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Her­zen aufs tiefs­te ver­let­zen, müs­sen ein­mal ge­rügt wer­den.

      Ich stand jetzt al­lein Aug in Auge mit dem un­sicht­ba­ren ge­flü­gel­ten Freund und ver­lang­te sonst wei­ter nichts vom Le­ben. Er mach­te mich glück­lich und un­glück­lich, je nach­dem es ihm ein­fiel, wie es ein ir­di­scher Ge­lieb­ter an sei­ner Stel­le auch ge­tan hät­te. Ich nann­te ihn mei­nen »An­de­ren«. Er war der Hel­fer und Trös­ter, der große Leid­ver­wand­ler, aber er war auch der Ei­fer­süch­ti­ge, Viel­ver­lan­gen­de, der mich ganz für sich al­lein woll­te. Wenn ich ihn beim Glü­hen der Esse am stärks­ten in mir fühl­te, ka­men Au­gen­bli­cke, wo die ir­di­sche Brust das Glück nicht mehr hal­ten konn­te und ich ins Freie stür­zen muss­te, da­mit die Fi­bern nicht ris­sen. Dann wie­der quäl­te er mich durch sei­ne sich über­stür­zen­den, durch­ein­an­der­ge­wür­fel­ten Ein­fäl­le, die ich nicht schnell ge­nug zu Pa­pier brin­gen, ent­wir­ren konn­te, oder er sand­te sie mir zu in Au­gen­bli­cken, wo ich durch­aus ver­hin­dert war sie auf­zu­fan­gen, etwa an ei­nem Rei­se­tag, im Au­gen­blick des Auf­bruchs mit Mama, die sich beim Rei­sen über die Ma­ßen auf­zu­re­gen pfleg­te. Wenn ich aber nur einen Sei­ten­blick auf die Ver­lo­ckun­gen des Le­bens fal­len ließ, so ver­schwand er. Und als­bald ver­losch al­ler Da­seins­glanz, die Son­ne ohne ihn war kei­ne Son­ne mehr. Erst wenn ich dann ge­nug gedarbt hat­te, kam er wie­der und be­warf mich mit Blu­men. Am we­nigs­ten ver­trug er sich mit mei­nem ar­men Müt­ter­lein, das ihn doch schon vor mei­ner Ge­burt für mich her­be­schwo­ren hat­te. Er ent­floh, wenn sie ein­trat. Sie lieb­te zwar glü­hend die Ge­stal­ten, die ich schuf, und nahm sie wie En­kel­kin­der an ihr Herz, aber das Wer­den­de zu scho­nen und zu för­dern war ihr nicht ge­ge­ben. Wie gut sie die Ein­ge­bung, das ei­gent­lich Dich­te­ri­sche mit­emp­fand, so sehr fehl­te ihr der Sinn für die Aus­ge­stal­tung, für das Hand­werk­li­che, das Rin­gen um Maß und Ei­n­ord­nung und die letz­te Fei­le. Wenn sie mich ein an­ge­fan­ge­nes Ma­nu­skript ver­wer­fen oder vie­le Blät­ter ei­nes lau­fen­den in den Pa­pier­korb wan­dern sah, weil ent­we­der an ei­ner Stel­le die Lö­sung nicht ge­glückt war oder weil ein Zu viel nach ei­ner Sei­te das Gleich­ge­wicht des Gan­zen ge­stört hät­te, so klag­te sie, dass ich eben nie­mals fer­tig wür­de.

      Auch die Brü­te­zeit, in der ich einen Stoff in der ei­ge­nen See­le vor­wär­men muss­te, be­vor er in der Ar­beit zum Schmel­zen kam, war ih­rer Na­tur fremd; sie mein­te, wenn ich nicht die Fe­der in der Hand hat­te, dass ich jetzt mü­ßig sei und zum Ge­spräch zu brau­chen. Sie sel­ber schüt­tel­te ihre Ein­ge­bun­gen von sich, Ge­lun­gens­tes und Miss­lun­ge­nes un­be­denk­lich mi­schend, weil ihr das Fei­len nicht lag und sie ihr Ta­lent zu nied­rig ein­schätz­te, um es ernst­lich zu pfle­gen. Zwar hat­te sie bei mei­nem Va­ter das glei­che Rin­gen mit­an­ge­se­hen und es ängst­lich be­hü­tet. Aber er war ein Mann und ge­hör­te dem Werk. Die Frau war im­mer Frau, Hü­te­rin und Hel­fe­rin, bei der man Schutz und Scho­nung sucht, ohne ihr sel­ber sol­che zu ge­wäh­ren, denn das war ihr na­tür­li­ches Amt: wenn sie Man­nes­werk tat, so muss­te es ne­ben­her ge­sche­hen, ohne die dem Mann zu­ste­hen­den Rück­sich­ten und Rech­te, und wenn ihr das Wun­der ge­lang, so wur­de es von nie­mand als ein sol­ches an­ge­rech­net. Das war al­len Geis­tern so tief ein­ge­brannt, dass kei­nen ein­zel­nen des­halb ein Vor­wurf trifft. Das meis­te, was ich in jün­ge­ren Jah­ren Zu­sam­men­hän­gen­des schrieb, ist zwi­schen Kof­fern wie auf der Flucht ge­schaf­fen. So­bald ich das ge­lieb­te müt­ter­li­che Haupt in gu­ter Ob­hut wuss­te, reis­te ich weg, und es war je­des Mal ein un­be­schreib­li­ches Au­fat­men, dem un­ru­he­vol­len Haus­halt ent­ron­nen zu sein. Ich woll­te dann nichts, gar nichts, als die Ge­sell­schaft des Ei­nen. Stock­te ein­mal die Ein­ge­bung doch, so konn­te es ge­nü­gen ins Freie zu ge­hen, dass sie zu­rück­kam; ge­le­gent­lich er­hasch­te ich auch aus dem Mun­de Vor­über­ge­hen­der ein Zu­falls­wort, das als Stich­wort wirk­te und ein feh­len­des Mo­tiv er­schloss: so fand ich auf der Stra­ße un­er­war­te­te Mit­ar­bei­ter. Was je­ner Eine mir war, ist nur in Wor­ten sei­ner ei­ge­nen Spra­che aus­zu­spre­chen, Pro­sa­re­de ver­mag es nicht. Es war in ei­ner der schöns­ten tos­ka­ni­schen Land­schaf­ten, dass ich an ei­nem Wald­rand sit­zend mit dem Blick auf die wei­te, vom Sil­ber­band des Flus­ses durch­zo­ge­ne Ar­no­ebe­ne und die rau­chen­den Mei­ler von Val­lom­bro­sa, ihm an auf­ein­an­der­fol­gen­den Ta­gen ein lan­ges Lie­bes­lied »Im­mer zu Zwei­en« sang:

