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über Kie­sel mur­melt. Ich wun­der­te mich, dass Gu­stav Borck mit wah­rer An­dacht zu­hör­te, denn für uns an­de­re war es nur ein Ge­stam­mel.

      Die Ver­se des gu­ten Jun­gen sind aber doch gar zu kind­lich, äu­ßer­te ich ein­mal ge­gen ihn, da sah er mich selt­sam an und er­wi­der­te: Gott ist mehr im Säu­seln der Blät­ter als im Heu­len des Stur­mes. Las­sen Sie mir Olafs Ver­se un­ge­rupft.

      Wenn wir an­de­ren auch mit Olafs Ge­dich­ten nicht viel an­zu­fan­gen wuss­ten, für die le­ben­di­ge Poe­sie sei­ner Ge­gen­wart hat­ten wir alle eine Emp­fin­dung. Wenn er her­ein­trat, so war’s, als wür­de ein Veil­chen­strauß auf den Tisch ge­stellt. Jun­ge Mäd­chen, auch die lieb­lichs­ten und un­schul­digs­ten, schie­nen im Ver­gleich zu ihm ir­di­scher und min­der rein. Von der Welt wuss­te er so gut wie nichts und miss­trau­te nie­mand. Er sah aus, als ob er die Spra­che der Tie­re ver­stün­de und mit den Na­tur­kräf­ten auf du und du sei. Er hat­te kein ei­gent­li­ches Fach­stu­di­um, son­dern hör­te nur we­ni­ge Kol­le­gi­en, die ihn be­son­ders an­zo­gen, aber er las viel, um die Män­gel sei­ner Vor­bil­dung aus­zu­glei­chen, weil er durch Kränk­lich­keit am re­gel­rech­ten Schul­be­such ver­hin­dert wor­den war. Zu­kunfts­plä­ne mach­te er auch kei­ne, und er glich ei­ner Pflan­ze, die nur zum Blü­hen, nicht zum Früch­te­tra­gen be­stimmt ist. Es war ein of­fe­nes Ge­heim­nis, dass er mit schwär­me­ri­scher Ver­eh­rung an der blas­sen Ade­le hing, die ih­rer­seits nur Au­gen hat­te für Gu­stav Borck. Wenn sie mit der Be­die­nung der Korps­stu­den­ten, die im großen Saa­le über uns ih­ren Stamm­sitz hat­ten, fer­tig war, kam sie her­un­ter und setz­te sich zu uns an den Tisch, um Gu­stav vor­le­sen zu hö­ren.

      Er nahm aber ihr Wohl­ge­fal­len kalt auf, und als ich ihn ein­mal da­mit neck­te, sag­te er oben­hin:

      Es gilt ja doch al­les bloß der Mon­tur (wo­mit er sei­ne stol­ze männ­li­che Er­schei­nung mein­te), für das Bes­te in uns ha­ben die Mäd­chen kei­ne Fühl­hör­ner.

      Über­haupt ge­fiel er mir in Frau­en­ge­sell­schaft am we­nigs­ten. Ohne ir­gend frech zu sein, lag doch in sei­ner Stel­lung zum weib­li­chen Ge­schlecht so et­was wie eine lei­se Missach­tung.

      Olaf Han­sen sah dies auch, und es kränk­te ihn für die mit An­dacht Ge­lieb­te, wes­halb er Gu­stav lan­ge Zeit mit Zu­rück­hal­tung be­geg­ne­te. Auch moch­te das straf­fe­re, ziel­be­wuss­te, nord­deut­sche We­sen den harm­los vor sich Hin­le­ben­den be­frem­den. Er war der ein­zi­ge, der sich, frei­lich in der sanf­tes­ten Wei­se, sei­ner Herr­schaft ent­zog. Da­ge­gen beug­te sich je­ner stol­ze Geist vor Olafs Kin­der­see­le, und selt­sam war es, dass, wäh­rend wir an­de­ren Olaf lieb­ten und heg­ten, Gu­stav aber be­wun­der­ten, die­ser der zar­ten, ver­letz­li­chen Men­schen­blu­me eine Art von Ehr­furcht ent­ge­gen­brach­te. Die miss­ver­stan­de­nen Grie­chen, sag­te er ein­mal, wuss­ten wohl, warum sie im Jüng­ling, nicht in der Jung­frau, die auf­ge­bro­che­ne Blü­te der Mensch­heit ver­ehr­ten. Das Mäd­chen ist das un­fer­ti­ge, der Jüng­ling das vollen­de­te Ge­bild. Sei­ne Un­schuld ist nicht Na­tur­zu­stand wie die ihre, dumpf und pflan­zen­haft, sie ist ein Zu­stand der Gna­de, se­hend, all­um­fas­send wie das Son­nen­licht; in ihr spie­geln sich die ewi­gen Din­ge.

      Und spä­ter, setz­te er weg­wer­fend hin­zu, glaubt der Mann fort­zu­schrei­ten, weil er die ver­gäng­li­chen bes­ser sieht.

