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nach Hau­se ge­hen, Aus­schla­fen von der Knei­pe­rei, Und dann in Ver­sen dir ge­ste­hen, Wie sehr ich zu ver­dam­men sei. Ich wer­de – ehr­lich es zu sa­gen, Ist Ra­che eben­so wie Pf­licht – Noch man­chen aus der Flam­me tra­gen: Die Ente lässt das Schwim­men nicht.

      Frei­lich, die Ente am Schwim­men zu hin­dern, hät­te es ein Wun­der ge­braucht. Der Trunk galt da­mals noch beim deut­schen Mann in viel hö­he­rem Maß als heu­te für einen Aus­weis von Männ­lich­keit und war zu­gleich von ei­ner Art Wei­he um­ge­ben, denn man glaub­te noch das We­ben alt­ger­ma­ni­schen Hel­den­geis­tes beim Hum­pen zu ver­spü­ren. Die­ses deut­sche Er­bü­bel drück­te dem gan­zen Le­ben sei­nen Stem­pel auf und trug viel zu der ge­sell­schaft­li­chen Form­lo­sig­keit bei, weil es die Ge­schlech­ter trenn­te. Äl­te­re Her­ren hiel­ten es meist in Da­men­ge­sell­schaft nicht aus; kam solch ein männ­li­cher Gast in die Fa­mi­lie, so er­ging in kur­z­em an den Haus­herrn die Fra­ge: Wol­len wir stre­ben? Da­rauf er­ho­ben sie sich und streb­ten – na­tür­lich nach dem Wirts­haus. Dort wur­den erst die tiefe­ren Ge­sprä­che ent­bun­den, die kein weib­li­ches Ohr ver­nahm als das der Kell­ne­rin. Wie durf­te man nun er­war­ten, brau­sen­de Jüng­lin­ge von ei­ner Sit­te fern­zu­hal­ten, die von ih­ren Leh­rern und Vor­bil­dern mit In­brunst ge­übt und von den Dich­tern als ei­ner der höchs­ten Le­bens­wer­te be­sun­gen wur­de? Auf die­sem Punk­te konn­te man sich nie ver­ste­hen. Ich war na­tür­lich den Wirts­häu­sern, die mich so vie­le schlaflo­se Näch­te kos­te­ten, spin­ne­feind, und wenn man auf ge­mein­sa­men Spa­zier­gän­gen in eine Wirt­schaft ge­riet, wo die männ­li­che Ju­gend sich als­bald fest­hak­te, so saß ich nach kur­z­em wie auf Koh­len. Ed­gar klag­te, dass ich den Kom­ment nicht er­fasst hät­te, und such­te mich aus dem Ha­fis und Ana­kre­on von der Poe­sie der Schen­ke zu über­zeu­gen. Aber ver­geb­lich: auf ei­ner Holz­bank vor dem Bier­glas zu sit­zen, ge­hör­te für mich zu den schwers­ten Ge­dulds­pro­ben, und selbst dem grü­nen Blät­ter­dach der Roß­kas­ta­nie wur­de ich gram, so schön sei­ne lenz­li­chen Blü­ten­ker­zen wa­ren, weil die­ser Baum sich in mei­ner Vor­stel­lung mit dem Sonn­tags­pu­bli­kum der Wirts­gär­ten und dem Ge­gröl der Ke­gel­bahn un­zer­trenn­lich ver­band. Da ge­gen den ger­ma­ni­schen Durst in kei­ner Wei­se auf­zu­kom­men war und ich die Er­fah­rung mach­te, dass auch die­je­ni­gen un­se­rer jun­gen Freun­de, die mir die rit­ter­lichs­te Er­ge­ben­heit be­zeig­ten, so­bald sie zwi­schen mei­ner See­len­ru­he und dem Wirts­haus zu wäh­len hat­ten, dem Wirts­haus den Vor­zug ga­ben, und kein Vor­satz, kein Ver­spre­chen stark ge­nug war, sie zu bin­den, wur­de ich all­mäh­lich am männ­li­chen Ge­schlecht völ­lig irre. Und in mei­ner Verzweif­lung setz­te ich mich ei­nes Ta­ges nie­der, um eine Un­ter­su­chung zu schrei­ben über die Fra­ge: Hat der Mann ein See­len­le­ben? Oder ist er nur ein Ge­fäß zur Auf­nah­me von Flüs­sig­keit? Ich brach­te es aber nicht wei­ter als bis zur Über­schrift, denn ich kam über das Für und Wi­der nicht ins kla­re.

      Als ich ein­mal nach Jahr­zehn­ten, kurz be­vor Ed­gars ar­beits­rei­ches Le­ben vor­zei­tig schloss, mit ihm in Flo­renz bei­sam­men saß und wir der al­ten Zei­ten ge­dach­ten, be­kann­te ich ihm, mit wel­chem li­te­ra­ri­schen Vor­satz ich mich da­zu­mal in Tü­bin­gen ge­tra­gen hat­te und wie­so ich über die Be­wei­se für das See­len­le­ben des Man­nes nicht schlüs­sig ge­wor­den war. Da strich er sich schmun­zelnd über den Bart und sag­te: Ich glau­be jetzt die Fra­ge da­hin ent­schei­den zu kön­nen, dass der Mann un­be­streit­bar ein See­len­le­ben hat, dass ihn aber die­ses nicht hin­dert, auch ein Ge­fäß zur Auf­nah­me von Flüs­sig­keit zu sein. – Sprach’s und leer­te mit An­dacht sein Glas Chi­an­ti.

