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der sie als Jüng­ling zu­erst ken­nen­lern­te. Ihre Maße wa­ren viel­mehr der Maß­stab, den ich an alle mei­ne Wunsch­bil­der leg­te, und sie wur­den der An­lass, dass ich mich le­bens­lang bei den wech­seln­den Li­te­ra­tur­mo­den so jäm­mer­lich übel be­fand, ja vie­le der be­rühm­tes­ten Ta­ge­s­er­zeug­nis­se, die der Kri­tik und dem Pub­li­kum wie Ka­vi­ar auf der Zun­ge zer­gin­gen, schlech­ter­dings nicht hin­un­ter­brach­te. – Er­wach­sen ließ ich mich dann durch mei­nen Ju­gend­ka­me­ra­den Ernst Mohl in die grie­chi­sche Spra­che ein­füh­ren und ge­lang­te da­mit aus der Vor­hal­le in die Cel­la des Tem­pels.

      Was die Grie­chen mir ga­ben, hat auf al­len Al­ter­s­stu­fen ein neu­es Ge­sicht ge­tra­gen und mich im­mer zu neu­em Dank ver­pflich­tet. Denn die­ses Volk hat sich ja im­mer wie­der mit neu­en Zü­gen vor der al­tern­den Welt ver­jüngt, und ihre Be­deu­tung wird nie­mals aus­zu­schöp­fen sein. Für mich ging sie über den poe­ti­schen Ge­nuss weit hin­aus ins Ethi­sche, in die ei­gent­li­che Le­bens­an­schau­ung über. Der tra­gi­sche Un­ter­grund, auf dem sie ste­hen, gab schon dem Kin­de die Ah­nung von der Un­si­cher­heit al­les mensch­li­chen Ge­schicks und dass das Leid mit­über­nom­men wer­den muss, wenn un­se­rem hö­he­ren Ich sein Wil­le ge­sche­hen soll. Die­se Er­kennt­nis, im Ge­fühl ent­sprun­gen, wenn auch noch nicht im Be­griff er­fasst, stärk­te mich für die Wi­der­wär­tig­kei­ten, de­nen ich an der Schwel­le der Ju­gend ent­ge­gen­ging.

      Jene Art Un­ter­drückung, die an der glei­chen Fä­hig­keit des weib­li­chen Geis­tes zwei­felt, habe ich an mir sel­ber nicht er­fah­ren. Geis­tes­we­ge la­gen vor mir, sie gin­gen strah­lig nach vie­len Sei­ten: der Hu­ma­nis­mus war mit der Mut­ter­milch über­kom­men, spä­ter brach­ten die Brü­der die Na­tur­wis­sen­schaf­ten ins Haus, frei­lich nur in den fer­ti­gen Schlüs­sen, nicht mit dem Weg, auf dem sie er­ar­bei­tet wa­ren.

      Auch das Va­te­rer­be des Hu­ma­nis­mus war zu­nächst nur in sei­nen Aus­wir­kun­gen vor­han­den, als Le­bens­stil wie als in­ne­re Stel­lung­nah­me. Im ein­zel­nen hieß es, das Erbe er­wer­ben, um es zu be­sit­zen; hie­für gab es Wink und Fin­ger­zeig, es gab un­er­müd­li­che An­re­gung von sei­ten ei­ner Mut­ter von un­er­schöpf­li­cher Geis­tig­keit, aber sprung­haf­tem, al­lem Sys­tem wi­der­stre­ben­dem Na­tu­rell. Un­ser abend­li­ches Le­sen der grie­chi­schen Ge­schich­te aus dem He­ro­dot war mehr ein Spie­len mit Bau­stei­nen als ein wirk­li­ches erns­tes Bau­en, den­noch hat es uns alle in der Welt der Grie­chen für im­mer hei­misch ge­macht. Nur Er­win, der Zweit­jüngs­te, der als Au­gen­mensch und künf­ti­ger Künst­ler mehr im Sicht­ba­ren zu Hau­se war, ent­zog sich die­sen An­re­gun­gen, hat aber das da­mals Über­se­he­ne in rei­fen Jah­ren glü­hend nach­ge­holt.

