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Erin­ne­rungs­bü­chern habe ich ei­ni­ge von ih­nen auch leib­haft ein­ge­führt, un­ter­des­sen aber ließ ich sie ver­mummt in dem Rei­gen »Von Da­zu­mal« tan­zen, dem ich das Prälu­di­um »Es und Ich« – die Schmet­ter­lings­jagd der See­le nach dem Un­er­reich­li­chen – vor­an­stell­te. Die­ses Stück war schon viel frü­her ge­schrie­ben als das Buch und in dem Sam­mel­werk »Hie gut Würt­tem­berg al­le­we­ge« bei Eu­gen Sal­zer in Heil­bronn er­schie­nen. Es war das ers­te­mal, so­weit ich se­hen kann, dass eine sol­che Zu­sam­men­stel­lung ge­wagt wur­de, die her­nach mehr­fach in miss­ver­ständ­li­chen Ab­wand­lun­gen in der Li­te­ra­tur wie­der­kehr­te, denn das je­wei­li­ge »Ich« wur­de ganz per­sön­lich mit ir­gend­ei­nem frem­den, un­nah­bar großen, tat­säch­lich vor­han­de­nen Nu­men zu­sam­men­ge­kop­pelt, das nach der Ka­me­rad­schaft nicht im min­des­ten frag­te. Mein Es und Ich sind ein be­schei­de­nes Paar, denn bei­de sind vom glei­chen Stoff, sind un­trenn­bar eins; bis zum heu­ti­gen Tage noch ist mein Ich auf der Su­che nach sei­nem un­sicht­ba­ren Es. – »Von Da­zu­mal« er­schi­en wie­der­um in ei­nem an­de­ren Ver­lag; weil die Ge­schich­ten ein­zeln in der »Deut­schen Rund­schau« An­klang ge­fun­den hat­ten, gab ich sie als Gan­zes Pae­tel in Ber­lin. Aber die Ver­set­zung in die ver­stan­des­hel­le Ber­li­ner Luft war dem Bu­che nicht be­kömm­lich, es brauch­te da­nach lan­ge, bis es den Rück­weg in die Hei­mat fand; wenn auch die Ein­zel­stücke man­nig­fach in Son­der­aus­ga­ben er­schie­nen, so kam das Gan­ze doch erst zu sei­nem Recht, als der Ver­lag Rai­ner Wun­der­lich in Tü­bin­gen mit be­deut­sa­men Ver­meh­run­gen, wozu auch die art­ver­wand­te »Ze­no­bia« ge­hört, es völ­lig er­neu­ert und ver­jüngt her­aus­gab.

      In Frem­den­ko­lo­ni­en wech­seln Na­men und Ge­sich­ter schnell. Als ich die Le­bens­mit­te er­reich­te, war von dem hel­len Kreis, in den wir bei un­se­rer An­kunft in Flo­renz ein­tra­ten, fast nur noch das Hil­de­brand­sche Haus üb­rig. Gu­er­rie­ris, Gi­us­tis wa­ren frü­he weg­ge­zo­gen, und un­ter den Deutsch­bür­ti­gen hat­te das Ster­ben auf­ge­räumt. Den An­fang mach­te schon im Früh­jahr 1884 Theo­dor Hey­se, der Oheim des Dich­ters, der­je­ni­ge un­ter den Le­ben­den, in dem noch ein Ab­glanz der Tage von Wei­mar leib­haft um­ging. Wel­t­ab­ge­kehrt, in der Ar­mut und Ein­sam­keit ei­nes Wei­sen, bei Bü­chern und Ka­na­ri­en­vö­geln le­bend, war er den­noch so et­was wie ein heim­li­cher Kö­nig ge­we­sen, denn die Jün­ge­ren, die das Glück hat­ten, ihn in sei­ner Klau­se be­su­chen zu dür­fen, tru­gen die Auss­trah­lun­gen sei­nes noch un­ge­dämpf­ten Geis­tes durch die Aus­le­se der Ko­lo­nie. Hil­le­brand, den auf der Höhe des Man­nes­al­ters eine schlei­chen­de Krank­heit ver­zehr­te, schrieb ihm noch einen schö­nen Nach­ruf, der sein ei­ge­ner Schwa­nen­ge­sang wur­de, und folg­te ihm im Herbst des­sel­ben Jah­res. Die­sem leis­te­te Hom­ber­ger den glei­chen Lie­bes­dienst und teil­te sein Ge­schick, in vol­ler Kraft zu ster­ben. Auf dem Fried­hof Agli Al­lo­ri, so von al­ters her nach ei­nem ehe­ma­li­gen Lor­beer­hain ge­nannt, schla­fen alle drei un­ter schö­nen, von Hil­de­brand ge­schaf­fe­nen Ge­dächt­nis­ma­len.

