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von der schon Goe­the weiß. Der An­stand for­der­te, dass man zu je­dem Stück Fleisch ein min­des­tens gleich­großes Stück Brot zum Mun­de führ­te, das auf der Zun­ge schmolz. Ich fass­te eine eben­so tie­fe Be­wun­de­rung für die fran­zö­si­sche Kü­che, wie mich die Ab­we­sen­heit al­ler an­de­ren Be­lan­ge bei der Ge­sell­schaft in Er­stau­nen setz­te. Die fei­nen Wei­ne, die auf den Tisch ka­men, und das nie feh­len­de Gläs­chen Li­kör wa­ren das ein­zig Geis­ti­ge, was es in Vier­zon gab.

      Die we­ni­gen Fa­mi­li­en, mit de­nen Frau Vail­lant Ver­kehr pflog, Guts­be­sit­zer, Fa­bri­kan­ten und der­glei­chen, drück­ten of­fen­bar über ih­res Soh­nes po­li­ti­sche Stel­lung ein Auge zu, trotz dem To­des­ur­teil, das über ihm hing; so stark wir­ken Be­sitz und Wohl­stand auf die Ge­mü­ter. We­nigs­tens kann ich nicht an­neh­men, dass sie alle im Her­zen heim­li­che »Com­mu­nards« wa­ren. In wun­der­lich rüh­ren­der Wei­se war das Mut­ter­herz be­strebt, ihm die­ses Wohl­wol­len, nach dem er nicht frag­te, zu er­hal­ten. Wenn ein Brief aus Lon­don kam, so er­schie­nen die Da­men vol­ler Neu­gier, dann las ih­nen Frau Vail­lant vor mei­nen stau­nen­den Ohren Grü­ße und Ver­bind­lich­kei­ten vor, die eif­rigst er­wi­dert wur­den, die aber nie aus Vail­lants streng wahr­haf­ti­ger Fe­der ge­flos­sen sein konn­ten. Wa­ren dann die Be­su­che­rin­nen fort, so gab sie mir die Brie­fe in die Hand, und es zeig­te sich dann, dass die Grü­ße an ih­ren deut­schen Gast ge­rich­tet wa­ren. Sehr merk­wür­dig er­schi­en es mir, dass Frau Vail­lant ihr fei­nes Fran­zö­sisch nicht or­tho­gra­fisch schrei­ben konn­te und sich da­her ihre Brie­fe von mir durch­se­hen und be­rich­ti­gen ließ.

      Die Zeit stand in Vier­zon ganz still. Ich leb­te hin­ter den ver­zau­ber­ten Obst- und Blu­men­spa­lie­ren wie ein Dorn­rös­chen. Zu je­dem Aus­gang über die Stra­ße be­durf­te es ei­ner Beglei­tung, was mir das Aus­ge­hen ganz ver­lei­de­te; ich habe da­her von Vier­zon-Vil­le fast gar kei­ne, von der äu­ßerst reiz­vol­len Land­schaft mit dem stil­lem um­busch­ten Flüss­chen, wo die Da­men über­ra­schen­der­wei­se im Frei­en ba­de­ten, nur eine schwa­che Erin­ne­rung be­wahrt. In Vier­zon-Vil­la­ge, wo­hin man häus­li­cher Be­stel­lun­gen hal­ber fuhr, lern­te ich auch die fran­zö­si­schen Bau­ern mit ih­ren aus­ge­höhlten Holz­schu­hen und ih­ren blü­ten­wei­ßen Bett­him­meln, mit ih­rem brei­ten Wohl­stand und ih­rem en­gen Re­chen­geist ken­nen.

