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an dem stol­zen An­blick des Tie­res dräng­te das Be­den­ken zu­rück. Beim Aus­ritt hieß der Stall­meis­ter mich in der Nach­hut blei­ben, al­lein der Sha­les setz­te sich ge­walt­sam an die Spit­ze, und ich spür­te gleich, dass ich ihn nicht im Zü­gel hat­te. Auf der Stra­ße hielt er sich noch ge­sit­tet, aber kaum wa­ren wir in der Nähe des Wald­hörn­le auf Wie­sen­grund ge­kom­men, der auch die an­de­ren Pfer­de auf­reg­te, so war es mit der Mä­ßi­gung des Sha­les vor­bei, er brach quer über die Wie­se los, er­flog die Bö­schung und rann­te mit mir auf der Land­stra­ße un­auf­halt­sam ge­gen die Stadt zu­rück. Ich hör­te noch den Be­fehl des Stall­meis­ters: Alle zu­rück­blei­ben! dann war ich schon weit hin­weg. Kein Zü­gel wirk­te das ge­rings­te, doch ich saß zum Glück fest und ließ den Sha­les in Got­tes Na­men ren­nen. Es war jetzt ge­nau das Bild, das mei­ne Mut­ter zwei Stun­den zu­vor im Traum ge­se­hen hat­te. Wir wa­ren schon nahe an den Bahn­schran­ken, wo die Sa­che kri­tisch wer­den konn­te, da hör­te ich end­lich die Hufe des Othel­lo hin­ter mir don­nern, was den Sha­les na­tür­lich zu ver­mehr­tem Lau­fe an­trieb. Aber jetzt wur­de er von ei­ner Män­ner­faust ge­packt und in den Zü­geln ge­rüt­telt und be­kam von dem Ger­ten­knauf des Barons einen Hieb um den an­dern auf sei­ne arme Nase, bis ihm das Blut her­un­ter­lief und er end­lich Ver­nunft an­nahm. Zu Hau­se schwieg ich von dem Vor­fall, je­doch der Zü­gel hat­te mir den di­cken Le­der­hand­schuh buch­stäb­lich durch­ge­sägt und in die Hand ein­ge­schnit­ten, auch war mein lin­ker Arm von der An­span­nung so ver­schwol­len, dass er vier­zehn Tage lang un­brauch­bar blieb; so kam Mama all­mäh­lich doch hin­ter die Sa­che. Es war nicht das ein­zi­ge Mal, dass sie Din­ge träum­te, die un­mit­tel­bar da­nach ge­sch­a­hen. Die­se An­la­ge zu Wahr­träu­men hat­te sie auch auf mich ver­erbt, nur dass ihr der Traum den kom­men­den Vor­gang klar er­zähl­te, wäh­rend er ihn mir in ein mehr oder min­der durch­sich­ti­ges Sym­bol zu ver­schlei­ern lieb­te, das sich erst beim Er­wa­chen ent­hüll­te.

      Bald nach dem Aben­teu­er mit dem Sha­les wur­de zu mei­nem Leid Baron Ster­nen­fels von ei­nem Herz­schlag jäh­lings hin­weg­ge­nom­men. Sein Nach­fol­ger, Ritt­meis­ter Haff­ner, war ein ge­müt­lich der­ber al­ter Schnauz­bart, des­sen Ton von dem rit­ter­lich vor­neh­men sei­nes Vor­gän­gers we­sent­lich ab­stach, der aber einen präch­ti­gen ei­ge­nen Stall mit­brach­te. Er war au­ßer sich über die un­lenk­sa­men Zucht­hengs­te, die je­des Mal in den Früh­jahrs­mo­na­ten bei ih­rem ei­gent­li­chen Be­ruf auf den »Plat­ten« wie­der ganz ver­wil­der­ten, auf de­nen er da­her den Stu­den­ten kei­ne fei­ne­re Reit­kunst bei­brin­gen konn­te. Sei­ne Verzweif­lung dar­über pfleg­te sich in dras­ti­scher Wei­se zu äu­ßern. Die­se Hun­de von Hengs­ten, schrie er ein­mal, blau vor Wut, als wie­der al­les durch­ein­an­der ging – und die Esel, die auf den Hun­den sit­zen, es ist eine Schwei­ne­wirt­schaft!

      Zoo­lo­gie schwach, be­merk­te ein ne­ben mir rei­ten­der Me­di­zi­ner.