      Das­sel­be Stück flo­ren­ti­ni­scher Erde nahm im Jahr 1891 den un­glück­li­chen Karl Stauf­fer auf, dem die­se Stadt zum künst­le­ri­schen und mensch­li­chen Ver­häng­nis ge­wor­den war. Sei­ne Tra­gö­die zit­ter­te lan­ge in den Her­zen nach, die sie aus der Nähe mit­er­lebt hat­ten. Dass in ihm auch eine dich­te­ri­sche Kraft un­ter­ging, die nie­mand ge­ahnt hat­te, mach­te mir den Vor­gang dop­pelt er­grei­fend. Bei mei­nem Bru­der Er­win, der sein Stu­dien­ka­me­rad an der Münch­ner Aka­de­mie ge­we­sen und der als Letz­ter bei dem Verzwei­feln­den aus­hielt, hat­te ich ei­nes Ta­ges durch Zu­fall in ei­nem zur Auf­be­wah­rung über­ge­be­nen und dann von bei­den Tei­len ver­ges­se­nen lo­sen Bün­del Stauf­fers Ge­dich­te ent­deckt und war von ih­rer wil­den Schön­heit und vul­ka­ni­schen Ur­kraft tief be­trof­fen ge­blie­ben. Ich woll­te ihm so gern ein Wort der Aner­ken­nung, der Be­wun­de­rung zu­kom­men las­sen, das ihm wohl­ge­tan, ihn viel­leicht – wer weiß? – noch für eine kur­ze Stre­cke durch den Glau­ben an sich selbst ge­stützt hät­te; aber sein schnel­ler Ent­schluss kam dem zu­vor. Ich trug es lan­ge wie eine un­be­zahl­te Schuld mit mir, dass ich nicht mehr zu dem Un­glück­li­chen selbst, nur noch zu sei­nen Ma­nen spre­chen konn­te:

       Ver­lor­ner Sohn der Kunst und Poe­sie!

       So wild dein Lied, doch hör­t’ ich Süß­res nie,

       Wie dei­ne Glet­scher­was­ser weiß und schäu­mend,

       Wie dei­ne Berg­seen Him­mels­bläue träu­mend.

       O wenn vom ei­ge­nen Bild der Ge­ni­us

       Sich schau­dernd wen­den und ver­zwei­feln muss!

       Ward ihm sein Kleid be­fleckt am Freu­den­mah­le,

       Ihn dul­dets nicht, es treibt ihn aus dem Saa­le.

       Seht, wie der Cor­so am Lun­gar­no braust!

       Ge­putz­te Kna­ben, schwach an Hirn und Faust.

       Von Tau­sen­den, die bes­ser nicht und rei­ner,

       Wer wiegt uns den Ver­lor­nen auf? Nicht ei­ner.

       Du Flücht­ling, schlumm­re un­ter Lor­beer­laub,

       Wo größ­re Grö­ße, größ­re Schuld zu Staub.

       Ein brü­der­lich Asyl sind die­se Schol­len.

       Die Muse weint. – Was kannst du wei­ter wol­len?

      Wie ich nach dem er­schüt­tern­den Aus­gang mich um die Her­aus­ga­be der in mei­ner Hand zu­rück­ge­blie­be­nen Stauf­fer­schen Ge­dich­te be­müh­te und wie die­se Be­mü­hun­gen an den Be­denk­lich­kei­ten der Fa­mi­lie Stauf­fer schei­ter­ten, habe ich in mei­nen »Flo­ren­ti­ni­schen Erin­ne­run­gen« er­zählt. Da­selbst konn­te ich aber zu der un­ter­des­sen von Otto Brahm ge­druck­ten klei­nen Aus­wahl, die nicht durch­weg das Be­deut­sams­te ent­hielt – die­ses war ihm viel­leicht gar nicht zu Ge­sicht ge­kom­men –, noch ei­ni­ge be­son­ders merk­wür­di­ge Er­gän­zun­gen nach­tra­gen.

      In den neun­zi­ger Jah­ren lich­te­te der Weg­zug Er­wins den Fa­mi­li­en­kreis. Er war der­je­ni­ge un­ter den Brü­dern, der nie­mals Zwist oder Ängs­te in das Zu­sam­men­le­ben brach­te und der Ver­wick­lun­gen im­mer zart und scho­nend bei­leg­te. Aber die­ser von Na­tur Froh­sin­nigs­te war mit den Jah­ren fast so ernst und schweig­sam ge­wor­den wie sein Va­ter. Durch den lan­gen Auf­ent­halt in Ita­li­en von dem deut­schen Kunst­markt ab­ge­schnit­ten, kos­te­te es ihn schwe­ren Kampf, sei­nen frü­he ge­grün­de­ten Haus­stand durch­zu­brin­gen, bis er durch die Pro­fes­sur an der Münch­ner Aka­de­mie wie­der in fri­sches Fahr­was­ser kam und sein na­tür­li­ches Wachs­tum vollen­den konn­te. – Mün­chen be­sitzt auf sei­nen öf­fent­li­chen Plät­zen so vie­le Wer­ke sei­ner Hand, die von der Rein­heit und Höhe sei­ner Kunst­ge­sin­nung und von dem Adel sei­nes We­sens zeu­gen, dass ich von dem Künst­ler Er­win Kurz nicht zu spre­chen brau­che, nur von dem Bru­der, der wie ein si­che­rer Pol in der Un­ru­he der Fa­mi­lie stand. Die­ses Ele­ment des Frie­dens fehl­te fort­an un­se­rem flo­ren­ti­ni­schen Le­bens­kreis.

      Und nun stand auch Grant auf der Ver­lust­lis­te; er war in deut­scher Erde schla­fen ge­gan­gen. Grant litt und

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