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an dem Fund zu­grun­de ge­gan­gen. Wel­ches Glück es dem an­dern brin­gen wird, muss die Zu­kunft zei­gen. Ich war als grü­ner Jun­ge mit da­bei, wie man die­ses Ei­sen mit vie­len an­dern aus der Erde grub. Das ge­sch­ah beim Bau ei­ner Was­ser­lei­tung im Det­mol­di­schen, als ich eben bei müt­ter­li­chen Ver­wand­ten dort zu Gas­te war. Man fand ih­rer so vie­le, dass sie in gan­zen Kar­ren­la­dun­gen bei­sei­te­ge­schafft und als al­tes Ei­sen nach aus­wärts ver­kauft wur­den. Von mei­nem On­kel Paul habe ich Ih­nen schon er­zählt, der ein feu­ri­ger Al­ter­tums­for­scher war. Ich be­nach­rich­tig­te ihn von dem Fund, und er kam zwei Tage spä­ter aus Pa­der­born her­über, um die Huf­ei­sen zu se­hen. Er war sehr er­regt, denn er hat­te schon vor Jah­ren einen ähn­li­chen Fund in die­ser Ge­gend vor­aus­ge­sagt. Es wa­ren nur noch we­ni­ge im Ort zu fin­den, und ich muss­te ihm alle von mir ge­sam­mel­ten über­las­sen, bis auf die­ses hier. Er sprach die Huf­ei­sen für rö­mi­sche an und die Auf­fin­dungs­stel­le für den Ort, wo die Rei­te­rei des Va­rus un­ter Vala Nu­mo­ni­us ver­nich­tet wur­de; auch deu­te­te er auf an­de­re Punk­te in der Um­ge­bung hin, wo noch wei­te­re Aus­beu­te in der Erde harr­te, die ei­ni­ge Jah­re spä­ter auch wirk­lich zu­ta­ge trat. Ich durf­te ihn auf lan­gen Gän­gen be­glei­ten und be­geis­ter­te mich wie er für den Ge­dan­ken, dass die Ge­gend, in der wir uns be­fan­den, der vie­lum­strit­te­ne Schau­platz der Va­rus­schlacht sei. Mein On­kel Paul war ein Mann von hin­rei­ßen­der Über­zeu­gungs­kraft, der erst in vor­ge­rück­ten Jah­ren durch Ei­gen­stu­di­um zu ger­ma­ni­scher Al­ter­tums­kun­de ge­kom­men war und schon des­halb die Mehr­zahl der Fach­leu­te ge­gen sich hat­te. Wel­che Ge­nug­tu­ung, als nach jah­re­lan­gen Zu­rück­set­zun­gen der stum­me Erd­bo­den sel­ber sich auf­tat, um für ihn zu zeu­gen! Der Er­folg ver­zehn­fach­te sei­ne Wil­lens­kraft, er ging wie mit ei­ner un­sicht­ba­ren Wün­schel­ru­te um­her und zog die ver­bor­gens­ten Din­ge aus der Tie­fe. Aus al­ten Ur­kun­den brach­te er ver­ges­se­ne Orts- und Flur­na­men zu­ta­ge, in de­nen die Spu­ren ei­nes furcht­ba­ren Völ­ker­ge­richts fort­leb­ten. Da gab es im west­fä­li­schen Platt einen »Kno­chen­bach«, einen »Lei­chen­hü­gel«, einen »To­des­gar­ten«, nach sei­ner An­sicht lau­ter Erin­ne­run­gen an die Teu­to­bur­ger Schlacht. Die bei­den La­ger­plät­ze des Va­rus, wie sie sich sechs Jah­re nach der Schlacht den Le­gio­nären des Ger­ma­ni­kus dar­stell­ten, die blei­chen­den Ge­bei­ne der Er­schla­ge­nen, die noch la­gen, wie sie ge­fal­len wa­ren, die Al­tä­re, an de­nen man die rö­mi­schen Le­ga­ten ge­schlach­tet hat­te, die An­hö­he, von der her­ab der Sohn des Se­gi­mer sei­nen schreck­li­chen Ge­richts­tag hielt, – al­les rief sei­ne le­ben­di­ge Ein­bil­dungs­kraft aus den fried­li­chen Wie­sen und Moor­grün­den her­vor. Ich will nicht be­haup­ten, dass er in al­lem und je­dem recht hat­te, mein On­kel war eine Poe­ten­na­tur, die sich von der Fan­ta­sie fort­rei­ßen ließ, aber dass man ihn sei­ner all­zu ra­schen Schlüs­se we­gen als Nar­ren und Nichts­wis­ser be­han­del­te, hat er nicht ver­dient.

