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Ich ein­ge­führt wer­den, sein ita­lie­ni­scher Kol­le­ge Dr. Car­lo Van­zet­ti, mit dem er sich auf Ge­deih und Ver­derb ge­gen die feind­se­li­ge Rück­stän­dig­keit der da­mals noch halb im Mit­tel­al­ter ste­cken­den ein­hei­mi­schen Wis­sen­schaft zu­sam­men­ge­schlos­sen hat­te. Die­ser trat je­doch erst spä­ter deut­lich in mei­nen Licht­kreis; um jene Zeit kann­te ich ihn zu we­nig, um ihn nach Geist und Cha­rak­ter rich­tig ein­zu­schät­zen. Äu­ßer­lich war er eine Au­gen­wei­de, von ath­le­ti­scher Kraft und Ge­schmei­dig­keit, nicht nur als glän­zen­der Fech­ter be­kannt, son­dern eben­so je­der Art von Gym­nas­tik lei­den­schaft­lich hul­di­gend und sie auch zu Heil­zwe­cken ver­wen­dend, was jene Zeit noch als ganz ab­son­der­lich be­lä­chel­te. Es ging ihm der Ruf großer Rit­ter­lich­keit vor­an, weil er un­ter den ein­hei­mi­schen Ärz­ten der ers­te und ein­zi­ge war, der es wag­te den da­ma­li­gen grau­si­gen Übel­stän­den der städ­ti­schen Spi­tä­ler in ei­ner lan­gen Zei­tungs­feh­de zu Lei­be zu rücken, sich da­mit heim­li­chen Ver­fol­gun­gen und Ge­fah­ren al­ler Art aus­set­zend. Das pass­te ge­ra­de sei­ner Drauf­gän­ger­na­tur; er nahm sich einen ehe­ma­li­gen Ca­ra­bi­nie­re, einen ver­we­ge­nen und ge­witz­ten Bur­schen, zum Die­ner, in des­sen Ge­sell­schaft er man­cher­lei Husa­ren­stück­chen aus­führ­te. Im ge­sell­schaft­li­chen Rah­men aber er­schi­en er zu­nächst nicht zu sei­nem Vor­teil. Er war in so vie­le Aben­teu­er mit der Weib­lich­keit, be­son­ders der un­te­ren Stän­de, ver­strickt, dass er we­der Zeit noch Ge­le­gen­heit zum Um­gang mit ge­bil­de­ten Frau­en fand und sich sol­chen ge­gen­über nicht zu ge­ben wuss­te. Ich hielt ihn zu An­fang we­gen der vie­len Flos­keln, die er ins Ge­spräch zu men­gen lieb­te, für aus­ge­macht ein­fäl­tig und be­griff erst, als er an­fing na­tür­lich zu re­den, was mein an­spruchs­vol­ler Bru­der an die­sem Ge­nos­sen hat­te, der al­les be­saß, was ihm fehl­te, vor­ab die Wen­dig­keit und nach­sich­ti­ge Lie­bens­wür­dig­keit im Men­schen­ver­kehr und eine strah­len­de, durch nichts zu trü­ben­de Lau­ne. Er war wie von ma­gne­ti­schen Wel­len um­ge­ben, die die an­dern mit­ho­ben, dass es auch dem Miss­mu­ti­gen un­mög­lich war, in sei­ner Nähe ver­stimmt oder trüb­se­lig zu blei­ben, und dass auch gleich, wo er er­schi­en, sich jung und alt, Mensch und Tier zu ihm he­randräng­te. Mit Hil­de­brand teil­te er die­se ma­gisch-ma­gne­ti­sche Ei­gen­schaft, den Au­gen­blick wahr­haft sei­end zu ma­chen, aber bei ihm kam sie nicht wie bei je­nem aus der hö­he­ren Geis­tes­welt. Van­zet­ti stand ganz im Zei­chen des Erd­geists: um das rich­tig zu er­fah­ren, muss­te man sich mit ihm im Boot auf dem Mee­re oder im Hoch­ge­birg be­fin­den, wo sei­ne Nähe wie die ei­ner wohl­ge­sinn­ten Na­tur­gott­heit Si­cher­heit ver­brei­te­te. Man konn­te kei­ne so großen Din­ge mit ihm re­den wie mit den obe­ren Göt­tern, aber es fiel zu­wei­len ein un­er­war­te­tes Streif­licht aus sei­ner Sin­nen­welt in die geis­ti­ge, sie von ei­ner ganz an­de­ren Rich­tung her neu und über­ra­schend be­leuch­tend. In al­lem, was au­ßer­halb der Na­tur­wis­sen­schaf­ten und sei­ner ei­ge­nen Na­tur­er­kennt­nis­se lag, war er bo­den­los un­wis­send, was ihn nicht im ge­rings­ten stör­te; er spru­del­te so von Ein­fäl­len und schnel­len Ein­ge­bun­gen aus der Sphä­re der Na­tur und des Le­bens, dass die Ge­lehr­ten still wur­den und zu­hör­ten, wenn er be­gann.