      Wäh­rend die Geis­ter der Ju­gend im stärks­ten Brau­sen wa­ren und noch kaum ir­gend­wo die Li­ni­en ei­ner künf­ti­gen Ent­wick­lung her­vor­tra­ten, neig­te sich das Le­ben des Va­ters still und un­be­merkt zum plötz­li­chen Ende. Ich soll­te ihn ver­lie­ren, ohne der Schät­ze, die er zu ge­ben hat­te, an­ders als durch die Luft, die ihn um­weh­te, teil­haft ge­wor­den zu sein. Ei­nen zärt­li­che­ren Va­ter hat es nie ge­ge­ben. Er lieb­te alle sei­ne Kin­der mit glei­cher Stär­ke, ich aber war ihm mehr als bloß ein heiß­ge­lieb­tes Kind, er glänz­te auf, wenn ich nur ins Zim­mer trat, denn in der ein­zi­gen Toch­ter sah sei­ne ab­göt­ti­sche Zärt­lich­keit die Har­mo­nie der Din­ge selbst, den Be­ginn der Ord­nung im Cha­os. Bei sei­ner ho­hen Schät­zung des weib­li­chen Ge­schlech­tes sprach er mit mir gar nicht wie der Va­ter mit sei­nem Kin­de, son­dern wie ein Rit­ter mit der Dame sei­nes Her­zens. Aber ge­ra­de das hat­te zur Fol­ge, dass ich geis­tig nicht so viel von ihm emp­fan­gen konn­te, wie es für bei­de Tei­le wohl­tu­end ge­we­sen wäre. Bei ihm ge­sell­te sich zu ei­ner an­ge­bo­re­nen Zu­rück­hal­tung, die der fast mi­mo­sen­haf­ten Zart­heit sei­ner See­le ent­sprach, die Scheu, der in­ne­ren Ent­wick­lung vor­zu­grei­fen, da­her ich meis­tens nur ahn­te, aber es nicht aus sei­nem Mun­de wuss­te, wie er sel­ber die Din­ge an­sah. Die­se Scheu wirk­te nun aber hem­mend auf mich zu­rück, dass ich nicht wag­te, ihm von dem zu re­den, was ei­gent­lich in mir vor­ging. So fand ich auch nicht den Mut, mit ihm über sei­ne Wer­ke zu spre­chen, die mir doch längst ver­traut wa­ren, und wie wohl hät­te dem Un­ver­stan­de­nen die­se Teil­nah­me ge­tan! Die Schweig­sam­keit, die ich von je­her an ihm kann­te, ließ mich den Weg nicht fin­den, und den Brü­dern ging es, wie sie mir spä­ter ge­stan­den, eben­so. Im­mer ver­schob ich, was ich ihm ger­ne sa­gen woll­te, bis es plötz­lich zu spät war. Er sel­ber war ja ohne Fa­mi­lie auf­ge­wach­sen und hat­te sich erst in vor­ge­rück­teren Jah­ren, nach ei­ner Ju­gend voll Kampf und Ent­beh­rung, ver­hei­ra­tet; so trat er schwer mehr aus der in­ne­ren Ein­sam­keit her­aus. Und das drän­gen­de jun­ge Wachs­tum über­wu­cher­te nun fast den ed­len Stamm. Vor al­lem stand der Al­ters­un­ter­schied von vier­zig Jah­ren ei­nem so un­mit­tel­ba­ren Aus­tausch wie mit der Mut­ter ent­ge­gen. Man­ches Wort von ihm, das wie ein Licht­strahl auf die Din­ge fiel, wür­de mir erst im spä­te­ren Le­ben rich­tig aus­ge­gan­gen sein, hät­te das un­ge­treue Ge­dächt­nis mehr da­von be­wahrt. So frag­te ich ihn ein­mal über das Ho­he­lied: Was meint nur Sa­lo­mo, wenn er sagt: Du bist schön wie der Mond und schreck­lich wie Hee­res­s­pit­zen? Da lä­chel­te der Dich­ter: Dem Lie­ben­den ist der An­blick der Ge­lieb­ten im­mer furchter­re­gend. Das klang mir ganz si­byl­li­nisch, weil ich die Macht, von der die Rede war, sel­ber noch nicht er­fah­ren hat­te.

      Dass ich ihn ver­lie­ren könn­te, trat mir nie so recht deut­lich vor die See­le, be­nom­men, wie ich war, von der ste­ten Sor­ge um die Mut­ter. Es ka­men ja jetzt die Tage, wo sie ganz in der Pfle­ge ih­res herz­kran­ken Jüngs­ten auf­ging, sich nicht mehr schla­fen leg­te und nie­mals von ih­rer ge­lieb­ten Pf­licht ab­ge­löst sein woll­te. Sie al­ter­te und wur­de bleich wie ein Sche­men; frei­lich ge­nüg­te dann ein Wort, das in ih­rem In­nern zün­de­te, sie au­gen­blicks zu ver­wan­deln und zu ver­jün­gen. Der Va­ter aber stand noch hoch und auf­recht, mit den ers­ten Schnee­flo­cken in Haar und Bart und dem im­mer wie­der her­vor­bre­chen­den Glanz der Au­gen. Der hei­ße Som­mer 1873 brach­te eine ängs­ti­gen­de Er­schei­nung. Geis­ti­ge An­stren­gung und ein leich­ter Son­nen­stich hat­ten eine Über­rei­zung des Ge­hirns ver­ur­sacht, die ihn rast­los um­trieb. In die­sem Zu­stand woll­te er nur mich um sich ha­ben, weil er bei mir die Ruhe fand, die sei­nen Ner­ven not­tat. Täg­lich mach­ten wir da­mals zu­sam­men lan­ge, stür­men­de Gän­ge über Fel­der und Wie­sen, die ihn zu er­fri­schen schie­nen.

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