Скачать книгу

zu schen­ken. Ich habe sie wei­ter­hin ge­schil­dert, wie sie als jun­ges Mäd­chen im Jah­re 1848 der Sa­che des Volks ihr Ver­mö­gen op­fer­te und wie sie spä­ter mit der­sel­ben flam­men­den Be­geis­te­rung ih­rem Dich­ter die Hand reich­te, um mit ihm durch ein Le­ben här­tes­ter Ent­beh­run­gen zu ge­hen, ohne je­mals den Mut zu ver­lie­ren oder an ih­ren Idea­len irre zu wer­den. Ihr Per­sön­lichs­tes lässt sich nicht fass­li­cher um­rei­ßen, als ich es in mei­nem »Ju­gend­land« und in dem Büch­lein »Mei­ne Mut­ter« ge­tan habe. Es sei mir also ge­stat­tet, ei­ni­ges we­ni­ge da­von hier im Aus­zug an­zu­füh­ren.

      »Sie wie­der­zu­ge­ben ganz so wie sie war ist ein Wa­g­nis. Kein Bild ist leich­ter zu ver­zeich­nen als das ih­ri­ge. So aus­ge­prägt sind ihre Züge, so ur­per­sön­lich – ein ein­zi­ger zu stark ge­zo­ge­ner Strich, eine ver­grö­ber­te Li­nie, und das Edels­te und Sel­tens­te was es gab kann zum Zerr­bild wer­den. Und nicht nur die Hand, die das Bild zeich­net, muss ganz leicht und si­cher sein, es kommt auch auf das Auge an, das es auf­fas­sen soll. Wer ge­wohnt ist, in Scha­blo­nen zu den­ken, fin­det für das nur ein­mal Vor­han­de­ne kei­nen Platz in sei­ner Vor­stel­lung.« … »Die un­be­greif­lichs­ten Ge­gen­sät­ze wa­ren in die­sem Men­schen­bild zu ei­nem ein­fa­chen und bruch­lo­sen Gan­zen zu­sam­men­ge­schweißt, dass man sich in al­ler Welt ver­geb­lich nach ei­ner ähn­li­chen Er­schei­nung um­se­hen wür­de. Von bei­den Sei­ten blau­blü­tig, mit al­len Vor­tei­len ei­ner ver­fei­ner­ten Er­zie­hung aus­ge­stat­tet und doch so ur­sprüng­lich in dunk­ler Trieb­haf­tig­keit. Die­se Trieb­haf­tig­keit aber gänz­lich ab­ge­wandt vom Ich, was doch der Na­tur des Trieb­le­bens zu wi­der­spre­chen scheint! Was an­de­re sich als sitt­li­chen Sieg ab­rin­gen müs­sen, der selbst­lo­se Ent­schluss, das war bei ihr das An­ge­bo­re­ne und kam je­der­zeit als Na­tur­ge­walt aus ih­rem In­ne­ren. Wenn ich mich um­se­he, wem ich sie ver­glei­chen könn­te, so fin­de ich nur eine Ge­stalt, die ihr äh­nelt, den Po­ver­el­lo von As­si­si, der wie sie im Ele­ment des Lie­bes­feu­ers leb­te und die frei­wil­li­ge Ar­mut zu sei­ner Braut ge­wählt hat­te. Sein Son­nen­hym­nus hät­te ganz eben­so jauch­zend aus ih­rer See­le bre­chen kön­nen. Auch in dem star­ken tie­ri­schen Ma­gne­tis­mus, der von ihr aus­ström­te, muss ihr der hei­li­ge Fran­zis­kus ge­gli­chen ha­ben, denn um bei­de dräng­te sich die Krea­tur lie­be- und hil­fe­su­chend. Kin­der und Tie­re wa­ren nicht aus mei­nes Müt­ter­leins Nähe zu brin­gen. Auch das Ir­ra­tio­na­le und Plötz­li­che, was zum We­sen der Hei­li­gen ge­hört, war ihr in oft er­schre­cken­dem Maße ei­gen.«

