry! Noch un­se­re Kin­des­kin­der wer­den uns an­stau­nen, wenn wir ih­nen sa­gen: ich war da­bei, als Deutsch­land ge­bo­ren ward.

      Ehe ich auf­brach, zeig­te er mir einen von Gu­stav emp­fan­ge­nen Brief. Es war die Ant­wort auf ein Schrei­ben von ihm, worin er den Freund an alle Sän­ger groß und klein, die zu­gleich Hel­den wa­ren, von dem Dich­ter der »Per­ser« bis zu Theo­dor Kör­ner er­in­nert hat­te.

      Rege dich nicht wei­ter auf, mein gu­ter Kuno, schrieb die­ser zu­rück. Ich bin kein Mensch, der nach be­rühm­ten Mus­tern lebt, ich gehe den Weg mei­nes ei­ge­nen Ge­wis­sens. Mein Va­ter hat mir ein Käst­chen zu­ge­schickt mit der Auf­schrift »Eilt!« Ich brau­che es nicht zu öff­nen, ich ken­ne den In­halt. Es ist ein Fa­mi­li­e­nerb­stück, die Pis­to­le, mit der schon ein­mal ein uns­res Na­mens Un­wür­di­ger sich aus­ge­löscht hat aus der Rei­he der Le­ben­den. Nein, ar­mer al­ter Mann, es eilt nicht so sehr, wie du denkst. Noch habe ich an­de­re Schlach­ten zu schla­gen. Wenn ich be­siegt wer­de, mag es sein. Aber ich sehe es an­ders kom­men. Un­ter­des­sen bit­te ich die Freun­de, sich nicht um mich zu sor­gen, mich ganz zu ver­ges­sen, bis ich mein Wort ein­ge­löst habe.

      Er hat recht, sag­te ich, stö­ren wir sei­ne Krei­se nicht wei­ter und de­cken wir, was uns jetzt fremd an ihm ist, mit Schwei­gen zu.

      Al­lein der Dich­ter hat­te nicht mit dem Ehren­punkt sei­nes Er­zeu­gers ge­rech­net, und das Schick­sal sorg­te da­für, dass wir noch im Lau­fe des Krie­ges auf er­schüt­tern­de Wei­se an ihn er­in­nert wer­den soll­ten.

      *

      Es war bei der Be­la­ge­rung von Metz. Die Schlach­ten von Mars-la-Tour und Vion­ville wa­ren ge­schla­gen, die von Gra­ve­lot­te noch zum Teil im Gang, als mein Kol­le­ge von der Ti­mes und ich beim Gro­ßen Haupt­quar­tier, dem wir folg­ten, die Er­mäch­ti­gung er­wirk­ten, das Ge­fechts­feld der ver­gan­ge­nen Tage zu be­sich­ti­gen. Man gab uns einen jun­gen Ge­ne­ral­stabs­of­fi­zier als Füh­rer mit. Wir durch­rit­ten das wel­li­ge loth­rin­gi­sche Flach­land mit sei­nen lan­gen Hü­gel­zü­gen und sei­nen nie­de­ren Ge­höl­zen, aus de­nen noch im­mer­zu die Lei­chen von Freund und Feind her­aus­ge­tra­gen wur­den. Ich hat­te schon ge­glaubt et­was zu wis­sen von den Schre­cken des Krie­ges, aber was wa­ren mei­ne eins­ti­gen ju­gend­li­chen Er­leb­nis­se in Vir­gi­ni­en ge­gen die To­de­sern­te, die ich hier ein­brin­gen sah. Auf­räu­mungs­ar­bei­ten nann­te das der Of­fi­zier mit der schau­ri­gen Sach­lich­keit des Fach­aus­drucks, der al­les, was kei­nen Ge­fechts­wert mehr hat, zur blo­ßen Sa­che her­un­ter­drückt. Aus den Fol­gen des Kamp­fes, die vor uns la­gen, lie­ßen sich die Züge der Geg­ner auf dem großen Schach­brett ab­le­sen, wie man nach ei­nem ge­wal­ti­gen Som­mer­ge­wit­ter aus der Lage der ge­bro­che­nen Hal­me die Wege des Sturm­winds er­ken­nen kann. Da­bei roll­te fast noch un­un­ter­bro­chen der Ge­schütz­don­ner von Nor­den und Os­ten über uns hin. Die Welt hat seit­dem Schlach­ten ge­se­hen, ne­ben de­nen die­se ein Spiel wa­ren; da­mals ha­ben sie mir in der Erin­ne­rung

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