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Früh­win­ter kein zwei­tes Zim­mer hei­zen woll­te, brach­te der eif­ri­ge Leh­rer zu­wei­len ein paar Schei­ter aus sei­nem ei­ge­nen Vor­rat un­ter dem Man­tel mit, was dann doch die Stren­ge der sor­gen­den Schaff­ne­rin zum Schmel­zen brach­te, dass sie uns ein ru­hi­ges Lern­stüb­chen wärm­te. Un­be­schreib­lich war mein Ent­zücken am Ur­text mei­ner Lieb­lings­dich­tung. Der treff­li­che alte Voß hat­te mir ja mit dem In­halt wohl auch die Ehr­wür­dig­keit der ho­me­ri­schen Spra­che über­mit­telt, aber er konn­te nur ihr Al­ter wie­der­ge­ben, nicht ihre Ju­gend, weil ihm kei­ne jun­ge Spra­che zur Ver­fü­gung stand. Wie an­ders klang das al­les nun im Grie­chi­schen! Aus je­dem Wort und je­dem Par­ti­kel­chen ström­te Ju­gend her­ein, eine Ju­gend, wie es seit­dem kei­ne mehr auf der Welt ge­ge­ben hat. Oft war es, wie wenn ein Kind in sei­ner bil­der­haf­ten Un­schuld­spra­che Din­ge re­det, in de­nen sich ein hö­he­rer Sinn spie­gelt. Da, wo Hek­tor die War­nung des un­güns­ti­gen Vo­gel­flugs zu­rück­weist, lässt Voß den Hel­den ant­wor­ten:

      Ein Wahr­zei­chen nur gilt: fürs Va­ter­land tap­fer zu kämp­fen.

      Wa­cker und gut. Aber wie lau­te­te nun die Stel­le bei Ho­mer?

       Ein Vo­gel ist der bes­te: die Hei­mat be­schir­men.

      Es war, als ob mit­ten in dem har­ten deut­schen Frost­wet­ter der schö­ne grie­chi­sche Vo­gel leib­haft zum Fens­ter her­ein­ge­flat­tert käme, dass ich vor Über­ra­schung einen Schrei aus­stieß. In nicht mehr als drei­ßig Ta­gen wur­de die gan­ze Ili­as mein, eine Meis­ter­leis­tung des Leh­rers, die ihm spä­ter nie­mand glau­ben woll­te. Die Brü­der, die min­des­tens ihre vier Jah­re im Gym­na­si­um hat­ten schan­zen müs­sen, be­vor sie über­haupt an den Ho­mer ka­men, schüt­tel­ten un­gläu­big die Köp­fe und är­ger­ten sich doch zu­gleich ein we­nig über die von ih­nen ver­brauch­te Zeit; be­son­ders Al­fred räch­te sich am Leh­rer und an der Schü­le­rin durch spöt­ti­sche Be­mer­kun­gen. Al­lein wir lie­ßen uns nicht stö­ren. Wenn es auch et­was holt­er­pol­ter durch die Gram­ma­tik ging, so war doch der Leh­rer zu ge­wis­sen­haft, um mei­ne Fin­dig­keit im Er­ra­ten des Sin­nes durch­ge­hen zu las­sen; es muss­te jede schwie­ri­ge Form vor­ge­nom­men und ge­nau­er un­ter­sucht wer­den, be­vor er mei­ne Un­ge­duld wei­te­rei­len ließ. Da­her mir trotz dem von den Brü­dern be­män­gel­ten Lauf­schritt der Geist der Spra­che recht wohl auf­ging, wenn ich auch na­tür­lich in der Gram­ma­tik nicht sat­tel­fest wer­den konn­te wie sie. Aber ein wie viel grö­ße­rer Le­bens­ge­winn floss mir aus den karg be­mes­se­nen Stu­di­en zu, als ih­nen die dau­er­haf­te­re Kennt­nis der un­re­gel­mä­ßi­gen Ver­ba und der si­che­re Ge­brauch des Ao­rists ge­wäh­ren konn­te. Mei­ne glück­se­li­gen Kin­der­ta­ge ka­men mir noch ein­mal in ver­stärk­tem Glan­ze zu­rück. Da stand wie­der das un­s­terb­li­che Roß des Achil­leus, wie es die wal­len­de Mäh­ne trau­ernd durch das Joch senkt, wäh­rend es dem Halb­gott sein na­hes Ende ver­kün­digt. Und ich ver­stand jetzt kla­rer, was mich am Bil­de die­ses Hel­den von je­her so ein­zig ge­fes­selt hat­te: dass es kei­ne hö­he­re Ver­kör­pe­rung des Idea­lis­mus durch die Poe­sie gibt als ihn. Sämt­li­che Ge­stal­ten der Ili­as sind nach dem Le­ben ge­bil­det von dem viel­re­den­den Ne­stor bis zu dem ro­hen Drauf­gän­ger Dio­me­des, von Odys­seus ganz zu schwei­gen, aus dem der grie­chi­sche Mensch mit sei­nem ge­schicht­li­chen Cha­rak­ter blickt. Achill al­lein ist nicht aus der Er­fah­rung, son­dern aus der See­le ge­holt. In ihm se­hen wir, wie das ad­ligs­te al­ler Völ­ker sich den ad­ligs­ten al­ler Men­schen dach­te. (Die grie­chi­sche Ge­schich­te hat nur ei­nen her­vor­ge­bracht, der an ihn er­in­nert: Alex­an­der, in dem man mit­un­ter die be­wuss­te An­glei­chung zu spü­ren glaubt.) Als Sohn der zar­tes­ten Göt­tin ver­bin­det der He­ros das Fein­ge­fühl mit dem Dä­mo­ni­schen und er­scheint durch­weg auf das Ge­müts­le­ben ge­rich­tet. Nicht die Ta­ten des Achil­leus will Ho­mer sin­gen, son­dern sei­nen Zorn. Da­rum wird er nur ge­gen das Ende kämp­fend ein­ge­führt, wäh­rend man die an­dern im­mer beim Tot­schla­gen sieht. In­des jene wür­gen, sitzt er am Meer und spielt die Lei­er, aber es ist da­für ge­sorgt, dass wir nicht ver­ges­sen, wie ohne ihn nichts Rech­tes ge­sche­hen kann. Je­des Lob der an­dern wird ein­ge­schränkt durch den Zu­satz »nach dem ta­del­lo­sen Achil­leus«, wie der Kö­nig von je­dem Zins den Lö­wen­an­teil emp­fängt; nur die Schlau­heit wird ihm ab­ge­spro­chen: sie ge­hört der nie­de­ren Mensch­heit, nicht ih­rem Ideal­bil­de an. Er al­lein von den Hel­den Ho­mers ist über das Ir­di­sche er­ha­ben und da­durch den Göt­tern ähn­lich. Er be­darf der Nah­rung nicht, wenn sei­ne See­le in ih­ren Tie­fen auf­ge­stürmt ist, wäh­rend Odys­seus als der hoch­be­gab­te, aber in­ner­lich ge­mei­ne Mensch kei­nen Au­gen­blick des Lei­bes Not­durft ver­gisst. Alle die an­dern gie­ren als nai­ve Na­tur­menschen nach Ge­winn, der Sohn der The­tis schätzt Beu­te und Süh­ne­ge­schen­ke nur um der Ehre wil­len und nimmt auch hier­in das spä­te­re Rit­te­r­ide­al vor­aus. So er­scheint auch sei­ne gan­ze Um­ge­bung durch ihn ver­edelt, in­dem sie sich ihm an­gleicht, und sie wirft ih­ren Adel auf ihn zu­rück. Pa­tro­klos vor al­len, »so sanft­ge­sinnt und so tap­fer«, ist wie die schwä­che­re Ver­dop­pe­lung ei­nes Re­gen­bo­gens, ihm in al­lem ähn­lich, aber we­ni­ger als er. Für ihn al­lein ge­sche­hen Wun­der: von sei­nem un­be­schütz­ten Haupt lo­dert die Feu­er­flam­me Athe­nes, das un­s­terb­li­che Roß ge­winnt Spra­che, der kunst­fer­ti­ge Gott schmie­det ihm die Waf­fen im Schwei­ße sei­nes An­ge­sichts. Aber all die­se Vor­rech­te ge­nießt er nur, weil er das Le­ben, das ihm so hold ist, weg­wirft, um sei­nem Her­zen zu ge­nü­gen.