      Den­noch, wie auch Fe­der oder Pin­sel sich mü­hen, sie kön­nen von ei­ner ver­schwun­de­nen Ge­stalt nur die ty­pi­schen Merk­ma­le zu­rück­ru­fen: das letz­te, ganz ein­ma­li­ge Ge­heim­nis der In­di­vi­dua­li­tät ist an das Le­ben ge­knüpft, an den Kreu­zungs­punkt des Geis­ti­gen mit dem Kör­per­li­chen, es west in al­lem Un­wie­der­bring­li­chen, das der Ge­gen­wart ge­hört, in Blick und La­chen, in Mie­ne, Ges­te und Be­we­gung – Schrift­zü­ge, die kei­ne ir­di­sche Chro­nik fest­hält. Wie nach dem Zeug­nis der Zeit­ge­nos­sen der hei­li­ge Fran­zis­kus vor dem Paps­te In­no­zenz ste­hend aus Ent­zücken kei­nen Au­gen­blick still­hal­ten konn­te, son­dern im­mer tan­zend hin und her fuhr, die­ses Bild bringt mir die queck­sil­ber­ne Über­be­weg­lich­keit mei­nes Müt­ter­leins aus ih­ren jun­gen Jah­ren ins Ge­dächt­nis. Hät­te die­ses lie­be­glü­hen­de Herz nur ei­ni­gen Sinn für den Wert ei­ner frau­li­chen Heim­stät­te be­ses­sen, für die Wohl­tat der Ord­nung und Har­mo­nie, für ein we­nig Maß und Takt­hal­ten, es wäre nir­gends so wohn­lich ge­we­sen wie in ih­rer Nähe. Dem aber wi­der­sprach das Sprung­haf­te ih­res We­sens und ihre Fran­zis­kus­na­tur, die kei­ner­lei Be­sitz woll­te und kaum das Not­dürf­tigs­te an­ders denn als läs­ti­ges An­häng­sel emp­fand. Wäh­rend al­les Le­be­we­sen sich un­wi­der­steh­lich zu ihr ge­zo­gen fühl­te, Tie­re, Kin­der, jun­ge Leu­te, er­griff das Un­be­seel­te bei ih­rem Er­schei­nen als­bald die Flucht; das Wort von der»Tücke des Ob­jekts« schi­en ei­gens für sie er­fun­den. Das Schreib­zeug wan­der­te aus, Kaf­fee­löf­fel rot­te­ten sich ir­gend­wo zu­sam­men, um nicht zum Früh­stücks­tisch zu kom­men, das gan­ze zum Da­sein un­ent­behr­li­che Klein­volk des Haus­rats war um sie her in be­stän­di­gem Aufruhr. Wenn ich mich müh­te, Ord­nung zu stif­ten, so wur­de sie är­ger­lich oder lach­te mich aus: Wozu den Um­stand um ein Nichts! Be­quem­lich­kei­ten ver­ach­te­te sie, nicht aus as­ke­ti­schem Hoch­mut, son­dern weil sie nichts da­mit an­zu­fan­gen wuss­te. Ihr An­zug durf­te we­der Geld noch Zeit kos­ten und hat­te nur den ur­tüm­lichs­ten Zweck, die Blö­ße zu de­cken. Sie sah durch­aus nicht, was sie an­zog, und ver­si­cher­te aufs be­stimm­tes­te, dass die an­de­ren es auch nicht sä­hen! Nur ei­nes war ihr in spä­te­ren Jah­ren un­leid­lich: dass ihr Haar er­greis­te, denn ihr star­kes Le­bens­ge­fühl ver­trug sich nicht mit der Vor­stel­lung von Al­ter und Ver­fall, wie sie sich auch am liebs­ten mit jun­gen Men­schen um­gab. Sie schlang also ein schwar­zes Schlei­er­tuch ganz enge um die Stirn, was ih­ren von der Zeit und dem Geist im­mer mehr durch­ge­mo­del­ten Zü­gen zu­letzt et­was ganz Über­sinn­li­ches gab. Da­mit man nicht glau­be, dass die Mut­ter kahl sei, schob ihr ge­le­gent­lich ei­ner der Söh­ne schnell ein­mal in An­we­sen­heit Frem­der den Schlei­er weg, dass der Sil­ber­glanz auf­schim­mer­te, wo­durch sie sich je­doch ge­schä­digt fühl­te, denn sie woll­te sich nicht alt wis­sen.

