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Gesammelte Werke. Isolde Kurz
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke
Год выпуска 0
isbn 9783962812515
Автор произведения Isolde Kurz
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Bookwire
Was sollte aus dem angegriffenen Lande werden, wenn alle dächten wie Sie?
Ich hatte gut reden.
Mich hat man nicht gefragt, ob Krieg sein soll, antwortete sie trotzig, man hat kein Recht, mir meinen Mann zu nehmen.
Doch sie verdarb sich mit ihrer Heftigkeit selbst das Spiel. Gustav, der im eigenen Haus Bescheid wusste wie auf dem Mond, war ungeduldig mit leeren Händen zurückgekehrt.
Was geht hier vor? fragte er mit gerunzelter Stirn. Was soll ich nicht erfahren?
Selma schrie laut auf bei seinem Eintritt und rannte kopflos von einer Ecke in die andere.
Sie wollte es dir vorenthalten. Aber das ist eine Unmöglichkeit. Also je rascher, desto besser: Der Krieg ist ausgebrochen! Frankreich hat an Preußen den Krieg erklärt! Ganz Deutschland hat sich einmütig erhoben, die verbündeten Heere stehen schon jenseits des Rheins.
Starr, entgeistert, weiß wie Kreide hörte er an, was ich von den Weltbegebenheiten erzählte. Krieg! sagte er in fassungslosem Erstaunen vor sich hin – und ich soll mit! – dann brach es plötzlich wie eine Raserei an ihm aus.
Der Dämon! Der Dämon! schrie er. Er will mich nicht vollenden lassen. In allen Formen kommt er und stellt sich zwischen mich und mein Werk. Nur so weniges fehlt zur Vollendung, ein paar Wochen hätten genügt. Er gönnt sie mir nicht, er schickt mich in den Krieg. Was wird aus meiner Dichtung, wenn ich fort muss!
Du wirst sie nach der Rückkehr wieder aufnehmen und sie wird danach noch heller strahlen, wollte ich trösten, aber meine Worte versetzten ihn nur in Erbitterung.
So, meinst du? sagte er wild. Eine Dichtung ist wohl eine Handarbeit, die man nach Belieben weglegt und wieder vorholt. Ich sage dir, jedem Kunstwerk schlägt nur einmal die Stunde. Bin ich, wenn der Tag zu Ende ist, denn noch ganz derselbe, der ich am Morgen gewesen? Sind die Eingebungen von heute noch genau wie die gestrigen? O nein, es gibt nur eine Stunde für jegliches Tun, immer nur gerade die eine vorbestimmte. Ihr ahnt ja nicht, wie voll des herrlichsten Lebens meine Gestalten jetzt vor mir stehen. Wie der Held nach verlorener Schlacht über die Weser herüber zu seinem Bruder, dem Römling, spricht, nachdem er unkenntlich durch Blut die feindlichen Schlachtreihen durchbrochen hat. Man sieht ihn nicht, man hört nur seine Stimme von drüben. Aber die Stimme allein ist wie ein unbesiegtes Heer, das den Abtrünnigen niederschlägt. Das alles werde ich nie wieder so sehen, wie ich es jetzt sehe, da es eben in mir reif geworden ist und noch nicht überreif.
Du hast mich einmal um das Starke in meinem Leben beneidet, antwortete ich traurig, du sprachst von der lebendigen Poesie, die höher sei als die geschriebene, erinnerst du dich nicht mehr? Jetzt tritt sie in das deinige, so groß du sie nur wünschen kannst. Ein neuer Germanikus zieht gegen den Rhein heran, sei selbst Arminius, wenn du keinen Arminius mehr dichten darfst.
So redet einer, der nicht weiß, was dichten ist.
So denke an den Größten, sagte ich, der ohne Not bei Valmy in den Kugelregen ritt, nur um es nicht anders zu haben als die andern, und das zu einer Zeit, wo der Faust noch nicht vollendet war.
