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wie­der Deut­sche zu wer­den.

      Wir er­le­ben zur Zeit in der er­höh­ten völ­ki­schen Stim­mung wie­der ein­mal einen An­sturm auf die Pfle­ge der Al­ten. De­nen, die da mei­nen, dass die Be­schäf­ti­gung mit den Grie­chen das Ge­fühl des Deutsch­tums ge­fähr­de, möch­te ich ein­mal sa­gen dür­fen, dass ge­ra­de das Ge­gen­teil der Fall ist. Wo der Ge­schmack nicht von Ju­gend an auf den großen Stil ein­ge­stellt und durch die ewi­gen Vor­bil­der des Schö­nen ge­fes­tigt ist, da drin­gen die aus­län­di­schen Mo­de­strö­mun­gen am leich­tes­ten ein. Die Fran­zö­se­lei un­se­rer Da­men­welt hängt eng da­mit zu­sam­men. Man geht dann eben­so wie an den Grie­chen an Goe­the und Kleist vor­über und nährt sich vom bil­li­gen Ta­ge­s­er­zeug­nis, das al­ler­dings vom Aus­land ge­schick­ter und bes­ser ge­lie­fert wird als von der ein­hei­mi­schen Ma­che. Da­durch geht viel ju­gend­li­ches Stre­ben ei­ner ech­ten deut­schen Bil­dung ver­lo­ren.

      Wenn die deut­sche Ju­gend die Ur­ver­wandt­schaft zwi­schen Grie­chen- und Ger­ma­nen­tum nicht mehr ver­steht, so liegt es frei­lich an der Art, wie sie zu­meist mit Ho­mer und den Tra­gi­kern be­kannt­ge­macht wird. Seit den Ta­gen des hei­li­gen Au­gus­tin war die Schu­le al­ler Län­der be­strebt, aus den Grie­chen­wer­ken die See­le her­aus­zu­bla­sen und die Schü­ler mit der lee­ren Scha­le zu pei­ni­gen. Die großen Al­ten sel­ber ha­ben am we­nigs­ten da­bei zu ver­lie­ren, wenn man sie aus dem staat­li­chen Un­ter­richt ver­drängt. Sie kön­nen es ab­war­ten, dass wie­der ein­mal jun­ge See­len mit neu­en Ent­decker­won­nen in ihr Hei­lig­tum der ewi­gen Ju­gend ein­drin­gen. –

      Nach Been­di­gung der Ili­as la­sen wir noch in ähn­li­chem Zeit­maß die An­ti­go­ne und Bruch­stücke aus den Ly­ri­kern. Aber der Aga­mem­non des Äschy­los, nach dem mich gleich­falls ver­lang­te, ent­mu­tig­te mich bald durch sei­ne Schwie­rig­kei­ten, und auch den be­gon­ne­nen Ari­sto­pha­ni­schen Wol­ken zeig­te sich mei­ne Sprach­kennt­nis nicht ge­wach­sen.

      Um die Weih­nachts­zeit ver­ließ uns Ernst, um nach Russ­land zu ge­hen. Sein Ab­schied war ein klei­nes Fest. Mama, die ihre Rüh­rung nicht zei­gen woll­te, zer­drück­te ab und zu im Ne­ben­zim­mer eine Trä­ne. Der Schei­den­de woll­te beim Auf­bruch ein paar be­weg­te Wor­te sa­gen, aber sei­ne Schü­le­rin schob ihm, als er den Mund öff­ne­te, schnell ein Stück Ku­chen hin­ein und stopf­te, wäh­rend er da­mit rang, ein zwei­tes nach, dass er zwi­schen La­chen, Wei­nen und Kau­en nicht mehr zum Spre­chen kam. So schied die­ser treues­te mei­ner Ju­gend­freun­de auf Jahr­zehn­te aus mei­nem Le­ben.

      Das Grie­chi­sche wur­de da­nach noch eine Zeit lang un­ter an­de­rer Lei­tung, aber mehr im phi­lo­lo­gi­schen Sin­ne fort­ge­setzt, wo­bei die Poe­sie hin­ter der Gram­ma­tik zu­rück­trat. Da­ge­gen ga­ben Ed­gar und ich uns das Wort, ins­künf­ti­ge, so­lan­ge wir noch bei­sam­men wä­ren, je­des Jahr die An­ti­go­ne ge­mein­sam in der Ur­spra­che zu le­sen, wozu es je­doch nur ein­mal und bruch­stück­wei­se kom­men soll­te. Mir aber wa­ren und blie­ben die Grie­chen mehr als blo­ße Weg­wei­ser des Schö­nen; die­se herr­lich stren­gen, je­der Will­kür ab­hol­den Lehr­meis­ter wur­den mir auch Er­zie­her fürs Le­ben. Sie bil­de­ten mein see­li­sches Rück­grat, denn in der un­be­grenz­ten Frei­heit, in der ich mir sel­ber Maß und Ge­setz su­chen muss­te, wäre ich viel­leicht ohne sie zer­flat­tert. Sie warn­ten mich auch, den Fuß nicht all­zu fest auf die Erde zu set­zen und das Auge nie vor den schau­ri­gen Ab­grün­den zu ver­schlie­ßen, an de­nen die Blu­men des Le­bens blü­hen.

