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      Was soll­te aus dem an­ge­grif­fe­nen Lan­de wer­den, wenn alle däch­ten wie Sie?

      Ich hat­te gut re­den.

      Mich hat man nicht ge­fragt, ob Krieg sein soll, ant­wor­te­te sie trot­zig, man hat kein Recht, mir mei­nen Mann zu neh­men.

      Doch sie verd­arb sich mit ih­rer Hef­tig­keit selbst das Spiel. Gu­stav, der im ei­ge­nen Haus Be­scheid wuss­te wie auf dem Mond, war un­ge­dul­dig mit lee­ren Hän­den zu­rück­ge­kehrt.

      Was geht hier vor? frag­te er mit ge­run­zel­ter Stirn. Was soll ich nicht er­fah­ren?

      Sel­ma schrie laut auf bei sei­nem Ein­tritt und rann­te kopf­los von ei­ner Ecke in die an­de­re.

      Sie woll­te es dir vor­ent­hal­ten. Aber das ist eine Un­mög­lich­keit. Also je ra­scher, de­sto bes­ser: Der Krieg ist aus­ge­bro­chen! Frank­reich hat an Preu­ßen den Krieg er­klärt! Ganz Deutsch­land hat sich ein­mü­tig er­ho­ben, die ver­bün­de­ten Hee­re ste­hen schon jen­seits des Rheins.

      Starr, ent­geis­tert, weiß wie Krei­de hör­te er an, was ich von den Welt­be­ge­ben­hei­ten er­zähl­te. Krieg! sag­te er in fas­sungs­lo­sem Er­stau­nen vor sich hin – und ich soll mit! – dann brach es plötz­lich wie eine Ra­se­rei an ihm aus.

      Der Dä­mon! Der Dä­mon! schrie er. Er will mich nicht vollen­den las­sen. In al­len For­men kommt er und stellt sich zwi­schen mich und mein Werk. Nur so we­ni­ges fehlt zur Vollen­dung, ein paar Wo­chen hät­ten ge­nügt. Er gönnt sie mir nicht, er schickt mich in den Krieg. Was wird aus mei­ner Dich­tung, wenn ich fort muss!

      Du wirst sie nach der Rück­kehr wie­der auf­neh­men und sie wird da­nach noch hel­ler strah­len, woll­te ich trös­ten, aber mei­ne Wor­te ver­setz­ten ihn nur in Er­bit­te­rung.

      So, meinst du? sag­te er wild. Eine Dich­tung ist wohl eine Hand­ar­beit, die man nach Be­lie­ben weg­legt und wie­der vor­holt. Ich sage dir, je­dem Kunst­werk schlägt nur ein­mal die Stun­de. Bin ich, wenn der Tag zu Ende ist, denn noch ganz der­sel­be, der ich am Mor­gen ge­we­sen? Sind die Ein­ge­bun­gen von heu­te noch ge­nau wie die gest­ri­gen? O nein, es gibt nur eine Stun­de für jeg­li­ches Tun, im­mer nur ge­ra­de die eine vor­be­stimm­te. Ihr ahnt ja nicht, wie voll des herr­lichs­ten Le­bens mei­ne Ge­stal­ten jetzt vor mir ste­hen. Wie der Held nach ver­lo­re­ner Schlacht über die We­ser her­über zu sei­nem Bru­der, dem Röm­ling, spricht, nach­dem er un­kennt­lich durch Blut die feind­li­chen Schlachtrei­hen durch­bro­chen hat. Man sieht ihn nicht, man hört nur sei­ne Stim­me von drü­ben. Aber die Stim­me al­lein ist wie ein un­be­sieg­tes Heer, das den Ab­trün­ni­gen nie­der­schlägt. Das al­les wer­de ich nie wie­der so se­hen, wie ich es jetzt sehe, da es eben in mir reif ge­wor­den ist und noch nicht über­reif.

      Du hast mich ein­mal um das Star­ke in mei­nem Le­ben be­nei­det, ant­wor­te­te ich trau­rig, du sprachst von der le­ben­di­gen Poe­sie, die hö­her sei als die ge­schrie­be­ne, er­in­nerst du dich nicht mehr? Jetzt tritt sie in das dei­ni­ge, so groß du sie nur wün­schen kannst. Ein neu­er Ger­ma­ni­kus zieht ge­gen den Rhein her­an, sei selbst Ar­mi­ni­us, wenn du kei­nen Ar­mi­ni­us mehr dich­ten darfst.

      So re­det ei­ner, der nicht weiß, was dich­ten ist.

      So den­ke an den Größ­ten, sag­te ich, der ohne Not bei Val­my in den Ku­gel­re­gen ritt, nur um es nicht an­ders zu ha­ben als die an­dern, und das zu ei­ner Zeit, wo der Faust noch nicht vollen­det war.