      Ei­nes Abends ge­sell­te sich ein Durch­rei­sen­der zu uns, der durch einen von der Ge­sell­schaft ein­ge­führt war. Er ge­hör­te nicht zu den aka­de­mi­schen Krei­sen, hat­te aber da­für ein Stück Welt ge­se­hen und be­trug sich vor­laut und takt­los. Als es ge­gen Mit­ter­nacht ging und er schon meh­re­re Glä­ser Li­kör ge­leert hat­te, be­gann er sich in Zwei­deu­tig­kei­ten zu ge­fal­len, die Fräu­lein Ade­le ver­an­lass­ten, sich un­auf­fäl­lig in ih­ren An­richt­win­kel zu­rück­zu­zie­hen. Trotz der kal­ten Auf­nah­me, die er fand, und trotz der ab­len­ken­den Zwi­schen­re­den des Ver­wand­ten, der ihn mit­ge­bracht hat­te, blieb der Ein­dring­ling in der an­ge­schla­ge­nen Ton­art und be­gann ge­wis­se Hi­stör­chen zu er­zäh­len, die er für wit­zig hielt, die aber nur ge­mein wa­ren.

      Sei’s, dass uns der Kopf schon schwer war vom ge­nos­se­nen Punsch, sei’s, dass die Ödig­keit sei­nes Spre­chens sich läh­mend auf uns leg­te, wir sa­ßen an­ge­wi­dert aber stumm und fan­den nicht den rich­ti­gen Au­gen­blick, ihm das Wort zu ent­zie­hen; er brach­te auch nichts ge­ra­de­zu Gro­bu­n­an­stän­di­ges vor, es war nur wie lei­ses Ein­si­ckern von schmut­zi­gem Was­ser und dazu noch ganz un­säg­lich al­bern. Olaf leg­te den Kopf ge­gen die Stuhl­leh­ne und schloss die Au­gen, als ob ihm kör­per­lich übel wür­de.

      Da er­hob sich Borck, der bis­her mit ver­ächt­lich zu­cken­den Mund­win­keln ge­ses­sen hat­te, und be­weg­te sich nach dem un­te­ren Ti­schen­de. Ich glaub­te, er wol­le sei­nen Hut vom Na­gel neh­men, um fort­zu­ge­hen, aber er pack­te den Ein­dring­ling am Kra­gen, schüt­tel­te ihn mit ei­ner Kraft, die nie­mand hin­ter sei­ner schlan­ken Ge­stalt ge­sucht hät­te, und stieß ihm den Kopf auf die Tisch­plat­te, riss ihn dann wie­der in die Höhe, drück­te ihn aber­mals auf den Tisch, und so sechs- bis sie­ben­mal in re­gel­mä­ßi­gen Ab­sät­zen, dass es dröhn­te und dem Ge­maß­re­gel­ten Hö­ren und Se­hen ver­ging. Dann kehr­te er ge­las­sen an sei­nen Platz zu­rück, als wäre nichts ge­sche­hen. Nie­mand sag­te ein Wort zu dem selt­sa­men Auf­tritt, auch nicht der Ge­züch­tig­te selbst, der eine Zeit lang ganz be­nom­men saß, mit blö­den Au­gen vor sich hin­glotz­te und sich dann tau­melnd ent­fern­te.

      Wir wa­ren noch alle stumm nach die­sem un­er­war­te­ten Straf­ge­richt, als Olaf sein Kelch­glas er­hob und fei­er­lich sag­te:

      Auf Ihr Wohl, Borck!

      Da spran­gen alle auf die Füße und stie­ßen mit an, auch je­ner Mit­gast, der den Un­hold ein­ge­führt hat­te und sich jetzt sei­nes Schütz­lings schäm­te.

      Als wir auf­bra­chen, glitt Ade­le wie eine La­zer­te her­bei und sag­te, in­dem sie dem Hel­den des Abends den Hut reich­te:

      Das ha­ben Sie groß­ar­tig ge­macht, Herr von Borck. Ich wer­de es nie ver­ges­sen, wie Sie den gars­ti­gen Men­schen pack­ten. Und ich muss Ih­nen sehr, sehr dan­ken.

      Zum Dan­ken liegt kein Grund vor, ant­wor­te­te er kühl. Glau­ben Sie denn, ich möch­te sel­ber im Schmutz­was­ser ba­den? Ganz zer­knickt schlich die Ärms­te an ih­ren An­richt­tisch zu­rück und hob die Au­gen nicht mehr auf, aus de­nen lang­sam zwei große Trä­nen her­ab­roll­ten.

      *

      Stu­den­ten­ta­ge! Fül­le des Da­seins, wie ich sie nir­gends wie­der­ge­fun­den habe. Äu­ßer­lich fast un­be­wegt, aber mit ge­heim­nis­vol­len Schät­zen in der Tie­fe, wie ein glat­ter See­spie­gel über kris­tal­le­nen Wun­der­pa­läs­ten. Al­les war un­ser im Dies­seits und Jen­seits, wo­hin wir mit un­se­ren Ge­dan­ken rei­chen konn­ten; Ho­mer und Goe­the, Pla­ton und Scho­pen­hau­er, Kunst, Lie­be, Uns­terb­lich­keit. Durch Gu­stavs Nähe be­sa­ßen wir das al­les. Mit sei­ner über­mäch­ti­gen Fan­ta­sie zog er wie die thes­sa­li­schen Zau­be­rer Mond und Ster­ne zu sich her­un­ter und häng­te sie als Ta­fel­be­leuch­tung auf, dass wir oft nicht mehr wuss­ten, in wel­cher Welt wir wa­ren.

      Vom Ge­ni­us der Völ­ker sprach er gern, und wie das eine sich vom an­de­ren un­ter­schei­de. Wenn ich mich wun­der­te, wo­her er all die­se Kennt­nis ei­nes

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