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die Frau­en­ly­rik in je­nen Ta­gen noch ge­bun­de­ner war als das Frau­en­le­ben selbst. Aus den Gold­schnitt­bän­den da­ma­li­ger Ly­ri­ke­rin­nen klang das Ge­fühls­le­ben des Wei­bes nur wie das schwa­che Zir­pen ei­nes un­flüg­gen Vo­gels; stär­ke­re Töne wä­ren als un­weib­lich ver­wor­fen wor­den. Wer kann sich sol­che Dros­se­lung heu­te noch vor­stel­len, nach­dem die Blocks­ber­gor­gi­en ent­fes­sel­ter Weib­lich­keit den deut­schen Par­nass durch­rast ha­ben mit Über­bie­tung al­ler männ­li­chen Blocks­bergs­prün­ge nach der He­xen­re­gel: »Geht es zu des Bö­sen Haus, / das Weib hat tau­send Schritt vor­aus«. Aber be­vor das er­drück­te Ge­schlecht sich mä­na­den­haft ver­tob­te – Mä­na­den lei­der ohne die Wei­he ih­res Got­tes –, hat­te ei­gent­lich nur der männ­li­che Dich­ter das Amt und den Auf­trag, weib­li­ches Füh­len, so wie er es ver­stand, der Welt zu ver­dol­met­schen, und das ge­sch­ah nach ei­nem an­ge­nom­me­nen Ka­non falsch ver­stan­de­ner, zucker­sü­ßer Weib­lich­keit. Die Frau sel­ber hat­te, wie auf al­len an­de­ren Ge­bie­ten, auch auf die­sem ih­rem ei­gens­ten, zu schwei­gen. Saß doch auch die große An­net­te mit dem küh­nen Weit­blick ih­res Geis­tes wie ein ge­fes­sel­ter Ad­ler auf ih­rem Hoch­sitz, die gan­ze Glut ih­res Frau­en­her­zens ins Re­li­gi­öse ver­strö­mend. Da war es frei­lich ver­wun­der­lich, dass auf ein­mal Eine kam, die un­ver­fälscht und un­schul­dig die na­tür­li­che Spra­che ih­res Ge­schlech­tes sprach, ohne den Ka­non zu be­fra­gen. Wer am meis­ten auf­horch­te und den stärks­ten Wi­der­hall gab, war die Män­ner­welt. Theo­bald Zieg­ler, der Phi­lo­soph an der Straß­bur­ger Hoch­schu­le, war ei­ner der wärms­ten Spre­cher; es war wie die Ant­wort des männ­li­chen Geis­tes an den weib­li­chen, nur dass ihm der Fehl­schluss mit­un­ter­lief, ei­ner so aus­ge­spro­chen ly­ri­schen Be­ga­bung jede epi­sche Ader ab­zu­spre­chen, eine Be­haup­tung, die schon im Fol­ge­jahr von den »Flo­ren­ti­ner No­vel­len« wi­der­legt wur­de. Ein an­de­rer zu­ge­neig­ter Gön­ner leg­te in der »Ul­mer Post« gläu­bi­ges Zeug­nis für mich ab und trat zu­gleich in sei­nem Ei­fer vor­grei­fend zwi­schen mich und den Ta­del Phi­li­stä­as, in­dem er ver­si­cher­te, aus bes­ter Quel­le zu wis­sen, dass ich mich nicht nur auf das Dich­ten ver­stün­de, son­dern auch auf Nä­hen, Sti­cken, St­rümp­fe­fli­cken und an­de­re löb­li­che Ver­rich­tun­gen, was ge­wiss sehr gut ge­meint, auch ei­ni­ger­ma­ßen rich­tig war, aber ein we­nig ko­misch wirk­te, wenn­schon sehr be­zeich­nend für die Zeit. Von nah und fern wo Deut­sche wohn­ten, auch von Über­see, selbst von der In­sel Hai­ti, brach­te die Post freu­di­ge Zu­ru­fe, ge­reim­te und un­ge­reim­te Grü­ße. Die Antho­lo­gi­en stürz­ten sich auf die Ver­se, auch in Schul­bü­cher gin­gen sie über, die Ju­gend nahm sie mit Lie­be auf. Es war eine Zeit rei­cher Er­fül­lun­gen, nur dass die fer­ti­gen Din­ge schon nicht mehr mein, son­dern be­reits von mir ab­ge­fal­len wa­ren, dass es mir schi­en, als gäl­ten alle die Lob­sprü­che nicht mir, son­dern ei­ner, die eben hin­aus­ge­gan­gen wäre. Ich sel­ber aber stün­de be­schämt mit lee­ren Hän­den, weil mir der Vo­gel ent­flo­gen war und nichts üb­rig das mir al­lein ge­hör­te.

