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in die Welt. Noch im­mer wuss­te ich von nichts; erst auf der Ei­sen­bahn zwi­schen Ham­burg und Ber­lin er­fuhr ich aus Ge­sprä­chen der Mit­rei­sen­den, was vor­ging. Ber­lin fie­ber­te schon. Ich er­leb­te dort den be­geis­ter­ten Empfang des Kö­nigs, das Ein­tref­fen der fran­zö­si­schen Kriegs­er­klä­rung, all die un­ver­ge­ss­li­chen welt­ge­schicht­li­chen Au­gen­bli­cke. Der Nor­den Deutsch­lands stand da wie ein Mann. Die Geg­ner von Sechs­und­sech­zig ver­söhn­ten sich; der ent­thron­te Her­zog von Nassau bot dem Kö­nig von Preu­ßen sei­nen De­gen an. Auch die al­ten Achtund­vier­zi­ger ver­ga­ßen ih­ren Groll. Ein Ju­gend­freund mei­nes Va­ters, der mich lieb­te wie einen Sohn, ka­bel­te aus Bo­ston sei­nen Glück­wunsch, dass ich die Er­fül­lung des deut­schen Trau­mes aus der Nähe schau­en dür­fe. Ende Juli war ich in Mün­chen, wo ein Freund und Lands­mann mich er­war­te­te. Dort gin­gen die Wo­gen fast noch hö­her als in Ber­lin; schon am 16. hat­te der jun­ge Kö­nig zum Zei­chen der Bun­de­streue die Mo­bil­ma­chung be­foh­len und den gan­zen Sü­den Deutsch­lands in ei­nem Sturm der Be­geis­te­rung mit­ge­ris­sen. Der Nor­den kämpf­te, weil er muss­te, denn er war der An­ge­grif­fe­ne, der Sü­den kämpf­te aus Her­zens­drang als Bru­der mit, die Frei­wil­lig­keit des Op­fers er­höh­te sei­ne Freu­dig­keit. Die we­ni­gen Stim­men der Nein­sa­ger gin­gen im brau­sen­den Or­kan des Volks­wil­lens un­ter. So soll­te jetzt vor mei­nen Au­gen das Gro­ße wer­den, das durch Jahr­hun­der­te Er­sehn­te, Nie­ge­we­se­ne, das ei­ni­ge Deutsch­land! Als ich dann die ers­ten Trup­pen­schü­be mit­an­sah, wäre ich, ob­wohl Bür­ger ei­nes an­de­ren Staa­tes, am liebs­ten mit­mar­schiert, so fuhr mir das in die Glie­der. Der Sohn des Achtund­vier­zi­gers war in mir er­wacht, der das Land sei­ner Vä­ter er­schaf­fen hel­fen woll­te, und zu­gleich der klei­ne Aben­teu­rer, der einst­mals sei­ne noch schwa­chen Kno­chen ge­gen die Skla­ven­staa­ten ein­ge­setzt hat­te.

      In Kriegs­zei­ten sind be­son­de­re Wel­len in der Luft, de­ren Schwin­gun­gen den da­von Er­grif­fe­nen selt­sam ver­wan­deln, dass er dem Kalt­ge­blie­be­nen un­ver­ständ­lich wird und sei­ner­seits auf die­sen als auf ein We­sen nie­de­rer Ord­nung her­un­ter­sieht. Bei ro­ma­ni­schen Völ­kern führt die­ser Zu­stand zu blind­wü­ti­ger Toll­heit, die ein­mal ent­fes­selt nicht mehr zur Ruhe kommt, den Ger­ma­nen er­greift er nur vor­über­ge­hend, aber er ist un­wi­der­steh­lich, so­lan­ge er dau­ert. Ist es eine gött­li­che Neu­be­see­lung, ein »Stirb und Wer­de« oder ein Rück­fall ins Dä­mo­nisch-Na­tur­haf­te? Nur der Dich­ter kann es in Wor­te fas­sen, die­ses Sich­hin­ge­ben­müs­sen um je­den Preis, das Ver­glü­hen­wol­len auf dem Schei­ter­hau­fen, Sichauf­lö­sen ins Gan­ze, Nichts­mehr­sein­wol­len als auf­tau­chen­de Wel­len­kro­ne im be­weg­ten Ozean. »Das wun­der­ba­re Seh­nen dem Ab­grund zu«, nennt es der Se­her un­ter Deutsch­lands Dich­tern.

      Auch ich sehn­te mich so in je­nen Ta­gen, und wenn ich heu­te in kühl­ge­wor­de­ner Luft die­ses Ge­fühl nicht mehr nach­füh­le, so möch­te ich es nicht um al­les in mei­ner Erin­ne­rung miss­en; mein Le­ben wäre um eine große Mensch­heits­er­fah­rung är­mer. Mein Lands­mann ließ sich von der Wel­le fort­rei­ßen und bot sich dem bay­ri­schen Heer als Kriegs­teil­neh­mer an; ich kämpf­te da­bei einen schwe­ren Kampf. Aber ge­wis­sen­haft, wie es dem Durch­schnitts­men­schen zu­kommt, ge­dach­te ich mei­ner Ver­pflich­tun­gen ge­gen mei­ne Braut und hielt am Schreib­tisch aus, in­dem ich dem »He­rald« eine Rei­he von Stim­mungs­be­rich­ten schrieb, worin das Er­leb­te wei­ter­zit­ter­te.