      Eine Per­sön­lich­keit wie die Van­zet­tis wäre im heu­ti­gen Ita­li­en eben­so un­denk­bar wie in ir­gend­ei­nem an­de­ren Kul­tur­land; zu eng lie­gen die Ma­schen staat­li­cher Ord­nung heu­te über al­len Le­bens­äu­ße­run­gen. An der Zeit­gren­ze, wo er stand, wur­de er noch ver­stan­den. Er ge­hör­te nach sei­ner in­ners­ten Na­tur zum Schlag des ed­len Räu­ber­haupt­manns: der Trieb, den Men­schen zu hel­fen, war in ihm eben­so groß, wie der, es auf Kos­ten des Ge­set­zes und der Ord­nung zu tun. Ge­set­ze und öf­fent­li­che Ein­rich­tun­gen hat­ten für ihn nur den Sinn, dass er ih­nen zum Spaß Schnipp­chen schla­gen konn­te, wo­bei er, wenn der Streich ent­deckt wur­de, die La­cher auf sei­ne Sei­te zog; mit sol­chen Strei­chen um­kränz­te er sein gan­zes Da­sein wie mit la­chen­den Ara­bes­ken; wenn sie ge­le­gent­lich ins Ge­fähr­li­che gin­gen, nur um so bes­ser. Meist aber blie­ben sie in der Sphä­re des Stu­den­ten­ju­xes. So ging er ei­nes Ta­ges in Beglei­tung sei­nes höchst mar­tia­lisch aus­se­hen­den Die­ners und Fak­to­tums Car­lo über den Lun­gar­no, als sie in einen Auf­lauf ge­rie­ten, in des­sen Mit­te ein Mann un­barm­her­zig auf sei­ne Frau los­drosch, ohne dass die Um­ste­hen­den es wehr­ten. Van­zet­ti trat ohne wei­te­res auf den Roh­ling zu: Im Na­men des Kö­nigs! Ich ver­haf­te Sie. Und zu den An­we­sen­den sag­te er: Ich bin De­le­gier­ter der pu­bli­ca si­cu­rez­za, was schon in An­be­tracht sei­nes Beglei­ters, den alle für einen Po­li­zis­ten in Zi­vil hiel­ten, von nie­mand be­zwei­felt wur­de. Die zwei nah­men den Mis­se­tä­ter in die Mit­te, um ihn, wie der Herr »De­le­ga­to« sag­te, zur Quä­stur zu füh­ren, wäh­rend der Ver­haf­te­te jäm­mer­lich bat, ihn frei­zu­las­sen, un­ter den hei­ligs­ten Ver­spre­chun­gen, dass er sich bes­sern wol­le. Der falsche Be­am­te ließ sich denn auch nach län­ge­rem Marsch er­wei­chen, nahm dem Zer­knirsch­ten noch zum Schein sei­ne Per­so­na­li­en ab und schick­te ihn un­ter strengs­ten Er­mah­nun­gen nach Hau­se. Volks­tri­bun ohne öf­fent­li­chen Auf­trag, sah man ihn stets be­schäf­tigt, die Sa­che der Schwa­chen und Un­ter­drück­ten zu füh­ren, Män­gel der ir­di­schen oder der himm­li­schen Vor­se­hung mit den al­ler­will­kür­lichs­ten Mit­teln zu be­rich­ti­gen.

      Ein­mal – es war in et­was spä­te­rer Zeit – be­glei­te­te er mich auf ei­nem Gang am Af­ri­co, als ein Ge­fährt von hin­ten an uns vor­über­roll­te, des­sen Len­ker sinn­los auf das arme Pferd ein­schlug. Van­zet­ti, der ein großer Tier­freund war, ver­wies ihm die Ro­heit; da ver­dop­pel­te der Un­hold sei­ne Hie­be und rief ein ge­mei­nes Schimpf­wort zu­rück. Nicht lan­ge, so fan­den wir auf sei­nen Spu­ren wei­ter­ge­hend eine schö­ne, na­gel­neue Pfer­de­de­cke mit­ten im Stra­ßen­staub lie­gen. Mein Beglei­ter hob sie auf, schüt­tel­te sie aus und leg­te sie in Er­war­tung des Be­sit­zers zier­lich zu­sam­men­ge­fal­tet auf den Arm, als ob er einen Da­men­schal trü­ge. Rich­tig kam gleich dar­auf der Wa­gen im Ga­lopp zu­rück, der gro­be Fuhr­mann schrie uns an, ob wir kei­ne Pfer­de­de­cke ge­fun­den hät­ten. Ein stum­mes Nein Van­zet­tis und ein miss­traui­scher Blick des Fuhr­manns auf den vor­geb­li­chen Schal, der in der Däm­me­rung nicht mehr recht zu er­ken­nen war, dann saus­te er flu­chend wei­ter. Ich frag­te den un­ehr­li­chen Fin­der, was er denn mit der Die­bes­beu­te zu tun ge­däch­te. Sie dem ers­ten ar­men Teu­fel schen­ken, der mor­gen früh in die Sprech­stun­de kommt. Mei­ne Be­den­ken fand er na­tür­lich phi­lis­ter­haft.

      Es be­greift sich, dass die­ser ir­ren­de Rit­ter der Ge­rech­tig­keit mit sei­ner aus­la­den­den Sil­hou­et­te sich bei den nie­de­ren Schich­ten ei­ner glü­hen­den Be­liebt­heit er­freu­te. Es wäre ihm ein Leich­tes ge­we­sen, sich aus sei­ner An­hän­ger­schaft eine Stu­fe zu äu­ße­ren Ehren und Äm­tern zu bau­en, aber nichts lag ihm fer­ner; er war au­ßer­stan­de, einen Plan auf­zu­stel­len und mit Be­stimmt­heit zu ver­fol­gen, al­les war Re­gung des Au­gen­blicks, ohne Fort­gang und Ste­tig­keit. Ich ver­sprach ihm ein­mal in spä­te­ren Jah­ren, wenn er mir flei­ßig sei­ne Aben­teu­er beich­ten wol­le, so wür­de ich sei­ne Le­bens­ge­schich­te schrei­ben. Aber ob­gleich die Be­kennt­nis­se nichts zu wün­schen üb­rig lie­ßen, sah ich doch bald, dass sie nur als Ran­ken­werk ver­wert­bar wa­ren, ohne einen Le­bens­lauf zu er­ge­ben, weil nur aus Epi­so­den,

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