      Es ist eine ei­ge­ne Sa­che um ly­ri­sche Dich­tung, der Maß­stab gut und schlecht reicht für sie nicht aus. Viel schlech­ter als ein schlech­tes Ge­dicht ist ein un­nö­ti­ges. Je­des Ge­dicht, das ein­mal auf Men­schen­her­zen ge­wirkt hat, ist zu­vor schon im Be­dürf­nis da­ge­we­sen; wenn es nie­man­ds Be­dürf­nis war, so ist es bes­ten Fal­les ein Kunst­stück. Frei­lich muss das ech­te Ge­dicht aus der Wur­zel des Per­sön­li­chen ge­wach­sen sein, aber es muss sei­ne Blät­ter und Blü­ten weit hin­aus in die Lüf­te der All­ge­mein­heit brei­ten, nur noch durch ein lei­ses Aro­ma an sei­nen Ur­sprung er­in­nernd. Denn der Dich­ter muss Spre­cher sein für vie­le, er muss ih­nen das Wort, das sie su­chen, aus dem Mun­de neh­men, sie müs­sen sich in ihm er­löst füh­len. Am schöns­ten tön­te mir der Wi­der­hall aus ei­nem herr­li­chen eng­li­schen Ge­dicht mei­nes Freun­des Grant, worin er mei­ne Lie­der als die Sturm­vö­gel be­sang, die über dem Wo­gen­aufruhr schwe­ben und mit ih­ren Stim­men den Sturm durch­tö­nen; ich habe es lei­der bei ei­nem der un­zäh­li­gen Um­zü­ge mei­ner spä­te­ren Jah­re ein­ge­büßt zu­samt dem gan­zen Pack sei­ner durch­aus be­deu­ten­den Brie­fe. Ich muss mich an­kla­gen, die Re­li­qui­en die­ses mich so tief­lie­ben­den Freun­des, der sich im­mer müh­te mir hilf­reich zu sein, zu we­nig sorg­sam be­hü­tet zu ha­ben. Sei­nen Ma­nen möge es einen schwa­chen Dank be­deu­ten, wenn ich hier aus der Erin­ne­rung sei­ne Über­set­zung ei­nes klei­nen Lied­chens aus mei­ner Früh­zeit, das mit in die Samm­lung der »Ge­dich­te« ge­kom­men war, nie­der­le­ge.

       For tee

       What bro­ke sleeps ma­gic sphe­re asun­der,

       Whe­re love ap­pears?

       Why was my pil­low wet, I won­der,

       At dawn with tears?

       I know not to what pic­ture gro­wing

       Tat dream might be.

       I only know, tho­se tears were flo­wi­ng

       For tee, for tee!

      Was das klei­ne Lied bei dem Um­guss an Ein­fach­heit ver­lor, das hat es durch das schö­ne Bild von der ma­gi­schen Ku­gel an Schmuck ge­won­nen.

      An die­ser Stel­le sei ei­nes Un­fugs der Le­se­welt ge­dacht, ge­gen die von je die Dich­ter, aber ver­geb­lich, sich ver­wahrt ha­ben. Ich mei­ne die öde Sucht, aus dem Ge­dicht sei­nen Wirk­lich­keits­kern her­aus­zu­bre­chen, das was die Poe­sie aus der ir­di­schen Schwe­re in über­ir­di­sche Leich­tig­keit, in Glanz und Ton und Rhyth­mus ver­wan­delt hat, in sei­nen nun­mehr ver­brauch­ten, nicht mehr vor­han­de­nen Roh­stoff zu­rück­ver­wan­deln zu wol­len, da­bei die zärt­lichs­te, ver­bo­tens­te Stel­le des Dich­ters, wo die Ver­wand­lung vor sich geht, ver­let­zend. War da ein­mal Wirk­lich­keit? War es nicht im­mer Vi­si­on? Wen geht es an, wenn der Nächst­be­tei­lig­te es nicht mehr weiß? Die­se Poe­sie­lo­sen, die sich lie­ber mit Sta­tis­tik als mit Dich­tung be­fas­sen soll­ten, glei­chen sie nicht den Kin­dern, die ein emp­fan­ge­nes Ge­schenk bes­ser zu ge­nie­ßen mei­nen, wenn sie es in sei­ne Tei­le zer­bre­chen, um zu se­hen, wor­aus es ge­macht ist?

      So las ich ir­gend­wo von By­ron, dass ihn ein­mal ein Un­be­ru­fe­ner nach dem Ur­bild sei­ner Thy­r­za ge­fügt habe – der schöns­ten, ge­lieb­tes­ten Ge­stalt sei­ner Lie­der, die er aus dem frü­hen Grab in den kris­tal­le­nen Sarg sei­ner Dich­tung ge­ret­tet hat. Und der Dich­ter, hieß es, sei in fas­sungs­lo­se Er­re­gung ge­ra­ten – um die tote Ge­lieb­te, mein­ten die All­täg­li­chen. Nein, nicht um die Ge­lieb­te, die längst durch sei­ne Ge­dich­te in ein über­ir­di­sches Ge­bil­de ver­wan­delt ist, wo­vor er in An­dacht und se­li­gem Schmer­ze kniet, wie er vor nichts Ir­di­schem kni­en kann. Dass sie kom­men, das Un­be­rühr­ba­re stumpf und täp­pisch mit Fra­gen be­tas­ten: Wer war sie? Wie hieß sie? Wer die El­tern? Und wür­de der Dich­ter sie zur Lady By­ron ge­macht ha­ben, vor­aus­ge­setzt, dass ihre Mit­gift aus­ge­reicht hät­te, um sei­ne Schul­den zu zah­len? Das muss­te ihn au­ßer sich brin­gen – sei­ne Wu­t­an­fäl­le wa­ren ja be­kannt, und ge­wiss war kei­ner ge­rech­ter. Das Äu­ßers­te aber, was See­len­ro­heit ver­moch­te, wur­de ei­nes Ta­ges in Tü­bin­gen an dem kran­ken, wehr­lo­sen Höl­der­lin ver­übt, als ein Häuf­lein Stu­den­ten bei ihm ein­drang und ihn schlank­weg nach Dio­ti­ma frag­te. Nach Dio­ti­ma! Und kein Wun­der ge­sch­ah, um die Zun­ge

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