      Als ich fer­tig war, über­kam mich mit ei­nem­mal die bis­her zu­rück­ge­dräng­te Sor­ge um die Stutt­gar­ter Freun­de. Gleich nach mei­ner An­kunft in Ber­lin hat­te ich eine Zei­le an Gu­stav ge­schrie­ben, aber kei­ne Ant­wort er­hal­ten. Ich ver­mu­te­te, dass ihn mein Schrei­ben schon nicht mehr er­reicht habe, da er sich beim ers­ten Kriegs­lärm bei sei­nem Trup­pen­teil ge­mel­det ha­ben muss­te. Aber von Sel­ma er­war­te­te ich eine Nach­richt, und ihr Schwei­gen wur­de mir, je län­ger es dau­er­te, de­sto un­heim­li­cher. Was muss­te die lei­den­schaft­li­che Frau, die kei­ne Macht auf Er­den an­er­kann­te als ihre Lie­be, beim Ab­marsch ge­lit­ten ha­ben, und wie trug sie es jetzt? Ge­wiss be­fand sie sich in ei­nem ver­zwei­fel­ten Zu­stand und hat­te nie­mand, der sich ih­rer an­nahm, denn um Gu­stavs wil­len war sie ih­rer gan­zen Um­ge­bung ent­frem­det. Ich war ihr ver­ei­dig­ter Rit­ter und muss­te, dass der Freund sie mir schei­dend emp­foh­len hät­te, wäre ich zu­ge­gen ge­we­sen. Die Brief­be­för­de­rung war in­fol­ge der Trup­pen­durch­zü­ge sehr ver­lang­samt, also setz­te ich mich auf die Bahn und fuhr selbst nach Stutt­gart, wo ich Sel­ma be­stimmt ver­mu­ten muss­te. Denn was soll­te sie noch al­lein in der Schweiz, wäh­rend ihr Gat­te ge­wiss schon über der fran­zö­si­schen Gren­ze stand! Die klei­ne Rei­se nahm zwei vol­le Tage in An­spruch, ich lag bald in Augs­burg, bald in Günz­burg, bald in Ulm fest, um die Sol­da­ten­zü­ge vor­über­zu­las­sen. Und über­all das­sel­be Bild: Mi­li­tär­wa­gen mit Ei­chen­laub be­kränzt, El­tern, die von ih­ren Söh­nen, Mäd­chen, die von ih­ren Liebs­ten Ab­schied nah­men, Müt­zen und Tü­cher­schwen­ken, »Deutsch­land über Al­les« und still­flie­ßen­de Trä­nen. Als ich auf den von Marsch­trit­ten und Rä­der­ge­ras­sel dröh­nen­den Stra­ßen in die stil­le Vor­stadt kam, stutz­te ich schon von wei­tem. Die Gar­ten­woh­nung des Dich­ters träum­te mit ih­ren grü­nen ge­schlos­se­nen Lä­den im tiefs­ten Som­mer­frie­den. Die böh­mi­sche Kö­chin öff­ne­te. Auf mei­ne Fra­ge nach der gnä­di­gen Frau ant­wor­te­te sie, die gnä­di­ge Frau sei noch im­mer in der Schweiz. Genau konn­te sie mir aber den Auf­ent­halt nicht nen­nen, sie hat­te den Auf­trag, alle Post­sen­dun­gen nach Hei­den auf­zu­ge­ben, von wo sie durch einen Bo­ten ab­ge­holt wür­den.

      Und der Herr?

      Der Herr ist bei ihr.

      Das ist doch nicht mög­lich. Ist er denn krank?

      Dar­über konn­te das Mäd­chen kei­ne Aus­kunft ge­ben. Sie wuss­te nur, dass die Herr­schaft je­den­falls noch län­ge­re Zeit fort­blei­ben wür­de, weil sie erst ges­tern einen ver­ges­se­nen Ge­gen­stand ih­nen habe nach­schi­cken müs­sen.

      Wenn Gu­stav nicht ab­mar­schiert war und Sel­ma noch auf eine län­ge­re Ab­we­sen­heit rech­ne­te, so muss­te er krank sein und sie in hilflo­ser Lage. Wozu war ich ihr Freund? Un­ter Schwie­rig­kei­ten al­ler Art er­reich­te ich den Bo­den­see und fuhr nach Hei­den über. Dort auf der Post er­mit­tel­te ich erst ih­ren Wohn­sitz und wan­der­te dann, nach­dem ich die Lage des Ge­höfts er­fragt hat­te, zu Fuß den stei­len Wald­weg hin­auf. Nach an­dert­halb Stun­den kräf­ti­gen Stei­gens hat­te ich den Hof er­reicht, der, von un­ten nicht sicht­bar, halb in eine Sen­ke ge­duckt und durch hohe Bäu­me ver­bor­gen lag. Das ers­te, was ich sah, war Sel­ma. Sie stand im wei­ßen Klei­de un­ter ei­nem Baum, die Hän­de in­ein­an­der­ge­krampft, und starr­te un­be­weg­lich wie ein Stein­bild in die Land­schaft hin­aus. Als sie mei­nen Schritt hör­te, fuhr sie auf wie ein ge­scheuch­tes Tier. Ich rief sie mit Na­men, da er­kann­te sie mich und flog mit ei­nem un­ter­drück­ten Schrei auf mich zu, er­fass­te hef­tig mei­ne Hän­de und wäre vor mir auf die Knie ge­stürzt, wenn ich sie nicht ge­hal­ten hät­te.

      Ich frag­te nach Gu­stav, sie deu­te­te nach dem Haus und leg­te mit fle­hen­dem Aus­druck den Fin­ger auf den Mund.

      Er ar­bei­tet und darf nicht ge­stört wer­den, flüs­ter­te sie, in­dem sie mich hef­tig wei­ter weg un­ter die Bäu­me zog.

      Ich

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