       Mich hält der Freund in kö­nig­li­cher Haft

       Und Ein­sam­keit, die kei­ne Schre­cken schafft.

       Er baut ein Haus mir in kris­tall­nen Räu­men,

       Von Stim­men tö­nend und be­sucht von Träu­men,

       Malt bun­te Schei­ben drein mit Künst­ler­fleiß,

       Um­türmt mich rings mit blau­em Glet­sche­reis

       Und hat mich über all sein Gut ge­setzt,

       Denn Kö­ni­gin von Traum­land bin ich jetzt,

       Schmück’ mich für ihn mit dia­man­te­nen Zin­ken

       Und Per­len­schnü­ren, die wie Trä­nen blin­ken.

       So lieg ich fest im Lie­bes­netz ver­spon­nen,

       Ich merk’ es kaum, wenn neu ein Jahr ver­ron­nen.

       Ich seh’ nicht mehr der Bä­che trä­gen Lauf,

       Doch jede stär­ke­re Wel­le schlägt her­auf,

       Denn un­ten flu­tet groß und ernst die See.

       Dann spre­chen wir von den Ver­sun­ke­nen viel

       Und von des Mee­res im­mer glei­chem Spiel,

       So sit­zend bis ver­bleicht des Ta­ges Schein.

       Am Abend la­den wir Ge­sell­schaft ein:

       Die Bes­ten all von Le­ben­den und To­ten,

       Der Freund­li­che hat sie für mich ent­bo­ten,

       Er führt die Gäs­te fest­lich an­ge­tan

       Ins Haus und zün­det alle Lam­pen an. – – –

      Kam ich von ei­ner sol­chen Flucht mit ei­ner neu­en Gabe des Freun­des, sei es in Ver­sen, sei es in Pro­sa zu­rück, so war Müt­ter­leins Ju­bel un­end­lich. Mein Zim­mer war in einen Blu­men­tem­pel ver­wan­delt; wenn es die Jah­res­zeit er­laub­te, stand so­gar ein Blü­ten­ast, dick wie ein Baum, in der Ecke hin­ter dem klei­nen Kana­pee. Nach die­sem blin­zel­te ich aber nur mit scheu­en Au­gen: ich wuss­te, was mich dort er­war­te­te. Die Gast­li­che pfleg­te in mei­ner Ab­we­sen­heit jun­ge Men­schen­we­sen von aus­wärts, die gern ein paar Wo­chen Flo­renz ge­nie­ßen woll­ten, in mei­nen Räu­men zu be­her­ber­gen. Wa­ren sie männ­li­chen Ge­schlechts und ge­wohnt, spät und nicht mehr ganz hel­le nach Haus zu kom­men, dann lehn­ten bei mei­ner Rück­kehr zer­bro­che­ne Stuhl­bei­ne, ab­ge­schla­ge­ne Ti­sche­cken und ähn­li­ches an der Wand hin­ter dem Kana­pee: je hef­ti­ger es im Zim­mer blüh­te, de­sto grö­ßer wuss­te ich den Scha­den da hin­ten in der Ecke. Mein Müt­ter­lein nahm sol­che Ge­ge­ben­hei­ten für et­was Un­wi­der­ruf­li­ches und glaub­te, al­les Nö­ti­ge sei ge­sche­hen, wenn die Op­fer der ge­stei­ger­ten Gast­freund­schaft den Bli­cken ent­zo­gen wa­ren. Mir blieb die pro­sa­i­sche Auf­ga­be, den Schrei­ner zu ru­fen, den un­sicht­ba­ren Freund auf die Sei­te zu stel­len und das er­neu­te Fa­mi­li­en­le­ben mit lau­ter Wie­der­auf­bau zu be­gin­nen.

      *

      Es

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