      Wenn mein Va­ter ge­le­gent­lich halb scher­zend äu­ßer­te, er hal­te es mit dem Mut­ter­recht der Ur­völ­ker, weil der Frau, die al­len Schmerz und alle Last der Mut­ter­schaft tra­ge, auch das ers­te Recht an die Kin­der zu­ste­he, da war er sich schwer­lich be­wusst, dass es in der Tat ein Wie­der­auf­le­ben je­ner ur­zeit­li­chen Zu­stän­de war, das in sei­nem Hau­se herrsch­te und auch über das künf­ti­ge Ge­schick sei­ner Kin­der ent­schied. Sei­ne Gat­tin diente ihm mit Be­geis­te­rung und ver­ehr­te je­des sei­ner Wor­te als Ora­kel, aber ihre Kin­der wa­ren ihr Ei­gen­tum, das sie al­lein ver­wal­te­te, ihm nur so viel Mit­ver­wal­tung las­send, als es ihn bei sei­ner Ar­beit nicht be­schwer­te. Er konn­te auch nichts tun als ab­dan­ken, weil sei­ne von den lan­gen po­li­ti­schen, li­te­ra­ri­schen und wirt­schaft­li­chen Kämp­fen zer­rie­be­nen Ner­ven der Dop­pel­auf­ga­be nicht mehr ge­wach­sen wa­ren. Auch war er ja si­cher, dass ihr Ein­fluss der edels­te war und aus den höchs­ten Ge­sichts­punk­ten ge­übt. Nicht, wie es sonst Frau­en­art ist, mit der Rich­tung auf den äu­ße­ren Er­folg, son­dern ein­zig auf die hö­he­ren Wer­te. Sie er­schwer­te so­gar ih­ren Kin­dern un­be­denk­lich das oh­ne­hin so schwie­ri­ge bür­ger­li­che Fort­kom­men, in­dem sie sie zur äu­ßers­ten Un­beug­sam­keit in al­len grund­sätz­li­chen Fra­gen er­zog und sie da­mit von An­fang an mit der Welt, wie sie war, in Ge­gen­satz brach­te. Auf drei höchst ei­gen­ar­tig ab­ge­präg­te Söh­ne (ich spre­che nicht von dem Jüngs­ten, Lei­den­den und von ihr Be­treu­ten, bei dem es sich von selbst ver­stand) über­trug sie ihr Welt­bild, auch wo es sich an­ders als beim Va­ter schat­tier­te, durch eine zum Teil vor­ge­burt­li­che Be­ein­flus­sung. Noch bis ins drit­te Glied dau­er­te un­ter gänz­lich ver­än­der­ten Le­bens­be­din­gun­gen in ge­wis­sem Sin­ne ihr Wal­ten: sie gab oder er­gänz­te den En­keln die Na­men und wirk­te auf ihre Er­zie­hung so­weit ein, dass sie auf ih­ren spä­te­ren, ganz an­ders ver­lau­fen­den Bah­nen im­mer noch das Vor­bild der Non­na (Groß­mut­ter), wenn auch nicht mehr weg­wei­send, so doch als stil­le Mah­nung über sich fühl­ten.

Скачать книгу