      Wie wei­se der Dich­ter ihn vom Kamp­fe auf­spart bis zu­letzt; der Held wäre ge­mein, wenn er jetzt nicht, um den Freund zu rä­chen, über alle Schran­ken gin­ge, dass sei­ne Ta­ten mit de­nen der an­de­ren in gar kei­nen Ver­gleich mehr ge­bracht wer­den kön­nen. Sein Kampf mit dem Strom­gott ist ein Stück an­ti­ker Ro­man­tik in­mit­ten der Sach­lich­keit Ho­mers. Der to­ben­de Aus­bruch des Hel­den muss sei­ne nach­fol­gen­de schö­ne Men­sch­lich­keit dem Ge­mü­te de­sto le­ben­di­ger ma­chen, wäh­rend er doch auch in sei­nen weichs­ten Au­gen­bli­cken noch der Ge­fähr­li­che bleibt und sel­ber vor dem Dä­mon, der ihn fort­rei­ßen könn­te, warnt. Wie er mit dem al­ten Pria­mos im Zel­te sitzt und die zwei Tod­fein­de über den Jam­mer des Kriegs, des­sen Op­fer sie bei­de sind und dem sie bei al­ler Macht kei­nen Ein­halt zu tun ver­mö­gen, zu­sam­men wei­nen, das ist viel­leicht das Größ­te, was der Dich­tung je­mals ge­lang.

      Auch die ho­me­ri­sche Land­schaft, die so wun­der­bar an das Raum­ge­fühl spricht, wirk­te mäch­tig auf die Ein­bil­dung. Die Ska­man­dere­be­ne mit den ge­mau­er­ten Gru­ben für die tro­i­schen Wä­sche­rin­nen, wie ich de­ren spä­ter in süd­li­chen Lan­den vie­le se­hen soll­te, und dem ehr­wür­di­gen Male des Ilos, das in eine graue Zei­ten­fer­ne zu­rück­wei­send da­durch die dar­ge­stell­te Ge­gen­wart so jung und so le­ben­dig macht, das nahe Rau­schen der Meer­flut, aus der die The­tis steigt, die ge­heim­nis­vol­le süd­li­che Nacht, die bei dem Schleich­gang des Do­lon um die Grie­chen­zel­te webt: dies al­les wur­de zur per­sön­li­chen Nähe und weck­te ein un­aus­lösch­li­ches Ver­lan­gen nach dem Bo­den, aus dem jene ewi­gen Ge­sän­ge ge­stie­gen sind. Da­mals ga­ben Leh­rer und Schü­le­rin sich das Wort, wenn ein­mal bei­de es im Le­ben zu et­was ge­bracht hät­ten, zu­sam­men Grie­chen­land und die In­seln zu be­rei­sen. Ein Men­schen­le­ben muss­te ver­ge­hen, be­vor das Ge­lüb­de er­füllt

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