      Ich ritt nun die fein­ge­schul­ten Tie­re sei­nes ei­ge­nen Stal­les, was frei­lich eine ganz an­de­re Sa­che war. Er be­saß zwei edle ara­bi­sche Hengs­te, den Schim­mel So­li­man, der für mich be­stimmt wur­de, und Ab­del Ke­rim, den Gold­fuch­sen, den er zu­erst ganz al­lein ritt, weil das Tier für schwie­rig galt und in der Tat un­ter sei­nem Herrn, den es nicht zu lie­ben schi­en, im­mer un­ru­hig ging. Es hat­te eben­sol­chen »Schwa­nen­hals« wie der Sha­les und dazu die feu­ri­ge An­mut sei­ner ed­len Ras­se. Mein Wunsch, auch ein­mal den Fuch­sen be­stei­gen zu dür­fen, wur­de an­fäng­lich als un­er­füll­bar ab­ge­lehnt. Aber schließ­lich ge­sch­ah doch, was ich woll­te, und dies­mal wur­de mein Ver­trau­en nicht ge­täuscht. Der Ara­ber war ein rit­ter­li­cher Cha­rak­ter und völ­lig ver­schie­den von dem un­dank­ba­ren Sha­les. Er ging so gern un­ter der leich­teren Last und der wei­che­ren Hand, dass er fort­an mein Lei­broß wur­de und sich wil­lig auch von mir das Ge­biss an­le­gen ließ. Das klu­ge Tier zeig­te ein sicht­li­ches Verant­wort­lich­keits­ge­fühl, so­bald der lan­ge Rei­t­rock an ihm nie­der­wall­te, und mach­te nie­mals mit mir die ge­rings­ten Mätz­chen. Es horch­te so­gar auf un­ser Ge­spräch, denn wenn ich halb­laut den Stall­meis­ter um die Er­laub­nis zum Ga­lop­pie­ren bat, setz­te es sich so­gleich, ohne die Hil­fen ab­zu­war­ten, in Ga­lopp. Im­mer wil­lig trug mich Ab­del Ke­rim stei­le Wal­des­hän­ge hin­auf und hin­ab bis in die Aus­läu­fer des Schwarz­walds hin­über, bald durch seich­te Was­ser­läu­fe pat­schend, bald über Wie­sen hin­flie­gend, und wenn er sehr gut ge­launt war, so gab er im Schritt ei­gen­tüm­li­che sum­men­de Töne von sich, die wie Ge­sang klan­gen. Wer nie die Welt von ei­nem Pfer­derücken aus ge­se­hen hat, der weiß nichts von dem Rausch des Raums, der die Sin­ne er­greift und sich mit dem auf­stei­gen­den Dampf des Pfer­de­kör­pers zu ei­nem halb gött­li­chen, halb tie­ri­schen Won­ne­ge­fühl mischt. Mein neu­er Leh­rer ritt fast im­mer mit mir al­lein, was mich in der Kunst sehr för­der­te. Er war stolz auf sei­ne ein­zi­ge Schü­le­rin und lieb­te es be­son­ders, mich bei der Rück­kehr nach der Stadt in so kur­z­em Ga­lopp an­spren­gen zu las­sen, dass sein So­li­man da­ne­ben Schritt ge­hen konn­te. Die Mäh­ne mei­nes pracht­vol­len Tie­res weh­te da­bei hoch­auf und flog wie Gold­staub durch die Luft, die Hufe dröhn­ten und blitz­ten. Die­ses Kunst­stück er­schi­en den wa­cke­ren Bür­gers­leu­ten als eine ge­woll­te Her­aus­for­de­rung und trug mir das grim­me Miss­fal­len des da­ma­li­gen Stad­t­ober­haup­tes ein. Un­ser Haus­wirt, der wa­cke­re Pole Gen­schow­sky, der mein be­son­de­rer Freund war, hat­te alle Not, im Ge­mein­de­rat un­se­re Fa­mi­lie ge­gen die Maß­re­ge­lun­gen in Schutz zu neh­men, mit de­nen der Hoch­mö­gen­de mir von Amts we­gen das Rei­ten zu ver­lei­den such­te. Die Gas­sen­ju­gend war mir gleich­falls feind­lich; die­se klei­nen Un­hol­de ge­hö­ren ja im­mer zu den stärks­ten Ver­fech­tern des Vor­ur­teils. Als ich spä­ter nach viel­jäh­ri­ger Ab­we­sen­heit wie­der ein­mal aus der Frem­de kam, be­trach­te­te ich mit ei­ner Art von Rüh­rung die neu­en, in der Stra­ße spie­len­den Blond­köp­fe, weil von die­sen we­nigs­tens kei­ner je mit Stei­nen nach mir ge­wor­fen hat­te. Ei­nen See­len­trost aber trug ich da­von, als ei­nes Ta­ges im Mühl­gäss­chen ein ein­fa­cher Mann mich an­sprach, um mir zu sa­gen, er sei ein al­ter Un­ter­of­fi­zier der Ka­val­le­rie und er füh­le sich ge­drun­gen, mir we­gen mei­ner Zü­gel­füh­rung sei­ne Hochach­tung aus­zu­spre­chen. Das fach­män­ni­sche Lob trös­te­te mich über vie­le Krän­kun­gen.

      Mein Grie­chisch­ler­nen hat­te die Ge­mü­ter auch nicht mil­der ge­gen mich ge­stimmt. Ich hät­te die­sen Schatz ja ger­ne als tiefs­tes Ge­heim­nis ge­hü­tet, wäre das bei dem Tem­pe­ra­ment mei­ner Mut­ter mög­lich ge­we­sen. Un­wis­sen­heit galt da­mals noch als be­son­de­re Zier­de der deut­schen Jung­frau, die noch ganz un­ter dem Ban­ne des Gret­che­n­ideals stand; an kei­ner­lei geis­ti­gen Din­gen durf­te sie ir­gend­wel­chen An­teil äu­ßern, und große Na­men muss­ten ihr so un­ge­läu­fig sein, dass sie mit der Zun­ge dar­über stol­per­te. Schon Ham­let kann­te den Pfiff. »Ihr stellt euch aus Ei­tel­keit un­wis­send, gebt Got­tes Eben­bil­dern ver­hunz­te Na­men.« Wenn Frau­en­ly­rik an die Öf­fent­lich­keit trat, so muss­te sie ganz zahm und haus­ba­cken sein oder in form­lo­se Emp­fin­de­lei zer­flie­ßen. Hey­se und Bo­dens­tedt be­müh­ten sich da­mals ver­geb­lich, ein paar Ge­dich­te von mir in ich weiß nicht mehr wel­chen Al­ma­nach zu brin­gen. Der Ver­le­ger ver­wei­ger­te die Auf­nah­me, er fand die Spra­che für ein jun­ges Mäd­chen zu kraft­voll. Da war es denn schließ­lich auch kein Wun­der, wenn die gute Stadt Tü­bin­gen

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