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zu­vor dort an­fra­gen zu las­sen, wor­auf die über­ra­schen­de Ge­gen­fra­ge kam, wie das jun­ge Fräu­lein aus­se­he. Auf die Ant­wort: groß, schlank, blond, wur­de die Er­laub­nis ver­wei­gert, weil dies das Si­gna­le­ment der ver­klei­de­ten preu­ßi­schen Of­fi­zie­re sei. Als wir dann spä­ter in der schö­nen Kas­ta­ni­en­al­lee, die die Stadt um­zieht, ei­nem der Her­ren je­ner An­stalt be­geg­ne­ten, konn­te die­ser nicht um­hin über die an­ge­wand­te Vor­sicht zu lä­cheln und er­bot sich, mir den Ein­tritt doch noch zu er­wir­ken. Aber ich lehn­te dan­kend ab und habe so­mit nie er­fah­ren, was für Genüs­se mich dort er­war­tet hät­ten.

      Na­tür­lich horch­te ich im­mer hoch auf, wenn in Vier­zon von den Erin­ne­run­gen der Kom­mu­ne die Rede war. Hat­te man mir in Pa­ris von den Blut­ta­ten der ra­sen­den Men­ge er­zählt, so hör­te ich jetzt von den zehn­mal grö­ße­ren Schre­cken, die die re­gu­lä­ren Trup­pen und der ele­gan­te Pö­bel ver­üb­ten. Dass man die fünf Mai­ta­ge, wo das Blut in ei­nem un­un­ter­bro­che­nen Strom aus der Ka­ser­ne Lo­bau in die Sei­ne rann und dort als ro­ter Strei­fen wei­ter­floss, mit­er­lebt ha­ben und mit sol­cher See­len­ru­he über die ge­sche­he­nen Din­ge re­den konn­te, über­rasch­te mich. Sie wa­ren nach vier­zehn Mo­na­ten schon fer­ne Ver­gan­gen­heit ge­wor­den. Von den Com­mu­nard­pro­fi­len, die da vor mir auf­tauch­ten, ist mir be­son­ders der ver­bum­mel­te Stu­dent Raoul Ri­gault, Vail­lants ehe­ma­li­ger Stu­dien­ge­nos­se vom Quar­tier La­tin, in Erin­ne­rung ge­blie­ben, der böse Geist der Kom­mu­ne, der als Po­li­zei­prä­fekt ih­ren Na­men mit so viel Blut be­su­delt hat. Nur sein mu­ti­ges Ende konn­te zu sei­nen Guns­ten ge­bucht wer­den. Über den meis­ten die­ser Ge­stal­ten hing ne­ben der Tra­gik ein ei­gen­tüm­li­cher Zug von Leicht­sinn, ganz ent­spre­chend dem Cha­rak­ter ei­nes Vol­kes, das leicht tö­tet und leicht stirbt. In ei­nem Schub­fach fand ich die Vi­si­ten­kar­te des un­glück­li­chen jun­gen Ge­nie­of­fi­ziers Louis Na­tha­na­el Ros­sel, der in miss­glück­ter Nach­ah­mung ei­nes be­rühm­ten Mus­ters sich an die Spit­ze der Re­vo­lu­ti­ons­trup­pen ge­stellt hat­te und den kur­z­en Traum sei­nes Ehr­gei­zes un­ter den Ku­geln sei­ner ehe­ma­li­gen Ka­me­ra­den in der Ebe­ne von Sa­to­ry büß­te. Frau Vail­lant war nicht gut auf ihn zu spre­chen, sie konn­te ihm sei­ne reu­mü­ti­ge Um­kehr zu der al­ten Tri­ko­lo­re nicht ver­zei­hen, de­ren Wie­de­rer­schei­nen auf den Mau­ern von Pa­ris er mit Ju­bel be­grüßt ha­ben woll­te. Ich aber fühl­te das tra­gi­sche Ge­schick des Sol­da­ten mit, der sein ei­ge­nes To­des­ur­teil als ge­recht er­kann­te, und er­bat mir sei­ne Kar­te zum An­den­ken.

      Als mei­ne Zeit in Vier­zon zu Ende ging, war es bei al­ler Er­kennt­lich­keit für die emp­fan­ge­ne Güte doch ein Au­fat­men. Ab­deras und Schildas gibt es auch im lie­ben Deutsch­land, schrieb mir mein Va­ter in sei­nem letz­ten Brie­fe nach Vier­zon, und zwar, wie dir jetzt klar ist, im­mer noch er­träg­li­che­re. – Es ist schwer, be­son­ders für die Ju­gend, die Ein­drücke ei­nes frem­den Lan­des nicht zu ver­all­ge­mei­nern. Da ich die geis­ti­gen Krei­se gar nicht ken­nen ge­lernt hat­te, ver­ließ ich Frank­reich mit der Über­zeu­gung, dass in je­dem fran­zö­si­schen Hirn nur ein ein­zi­ger Ge­dan­ke in fest­ge­präg­ter Form Platz habe: im gros bour­geois die Freu­den der Ta­fel, im Sol­da­ten die Gloi­re, im Re­pu­bli­ka­ner die Re­pu­blik. Die­se Men­schen schie­nen mir samt und son­ders so ein­tö­nig, von so wi­der­spruchs­lo­ser in­ne­rer Lo­gik wie die Cha­rak­tere im fran­zö­si­schen Dra­ma, die am Ende glatt auf­ge­hen wie ein Re­chenexem­pel. Bei der Abrei­se über­reich­te mir ein fei­ner al­ter Ari­sto­krat, der mit der Re­vo­lu­ti­on lieb­äu­gel­te, ein Ge­dicht, worin ger­ma­ni­sches Gold­haar, Ty­ran­nen­blut und Völ­ker­ver­brü­de­rung auf eine nicht ganz kla­re Wei­se zu­sam­men­ge­bracht wa­ren. Da­mit schied ich von Vier­zon, dies­mal na­tür­lich in der ers­ten Klas­se. Ich hat­te dann noch Ge­le­gen­heit, mich vier­zehn Tage bei Lands­leu­ten in der be­zau­bern­den Licht­stadt auf­zu­hal­ten, aber mit der fran­zö­si­schen Ge­sell­schaft kam ich in kei­ne Berüh­rung mehr.

