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trotz der Jah­re, noch im­mer in tie­fem Schwarz, mit den mäch­ti­gen stäh­ler­nen Zü­gen un­ter den dunklen Flech­ten und mit dem Nim­bus des großen Wer­kes, dem ihr Da­sein ge­hör­te, war wie ein le­ben­di­ges Stück Kul­tur­ge­schich­te. Ein paar Tage spä­ter be­rei­te­te sie mir die Über­ra­schung ih­res Be­su­ches auf mei­nem länd­li­chen Sitz am Pog­gio Im­pe­ria­le: da ich sie von Men­schen über­rannt wuss­te, wür­de ich mir nicht er­laubt ha­ben, zu­erst zu ihr zu ge­hen. In Ge­sell­schaft ih­rer Toch­ter Eva, der spä­te­ren Frau Cham­ber­lain, kam sie un­be­küm­mert den höcke­ri­gen, im­mer schlüpf­ri­gen Feld­weg zwi­schen Hun­de­ge­bell, Schwei­ne­grun­zen und Hüh­ner­ge­ga­cker her­auf­ge­stie­gen, und ich ge­noss in der grü­nen Ein­sam­keit noch mehr als zu­vor in der Ge­sell­schaft die Welt­wei­te ih­res Blicks, der wie der Blick ei­nes Staats­man­nes über Men­schen- und Völ­ker­we­sen hin­ging, und die ein­fach großen For­men der herr­scher­li­chen Frau, die über­all gleich na­tür­lich am Plat­ze war; wie ich zu­vor schon Ge­le­gen­heit ge­habt hat­te, ihre Gabe der Men­schen­be­hand­lung zu be­wun­dern. Und na­tür­lich spra­chen wir von dem, was der Schmerz der Deut­schen im Aus­land war – die Toch­ter Liszts und der Grä­fin d’A­goult emp­fand sich ja bei all ih­rer kos­mo­po­li­ti­schen Hoch­zucht als Deut­sche –, von dem un­ge­nü­gen­den kul­tu­rel­len An­se­hen, das trotz al­ler Leis­tun­gen und un­se­rer da­ma­li­gen ge­wal­ti­gen Welt­stel­lung Deutsch­lands Teil un­ter den Völ­kern der Erde war. Und wir be­geg­ne­ten uns in mei­ner al­ten Über­zeu­gung, dass den rei­sen­den Deut­schen sel­ber eine Mit­schuld traf, durch die so häu­fi­ge Ver­nach­läs­si­gung von Form und ge­sell­schaft­li­chem Takt, ein Text, über den ich le­bens­lang nicht müde wur­de zu pre­di­gen, mit dem Er­folg, dass ich mir von sei­ten de­rer, die es an­ging, den bil­li­gen Vor­wurf der Aus­län­de­rei zu­zog. Aber wer war der bes­se­re Deut­sche, wer den Scha­den sah und ihn mit Schmerz zu bes­sern streb­te, oder wer ihn sei­nen hem­d­är­me­li­gen Ge­wohn­hei­ten zu­lie­be ver­schlim­mer­te? Die Aus­land­deut­schen sind im­mer mit von den bes­ten Deut­schen ge­we­sen; schon von ih­ren selbst­be­wuss­ten Wirts­völ­kern konn­ten sie ler­nen, was man dem ei­ge­nen Volks­tum schul­det, wenn sie es etwa zu­vor nicht wuss­ten. – Ah­nungs­lo­se Geis­ter sind es, die da glau­ben, die Blut­see­le kön­ne sich un­ter ir­gend­ei­nem Him­melss­trich än­dern, da doch sie es ist, die das Ge­fü­ge des Ichs ge­schaf­fen hat und es zu­sam­men­hält.

      Zu der Ge­schichts­for­schung, in de­ren Bann­kreis wir ge­tre­ten wa­ren, ge­sell­ten sich auch die Ver­tre­ter der Kunst­ge­schich­te, die den ehe­ma­li­gen, jetzt ganz ver­schwun­de­nen li­te­ra­ri­schen Kreis ab­lös­ten, und ein jün­ge­res Künstl­er­ge­schlecht trat an die Stel­le des vo­ri­gen, das wie jene das Ech­te und Gro­ße such­te, wenn es auch kei­ne Na­men wie Böck­lin und Stauf­fer her­vor­brach­te.

