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See­le, die das Haus um­irrt und aus den Pap­peln seufzt, führt nur ein freu­de­lo­ses, schat­ten­haf­tes Da­sein wie bei den Grie­chen. Von der Kir­che und ih­ren Bräu­chen ist nicht die Rede, und auch das Kreuz er­scheint nicht als Sym­bol son­dern nur als Ge­gen­stand wie in der leo­no­ren­ar­ti­gen Bal­la­de von dem To­ten, der sein Grab­kreuz tren­nend zwi­schen sich und sei­ne Ge­lieb­te stellt.

      Un­fass­bar er­schi­en es mir, als ich mit dem Buch zu Ende war, dass eine Samm­lung von so fremd­ar­ti­ger und doch tief ver­trau­ter Schön­heit nicht alle nach rei­nem Quell dürs­ten­de See­len mit ih­rem Lab­sal ge­tränkt hat­te, son­dern lan­ge Jah­re nach ih­rem Er­schei­nen so gut wie un­be­kannt und un­ver­stan­den dalag. Wir leb­ten frei­lich in ei­ner gründ­lich ver­bil­de­ten Zeit, wo das Dorf nach der Groß­stadt dräng­te und wo Nach­kom­men­schaft viel­fach als un­er­wünsch­te Begleiter­schei­nung der Ehe an­ge­se­hen war, wo also sämt­li­che Leit­ge­dan­ken die­ser Ge­dich­te in ihr Ge­gen­teil ver­kehrt wa­ren. Um so mehr hielt ich es für ge­bo­ten, auf den ver­gra­be­nen Schatz hin­zu­wei­sen, von dem ich mir eine wun­der­tä­ti­ge Er­fri­schung des ver­küm­mer­ten poe­ti­schen Ge­fühls ver­sprach, und ich tat es 1903 in der von Alex­an­der Ber­nus in Mün­chen her­aus­ge­ge­be­nen Zeit­schrift »Das Reich«, in­dem ich, mehr als es hier der Fall sein kann, den ein­zel­nen Herr­lich­kei­ten nach­ging, aber zu­gleich auch schon den Zwei­fel aus­sprach, ob denn die­se bei al­ler Ein­falt der Frü­hen doch so kunst­reich durch­ge­führ­ten, viel­fa­che Lich­ter wer­fen­den Ge­dich­te über­haupt Volks­poe­sie sein konn­ten oder auch nur vom Vol­ke sel­ber in so voll­kom­me­ner Ge­stalt be­wahrt und über­lie­fert, wo­bei es dann frei­lich eben­so un­wahr­schein­lich war, dass ein Ge­bil­de­ter un­se­rer Tage der Dich­ter sei. Ohne ein Miss­trau­en in die An­ga­ben der kö­nig­li­chen Über­set­ze­rin und Her­aus­ge­be­rin, de­ren Ver­dienst je­den­falls ein au­ßer­or­dent­li­ches war, zu äu­ßern, denn ich hielt sie sel­ber für ge­täuscht, sprach ich den Wunsch aus, es möch­ten sich ernst­haf­te For­scher mit der Fra­ge be­schäf­ti­gen. Da er­hielt ich ei­nes Ta­ges ein Schrei­ben von Frau Mite von Kemm­nitz, der ehe­ma­li­gen Hof­da­me und Freun­din Car­men Sil­vas, worin mir in un­miss­ver­ständ­li­cher Wei­se zu ver­ste­hen ge­ge­ben war, dass es sich um eine be­wuss­te Ir­re­füh­rung hand­le, als de­ren Grund nur ein kö­nig­li­ches Tel est mon plai­sir an­ge­deu­tet wer­den konn­te; mit nä­he­ren An­ga­ben hielt die Schrei­be­rin zu­rück. In der Tat, als sich ru­mä­ni­sche For­scher mit der Her­kunft der Ge­dich­te nach­drück­li­cher be­schäf­tig­ten, wur­de die Fa­bel von ih­rer Her­kunft aus dem Tal der Dim­bo­witza gründ­lich wi­der­legt. Dies hat­te die un­glück­li­che Fol­ge, dass die li­te­rar­his­to­ri­sche Fra­ge mit der rein poe­ti­schen ver­quickt wur­de und die un­sag­bar schö­nen Dich­tun­gen mit der Mar­ke der Fäl­schung be­zeich­net, wor­auf sie aus dem Buch­han­del und zu­gleich aus dem Ge­dächt­nis der Men­schen ver­schwan­den. Als ob ihr dich­te­ri­scher Wert mit der Fra­ge ih­rer Her­kunft das ge­rings­te zu schaf­fen hät­te. Ähn­lich wur­de ja auch Mac­pher­sons Os­si­an als Fäl­schung um­strit­ten und hat doch Goe­the und Her­der be­geis­tert. Aber hier war mehr als Os­si­an. Wer wür­de wohl die ho­me­ri­schen Ge­sän­ge eine Fäl­schung nen­nen, weil ihr Ur­sprung noch heu­te nicht ge­klärt ist? – Nicht ein­mal, in wel­cher Spra­che die­se Lie­der zu­erst ge­dich­tet sind, kommt für ihre Wer­tung in Be­tracht, so ganz sind sie Spra­che der Na­tur. Nur von der An­nah­me, dass der Bal­kan ihre Hei­mat sei, möch­te man sich un­gern tren­nen. Wer etwa den­ken wür­de, dass sie von der Kö­ni­gin sel­ber sei­en, der braucht nur das vor­an­ge­stell­te Wid­mungs­ge­dicht Car­men Sil­vas an ihr to­tes Kind zu le­sen, so er­kennt er trotz der ver­such­ten An­nä­he­rung den Ab­stand zwi­schen dem, was un­se­re Gro­ßen als »nai­ve« und »sen­ti­men­ta­li­sche« Poe­sie un­ter­schie­den. Wie es sich in Wahr­heit ver­hält, das dürf­te von heu­te le­ben­den Per­so­nen nur noch eine ein­zi­ge wis­sen.