      Per­sön­lich habe ich Vail­lant nicht wie­der­ge­se­hen. Er kehr­te spä­ter in­fol­ge der Am­nes­tie von 1880 nach Frank­reich zu­rück und wur­de zu­erst in den Pa­ri­ser Ge­mein­de­rat und dann in die De­pu­tier­ten­kam­mer ge­wählt. Wir wa­ren un­ter­des­sen nach Ita­li­en über­ge­sie­delt. In Ab­stän­den, die na­tür­lich mit der Zeit im­mer län­ger wur­den, tausch­te er noch Brie­fe mit mei­ner Mut­ter, und auch als die un­mit­tel­ba­ren Be­zie­hun­gen all­mäh­lich ein­sch­lie­fen, blieb das freund­li­che An­den­ken bei­der­seits er­hal­ten.

      In Vail­lants letz­ten Le­bens­jah­ren stand er Jaurès be­son­ders nahe. Bei­der Wir­ken ging ja dar­auf aus, durch die in­ter­na­tio­na­le Ar­bei­ter­or­ga­ni­sa­ti­on Krie­ge für im­mer un­mög­lich zu ma­chen. Vail­lant war nun­mehr der Pa­tri­arch der Par­tei, die, wie G. Her­vé sich aus­drück­te, in Jaurès ihr den­ken­des Hirn, in dem an­dern ihr un­sträf­li­ches Ge­wis­sen ver­ehr­te. Père Vail­lant nann­ten ihn alle. Es soll ein ehr­wür­di­ger An­blick ge­we­sen sein, wenn der alte Mann mit dem we­hen­den Sil­ber­bart und -haar bei öf­fent­li­chen Ar­bei­te­rum­zü­gen die Fah­ne vor­trug. Im Jah­re 1907 kam er noch ein­mal nach Deutsch­land und ver­ließ es im Groll, weil er auf dem Par­tei­tag in Stutt­gart die deut­schen So­zi­al­de­mo­kra­ten nicht für den Ge­ne­ral­streik und Auf­stand im Kriegs­fall ge­win­nen konn­te. Als der Welt­brand aus­brach, er­war­te­te ich, dass er sich der na­tio­na­len Er­bit­te­rung ent­ge­gen­stem­men wür­de. Je­doch das Ge­gen­teil ge­sch­ah. Er tat sel­ber, was er sei­nen deut­schen Par­tei­freun­den so sehr ver­arg­te: er stell­te sich mit sei­nem gan­zen Ge­wicht auf die Sei­te der Re­gie­rung. Er ging aber noch viel wei­ter, denn er pre­dig­te den Völ­ker­hass. Die For­mel vom preu­ßi­schen Mi­li­ta­ris­mus be­herrsch­te ihn ganz; er hat­te ja stets auf For­meln ge­schwo­ren. Als er zum zwei­ten Mal in sei­nem Le­ben deut­sche Hee­re auf Frank­reichs Bo­den ste­hen sah, da trüb­te sich sei­ne geis­ti­ge Ver­fas­sung. Er glaub­te jede Un­ge­heu­er­lich­keit und war un­ter de­nen, die im­mer am lau­tes­ten nach ja­pa­ni­scher Hil­fe rie­fen. Ja, er ließ sich zu der irr­sin­ni­gen An­kla­ge hin­rei­ßen, deut­sche Send­lin­ge hät­ten Jaurès er­mor­det. Ich schrieb ihm da­mals einen of­fe­nen Brief, den ich ihm in vier Ab­schrif­ten über neu­tra­le Län­der zu­sand­te und der spä­ter in deut­scher und fran­zö­si­scher Spra­che ge­druckt wur­de. Ich neh­me an, dass er ihn er­hal­ten hat. Ant­wort kam kei­ne. Was soll­te er auch sa­gen? Mir war es vor al­lem dar­auf an­ge­kom­men, ihm klarzu­ma­chen, dass das deut­sche Volk heu­te noch das­sel­be ist, für das er ein­mal so warm emp­fun­den hat­te, und fer­ner, dass die Hoff­nun­gen un­se­rer Fein­de auf den klein­deut­schen Par­ti­ku­la­ris­mus von ehe­dem trüg­lich sind. Wenn Vail­lant ein­mal hass­te, so war es bei ihm nur na­tür­lich, dass sein Hass über alle Gren­zen ging. Es ist mir gleich­wohl nicht mög­lich, des To­ten an­ders als mit Pie­tät zu ge­den­ken. Leicht mag ihm sei­ne neue Wen­dung auch nicht ge­wor­den sein. Der Jam­mer über den Krieg un­ter­wühl­te sein Le­ben. Man sah ihn in den Wan­del­gän­gen der Kam­mer hohl­äu­gig, ab­ge­zehrt, mit stie­ren Au­gen um­her­schlei­chen, und im De­zem­ber 1915 starb er zu Pa­ris herz­ge­bro­chen nach kur­z­er Krank­heit.

      Un­ter den jun­gen Leu­ten, die bei uns aus und ein gin­gen, hat­te mei­ne Mut­ter einen, den ich

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