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ver­dür­be. Ich konn­te mir also leicht eine from­me jun­ge Flo­ren­ti­ne­rin aus den großen Ta­gen der Kunst vor­stel­len, die sich in das eben­so schö­ne Se­bas­tians­bild­nis ei­nes von mir er­fun­de­nen Ma­lers ver­liebt. Ver­tieft wur­de die­se Vor­stel­lung durch ein lie­bens­wür­di­ges klei­nes Er­leb­nis mit ei­ner jun­gen, bild­hüb­schen Pfle­ge­non­ne von den eng­li­schen Blue sis­ters, mit der ich ein­mal ge­mein­sam bei ei­ner Fri­scho­pe­rier­ten mei­nes Bru­ders, die wir, weil nahe be­freun­det, als Gast im Hau­se pfleg­ten, wach­te. Die Lieb­li­che er­zähl­te mir in der stil­len Nacht un­ter ih­rem Non­nen­schlei­er so recht zu­trau­lich wie ein Back­fisch dem an­dern von ih­rer tie­fen schwär­me­ri­schen Lie­be zum hei­li­gen Mi­cha­el, dem herr­lichs­ten der Erz­en­gel, den sie sich zum Schutz­pa­tron er­be­ten hat­te: He is so very much like a man, you know. Die ein­ge­floch­te­nen So­net­te, die ur­sprüng­lich Ter­zi­nen wa­ren, hat­ten gleich­falls zu mei­nem ei­ge­nen Ge­brauch ge­dient, bis ich der Sit­te je­nes künst­le­ri­schen Zeit­al­ters auf die Spur kam, neu­ge­schaf­fe­ne be­wun­der­te Wer­ke durch an­ge­hef­te­te an­ony­me So­net­te zu fei­ern. Ich goss also die Ter­zi­nen in eine an­de­re Form und gab ih­nen die weib­li­che Haupt­per­son der Ge­schich­te zur Ur­he­be­rin. Auch die Be­stür­zung und aus­wei­chen­de Scham des Künst­lers vor sei­nem ers­ten star­ken Er­folg und vor dem Lob der me­di­ce­i­schen Ta­fel­run­de hat­te so et­was wie ein Gleich­nis im ei­ge­nen da­ma­li­gen Er­le­ben, da ich so­wohl in Deutsch­land wie in dem Freun­des­kreis von San Fran­ces­co, der an Er­le­sen­heit kaum hin­ter dem me­di­ce­i­schen zu­rück­stand, auf eine mich über­wäl­ti­gen­de Wei­se we­gen mei­ner un­ter­des­sen er­schie­ne­nen Ge­dich­te ge­fei­ert wur­de. Und noch eine Par­al­le­le hat­te ich in die Dich­tung ge­bracht: ich litt von klein auf an ei­ner ge­gen­stands­lo­sen, mir viel­leicht schon an­ge­bo­re­nen aber durch die Er­zie­hung ge­stei­ger­ten Ge­wis­sens­angst: der Furcht, ir­gend­ein­mal ah­nungs­los einen Schritt zu tun, der für einen an­dern töd­li­che Fol­gen ha­ben könn­te, oder dass ich Zeu­gin ei­nes Ver­bre­chens wer­den müss­te, ohne den Mut oder die Mög­lich­keit, da­zwi­schen zu sprin­gen; Ängs­te, die mir oft ge­nug die Nacht durch furcht­ba­re Träu­me ver­düs­ter­ten. Von die­ser Zwangs­vor­stel­lung ent­las­te­te ich mich ei­ni­ger­ma­ßen, in­dem ich sie in dem un­glück­li­chen Ma­ler ver­ge­gen­ständ­lich­te, der un­ge­wollt sei­nen schö­nen, ihm zum Ri­va­len ge­wor­de­nen Bru­der an die Mör­der ver­rät und un­wis­sent­lich der Weg­schaf­fung des Op­fers bei­wohnt. – Die Wor­te des großen Lo­ren­zo an den Gram­ge­beug­ten: »Ver­giss das Ver­gäng­li­che und freue dich, dass du am Dau­ern­den mit­schaf­fen darfst«, wa­ren die Wie­der­ga­be ei­ner Mah­nung, die ein­mal in dunk­ler Stun­de der im­mer vor­wärts deu­ten­de Hil­de­brand an mich sel­ber ge­rich­tet hat­te. So ström­te bald da bald dort ein Stück ge­leb­ten Le­bens mit hin­ein und um­ge­kehrt er­wei­ter­ten die­se Ge­bil­de durch ihre in­ne­re Nähe mir den ei­ge­nen Le­bens­raum.

      Den »Flo­ren­ti­ner No­vel­len« war auch äu­ßer­lich ein schnel­ler und durch­schla­gen­der Er­folg be­schie­den. Ein un­ter­neh­men­der jun­ger Ver­le­ger, der die alte Fir­ma Gö­schen ge­kauft und nach Stutt­gart ver­legt hat­te, brach­te das Buch her­aus und war be­geis­tert von dem glück­haf­ten Griff: am liebs­ten hät­te er gleich einen zwei­ten Band »Flo­ren­ti­ner No­vel­len« ge­druckt. Der Empfang bei der Kri­tik war der güns­tigs­te, man ging so­gar von der da­mals noch weit­ver­brei­te­ten Ge­wohn­heit ab, jede Be­spre­chung ei­nes Bu­ches aus Frau­en­fe­der mit Er­ör­te­rung der Fra­ge von dem weib­li­chen Hirn­ge­wicht ein­zu­lei­ten und güns­ti­gen Falls eine eh­ren­vol­le Aus­nah­me fest­zu­stel­len. Ich war ja schon im Vor­jahr bei der Her­aus­ga­be mei­ner Ge­dich­te mit of­fe­nem Vi­sier er­schie­nen, statt mein Ge­schlecht nach da­mals noch ge­üb­tem Brauch hin­ter ein männ­li­ches Pseud­onym zu ver­ste­cken, ein Brauch, aus dem bei der ver­schie­de­nen Ein­stel­lung der Ge­schlech­ter sich leicht et­was Herm­aphro­di­ti­sches er­gibt, denn der Mann sagt ich, wo die Frau du sagt. Und wie hät­te ich den Na­men mei­nes Va­ters ver­leug­nen kön­nen, durch den ich mich zu der strengs­ten For­de­rung an mich selbst ver­pflich­tet fühl­te.