      Noch ein­mal ging mir in der Hei­mat ein neu­es Le­ben auf, als ich mei­ner gu­ten Mut­ter die Er­laub­nis ab­ge­drun­gen hat­te, die Reit­schu­le der Uni­ver­si­tät be­su­chen zu dür­fen. Schon als Kind war ich auf je­den mir er­reich­ba­ren Pfer­derücken ge­stie­gen, und da sich der Haus­arzt mei­nem Wun­sche an­schloss, um mir bei dem seß­haft ge­wor­de­nen Le­ben mehr Be­we­gung zu ver­schaf­fen, wag­te sie nicht nein zu sa­gen. Die Reit­schu­le war als aka­de­mi­sche An­stalt nach da­ma­li­gen Be­grif­fen dem weib­li­chen Ge­schlech­te ver­schlos­sen, da­her nie ein Frau­en­fuß die Reit­bahn be­trat. Auch wur­de mir ein­ge­wen­det, dass die nur we­nig zu­ge­rit­te­nen Zucht­hengs­te vom Lan­des­ge­stüt in Mar­bach, die dem stu­den­ti­schen Reit­un­ter­richt dienten, nicht zu Da­men­pfer­den ge­eig­net sei­en. Dies schreck­te mich je­doch nicht ab, und der da­ma­li­ge Uni­ver­si­täts­stall­meis­ter Baron Ster­nen­fels, der ein Mann von Welt war, kam mei­nen Wün­schen aufs ar­tigs­te ent­ge­gen. So saß ich denn ei­nes Ta­ges im Sat­tel, und bin­nen kur­z­em war es so weit, dass ich auf mei­nem fried­li­chen al­ten Ebor ne­ben dem feu­ri­gen Othel­lo des Stall­meis­ters gen Lust­nau trab­te. Und da der Leh­rer mir nicht auf die Län­ge so viel Zeit al­lein wid­men konn­te, ver­band er von nun an mei­nen Un­ter­richt mit dem der Schü­ler. Ein­mal neck­te er mich, in­dem er mir am un­te­ren Ende der Reit­bahn den Platz an­wies und dann einen plötz­li­chen Ka­val­le­rie­sturm ge­gen mei­ne Stel­lung be­fahl. Als Roß und Rei­te­rin ru­hig blie­ben, war er mit mei­nen Ner­ven zu­frie­den. Da sah man denn des öf­te­ren einen lan­gen Rei­ter­zug durch die Stra­ßen stamp­fen mit ei­nem blon­den Mägd­lein an der Spit­ze ne­ben dem Stall­meis­ter, ein in Tü­bin­gen nie da­ge­we­se­ner An­blick. Es tat mir leid, mei­nen Mit­bür­gern, die oh­ne­hin an dem Tone un­se­res Hau­ses so viel aus­zu­set­zen fan­den, ein er­neu­tes Är­ger­nis ge­ben zu müs­sen, al­lein ich konn­te doch un­mög­lich war­ten, bis ihre An­schau­un­gen sich so weit ge­wan­delt hat­ten, dass sie an ei­ner Dame zu Pferd kei­nen An­stoß mehr nah­men, was noch Jahr­zehn­te dau­ern soll­te. Es wäre auch zu scha­de ge­we­sen. Jene Mor­gen­frü­hen, wo es durch die schla­fen­de Stadt hin­aus­ging in Fel­der und Wäl­der, die noch im Tau fun­kel­ten, und wo die Pfer­de mit Freu­den­ge­wie­her den weit auf­ge­hen­den Raum be­grüß­ten, möch­te ich nicht um vie­les in mei­ner Erin­ne­rung miss­en; es war ein Ge­fühl wie von Herr­schaft über die Erde.

      Im Stall be­fand sich ein statt­li­cher Rapp­hengst, auf den ich we­gen sei­nes schö­nen, rund­ge­bo­ge­nen Hal­ses mit der wal­len­den Mäh­ne gleich ein Auge ge­wor­fen hat­te. Er hieß Sha­les, war eng­li­sches Halb­blut mit sehr gu­tem Stamm­baum, aber per­sön­lich ein lau­nen­haf­ter, tücki­scher Ge­sell, des­sen un­gu­te Cha­rak­terei­gen­schaf­ten sich auch auf alle sei­ne Nach­kom­men ver­erb­ten, dass im Lan­des­ge­stüt noch lan­ge da­nach die Bos­hei­ten des Sha­less­chen Ge­schlechts wohl­be­kannt blie­ben. Ein­mal sperr­te er mich, als ich ihm freund­lich in sei­nen Stand ein Stück Zu­cker brach­te, ein, in­dem er mir mit den Hin­ter­bei­nen den Aus­gang ver­schloss. Kein Zu­re­den half, auch die Reit­knech­te wa­ren macht­los, erst die Kom­man­do­stim­me sei­nes Ge­bie­ters be­wog ihn, mich wie­der frei­zu­ge­ben. Ich war je­doch ver­liebt in den Sha­les und nahm ihm sei­ne Un­ar­ten nicht übel. Und ich lag im­mer aufs neue dem Stall­meis­ter in den Ohren, ein­mal den Sha­les für mich sat­teln zu las­sen, was er als zu ge­fähr­lich ab­lehn­te.

      Ei­nes Mor­gens kam mei­ne Mut­ter noch im Dun­keln an mein Bett und bat mich drin­gend, nur heu­te nicht aus­zu­rei­ten: sie habe mich so­eben im Traum auf ei­nem durch­ge­gan­ge­nen schwar­zen Pfer­de ge­se­hen, in wil­dem Ga­lopp auf der Land­stra­ße hin­ra­send. Ich be­teu­er­te ihr, dass sie völ­lig ru­hig sein dür­fe, weil der ein­zi­ge Rap­pe, der in Be­tracht käme, mir noch ganz kürz­lich rund­weg ver­wei­gert wor­den sei. Das ängst­li­che Mut­ter­herz

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