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spä­ter durch Er­win ver­stärkt, der ihn in Mün­chen zu sich nahm, im Auge be­hielt und in eine er­sprieß­li­che Lauf­bahn brach­te. Der klei­ne Ita­lie­ner wur­de zum Deut­schen und be­griff es spä­ter wohl, was Gu­tes an ihm ge­sche­hen war, denn in der schlaf­fen Luft Ve­ne­digs und im Hau­se Al­freds, der kein Er­zie­her war und auch kei­ne Zeit für ihn hat­te, wäre er zu­grun­de ge­gan­gen.

      Wa­ren mei­ne Blü­ten­träu­me von dem großen Ge­sell­schafts­saal auch nicht ge­reift, so fehl­te es doch nicht an edels­ter Ge­sel­lig­keit. Da ka­men au­ßer Hil­de­brand und Böck­lin, den der fan­ta­sie­vol­le Ma­ler Zur­hel­le zu be­glei­ten pfleg­te, an­de­re Spit­zen der deut­schen Ko­lo­nie: der ge­fei­er­te Essayist Karl Hil­le­brand und sein Freund Hein­rich Hom­ber­ger. Die bei­den pfleg­te man zu­sam­men zu nen­nen, weil sie in der glei­chen An­schau­ungs­welt leb­ten und den glei­chen geis­ti­gen Acker be­bau­ten. Bei nä­he­rem Hin­schau­en wa­ren sie sich je­doch sehr un­ähn­lich. Zu dem fei­nen Welt­mann Hil­le­brand fühl­te ich einen un­über­brück­ba­ren Al­ters­un­ter­schied, der nicht von der Zahl der Jah­re ab­hing. Im Auf­tre­ten an den Pa­ri­ser Sa­lons ge­bil­det, je­der Rest von Kan­te oder Ei­gen­art weg­ge­schlif­fen, sehr ver­bind­lich in der Form bei viel na­tür­li­chem Wohl­wol­len, alle Kul­tur­spra­chen mit glei­cher Ele­ganz und Voll­kom­men­heit spre­chend, hät­te er sei­nem Äu­ßern nach ein ho­her Di­plo­mat sein kön­nen. Auch so war er bei sei­ner ge­sell­schaft­li­chen Stel­lung ein glän­zen­der Ver­tre­ter des Deutsch­tums im Aus­land und trotz sei­ner fran­zö­si­schen Ver­gan­gen­heit, sei­ner eng­li­schen Gat­tin und sei­ner Wahl­hei­mat Ita­li­en mit je­der Her­zens­fa­ser deutsch. Aber er war der völ­lig fer­ti­ge, im Den­ken ein für alle Male fest­ge­leg­te, sich in nichts mehr wan­deln­de Geist, der sei­ne Schran­ken ge­schlos­sen hat­te und der auch dem ein­sa­men, um Ver­ständ­nis an­po­chen­den Za­ra­tustra die Tür nicht mehr auf­tat. Das ließ in mir trotz der schö­nen Men­sch­lich­keit kein Ge­fühl der Be­frei­ung in sei­ner Nähe auf­kom­men. Dass er von mei­nes Va­ters Wer­ken nur die »Hei­mat­jah­re« schätz­te und mit dem mäch­ti­gen »Son­nen­wirt« nichts an­zu­fan­gen wuss­te, be­wies, dass er geis­tig an eine be­stimm­te li­te­ra­ri­sche Span­ne ge­bun­den blieb, jen­seits de­ren er nicht mehr mit­ging. Sei­ne Wer­ke, einst viel ge­le­sen, ste­hen in mei­nem Bü­cher­schrank; sie bie­ten eine wei­te, viel­leicht et­was fla­che, den Geist sei­ner Epo­che spie­geln­de Über­schau über Zei­ten und Men­schen, deu­ten aber nicht in fer­ne­re Tage hin­über. Das macht, er war nur Be­schau­er, nicht Se­her und Dich­ter.

      Mir bot er un­ver­dien­ter­ma­ßen die Mit­ar­beit an sei­ner zwei­spra­chi­gen Zeit­schrift »Ita­lia« an, in der deut­sche und ita­lie­ni­sche Ge­lehr­te sich über die großen Mensch­heits­fra­gen äu­ßer­ten. Ich stand je­doch die­ser eh­ren­den Auf­for­de­rung rat­los ge­gen­über, denn ich hat­te noch nicht so viel selbst­stän­dig nach­ge­dacht, um eine ei­ge­ne Stel­lung zu den Din­gen zu ha­ben, und Frem­des mir an­eig­nen und wei­ter­ge­ben lag nicht in mei­ner Art; ich muss­te zu dem al­lem erst durch das Le­ben kom­men.