      Auf ei­ner Vil­la au­ßer­halb der Por­ta San Gior­gio wohn­te ein Ma­ler-Prinz mit sei­ner schö­nen bür­ger­li­chen Ge­mah­lin, der Toch­ter ei­nes deut­schen Dich­ters, die leib­haft aus dem Mär­chen von der Hir­tin und dem Kö­nigs­sohn her­aus­ge­tre­ten schi­en. Hoch über Frau­en­grö­ße ge­wach­sen, mit schma­lem, ro­si­gem Kin­der­ge­sicht, um das äh­ren­far­bi­ge Flech­ten la­gen, und dem selt­sam wie­gen­den Gang ei­nes Schwans auf tro­ckenem Bo­den, den Böck­lin rühm­te, konn­te man sie sich auf ei­ner Hei­de un­ter spre­chen­den Tie­ren den­ken. Schick­sal­los und glück­durch­sät­tigt schi­en die See­le noch in ihr zu schla­fen. Mit den Jah­ren, als ein Kranz von ur­ge­sun­den Put­ten um sie wuchs, ver­tief­te sich ihre Schön­heit, und ihre an­er­kann­te Stel­lung in­ner­halb ei­ner re­gie­ren­den Fa­mi­lie gab ihr die stil­le Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der sie sich gleich­mä­ßig wie ein Pla­net in sei­ner si­che­ren Bahn be­weg­te. Nur manch­mal schi­en sie’s zu über­schau­ern, ob ihr Glück nicht ein all­zu ge­wag­tes sei: so als ahn­te sie schon das große, der­einst dem Va­ter­lan­de zu brin­gen­de Op­fer, das die lang­sam rei­fen­de Zeit für sie im Scho­ße trug. Bei­der­seits am Via­le woh­nend hiel­ten wir gute Nach­bar­schaft, und ich ver­brach­te ein­mal, von dem prinz­li­chen Paa­re ein­ge­la­den, in ih­rer Ab­we­sen­heit ei­ni­ge schö­ne Wo­chen mit Mama auf ih­rer Vil­la au­ßer­halb der Por­ta San Gior­gio. Dort er­leb­ten wir das große Erd­be­ben vom 18. Mai 1895, dem, wenn es we­ni­ge Se­kun­den län­ger ge­dau­ert hät­te, die hal­be Ar­no­stadt zum Op­fer ge­fal­len wäre. Noch durch einen zwei­ten un­ver­wisch­ba­ren Ein­druck ist mir die­ser Auf­ent­halt merk­wür­dig ge­blie­ben. Ich fand in der klei­nen Bü­che­rei des Prin­zen den von Car­men Sil­va über­setz­ten so­ge­nann­ten »Rhap­so­den der Dim­bo­witza«, un­ter welch schlecht­ge­wähl­tem Ti­tel sich ein rät­sel­haf­tes aber un­schätz­ba­res Ju­wel ver­barg. Die Wir­kung die­ses Fun­des war eine sol­che, dass ich ta­ge­lang wie im Traum um­her­ging, als hät­te die Erde zum zwei­ten Mal un­ter mir ge­bebt. Noch nie, so schi­en mir, hat­te ich das An­ge­sicht der Poe­sie in so er­schüt­tern­der Nähe ge­se­hen, und ich teil­te für lan­ge Zeit die Men­schen in sol­che ein, die von der Na­tur­ge­walt die­ser Lie­der be­rührt wur­den, und die an­de­ren, die nichts da­bei emp­fan­den. Wenn ich heu­te den Ein­druck auf­fri­sche, den ich da­mals emp­fing, so ge­schieht auch dies un­ter dem Zwang ei­ner Ver­pflich­tung, um so mehr als ein un­ver­ständ­li­cher kö­nig­li­cher Wil­le den herr­li­chen Find­ling zu­erst un­ter falscher Mar­ke in die Welt schick­te, um ihn nach kur­z­em Da­sein aus gleich­falls un­ver­ständ­li­chen Grün­den aus­zu­lö­schen und der Ver­ges­sen­heit zu über­lie­fern. Schon der ers­te be­schwing­te Auf­takt in der Stim­me des Feu­ers:

       Ich hab den grü­nen Wald ver­zehrt

       Mit al­len sei­nen Lie­dern,

       Und alle Wal­des­lie­der

       Die sin­gen jetzt in mir –

      ließ ein Au­ßer­or­dent­li­ches an Un­mit­tel­bar­keit ah­nen. Und nun quoll es aus al­len Blät­tern mit ei­ner Fri­sche und Ur­sprüng­lich­keit, dass die gan­ze wel­ke Zi­vi­li­sa­ti­on ver­sank und die Ur­welt­frü­he, der Mensch mit­ten inne, wie nur eben aus der Schöp­fer­hand ge­kom­men und noch von den ers­ten Göt­tern be­hü­tet, her­auf­stieg. Und so oft ich auch spä­ter das Buch wie­der auf­schlug, im­mer be­fiel mich der glei­che freu­di­ge Schau­er aufs neue. Wen soll­te es nicht über­rie­seln, wenn der Schlaf sagt:

       Das Mäd­chen spricht zu mir: o du hast des Ge­lieb­ten Ant­litz,

       Die Gat­tin sagt: o du hast mei­nes Man­nes Stim­me.

       Der Tod er­laubt mir in dem Grab zu su­chen,

       Auf dass ich brin­ge die, so lan­ge schla­fen,

       Zu de­nen, die nur schla­fen eine Stun­de. –

      Und so fort mit im­mer neu­en Über­ra­schun­gen bis zur völ­li­gen Aus­schöp­fung des Ge­gen­stan­des. Die glei­che Un­mit­tel­bar­keit und das all­sei­ti­ge Be­leuch­ten geht auch durch das Ge­dicht an den Grab­stein:

       Du bist so weiß, auf dass von wei­tem

       Ich dich er­bli­cke.

       Du bist so kalt, um mei­ne Küs­se

       Zu ent­fer­nen.

       Und wenn ich kom­me, seh ich den­noch dich

       Von wei­tem nicht,

       Weil stets ich wei­ne.

       Du bist so jung wie Schnee.

      Und fer­ner­hin:

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