      Er mag wohl auch sei­ne Stun­den des Zwei­fels ge­habt ha­ben, war die düs­te­re Ant­wort. Hät­te uns Na­po­le­on vor ei­nem Jahr den Krieg er­klärt, was hät­te es mir da­mals aus­ge­macht? Mit Freu­den war’ ich aus­mar­schiert, was lag mir da­mals an mei­nem Le­ben? Ich habe auch bei Kö­nigs­grätz nicht da­mit ge­geizt. Aber jetzt, jetzt wo mei­ne Ge­sich­te mich greif­bar wie die Le­ben­di­gen um­ste­hen! Es kann nicht sein, es ist ein bö­ser Traum!

      Der stol­ze Mensch hat­te alle Fas­sung ver­lo­ren, er leg­te den Kopf auf den Tisch und wein­te wie ein Kind.

      Sel­ma lag schluch­zend zu sei­nen Fü­ßen.

      Musst du denn, Gu­stav! Gu­stav! Du musst nicht. Höre nicht auf Har­ry. Tau­send­mal hör­te ich dich sa­gen: Kein Mensch muss müs­sen. Wa­rum musst du jetzt, wo dein Höchs­tes auf dem Spie­le steht?

      So kann ein Weib re­den, sag­te er, schmerz­voll den Kopf er­he­bend. – Den Aus­rei­ßer, den Feld­flüch­ti­gen ver­senk­ten un­se­re Al­ten in den Sumpf.

      Aber die Ver­su­che­rin ließ nicht ab von ihm.

      Du stehst un­te­re ei­nem an­de­ren Ge­setz. Was nützt es dei­nem Lan­de, wenn dich die ers­te fran­zö­si­sche Ku­gel trifft? Du hast der Na­ti­on an­de­re Sie­ge zu er­fech­ten, als die mit der Zünd­na­del.

      Ein preu­ßi­scher Of­fi­zier und fah­nen­flüch­tig vor dem Feind. Mein un­glück­li­cher Va­ter! Der Schlag wird ihn tref­fen. Und auf mich war­tet der bür­ger­li­che Tod, sagt er ver­zwei­felt.

      Ar­mer Gu­stav! Hät­te er in je­nem Au­gen­blick deut­sche Luft ge­at­met, hät­te ihn auch nur ein Hauch des Feu­er­stroms er­reicht, der alle Her­zen drü­ben überm See in ei­ne glü­hen­de Mas­se zu­sam­men­schmolz, er wäre mit­ge­ris­sen wor­den und hät­te nichts an­de­res ge­dacht, als wie je­der schlich­te Sterb­li­che, mit der Waf­fe in der Hand vor sein be­droh­tes Haus zu tre­ten. Aber da oben in der tie­fen Hoch­som­mer­stil­le, wo die Gril­len schmet­ter­ten und die Bie­nen summ­ten, hat­te das Wört­lein »Krieg« et­was so Frem­des und Un­wirk­li­ches. Als er her­auf­zog fiel noch kein po­li­ti­scher Schat­ten auf den Weg, der ihn hät­te vor­be­rei­ten kön­nen. Zei­tun­gen hat­te er sich kei­ne nach­schi­cken las­sen, er las sie ja oh­ne­hin nicht, und so hat­te ihn die schöp­fe­ri­sche Fan­ta­sie in einen un­durch­dring­li­chen Dunst­kreis ein­gehüllt. Was in die­se Stim­mung nicht pass­te, das blieb ihm fern, das drang nicht in sein Be­wusst­sein.

      Schon zehn Tage, sagst du? frag­te er zum zwan­zigs­ten­mal, und zum zwan­zigs­ten­mal er­klär­te ich ihm das Wie und Wann.

      Nun ist es ja doch zu spät, rief Sel­ma da­zwi­schen. Er könn­te ja sein Re­gi­ment gar nicht mehr er­rei­chen.

      Es ist nicht zu spät, sag­te ich, er macht es, wie er kann, es ge­hen noch täg­lich Trup­pen­zü­ge. Pa­cken Sie ihm zu­sam­men, was er braucht, wir be­glei­ten ihn bei­de nach Lin­dau. Sei­ne Dich­tung ver­sie­gelt er bis zu sei­ner Heim­kehr. Für al­les an­de­re wer­de ich Sor­ge tra­gen, und sein Liebs­tes bleibt in der Ob­hut ei­nes Bru­ders zu­rück.

      Mei­ne Dich­tung! sag­te er ver­zweif­lungs­voll.

      Al­les an­de­re war ihm gleich­gül­tig. Ich dräng­te. Aber er blick­te aus star­ren Au­gen und reg­te sich nicht.

      Barm­her­zi­ger Gott, schrie es aus ihm her­aus, nur die­ses eine lass mich vollen­den, dann sei es aus mit mir, dann ford­re ich nichts wei­ter und will es mit mei­nem Blut be­zah­len.

      Ich wand­te mich an die Frau um Hil­fe.

      Sei­en Sie tap­fer, be­den­ken Sie sein wah­res Heil und hei­ßen Sie ihn zie­hen.

      Aber das arme Ge­schöpf zisch­te ge­gen mich auf wie eine ge­tre­te­ne Schlan­ge.

      Sie, Sie ha­ben das Un­heil un­ter un­ser Dach ge­bracht, ges­tern sa­ßen wir noch so glück­lich und fried­lich hier oben.

      Gu­stav

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