      Sei­ne Un­ter­su­chun­gen über die Ört­lich­keit der Va­rus­schlacht ent­fes­sel­ten näm­lich un­ter den For­schern einen hei­ßen Streit, der mit ver­gif­te­ten Waf­fen ge­führt wur­de. Ihm sind sei­ne For­schun­gen zum Un­heil ge­wor­den, in mir aber weck­ten sie den schlum­mern­den Fun­ken. Da­mals trat mir der Che­rus­ker­held, des­sen Ge­stalt mir vor­her so däm­mer­haft wie etwa Diet­rich von Bern ge­we­sen war, leib­haft aus dem Dun­kel. Ich lern­te ihn per­sön­lich ken­nen, er ließ mich einen Blick in sei­ne tief ver­schlos­se­ne See­le tun. Und seit­dem ist er mir nä­her, als es je­mals ein le­ben­der Mensch sein wird. Ich ge­lob­te ihm mei­ne gan­ze Kraft, wenn ich ein­mal reif sein wür­de. Ich war­te­te und schul­te mich und nähr­te ihn still mit mei­nem Blut, und wenn ich mich da und dort künst­le­risch ver­such­te, so war’s nur, was ein Ma­nö­ver ist ge­gen einen Schlacht­tag. Jetzt ist die Zeit ge­reift, für die mein gan­zes bis­he­ri­ges Le­ben nur die Vor­be­rei­tung war. Wäh­rend mei­ne El­tern mich tief ins Cor­pus ju­ris ver­senkt glau­ben, schla­ge ich die Va­rus­schlacht. Das gilt einen Sturm, der hei­ßer ist als der auf die Düpp­ler Schan­zen. Ich den­ke, so­gar mein Va­ter, so we­nig er auf die Dicht­kunst hält, wird auf­hö­ren müs­sen, mich als einen ver­lo­re­nen Sohn zu be­trach­ten, wenn ein­mal auf der gan­zen Li­nie Sieg ge­bla­sen wird.

      Er re­de­te mit über­stür­zen­den Wor­ten und ei­ner fla­ckern­den Röte im Ge­sicht, sei­ne Au­gen brann­ten. Ich staun­te sei­ne Kühn­heit an, aber ich war ein viel zu großer Ver­eh­rer Kleist’s, um zu be­grei­fen, wie man nach ihm noch eine Her­manns­schlacht soll­te dich­ten kön­nen.

      Er sah mich groß an:

      Kleist hat kei­ne Her­manns­schlacht ge­dich­tet.

      Wie? frag­te ich ver­blüfft.

      Kleist leb­te in Ta­gen höchs­ter va­ter­län­di­scher Hoch­span­nung, in sei­ner See­le brann­te das Schand­mal der Fremd­herr­schaft, er dich­te­te aus sei­nem ei­ge­nen grim­mi­gen, un­er­sätt­li­chen Hass her­aus. Und sein Ra­che­schmerz ge­bar ein Ge­dicht, so groß wie Sie nur ir­gend wol­len, aber kei­ne Her­manns­schlacht. Was war ihm das Deutsch­land vom Jah­re 9 un­se­rer Zeit­rech­nung? Was gin­gen ihn die Rö­mer an? Er sah nur die Fran­zo­sen von 1806 und 7, er gab sich kaum die Mühe, ih­nen ein rö­mi­sches Män­tel­chen um­zu­hän­gen. Und sei­ne Ger­ma­nen! Hö­ren Sie ein­mal sein Bar­den­lied. Mit Hän­den, die vor Er­re­gung zit­ter­ten, riss er ein Buch vom Ge­stell, das er has­tig durch­blät­ter­te, und be­gann die Stro­phe zu le­sen:

       Wir lit­ten mensch­lich seit dem Tage –

      Als er aber an die Stel­le kam:

       Wir üb­ten nach der Göt­ter Leh­re

       Uns durch vie­le Jah­re im Ver­zeihn,

      da warf er das Buch auf den Tisch und rief:

      Ist das ger­ma­nisch, sind das Wo­t­an­spries­ter? Sind das nicht viel­mehr ver­kapp­te evan­ge­li­sche Pas­to­ren? Wann hät­ten un­se­re al­ten Siegs­göt­ter Ver­zei­hung und Un­ter­wer­fung ge­lehrt? Und da­nach soll­te kein and­rer mehr nach dem Kranz al­ler Krän­ze grei­fen dür­fen? Ich wer­de mei­nen Che­rus­kern einen Schlacht­ge­sang in den Mund le­gen, in dem die Ham­mer­schlä­ge Thors dröh­nen.

      Er ging mit großen Schrit­ten durchs Zim­mer, sei­ne Au­gen flamm­ten. Dann blieb er vor mir ste­hen.

      Miss­deu­ten Sie mich nicht. Kleist hat­te als Dich­ter das Recht, zu ver­fah­ren, wie er ver­fuhr, und nie­mand be­wun­dert ihn mehr als ich. Aber er hat noch Raum ge­las­sen für mei­ne Dich­tung und da­für dan­ke ich ihm mehr als für al­les Gro­ße, was er selbst ge­schaf­fen hat. Und ich bin gleich­falls im Recht, wenn ich es völ­lig an­ders an­fas­se. – Mir sind wie dem Va­ter Ho­mer Sie­ger und Be­sieg­te gleich san­ges­wür­dig. Der ger­ma­ni­schen Hel­den­grö­ße will ich die rö­mi­sche ent­ge­gen­set­zen. Den Zu­sam­men­prall zwei­er Wel­ten will ich dar­stel­len, ei­ner rei­fen, höchst ver­fei­ner­ten, mit al­lem Glanz und al­len Las­tern aus­ge­stat­te­ten, und ei­ner ro­hen ur­tüm­li­chen, die aber den Hauch der Ju­gend, die hö­he­re sitt­li­che Kraft und die kei­men­de Zu­kunft für sich hat. Und bei­de will ich in sol­chen Ge­stal­ten ver­kör­pern, dass um Freund und Feind die­sel­be tra­gi­sche Glo­rie schei­nen soll.

      Um ihn sel­ber, den schö­nen Men­schen, lag es wie ein Glo­ri­en­schein, als er im Zim­mer auf und nie­der ge­hend mir den Plan sei­ner Tri­lo­gie »Der Be­frei­er« ent­wi­ckel­te.

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