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aber frag­te: Was be­deu­tet es, On­kel Paul? so leg­te er lä­chelnd den Fin­ger auf den Mund. Spä­ter er­fuhr ich, was mit ihm um­ging. Er hat­te sich auf das Stu­di­um des Is­län­di­schen ge­wor­fen, um die Edda im Ur­text zu le­sen, und war zu ei­ner ganz an­de­ren Aus­le­gung der dunklen Stel­len ge­kom­men als die Über­set­zer. Er glaub­te ent­deckt zu ha­ben, dass vie­le Lie­der der Edda ge­hei­me An­spie­lun­gen auf den Un­ter­gang des Va­rus ent­hiel­ten, und dass die Ge­stalt des Sieg­fried nur eine my­thi­sche Spie­ge­lung des ge­schicht­li­chen Ar­mi­ni­us sei, wie Diet­rich von Bern die des großen Go­ten­kö­nigs. Sieg­frieds Kampf mit dem Dra­chen auf der Gni­ta­hai­de war ihm die sym­bo­li­sche Um­deu­tung der Va­rus­schlacht, und die Gni­ta­hai­de glaub­te er, auf eine alte is­län­di­sche Rei­se­be­schrei­bung ge­stützt, in die Nähe von Pa­der­born ver­le­gen zu dür­fen, eben­da­hin, wo er sich von je das Schlacht­feld des Va­rus ge­dacht hat­te. So such­te er eine ge­wag­te Hy­po­the­se durch eine noch ge­wag­te­re zu stüt­zen und hielt das In­ein­an­der­grei­fen bei­der für die un­an­fecht­ba­re Ge­währ ih­rer Rich­tig­keit. Aber als er mit die­sen neu­en For­schun­gen her­vor­trat, wur­de die Ab­leh­nung der Pres­se zum Hohn­ge­läch­ter; auch sei­ne An­hän­ger sag­ten ihm die Ge­folg­schaft auf. Das stei­ger­te ihn nur noch mehr, sei­ne Flug­schrif­ten, wo­mit er die Geg­ner über­schüt­te­te, be­ka­men einen im­mer bei­ßen­de­ren Ton und zo­gen ihm noch kost­spie­li­ge Be­lei­di­gungs­kla­gen und an­de­re Unan­nehm­lich­kei­ten zu. Die­se Auf­re­gun­gen er­schüt­ter­ten ihn so, dass er zu­letzt in Pro­zess­wut und Ver­fol­gungs­wahn fiel und in geis­ti­ger Um­nach­tung en­de­te. Sein be­trächt­li­ches Ver­mö­gen, das spä­ter ein­mal mir zu­fal­len soll­te, war fast ganz ver­pul­vert, kaum, dass der Wit­we die Mit­tel zum Le­ben blie­ben. Was scha­det’s? Mein wah­res Erbe ist der Schatz auf der Gni­ta­hai­de, der Geist des Ar­mi­ni­us, der von mir er­löst wer­den will. Es braucht nur wie für je­des Be­schwö­rungs­werk Ort und Stun­de. Der Ort ist glück­lich ge­fun­den: das Stüb­chen des ir­ren Dich­ters, aber die Stun­den sind nicht alle gleich­wer­tig und wehe, wenn die rech­te un­ge­nutzt ver­streicht.

      Ja, jetzt be­grei­fe ich, was es Ih­nen sein muss, wenn ein Drit­ter sich zwi­schen Sie und Ihre Ge­stal­ten schiebt, ant­wor­te­te ich.

      Ort und Stun­de, das ist’s, fuhr er wie zu sich sel­ber re­dend fort: das ist das ein­zi­ge, was der Dich­ter sel­ber dazu tun kann, al­les an­de­re ist Ein­ge­bung, kommt ihm von au­ßen. Es heißt nur auf­mer­ken, Au­gen und Ohren of­fen hal­ten, un­ver­wandt und treu und rei­nen Sin­nes, da­mit nichts Unech­tes sich ein­drängt, nichts, was der ei­ge­ne Ver­stand, der Stüm­per, ge­macht hat, denn das ist Falsch­mün­ze­rei. Nur das soll Ein­lass fin­den, was von selbst zur Er­schei­nung ringt! Nicht bloß das Gan­ze des Wer­kes ist von Ur­an­fang da, je­der kleins­te Teil ist es auch bis zum ein­zel­nen Wort her­un­ter, das durch kein an­de­res er­setzt wer­den kann. Ich füh­le es gleich, wenn auch nur an ei­ner Stel­le ein an­ge­flick­tes Wort steht. Weg mit dem Ein­schieb­sel! Wa­chen und har­ren, bis das rech­te sich ein­stellt!

      Ja, die­ser ist wirk­lich ein Ge­fäß der Gott­heit, sprach es in mir. Aber was macht er aus sei­nem rei­chen be­gna­de­ten Ich, was macht er aus sei­nem ei­ge­nen Le­ben!