      Die wohl­wol­len­de, müt­ter­lich ge­sinn­te Frau tat ihr mög­lichs­tes, wie sie es an­sah, um zwi­schen mei­nen von Hau­se mit­ge­brach­ten Be­grif­fen und de­nen ih­rer Um­ge­bung zu ver­mit­teln. Wie schwer ihr dies in­ner­lich fal­len muss­te – denn sie stand ja sel­ber zu­meist auf dem Stand­punkt ih­rer Lands­leu­te – konn­te ich da­mals kaum über­se­hen. Von ei­nem ge­wis­sen jun­gen Mäd­chen hieß es, dass man nicht mit ihr um­ge­hen kön­ne, weil sie ih­ren Va­ter nach Ita­li­en be­glei­tet und ein hal­b­es Jahr in Ve­ne­dig und Rom ge­lebt habe, wel­che Städ­te für be­son­ders sit­ten­los gal­ten, und ich hör­te den Va­ter schwer ta­deln, dass durch sei­nen Un­be­dacht der Toch­ter für im­mer die Hei­rats­aus­sich­ten ver­baut sei­en. Mit ei­ner leb­haf­ten jung ver­hei­ra­te­ten Frau wur­de mir gleich­falls der Ver­kehr be­schränkt im Hin­weis auf ihre sitt­li­che Ver­gan­gen­heit. Ich war nicht we­nig er­staunt zu hö­ren, worin die­ser Ma­kel be­stand: sie habe vor ih­rer Ehe mit jun­gen Her­ren Brie­fe ge­wech­selt, und die­se Ver­ir­rung wir­ke noch un­güns­tig auf die ärzt­li­che Pra­xis ih­res jet­zi­gen Man­nes nach. Auf mei­nen Ein­wand, dass ich ja gleich­falls mit den jun­gen Freun­den mei­ner Fa­mi­lie in Brief­wech­sel ste­he und dass sie selbst mich er­mah­ne, ih­rem Sohn nach Lon­don zu schrei­ben, wur­de mir die ein­sich­ti­ge Ant­wort, bei ei­ner Deut­schen sei es et­was an­de­res. Am schroffs­ten spal­te­ten sich die Mei­nun­gen bei ei­nem tra­gi­schen Fall, der sich in der Stadt er­eig­ne­te. Ein jun­ger Mann hat­te in der Not­wehr einen an­de­ren er­sto­chen und wur­de – un­ge­rech­ter­wei­se, wie alle sag­ten – zu drei­ßig Jah­ren Ker­ker ver­ur­teilt. Je­doch die all­ge­mei­ne Kla­ge galt nicht sei­nem Los, son­dern dem sei­ner Schwes­ter, die ver­lobt war und die nun ein­sam ver­blü­hen müs­se, weil ja doch dem Bräu­ti­gam un­ter die­sen Um­stän­den gar nichts üb­rig blei­be, als sich zu­rück­zu­zie­hen. Was mich ent­setz­te, war nicht die Hand­lungs­wei­se des Ver­lob­ten, die in je­dem Land vor­kom­men konn­te, son­dern die fel­sen­fes­te Über­zeu­gung der Ge­sell­schaft, dass ein an­de­res Ver­hal­ten über­haupt nicht mög­lich sei. Frei­lich be­dach­te ich im ju­gend­li­chen Ei­fer nicht, dass in Frank­reich Ver­lo­bun­gen un­ter ganz an­de­ren Voraus­set­zun­gen ge­schlos­sen wer­den als bei uns, da­her jene mich so we­nig ver­stan­den wie ich sie und über die un­prak­ti­schen Zu­mu­tun­gen des deut­schen Idea­lis­mus be­denk­lich die Köp­fe schüt­tel­ten. Die Luft wur­de mir in Vier­zon en­ger und en­ger. In ei­ner deut­schen Land­stadt vom glei­chen Um­fang wäre ja der Geist im gan­zen auch kein freie­rer ge­we­sen, aber es hät­te doch eine Rei­he merk­wür­di­ger, von der Um­ge­bung ab­ste­chen­der Son­der­lin­ge die Ein­tö­nig­keit un­ter­bro­chen. Von die­sen Pro­vinz­lern ent­fern­te sich kei­ner um Haa­res­brei­te von der Li­nie des Nach­barn. Das wa­ren nun mei­ne Er­fah­run­gen mit der fran­zö­si­schen Kul­tur. Und so sah die Welt aus, der der re­vo­lu­tio­näre, kom­mu­nis­ti­sche Vail­lant ent­stamm­te.

      Eine et­was fri­sche­re Luft kam durch den Be­such ei­ner an­ge­neh­men jun­gen Pa­ri­se­rin ins Haus, der Frau ei­nes gleich­falls nach Lon­don ge­flüch­te­ten »Com­mu­nards«. (Ne­ben­bei ge­sagt, war Com­mu­nard ein hal­b­es Schimpf­wort, sie sel­ber nann­ten sich Com­mu­neux.) Ma­da­me Mar­tin war Mo­dis­tin und mach­te sich durch An­fer­ti­gung al­ler­liebs­ter Hüt­chen um die Haus­be­woh­ne­rin­nen ver­dient. Mut­ter Vail­lant brach­te den An­schau­un­gen des Soh­nes das Op­fer, dass sie die jun­ge Frau ganz als glei­che be­han­del­te, und die­se war auch an Takt und äu­ße­rer Bil­dung den Da­men von Vier­zon min­des­tens eben­bür­tig. Auf Aus­gän­gen wur­de ich aber doch noch lie­ber ei­ner ält­li­chen Eng­län­de­rin an­ver­traut, ei­ner ehe­ma­li­gen Gou­ver­nan­te, die ihre Fe­ri­en im Hau­se ver­brach­te und mir auf Frau Vail­lants Wunsch ein we­nig Kla­vier­un­ter­richt gab, – es war näm­lich eine der Ei­gen­hei­ten mei­ner Mut­ter, dass sie zu mei­nem größ­ten Schmerz die Mu­sik gänz­lich aus dem Lehr­plan aus­ge­schlos­sen hat­te. So war ich der Miss dank­bar, ob­gleich sie als Deut­schen­fein­din mir nicht son­der­lich wohl­woll­te. Viel lie­ber war ihr Ma­de­moi­sel­le Pou­par­din; die­se be­glei­te­te sie mit Hin­ge­bung auf dem Kla­vier, wenn sie des Abends her­über­kam und die da­mals sehr be­lieb­te herz­bre­chen­de Ro­man­ze sang:

       On dit que l’on te ma­rie,

       Tu sais que j’en vais mour­ir -

      Die­se Eng­län­de­rin nun war mir zur Auf­sicht bei­ge­ge­ben, und es ent­behr­te nicht ei­ner ge­wis­sen Ko­mik, dass ich das feind­li­che Land mut­ter­see­len­al­lein durch­reist hat­te und nun an Ort und Stel­le den Nach­barn zu­lie­be be­treut wer­den muss­te wie ein Kind. In der eng­li­schen Ge­sell­schaft konn­te ich einen Be­such in dem na­hen Bour­ges un­ter­neh­men. Die Miss ent­le­dig­te sich ih­rer Auf­ga­be aber nicht in Frau Vail­lants Sin­ne, denn auf dem Weg vom Bahn­hof ins Stadt­in­ne­re ließ sie mich plötz­lich ste­hen, um sich in einen Trupp vor­bei­zie­hen­der Re­kru­ten zu stür­zen, die sie mit feu­ri­ger An­spra­che zur schleu­nigs­ten Wie­de­r­er­obe­rung von El­saß-Loth­rin­gen auf­for­der­te. Sie er­weck­te, so­viel

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