Er mag wohl auch seine Stunden des Zweifels gehabt haben, war die düstere Antwort. Hätte uns Napoleon vor einem Jahr den Krieg erklärt, was hätte es mir damals ausgemacht? Mit Freuden war’ ich ausmarschiert, was lag mir damals an meinem Leben? Ich habe auch bei Königsgrätz nicht damit gegeizt. Aber jetzt, jetzt wo meine Gesichte mich greifbar wie die Lebendigen umstehen! Es kann nicht sein, es ist ein böser Traum!
Der stolze Mensch hatte alle Fassung verloren, er legte den Kopf auf den Tisch und weinte wie ein Kind.
Selma lag schluchzend zu seinen Füßen.
Musst du denn, Gustav! Gustav! Du musst nicht. Höre nicht auf Harry. Tausendmal hörte ich dich sagen: Kein Mensch muss müssen. Warum musst du jetzt, wo dein Höchstes auf dem Spiele steht?
So kann ein Weib reden, sagte er, schmerzvoll den Kopf erhebend. – Den Ausreißer, den Feldflüchtigen versenkten unsere Alten in den Sumpf.
Aber die Versucherin ließ nicht ab von ihm.
Du stehst untere einem anderen Gesetz. Was nützt es deinem Lande, wenn dich die erste französische Kugel trifft? Du hast der Nation andere Siege zu erfechten, als die mit der Zündnadel.
Ein preußischer Offizier und fahnenflüchtig vor dem Feind. Mein unglücklicher Vater! Der Schlag wird ihn treffen. Und auf mich wartet der bürgerliche Tod, sagt er verzweifelt.
Armer Gustav! Hätte er in jenem Augenblick deutsche Luft geatmet, hätte ihn auch nur ein Hauch des Feuerstroms erreicht, der alle Herzen drüben überm See in eine glühende Masse zusammenschmolz, er wäre mitgerissen worden und hätte nichts anderes gedacht, als wie jeder schlichte Sterbliche, mit der Waffe in der Hand vor sein bedrohtes Haus zu treten. Aber da oben in der tiefen Hochsommerstille, wo die Grillen schmetterten und die Bienen summten, hatte das Wörtlein »Krieg« etwas so Fremdes und Unwirkliches. Als er heraufzog fiel noch kein politischer Schatten auf den Weg, der ihn hätte vorbereiten können. Zeitungen hatte er sich keine nachschicken lassen, er las sie ja ohnehin nicht, und so hatte ihn die schöpferische Fantasie in einen undurchdringlichen Dunstkreis eingehüllt. Was in diese Stimmung nicht passte, das blieb ihm fern, das drang nicht in sein Bewusstsein.
Schon zehn Tage, sagst du? fragte er zum zwanzigstenmal, und zum zwanzigstenmal erklärte ich ihm das Wie und Wann.
Nun ist es ja doch zu spät, rief Selma dazwischen. Er könnte ja sein Regiment gar nicht mehr erreichen.
Es ist nicht zu spät, sagte ich, er macht es, wie er kann, es gehen noch täglich Truppenzüge. Packen Sie ihm zusammen, was er braucht, wir begleiten ihn beide nach Lindau. Seine Dichtung versiegelt er bis zu seiner Heimkehr. Für alles andere werde ich Sorge tragen, und sein Liebstes bleibt in der Obhut eines Bruders zurück.
Meine Dichtung! sagte er verzweiflungsvoll.
Alles andere war ihm gleichgültig. Ich drängte. Aber er blickte aus starren Augen und regte sich nicht.
Barmherziger Gott, schrie es aus ihm heraus, nur dieses eine lass mich vollenden, dann sei es aus mit mir, dann fordre ich nichts weiter und will es mit meinem Blut bezahlen.
Ich wandte mich an die Frau um Hilfe.
Seien Sie tapfer, bedenken Sie sein wahres Heil und heißen Sie ihn ziehen.
Aber das arme Geschöpf zischte gegen mich auf wie eine getretene Schlange.
Sie, Sie haben das Unheil unter unser Dach gebracht, gestern saßen wir noch so glücklich und friedlich hier oben.
Gustav