      Es war, als hät­te ich laut ge­dacht, denn er fiel ein:

      Das ist das Dä­mo­ni­sche an den großen Din­gen, dass, wer nur ein­mal ihr An­ge­sicht aus der Nähe ge­schaut hat, ih­nen für im­mer ver­fal­len ist und kei­nen, aber auch kei­nen Ge­nuss vom Da­sein fin­den kann als durch sie. Wel­ches schwäch­li­che Stroh­feu­er ist da­ge­gen die Lie­be! Ich ver­lan­ge nichts vom Le­ben als nur mein Werk. Ich ver­zich­te im vor­aus auf Weib und Kind und al­les, was man sonst Le­bens­glück nennt, ich will nur den »Be­frei­er« vollen­den, mag ich da­nach zu­grun­de ge­hen. Aber nicht eher, nicht eher! Ich wage kaum des Abends mich schla­fen zu le­gen, aus Furcht, der Tod könn­te mich un­ver­se­hens im Schlaf über­fal­len und mein Werk könn­te un­fer­tig zu­rück­blei­ben. Mein täg­li­ches Mor­gen- und Abend­ge­bet heißt: Mein Gott, nimm mir al­les, ma­che mich, wenn es sein muss, blind und taub, aber lass mich nicht ster­ben, be­vor der Ar­mi­ni­us vollen­det ist.

      Wa­rum nen­nen Sie ihn im­mer mit sei­nem rö­mi­schen Na­men? frag­te ich.

      Er fuhr sich mit bei­den Hän­den an die Schlä­fen. Weiß ich denn, wie er ge­hei­ßen hat? stöhn­te er. Weiß es ir­gend­wer? Je­den Na­men kann er ge­habt ha­ben, nur nicht den Na­men Her­mann. Das sagt un­ser Grimm, der am bes­ten Be­scheid wuss­te. Oh, ich möch­te den from­men Lud­wig, den Pfaf­fen­kai­ser, aus dem Gra­be krat­zen, um ihn zu mar­tern, weil er mit den Hel­den­lie­dern un­se­rer heid­nischen Vä­ter auch den ech­ten Na­men des Be­frei­ers ver­nich­tet, der Ver­ges­sen­heit über­lie­fert hat. Nun ist von un­serm deut­sche­s­ten Ruhm die deut­sche Schan­de un­zer­trenn­lich, dass wir ihn nur mit dem Na­men nen­nen kön­nen, den ihm der Rö­mer gab, und dass ohne das Zeug­nis des Fein­des jede Spur von ihm ver­weht wäre. Ehre sei den Rö­mern, dass sie ih­ren Tod­feind zu eh­ren wuss­ten und mehr für ihn ta­ten als sein ei­ge­nes Volk.

      Aber da nun ein­mal der Name Her­mann so an­ge­nom­men ist, wand­te ich ein, wäre es da nicht bes­ser, es beim al­ten zu las­sen wie Ihre Vor­gän­ger, die doch wohl auch von die­sen Be­den­ken wuss­ten?

      Was sie wuss­ten oder nicht wuss­ten, geht mich nichts an, sag­te er, un­ru­hig durchs Zim­mer ge­hend. Ich kann nicht lü­gen. Wo ich nicht glau­be, da er­star­re ich. Der Name Her­mann tönt nicht in mei­ner See­le, also kann er auch nicht echt sein. Und zu­dem ha­ben ihn die Bier­bank­pa­trio­ten längst zu Tode ge­brüllt.

      Frei­lich, setz­te er lä­chelnd hin­zu, On­kel Paul wür­de wü­ten we­gen des Na­mens und nicht min­der we­gen der Rol­le, die ich sei­nen Ab­gott spie­len las­se. Für ihn war der Che­rus­ker­held eine ganz ein­fa­che See­le, blind und taub für die Schön­heit ei­ner hö­he­ren Bil­dung, un­ge­rührt von al­len Rei­zen und Lo­ckun­gen Roms, in­mit­ten al­ler ita­li­schen Herr­lich­keit nur für die rau­en hei­mat­li­chen Wäl­der glü­hend, kurz, ein Mann wie er sel­ber war, aus Ei­nem nie­der­deut­schen Ei­chen­scheit ge­schnitzt. Mein Ar­min hat ein völ­lig an­de­res Ge­sicht, ein zer­ris­se­nes, aber ein grö­ße­res. Der rö­mi­sche Rit­ter, der un­ter den Ed­len Roms als Glei­cher stand und an all ih­ren Ehren teil­hat­te, konn­te nicht ver­bis­se­ner Rö­mer­feind von al­lem An­fang sein. Die Her­manns­schlacht muss­te erst in dem Bu­sen des Che­rus­kers ge­schla­gen wer­den, ehe sie durch die Wäl­der von Teu­to­burg tob­te. Er be­wun­der­t die Rö­mer, aber er ver­nich­tet sie. Das ist sei­ne wah­re Grö­ße; da­her sein dä­mo­ni­sches, er­bar­mungs­lo­ses Wü­ten, weil er ge­gen sich sel­ber, ge­gen einen Teil sei­nes ei­ge­nen We­sens wü­tet.

      Sei­ne Ge­dan­ken ver­lo­ren sich all­mäh­lich ins Wei­te. Es gebe gar kei­ne Ver­gan­gen­heit, sag­te er un­ter an­de­rem, wir brauch­ten nur un­ser kur­z­es Seh­feld über den Ho­ri­zont des Ta­ges hin­aus zu ver­län­gern, so sei al­les Ge­we­se­ne noch vor­han­den. Al­les Schö­ne und Gro­ße, was je auf Er­den ge­blüht habe, müs­se wie­der sicht­bar ge­macht und in den Kreis­lauf des Le­bens zu­rück­ge­holt wer­den. Das sei die Auf­ga­be des Dich­ters und sym­bo­lisch im Or­pheus­mär­chen vor­ge­bil­det.

      Aber nur dem fes­ten, nie wan­ken­den Glau­ben ge­lingt das Wun­der. Wehe, wenn er zwei­felt und sich um­schaut! Als­bald ver­sinkt der be­schwo­re­ne Schat­ten, der ihm nur folgt, so­lan­ge er glaubt.

      Dann

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