      Als die Freu­de mei­nes jun­gen Ver­le­gers und mei­ne ei­ge­ne auf dem Gip­fel war, wur­de dem Ar­men ein kal­ter Guß Was­ser ver­ab­reicht. Auf der Kö­nigs­tra­ße in Stutt­gart trat ihn, wie er mir be­trof­fen mit­teil­te, ein »Herr I.« (den vol­len Na­men nann­te er nicht) mit dem Vor­wurf an, wie er so et­was Un­mo­der­nes wie die »Flo­ren­ti­ner No­vel­len« habe dru­cken kön­nen; so groß wie sie als Fort­set­zung der Tra­di­ti­on sei­en, so klein sei­en sie als mo­dern. Der Ein­wurf mach­te ihm schwer zu schaf­fen und zer­stör­te sicht­lich die Hälf­te sei­nes Glücks. Er knüpf­te die ernst­li­che Mah­nung dar­an, mich lie­ber doch zu än­dern und von jetzt an in mo­der­nem Stil zu schrei­ben. Ich sag­te zu mir selbst: Was ist mo­dern? Das Wort kommt von Mode. Mode ist, was einen Tag glänzt und am nächs­ten alt wird. Und was ist Stil? Lässt er sich än­dern? Mein Stil kommt aus mei­nem Blut­kreis­lauf und dem Rhyth­mus mei­nes Le­bens. Ich wer­de ihn wohl be­hal­ten müs­sen, so­lan­ge ich da bin. Dem Ver­le­ger gab ich – in an­de­rer Fas­sung, ver­steht sich, – die Ant­wort Mö­rikes, als ihn ein Re­zen­sent er­mahn­te, sich doch ja eine Ten­denz zu­zu­le­gen, weil es an­ders nicht gin­ge: Will mir gleich einen Knopf in mein Sack­tuch ma­chen.

      Aber im stil­len wurm­te mich’s doch ge­wal­tig, dass mein So­si­us, des­sen Be­geis­te­rung ich für Kunst­ver­ständ­nis ge­hal­ten hat­te, bei dem ers­ten Zwi­schen­ruf um­ge­fal­len war und sich ein­re­den ließ, eine eben herr­schen­de Stil­form, die al­ler­dings für die Dar­stel­lung von Ber­li­ner Hin­ter­häu­sern sich als die rech­te er­wies, kön­ne eben­so auf ita­lie­ni­sche Fürs­ten­hö­fe des Quat­tro- und Cin­que­cen­to an­ge­wen­det wer­den. Fied­lers, die sich da­mals in Flo­renz auf­hiel­ten, trös­te­ten mich, die »Flo­ren­ti­ner No­vel­len« wür­den noch lan­ge ge­le­sen wer­den, wenn von »Herrn I.« kein Lied, kein Hel­den­buch mehr mel­den wür­de. Ich gab nun acht, ob viel­leicht am schwä­bi­schen Dicht­er­him­mel ein Gestirn mit dem An­fangs­buch­sta­ben I. auf­stei­ge, ent­deck­te aber nichts der­glei­chen, und so schöpf­te ich die Hoff­nung, dass mei­ne Freun­de wohl recht be­hal­ten und die Kon­junk­tur­pro­phe­ten zu­schan­den wer­den dürf­ten.

      Auch ei­nes Fehl­ur­teils der of­fi­zi­el­len Kri­tik soll hier ge­dacht wer­den, das un­zäh­li­ge Male wi­der­legt, sich den­noch nicht nur in den Köp­fen der Lai­en, son­dern auch in Li­te­ra­tur­ge­schich­ten fest­ge­setzt hat. Ich mei­ne das im­mer wie­der ein­mal auf­tau­chen­de Miss­ver­ständ­nis, das mich we­gen der ähn­li­chen Stoff­wahl eine Schü­le­rin Kon­rad Fer­di­nand Meyers nann­te, ohne zu be­ach­ten, dass ich durch mei­ne flo­ren­ti­ni­sche Um­ge­bung, in der ich wie ge­fan­gen saß, zu die­ser Stoff­wahl ge­ra­de­zu ge­zwun­gen war. Es half nichts, dass ich auf den großen Un­ter­schied zwi­schen mei­nem an­geb­li­chen Vor­bild und mei­nem ei­ge­nen Wol­len hin­wies: dass der Schwei­zer Dich­ter die Ge­schich­te sel­ber dar­stell­te, wäh­rend ich die Ge­schich­te nur zum Rah­men für frei er­fun­de­ne Ge­stal­ten und Vor­gän­ge mach­te, die ich zu der Höhe des Ge­schicht­li­chen hin­auf­stei­ger­te. Es half auch nichts, dass ich wie­der­holt ver­si­cher­te, die Re­naissance­no­vel­len C. F. Meyers gar nicht ge­kannt zu ha­ben, als ich die mei­ni­gen schrieb (mit ei­ner ein­zi­gen Aus­nah­me: der »Ver­su­chung des Pes­ca­ra«, die mir zu kur­z­em

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