      Ich wuss­te nichts von der Um­welt, in der ich leb­te, denn ich kann­te nur mein El­tern­haus. Aber die­se Um­welt wuss­te lei­der von mir und nahm an dem blo­ßen Da­sein des fremd­ar­ti­gen Kin­des, das mit den Hero­en und Göt­tern Grie­chen­lands auf­wuchs, An­stoß, denn sie sel­ber war das Rück­stän­digs­te, was es gab, wenn­schon die hoch­ge­lehr­te Uni­ver­si­täts­stadt des hoch­ge­lehr­ten Schwa­ben­lan­des. Aber die­se Ge­lehr­sam­keit glänz­te nur auf dem Ka­the­der; in den Fa­mi­li­en, die trotz der aus­ge­präg­tes­ten Män­ner­herr­schaft, viel­leicht ge­ra­de des­halb, ganz das Ge­prä­ge der Frau, näm­lich der un­wis­sen­den, tru­gen, herrsch­te die dun­kels­te Un­bil­dung. Mit mei­nem Heran­wach­sen wuchs der Ge­gen­satz. Al­les Schö­ne, wo­für ich er­glüht war: Poe­sie und Kunst, Pfle­ge und Stäh­lung des Kör­pers durch das was man heu­te Sport nennt und was nur ge­gen den Wi­der­spruch der öf­fent­li­chen Mei­nung durch­zu­set­zen war, galt für na­he­zu dia­bo­li­schen Ur­sprungs. Am meis­ten wehr­ten sich die Müt­ter und Töch­ter der klei­nen Stadt ge­gen solch ein jun­ges Men­schen­we­sen, in des­sen of­fen­bar ver­früh­tem Er­schei­nen sie das Her­auf­däm­mern ei­ner neu­en, ihr gan­zes Her­kom­men in Fra­ge stel­len­den Zeit ah­nen moch­ten. Die Tra­gik die­ser Ver­früht­heit, in die mich die Na­tur ge­ru­fen hat­te, war die wid­rigs­te von den wid­ri­gen Schick­sals­mäch­ten, die mich an der Schwel­le des Le­bens emp­fin­gen. Dass es mir ohne äu­ße­re Hil­fe ge­lang, sie we­nigs­tens teil­wei­se zu über­win­den, schrei­be ich der Gna­de des freund­li­chen Gestir­nes zu, das mich bei der Ge­burt an­ge­blickt hat­te. »Das meis­te näm­lich ver­mag die Ge­burt«, singt Höl­der­lin, »und der Licht­strahl, der dem Neu­ge­bor­nen be­geg­net.« Eine selt­sa­me Na­tu­r­an­la­ge half da­bei nach, die mich die feind­se­li­ge Au­ßen­welt in Au­gen­bli­cken, wo ich nicht un­mit­tel­bar un­ter ihr litt, mehr wie einen bö­sen Traum als wie eine le­ben­di­ge Wirk­lich­keit an­se­hen ließ oder höchs­tens wie eine wil­de In­sel, auf die mich ein Schiff­bruch ver­schla­gen hät­te.

      1 Aus: Der My­thus von Ori­ent und Ok­zi­dent <<<

      Die im Vor­ste­hen­den ge­schil­der­ten Zu­stän­de schu­fen nur den äu­ße­ren Ring der Schwie­rig­kei­ten, die mei­nen Weg ins Le­ben um­la­ger­ten. Es gab noch einen en­ge­ren, der aus der nächs­ten Um­welt, aus dem An­ge­hö­ri­gen­krei­se sel­ber kam. Ich habe mich spä­ter in der Welt oft­mals ge­wun­dert, wie lo­cker in den meis­ten Fa­mi­li­en der Zu­sam­men­hang ist, wie schnell das Band zwi­schen den Ge­schwis­tern ver­sagt, wenn sie ein­mal das ge­mein­sa­me Nest ver­las­sen ha­ben, und wie we­nig auch Kin­der be­deu­ten­der Men­schen von der Ju­gend und so­gar von dem mit­er­leb­ten Le­ben ih­rer El­tern wis­sen; von den Gro­ß­el­tern ganz zu schwei­gen, die im Zwie­licht zu ver­däm­mern pfle­gen. Bei uns war es an­ders. Wir bil­de­ten nicht nur eine Fa­mi­lie, son­dern eine eng­ge­schlos­se­ne Geis­tes­ge­mein­schaft, die auch in das drit­te Fol­ge­ge­schlecht nach­wir­ken soll­te. Aus die­ser na­hen Ver­bun­den­heit her­aus konn­te ich nicht nur die Ge­schich­te mei­ner El­tern, son­dern auch die der Vor­el­tern er­zäh­len, weil mir das lan­ge Ge­dächt­nis mei­ner Mut­ter und das noch län­ge­re ih­rer Jo­se­phi­ne, ge­nannt Fina, die sie in Win­deln be­treut hat­te, zur Ver­fü­gung stand. In un­se­rem Hau­se konn­te es auch kei­nen Kampf der Ge­ne­ra­tio­nen ge­ben, denn mei­ne El­tern hat­ten sel­ber schon so weit vor­ne be­gon­nen, dass die Zeit ih­nen noch lan­ge nicht nach­kam. Die­ser ge­mein­sa­me Ge­gen­satz ge­gen eine noch lan­ge nicht nach­kom­men­de Zeit war es dann auch, was uns Ge­schwis­ter so enge zu­sam­men­band, dass wir eine ei­ge­ne, ganz auf sich ge­stell­te Welt bil­de­ten, in der wir uns ge­gen­sei­tig Wohl und Wehe be­deu­te­ten und aus der wir uns die Maß­stä­be für das Le­ben hol­ten, wo aber auch die in­ne­ren Er­schüt­te­run­gen nie zur Ruhe ka­men. Es sei je­doch be­tont, was heu­te nicht mehr so selbst­ver­ständ­lich ist wie da­mals: dass den vie­len Rei­bun­gen nie­mals ein ma­te­ri­el­ler An­lass zu­grun­de lag und dass die Fra­ge von Mein und Dein, Miss­gön­nen und Sel­ber­ha­ben­wol­len im Fa­mi­li­en­kreis nie eine Rol­le ge­spielt hat.

      Als der Dich­ter Her­mann Kurz aus dem ur­al­ten, schon um 1400 ge­nann­ten Reut­lin­ger Bür­ger­hau­se der Glo­cken­gie­ßer und Rats­herrn Kurz (rich­ti­ger Kurtz) die hoch­ge­mu­te, von Va­ter­sei­te aus kur­län­di­schem Adel stam­men­de Frei­in von Brun­now hei­ra­te­te, er­wuchs aus die­sem Bun­de zwei­er kris­tall­kla­rer, von den glei­chen Idea­len er­füll­ter und geis­tig eben­bür­ti­ger, aber im Na­tu­rell grund­ver­schie­de­ner

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