      Bes­ser ver­stand ich mich mit Hom­ber­ger, in dem sich mit dem Den­ker ein Poet ver­band. Er nann­te es die größ­te Gunst, die das Schick­sal ei­nem Sterb­li­chen er­wei­sen kön­ne, wenn es ihn durch sein Werk Zeug­nis ab­le­gen las­se von sei­nem Wert. Ihm sel­ber wur­de die­se Gunst nur in be­schränk­tem Um­fang zu­teil: er litt an schwe­ren in­ne­ren Hem­mun­gen, die er auf den schlech­ten Stand sei­ner Ge­sund­heit zu­rück­führ­te, und die ihm nur we­nig von dem rei­fen lie­ßen, wo­mit er sich be­schäf­tig­te. Aber sei­ne dich­te­ri­sche An­la­ge ließ ihn nicht er­star­ren, und wenn auch sei­ne form­schö­nen Ge­dich­te rei­ne Ge­dan­ken­ly­rik wa­ren, so war­fen sie doch wär­me­re Lich­ter über die Din­ge als die küh­le Hil­le­brand­sche Ver­stan­des­hel­le. Nur hat­te auch er nichts Un­be­wuss­tes in sich, er weck­te es fort und fort auf, um sich Re­chen­schaft zu ge­ben; so ließ der Den­ker dem Dich­ter kei­nen Raum. Da­ge­gen brach­te er aber auch nicht wie je­ner stets ein Fer­ti­ges, schon zu Ende Ge­dach­tes, denn kei­nes­wegs stand ihm schon al­les fest, er trat sel­ber als Fra­gen­der den Fra­gen, die ihn er­füll­ten, ge­gen­über und fühl­te sich durch Zu­stim­mung aus frem­dem Mun­de be­stärkt und be­glückt, be­son­ders, wenn es der Mund Adolf Hil­de­brands war, des­sen un­be­küm­mer­te Un­mit­tel­bar­keit ihn be­zau­ber­te. Zu Hau­se saß er dann vor sei­nem Ge­dan­ken­web­stuhl und wob, was durch Ge­spro­che­nes und Ge­le­se­nes in ihm an­ge­regt war, vollends in der Stil­le zu Ende. Aber – lag der Grund in ihm oder im Welt­lauf? – es fiel ihm das fast un­be­greif­li­che Los, dass er bei un­aus­ge­setz­ter geis­ti­ger Tä­tig­keit am Ende doch nur für sei­nen Nach­lass ge­ar­bei­tet hat­te, einen Nach­lass, der erst Jahr­zehn­te nach sei­nem Tod von sei­ner Wit­we her­aus­ge­ge­ben und von sei­nem Schwa­ger Ge­org Karo fein­sin­nig ein­ge­lei­tet wur­de, aber we­nig in die Öf­fent­lich­keit drang. Ein so tie­fes phi­lo­so­phisch-äs­the­ti­sches Schür­fen wie etwa sei­ne Un­ter­su­chun­gen über das be­rühm­te Ta­ge­buch des Gen­fer Phi­lo­so­phen Amiel dürf­te weit und breit nicht sei­nes­glei­chen ha­ben. Aber Hom­ber­gers Zeit war nie­mals und wäre es heu­te, wo al­les in ei­nem Sturm des Wer­dens und Ver­ge­hens fie­bert, we­ni­ger denn je. Nur wenn ge­le­gent­lich ein ab­sei­ti­ger Grüb­ler noch in ir­gend­ei­ner Pri­vat­bi­blio­thek auf ein Buch von Hom­ber­ger stößt, so mag er sich wun­dern, was al­les in ei­ner wind­stil­len und ta­ten­fer­nen Zeit ein so fein un­ter­schei­den­der Geist über Ge­dach­tes zu den­ken fand. – Für die Wär­me, mit der er die Erst­aus­ga­be mei­ner Ge­dich­te in der von ihm ge­lei­te­ten Wo­chen­schrift »Die Na­ti­on« be­grüß­te, blei­be ich Hom­ber­gers Schat­ten für im­mer ver­pflich­tet.

      Ganz per­sön­lich und mit vol­lem Her­zen mir zu­ge­wen­det war mein eng­li­scher Freund Charles Grant. Er leb­te stän­dig in Deutsch­land als Lek­tor der eng­li­schen Spra­che, ver­brach­te aber sei­ne Fe­ri­en­zeit in Flo­renz, wo er ab­wech­selnd in den ihm nahe be­freun­de­ten Häu­sern Hil­de­brand und Hil­le­brand zu Gas­te war. Mit­tel­groß, un­ter­setzt, höchst tem­pe­ra­ment­voll, mit schwar­zem Haar und Bart und afri­ka­nisch dunklem Ge­sicht, das zu­gleich stark ge­rötet war, schi­en er im­mer­zu in­ner­lich zu bren­nen. So­bald er zu re­den an­hob über Ge­gen­stän­de, die ihn er­füll­ten, schlug es auch in der Tat wie Flam­men aus ihm. Es hieß, sein Va­ter habe als bri­ti­scher Mis­sio­nar in In­di­en sei­ne Mut­ter zu­erst im Sar­ge ge­se­hen, habe eine Lei­den­schaft für die Tote ge­fasst und her­nach die Wie­de­r­er­weck­te zur Frau ge­nom­men. Der zar­ten und fan­ta­sie­vol­len Art des Soh­nes trau­te man ger­ne einen sol­chen be­son­de­ren Ur­sprung zu. Er brach­te mir die neue­ren eng­li­schen Ly­ri­ker wie Dan­te, Ga­bri­el Ros­set­ti und Swin­bur­ne, die er lei­den­schaft­lich lieb­te, wenn auch als selbst­wil­li­ge Neue­rer, die sie da­mals wa­ren, mit et­was schlech­tem Ge­wis­sen: I am afraid, I like them more than I ought, sag­te er mit ei­nem schalk­haf­ten Seuf­zer, wahr­schein­lich im Hin­blick auf Hil­de­brand, den äs­the­ti­schen Dik­ta­tor des Krei­ses, der die­se Poe­sie ab­lehn­te. Ich teil­te Grants Be­wun­de­rung, be­son­ders für Swin­bur­ne, in dem bei un­wi­der­steh­li­cher Form­ge­walt et­was von der kal­ten Glut des ge­fal­le­nen En­gels zu lo­dern schi­en. Grant war im gan­zen Um­kreis der ein­zi­ge, dem die Un­wäg­bar­keit der ly­ri­schen Dich­tung Le­bens­luft be­deu­te­te, wo die an­dern sich mit Li­te­ra­tur be­fass­ten! Sei­ne ei­ge­nen Ge­dich­te, de­ren er nur ein schma­les Bänd­chen

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