      Nach die­ser Ab­schwei­fung in den »ei­gent­li­chen Tag« keh­re ich nun­mehr wie­der in die Welt der »Uhren« zu­rück und fah­re in mei­ner Chro­nik äu­ße­rer Er­leb­nis­se fort.

      Ei­nen wei­te­ren Zu­wachs der Künst­ler­ko­lo­nie brach­te der jetzt ver­stor­be­ne Ma­ler Ernst Satt­ler mit sei­nen drei schö­nen kunst­be­gab­ten Töch­tern und ei­nem Sohn, der durch Takt und na­tür­li­che Lie­bens­wür­dig­keit der heim­li­che Lieb­ling al­ler war. Dem Satt­ler­schen Mäd­chenklee­blatt ent­spra­chen die drei Gro­ßen von den eben­so schö­nen und be­gab­ten Hil­de­brand­stöch­tern, von de­nen die Äl­tes­te den jun­gen Satt­ler hei­ra­te­te. Ein be­son­de­rer Schütz­ling mei­ner Mut­ter war ein jun­ger Bel­gier, den sie in San Fran­ces­co ein­führ­te und die auf­kei­men­de Nei­gung zwi­schen ihm und ei­ner der jün­ge­ren Hil­de­brand­stöch­ter be­schirm­te, bis die Ver­lo­bung zu­stan­de kam. Da wa­ren zwei uns be­freun­de­te deut­sche Ma­ler, die heu­te in Mün­chen le­ben: ein Schwa­be, im Be­kann­ten­kreis Gio­van­ni ge­nannt, der sich einen Ruf als Bild­nis­ma­ler er­wor­ben hat, und sein in den glei­chen Bah­nen wan­deln­der ost­preu­ßi­scher Le­bens­freund Mar­ti­no. Die bei­den sah man nie an­ders als ge­mein­sam, da­her ein Spaß­vo­gel sie »die zwei Ajax« nach der Of­fen­bach­schen Ope­ret­te nann­te. Da war fer­ner ein ei­gen­ar­ti­ger Rhein­län­der, der Böck­lins jün­ge­re Toch­ter An­ge­la heim­führ­te und sich spä­ter in Rom an­kauf­te. Und da war vor al­lem, un­se­rem Hau­se am nächs­ten ver­bun­den, der be­gab­te Bild­hau­er Ge­org Rö­mer. Ob­gleich die­ser Freund, der mir über ein Jahr­zehnt hin­aus mit sel­te­ner Be­reit­schaft und An­häng­lich­keit zur Sei­te stand, spä­ter­hin durch äu­ße­re und in­ne­re Wir­run­gen völ­lig aus mei­nem Da­sein aus­schied, war mir doch in dem Le­bens­ab­schnitt, von dem hier die Rede ist, sei­ne Freund­schaft zu wert­voll, als dass dem nun seit lan­ge Da­hin­ge­gan­ge­nen sein Platz in mei­nen Erin­ne­run­gen ge­nom­men wer­den könn­te.

      Die­ser schö­ne, von rei­nem und ho­hem Kunst­stre­ben be­seel­te Mensch hat­te bei treff­li­chen An­la­gen einen un­glück­li­chen Trop­fen im Blut, der ihn frie­de­los mach­te. Mit sei­nem schwer­mü­ti­gen bron­ze­nen Kopf, der an den as­ke­tisch ver­zück­ten mu­si­zie­ren­den Mönch auf Gior­gio­nes Kon­zert er­in­ner­te, und ei­nem ech­ten herz­li­chen Ent­ge­gen­kom­men ge­wann er leicht die Zu­nei­gung der Men­schen, um sich nach kur­z­em ohne Not mit al­len zu über­wer­fen. Für sol­che, die er lieb­te, hät­te er au­gen­blick­lich sein Le­ben ge­las­sen, denn er war maß­los in Zu- und Ab­nei­gung, kein Dienst, den er leis­ten konn­te, war ihm zu viel, er dräng­te ihn auf und gab sei­nen gan­zen Men­schen hin, aber er drück­te schwer mit sei­ner nor­di­schen wüh­len­den Na­tur auf die Glück­li­che­ren und schlug, weil er je­der Ein­flüs­te­rung zu­gäng­lich war und je­des Lüft­chen ihn stör­te, in jä­hes Miss­trau­en um, das er dann eben­so jäh und ge­walt­sam wie­der gutz­u­ma­chen such­te. Der düs­te­re, arg­wöh­ni­sche Held Von­ved der alt­dä­ni­schen »Käm­pe­vi­ser«, der, ge­quält von Zau­ber­sprü­chen und von den Rät­seln, die er an­de­ren auf­ge­ben muss, um­her­zieht und aus Selbst­qual al­les Schö­ne, das ihm un­ter­wegs be­geg­net, in Stücke schlägt, schi­en mir so recht sein Geis­tes- und Ge­müts­ver­wand­ter zu sein, so­dass ich ihn des öf­te­ren wäh­rend sol­cher schwar­zer Stim­mun­gen mit dem Kehr­vers der al­ten Bal­la­de »Schau dich um, Held Von­ved« warn­te. Er über­zeug­te sich aus der schö­nen Grimm­schen Samm­lung, die er trotz ih­rer Sel­ten­heit

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